Die Attentate des 11. September 2001, bei dem Verkehrsflugzeuge in noch nicht da gewesener Form als bombengleiche Waffen eingesetzt wurden, haben die Welt für Wochen in einen schockähnlichen Zustand versetzt. Die internationale Gemeinschaft realisierte, dass internationaler Terrorismus nicht auf wenige (politische) Opfer beschränkt sein muss, sondern mit einem Schlag tausende zivile Opfer fordern und verheerende Schäden bewirken kann.
Deutschland, in dem Terrorismus bis dahin hauptsächlich in einem Atemzug mit der "Rote Armee Fraktion" (R.A.F.) genannt wurde, dachte über mögliche Schreckenszenarien auf dem Bundesgebiet nach. Was wäre z.B., wenn ein Verkehrsflugzeug Kurs auf die Bankentürme der Frankfurter Innenstadt nehmen würde? Einhellige Meinung ist, dass das betreffende Flugzeug abgefangen werden müsste, aber auch der Abschuss einer solchen Maschine findet breite Zustimmung.
Offen blieb jedoch, ob ein solcher Abschuss überhaupt eine rechtliche Grundlage hätte, bzw. wie ein solcher Abschuss rechtlich zu beurteilen wäre. Zusätzlich stellt sich die Frage der Zuständigkeit: wem würde ein solcher Abschuss obliegen? Ist der Staat im Sinne der Notstandsregelung in dieser speziellen und schwierigen Situation überhaupt eingriffsbefugt?
Ein weiteres Problem, das sich bei dieser Frage stellt, ist die Frage nach dem Wert und der Abwägbarkeit menschlichen Lebens.
Obige Frage ist in der Vergangenheit immer wieder in der Rechtswissenschaft aus verschiedenen Sichtweisen diskutiert worden und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen.2 Das Problem ist, dass sich zwischen zwei starken Rechtspositionen entschieden werden muss: die eine ist das Leben als höchstes Gute des Einzelnen, dass sich jedem Eingriff widersetzt und dem ein „fundamentaler Achtungsanspruch"3 innewohnt, die andere eine reine Vernunfterwägung, die sich das Tötungsverbot nicht endlos ausweiten lassen will und zu rationalen Entscheidungen tendiert, wenn das in Ausnahmesituationen nötig wird. In wie weit Theorien und Diskussion innerhalb der Lehre für das Thema dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden können, soll im Nachfolgenden gezeigt werden.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
1.Teil
A. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
I. Verfassungsrechtliche Situation
- Wesengehaltsgarantie
II. Exemplarische Schulfälle zu rechtfertigenden Notstand
- "Bergsteigerfall"
- "Ballonfall"
- "Fährmannfall"
- sog. "Euthanasieprozess-Fälle"
1. Kategorisierung der Fälle
2. Anwendungsbereich des § 34 StGB
a. Notstands lage
b. Notstands handlung
c. Erforderlichkeit
d. Interessenabwägung
e. Angemessenheit
III. Einschränkung des Tötungsverbotes
1. Güterabwägungs- und Interessenabwägungstheorie
a. Güterabwägungstheorie
b. Interessenabwägungstheorie
2. Abwägen der widerstreitenden Interessen gem. der
Interessenabwägungstheorie
a. Der Abschuss des Flugzeuges als das "kleinere Übel"
b. Das Merkmal der Gefahrengemeinschaft
aa. Ausgangssituation der Gemeinschaft
bb. Eingriff eines Gruppenmitgliedes
cc. Endgültige Realisierung der Gefahr
c. Die Todesverfallenheit der Passagiere
d. Die Lehre vom "rechtsfreien Raum"
e. Die Chancenanmaßung als Kriterium
aa. Die Chancenanmaßung als Kriterium im "Ballonfall"
bb. Die Chancenanmaßung als Kriterium im "Ballonfall"
f. Prognosen über den Geschehensablauf
B. Notwehr, § 32 StGB
I
C. Entschuldigender Notstand, § 35 StGB
D. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand
2. Teil
A. Hoheitliches Handeln des Staates unter strafrechtlichen
Gesichtspunkten
1. Uneingeschränkte Gültigkeit bei staatlichem Handeln
2. Gültigkeit der Norm, wenn öffentlichrechtliche Sonderregelungen
fehlen
3. Staatliches Handeln aufgrund § 34 nur in Ausnahmesituationen
4. Zusammenfassung
B. Hoheitliches Handeln außerhalb des StGB
3. Teil
Schlussfolgerung
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Einleitung
Die Attentate des 11. September 2001, bei dem Verkehrsflugzeuge in noch nicht da gewesener Form als bombengleiche Waffen eingesetzt wurden, haben die Welt für Wochen in einen schockähnlichen Zustand versetzt. Die internationale Gemeinschaft realisierte, dass internationaler Terrorismus nicht auf wenige (politische) Opfer beschränkt sein muss, sondern mit einem Schlag tausende zivile Opfer fordern und verheerende Schäden bewirken kann.
Deutschland, in dem Terrorismus bis dahin hauptsächlich in einem Atemzug mit der "Rote Armee Fraktion" (R.A.F.) genannt wurde, dachte über mögliche Schreckenszenarien auf dem Bundesgebiet nach. Was wäre z.B., wenn ein Verkehrsflugzeug Kurs auf die Bankentürme der Frankfurter Innenstadt nehmen würde? Einhellige Meinung ist, dass das betreffende Flugzeug abgefangen werden müsste, aber auch der Abschuss einer solchen Maschine findet breite Zustimmung.
Offen blieb jedoch, ob ein solcher Abschuss überhaupt eine rechtliche Grundlage hätte, bzw. wie ein solcher Abschuss rechtlich zu beurteilen wäre. Zusätzlich stellt sich die Frage der Zuständigkeit: wem würde ein solcher Abschuss obliegen? Ist der Staat im Sinne der Notstandsregelung in dieser speziellen und schwierigen Situation überhaupt eingriffsbefugt?
Ein weiteres Problem, das sich bei dieser Frage stellt, ist die Frage nach dem Wert und der Abwägbarkeit menschlichen Lebens:
"Gilt das Verbot, das Leben eines Menschen durch aktives Handeln zu vernichten, auch dann ohne Einschränkung, wenn in einer Notstandsituation die Tötung das einzige Mittel ist, Menschenleben zu retten?"[1] Kann also Leben gegen Leben aufgerechnet werden, in Form einer - wie auch immer gearteten - Saldierung zu einem bloßen Rechnungsposten herabgesetzt werden?
Obige Frage ist in der Vergangenheit immer wieder in der Rechtswissenschaft aus verschiedenen Sichtweisen diskutiert worden und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen.[2]
Das Problem ist, dass sich zwischen zwei starken Rechtspositionen entschieden werden muss: die eine ist das Leben als höchstes Gute des Einzelnen, dass sich jedem Eingriff widersetzt und dem ein „fundamentaler Achtungsanspruch"[3] innewohnt, die andere eine reine Vernunfterwägung, die sich das Tötungsverbot nicht endlos ausweiten lassen will und zu rationalen Entscheidungen tendiert,
wenn das in Ausnahmesituationen nötig wird. In wie weit Theorien und Diskussion innerhalb der Lehre für das Thema dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden können, soll im Nachfolgenden gezeigt werden.
1. Teil
A. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
§ 34 kommt bei der Beurteilung der Frage, ob der Abschuss eines
Flugzeuges strafrechtlich gerechtfertigt werden kann eine zentrale Rolle zu. Weitere in Frage kommende Vorschriften (§§ 32, 35 StGB) werden zum Ende der Arbeit behandelt.
I. Verfassungsrechtliche Situation
Der Staat hat eine umfassende Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern und muss nach der Rechtsprechung des BVerfG „jedes menschliche Leben schützen".[4]
Zentrale Norm ist Art. 2 II 1 GG, die jedem das „Recht auf Leben“ garantiert. Der Staat als Garant für die Durchsetzung des Schutzes jedes menschlichen Lebens darf seine Schutzpflicht nicht vernachlässigen.
Dieser Schutz des menschlichen Lebens stellt einen Grundpfeiler, ein Fundament dar, auf das die zivilisierte Gesellschaft baut.
Gleichwohl kann dieser hohe Anspruch nicht unbegrenzt gelten, was der Blick auf die Möglichkeiten der §§ 32 ff. StGB zeigt. Es wäre geradezu paradox, müsste sich das bei einem rechtswidrigen Angriff gefährdete Leben grundsätzlich seinem - möglicherweise tödlichem - Schicksal fügen, nur um das Leben des Angreifers zu schützen.
Der grundgesetzliche Schutz kann jedoch nicht definieren, für welches Leben dieser Schutz besteht, für die Seite des Angreifers oder die des Angegriffenen?[5] Kann dieses Problem überhaupt generell abstrakt aufgelöst werden?
Die Schutzpflicht des Staates gilt für beide Seiten, schütz also auch das Leben des Angreifers, so dass in den Fällen der §§ 32 ff. StGB die jeweiligen Grundrechte der Beteiligten miteinander kollidieren.
- Wesengehaltsgarantie
Das Institut der Wesengehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG wurde im Zusammenhang mit der Schutzpflicht des Staates in Wissenschaft und Rechtsprechung diskutiert, was zu keiner einheitlichen Linie führte.[6] Für die vorliegende Bearbeitung kann jedoch folgendes aus der Diskussion gezogen werden:
Die „Wesensgehalte“ der einzelnen Verfassungsrechtsgüter stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Sie bestimmen sich wechselseitig.
Im Wesensgehalt der Grundrechte ist der Schutz gleich- und höherwertiger Rechtsgüter inbegriffen.[7]
Die Wesengehaltsgarantie des Art. 19 II GG kann nicht zu einem brauchbaren Ergebnis führen. Es ist daher Dürig zuzustimmen, wonach die Wesengehaltsgarantie nur für ein Leben im Sinne der Achtungs- oder Schutzpflicht streiten kann, wenn Leben gegen Leben steht.[8] Deutlich wird, dass - obwohl alle Leben gleichwertig sind - der Staat sich entscheiden kann, welches Leben er für schützenswerter hält.[9]
Notwehr und Notstand zielen nur auf die Hemmung des Angriffs ab und sind nach Intensität des Angriffs und der Art des betroffenen Rechtsgutes zu beurteilen.[10] Für vorliegendes Thema zu beachten ist, dass bei einer rein grundrechtlichen Betrachtung eine Lebensvernichtung zwecks Sachgüterschutz nicht gerechtfertigt werden kann, was durch Art. 2 MRK bestätigt wurde. Vorstellbar wäre hierzu die Fallkonstellation, dass ein Verkehrsflugzeug in ein menschenleeres Gebäude einschlagen könnte und neben den Flugzeuginsassen „nur“ ein Sachschaden entstehen würde.
Die verfassungsrechtliche Situation, die im Rahmen dieser Arbeit nur ansatzweise aufgezeigt werden konnte führt zu keiner Lösung des Problems, sie kann - wenn überhaupt - nur Anhaltspunkte zu der strafrechtlichen Beurteilung des Themas bieten.
II. Exemplarische Schulfälle zum rechtfertigenden Notstand
Nähert man sich der Problematik des rechtfertigenden Notstandes unter der hier zu behandelnden Ausgangslage, so stellt sich der Themenkomplex als sehr komplex dar. Zur Verdeutlichung und als Einstig sollen einige klassische Notstandsfälle, die meisten davon sind aus der rechtswissenschaftlichen Literatur bekannt, dargestellt werden.
In allen Fällen wird das Rechtsgefühl, auch in Ausnahmesituationen kein menschliches Leben aktiv töten zu dürfen, auf die Probe gestellt.
Die dargestellten Fälle sind daher (erfundene) Grenzfälle, was jedoch nicht heißt, dass sich eine solche Fallkonstellation nicht auch konkret ereignen könnte; die Wirklichkeit hat, was der 11. September bereits gezeigt hat, den Erfindungsreichtum der Juristen bereits übertroffen.
Im einzelnen soll der "Bergsteigerfall"[11], der "Ballonfall"[12] und der "Fährmannfall"[13] aufgezeigt werden. Als realer Fall sei der Fall der sog. "Euthanasieprozesse"[14] dargestellt.
- "Bergsteigerfal"l
A und B unternehmen eine Bergtour, wobei sie ständig mit einem Seil verbunden sind. Beim überqueren einer Gletscherspalte stürzt B in diese. A, der sich am anderen Ende des Seils befindet kann sich selber nur schwer halten. Er realisiert, dass, sollte er das Seil nicht durchtrennen mit B abstürzen wird. Um sein eigenes Leben zu retten durchtrennt er das Seil. B stürzt ab und stirbt.
- "Ballonfall"
Ein Heißluftballon droht über dem offenen Meer mangels Auftrieb abzustürzen, sollte nicht Gewicht reduziert werden. Da kein Ballast außer den Fahrern A und B vorhanden ist, wirft A den B aus der Gondel. B verunglückt dabei tödlich. Hätte A nicht gehandelt, wäre der Ballon mit Sicherheit abgestürzt.
- "Fährmannfall"
Ein Fährmann setzt eine Gruppe Kinder über einen reißenden Fluss. In der Mitte des Flusses bemerkt er, dass das Floß ein Leck hat und zu kentern droht. Er selbst könnte sich als guter Schwimmer ans Ufer retten. Da jedoch alle Kinder zu ertrinken drohen, wenn er nicht einige Kinder in den Fluss stößt, wählt er diese Alternative. Die in Fluss gestoßenen Kinder ertrinken.
- sog."Euthanasieprozess-Fälle"
Während des[15] "Dritten Reichs" hatten Ärzte die von Hitler befohlene Massentötung von geistig Behinderten durch die Eintragung in sog.
"Verlegungslisten" unterstützt. Diese Listen dienten dazu, die Vernichtung Behinderter in Konzentrationslagern zu organisieren. Gleichzeitig wurden jedoch Behinderte aufgrund fingierten
Begründungen von der Liste abgesetzt, wodurch die betroffenen
Personen gerettet wurden. Hätten die Ärzte die Mitarbeit an den "Verlegungslisten" verweigert, währen wahrscheinlich andere Ärzte beauftragt worden, die die Massentötung ohne Einschränkung unterstützt hätten.
1. Kategorisierung der Fälle
Die oben dargestellten Fälle ähneln sich dahingehend, dass jeder Fall eine Grenzsituation aufzeigt, die sich in der Beurteilung einer einfachen Antwort entzieht. In jedem Fall geht es akut um die Gefahr, dass Menschen sterben könnten.
Der Unterschied zeigt sich darin, wer in den einzelnen Fällen tatsächlich mit dem Tode bedroht ist. Im Ballon- und Bergsteigerfall handelte der Täter zur Erhaltung seines eigenen Lebens, im Fährmannfall und dem Fall zu den sog. Euthanasieprozessen handelte der Täter für andere Personen.
Er selbst war nicht in Gefahr, sodass die Täterhandlung als Nothilfe[16] angesehen werden kann.
Ein weiterer Unterschied zeigt sich, wenn man den Blick auf die Opferseite lenkt. Zum einen, in dem Ballon- und Bergsteigerfall haben die Opfer keine Überlebenschance mehr gehabt: sie wären jeweils mit der anderen Person tödlich verunglückt. Das Opfer war bereits unwiderruflich vom Tode "gezeichnet"[17]. Durch die Handlung des Täters wurde der Todes zeitpunkt nur weiter nach vorne verlegt.[18]
In den anderen beiden Fällen war der Täter nicht vom Tode bedroht, er handelte jeweils nicht eigennützig, sondern um andere Personen zu retten. Um dieses Ziel zu erreichen, "opferte" er andere Personen. Diese geopferten Personen hatten vor der Handlung des Täters noch eine gewisse Überlebenschance, die sich gerade darin hätte realisieren können, dass sie zu dem vom Täter privilegierten Personenkreis gehören könnten. Der Täter "spielte" in beiden Fällen Schicksal, gerierte sich somit als "Herr über Leben und Tod".
Alle Fälle haben jedoch eine "tragische Paradoxie"[19] gemeinsam: In jedem der genannten Fälle wären die Opfer gestorben, egal ob mit aktivem Tun des Täters oder durch Unterlassen der jeweiligen Handlung.
Einen "Ausweg" im positiven Sinne gab es für keines der Opfer. Gerade das ist die Hauptfrage, die sich in Anlehnung an die Überlegung, ob man ein Verkehrsflugzeug abschießen darf oder nicht stellt.
In wie weit das Tötungsverbot einer Relativierung unterliegt, wird nachfolgend - unter Einbeziehung der Beispielfälle - dargestellt.
2. Anwendungsbereich des § 34 StGB
Beim rechtfertigenden Notstand geht es um den Rechtsgedanken, dass eine Tatbestandsverwirklichung dann nicht gegen die Rechtsverordnung verstößt, wenn sie bei einer für ein Rechtsgut bestehenden gegenwärtigen Gefahr eine erforderliche Rettungshandlung darstellt und sich bei Abwägung der gegenüberstehenden Interessen, insbesondere Rechtsgüter, ein wesentliches Überwiegen des wahrgenommenen Interesses ergibt.[20]
Zur gerechtfertigten Berufung auf § 34 StGB sind fünf Voraussetzungen nötig:
a. Notstands lage
Es muss eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut vorliegen.
b. Notstands handlung
Die Notstandshandlung entspricht der Rettungshandlung. Es ist die "Begehung einer Tat, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden (…)"[21] ; Rettungsintention.
c. Erforderlichkeit
Der Angriff darf laut Gesetzt nicht anders abwendbar sein.
d. Interessenabwägung
Differenzierung zwischen überwiegenden und wesentlich
überwiegendem Interesse.
e. Angemessenheit (Kontrollklausel)
Die Prüfung der Angemessenheit folgt aus § 34 S. 2 StGB.
Betrachtet man den Abschuss eines Verkehrsflugzeuges unter notstandsrechtlichen Gesichtspunkten, so ist die Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefahr[22] in Bezug auf ein Flugzeug, das Kurs auf ein Hochhaus o.ä. genommen hat und als "fliegende Bombe" fungiert, gegeben. Der befürchtete Schadenseintritt muss zudem wahrscheinlich[23] sein, was dann der Fall ist, wenn die Möglichkeit nahe liegt oder eine begründete Besorgnis besteht.
Auch das Merkmal der Wahrscheinlichkeit sollte in der Regel keine Probleme bereiten, zu bedenken ist jedoch, wie überhaupt vorherbestimmt werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Flugzeug tatsächlich das vermeidliche Ziel ansteuert.
Das wesentliche Überwiegen des einen Interesses gegenüber dem anderen bereitet hingegen Probleme. Im Bereich "normaler" Notstandsfälle ist vor allem in Bezug auf die Wertigkeit des jeweiligen Interesses, aufgrund der Unterschiedlichkeit eine Beurteilung zugunsten des schützenswerteren Interesses oft nicht schwer. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie es sich mit dem wesentlichen Überwiegen des Rechtsguts verhält, wenn beide Interessen nicht geringere sind als das Leben als höchstes Rechtsgut unserer Gesellschaft. Es geht bei den beiden zur Disposition stehenden Leben nicht um Beeinträchtigungen oder das bloße "in Gefahr bringen", sondern um die jeweilige Vernichtung. Fraglich ist, ob es Situationen geben kann, in denen das Leben eben nicht gleichwertig neben einem anderen stehen kann und so im Rahmen einer objektiv-pragmatischen Beurteilung seine Schützenswertigkeit einbüßt. Das Leben müsste dann gegen ein anderes Leben abwägbar sein[24] und das Tötungsverbot außer kraft gesetzt werden können. Der Kernpunkt der zugrunde liegenden Überlegungen ist daher die Interessenabwägung.
In Gedanken bleiben sollte daher, dass - sowohl in den Beispielsfällen, wie auch in dem Fall der dieser Arbeit zugrunde liegt - der Preis für das Leben der einen, der Tod der anderen ist[25]. Zentraler Punkt ist daher, ob die Resistenz des "Lebens" Teil einer Abwägung zu sein, uneingeschränkt gültig ist, oder eben doch in letzter Konsequenz und in außergewöhnlichen Situationen ein Spielraum besteht, bei dem man sich nicht im Rahmen der Rechtswidrigkeit bewegt. Obwohl das menschliche Leben als "absoluter Wert zu Buche schlägt"[26], so hält Küper die Lebensschutzfunktion des Tötungsverbotes für pervertiert, wenn der Tod ansonsten auf der ganzen Linie siegen würde.[27]
III. Einschränkung des Tötungsverbotes
In Literatur und Rechtsprechung haben sich verschiedene Ansatzpunkte entwickelt, um eine zumindest partielle Umgehung des Tötungsverbotes zu erreichen. Die strafrechtswissenschaftliche Diskussion, ob die Tötung von Menschen gerechtfertigt sein kann, wenn bestimmte Umstände dies fordern, nimmt in der Regel Bezug auf die oben schon vorgestellten Beispielsfälle. Jedem Versuch der Rechtfertigung wohnt der Gedanke inne, ob die Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes noch Sinn macht, wenn nur dessen Missachtung die Möglichkeit bietet, in einer Gefahrenlage Menschen zu retten.[28]
1. Güterabwägungs- und Interessenabwägungstheorie
Das vorherrschende Prinzip bezüglich der Interessenabwägung stellt die Interessenabwägungstheorie[29] dar.
Sie folgte der sehr ähnlichen Güterabwägungstheorie[30] nach, die bis dahin vorherrschend war.
a. Güterabwägungstheorie
Die Güterabwägungstheorie stellt für die Rechtfertigung ausschließlich auf das Rangverhältnis zwischen den jeweiligen Rechtsgütern ab. Daraus folgt, dass die Verletzung eines Rechtsgutes dann nicht rechtswidrig ist, wenn ein höherrangiges Rechtsgut geschützt, bzw. gerettet werden kann. Diese Theorie schränkt den Handlungsspielraum stark ein, da ausschließlich auf die Wertigkeit der Rechtsgüter abgestellt wird, jedoch keine Beurteilung weiterer Interessen erfolgt. Diese Ausschließlichkeit führt in der Anwendung zu einer reinen Aufrechnung der Interessen, für die der Gesetzgeber sich nicht entscheiden wollte.[31]
b. Interessenabwägungstheorie
Die Interessenabwägungstheorie ergänzt die Güterabwägungstheorie dahingehend, dass zu dem Rangverhältnis des Rechtsgutes noch weitere Interessen hinzugezogen und somit Teil der Abwägung werden. Das Abwägungsergebnis hängt von der Gesamtheit aller widerstreitenden Interessen und Gründe ab; namentlich der Rang der betroffenen Rechtsgüter, der Grad der ihnen drohenden Gefahren und das Bestehen besonderer Gefahrtragungspflichten.[32] Die Interessenabwägungstheorie ist daher vorzuziehen.
2. Abwägung der widerstreitenden Interessen gemäß der Interessenabwägungstheorie
Zur Abwägung der einzelnen Interessen ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände und widerstreitenden Interessen erforderlich. Des weiteren muss ein Übergewicht des vom Täter verfolgten Interesses bestehen.[33]
Es sind sämtliche der Bewertung zugängliche Umstände zu prüfen.[34]
In der Literatur findet man häufig die allgemein gehaltene Ansicht, dass das Leben keiner "saldierenden Betrachtung zugänglich ist"[35] und daher, wenn Leben gegen Leben steht, das überwiegende Interesse selbst dann ausscheide, wenn bei der Aufopferung eines Menschen eine weitaus größere Anzahl an Menschenleben gerettet werden könnte.[36] Ein Interessenübergewicht ist wohl teilweise auch dann zu verneinen, wenn das Leben eines anderen nur durch eine (dauerhafte?) Gesundheitsbeschädigung eines Dritten zu erreichen ist.[37]
Folgt man dem vermeidlichen Willen des Gesetzgebers bei Schaffung der Norm, so erscheint dies auch plausibel, denn es war wahrscheinlich nicht Intention des Gesetzgebers - und daher evtl. auch bewusst nicht Teil der Norm - eine Regelung für Fälle zu schaffen, in denen Leben gegen Leben abgewägt werden muss.
Gerade aber Fälle wie die des 11. September werfen die Frage auf, ob die Gesellschaft sich eine solche Sicht der Dinge leisten kann, ob hier eben doch "ausnahmsweise" das Leben der Flugzeuginsassen beendet werden darf. Geht man davon aus, dass das Flugzeug tatsächlich wie vorher vermutet in ein Gebäude einschlägt, so wären ohne den Abschuss nicht nur die Passagiere getötet worden, sondern auch diejenigen, die bei einem Abschuss gerettet worden wären. Es besteht die Frage, ob es überhaupt rechtswidrig sein kann, wenn man durch einen Abschuss verhindert, dass noch eine weitaus größere Anzahl an Menschen stirbt. Küper[38] spricht von einer pervertierten Lebensschutzfunktion des Tötungsverbotes, sollte der Tod nur deshalb siegen, weil ein Einschreiten nicht rechtlich geboten ist.
[...]
[1] Küper, JuS 1981, S. 786.
[2] Einführend hierzu: Otto, Pflichtenkollision, 1978, S. 58 f.
[3] Vgl. hierzu: Mangakis, ZStW 84, 1972, S. 449 ff.
[4] BVerfGE 46, 160.
[5] Vgl. zu diesem Thema: Starck, JuS 1981, 245 f.
[6] Zum Streitstand: Lerche, Übermaß, S. 34f.
[7] Häberle, Wesengehaltsgarantie, 1972, S. 61.
[8] Vgl. Dürig, GG - Kommentar, 1976, Art.2 Abs. II Rdnr. 13.
[9] Vgl. Dürig, GG - Kommentar, 1976, Art. 2 Abs.II Rdnr. 10.
[10] Vgl. Dürig, GG - Kommentar, 1976, Art. 1 Rdnr. 62.
[11] Merkel, Kollision rechtm. Interessen, 1895, S. 48.
[12] Vgl. Baumgarten, Notwehr und Notstand, 1911, S.51 f.
[13] Vgl. JR 1950, 743.
[14] Vgl. NJW 1952, 358, sowie: Rückerl, Strafverfolgung, 1979, S. 16.
[15] Stark vereinfacht dargestellt.
[16] Vgl. Jus 1981, Heft 11, S. 787 unter Nr. 4.
[17] Merkel, Kollision rechtm. Interessen, 1895, S. 47 f.
[18] Wie das rechtlich zu beurteilen ist, wird weiter unten zu klären sein.
[19] JuS 1981, Heft 11, S. 787 Nr. 4.
[20] Hirsch, LK, 2003, § 34 Rn.1.
[21] Hirsch, LK, 2003, § 34 Rn. 23.
[22] Tröndle, , StGB, § 34 Rn. 4.
[23] Vgl. RG 10, 176.
[24] Hassemer, Theorie und Soziologie, 1973, S.188.
[25] Jerouschek, Festschrift, 2003, S. 185.
[26] Kühl in: Lackner, StGB, 1999, § 34 Rn. 7.
[27] Küper, Grund- und Grenzfragen, , S. 55.
[28] Küper, JuS 1981, S. 791.
[29] Hirsch, LK, 2003, § 34 Rn. 2 f.
[30] Vgl. RGSt 61, 242.
[31] Vgl. Hirsch, LK, 2003, § 43 Rn. 2.
[32] Kühl in: Lackner, StGB, 1999, § 34 Rn. 6.
[33] Vgl. Tröndle, StGB, , § 34 Rn. 9.
[34] Vgl. Blei, JA 75, 522; Roxin, JuS 76, 511.
Andere Ansicht vertritt Geilen, JZ 75, 383.
[35] Tröndle, StGB,, § 34 Rn. 10.
[36] Vgl. NJW 53, 513 sowie Roxin, Strafrecht AT, § 16, 29; h.M. So auch BGH 35, 350.
[37] Vgl. Hirsch, LK, 2003, § 34 Rn.53.
[38] Vgl. Küper, Grund- und Grenzfragen, , S. 55.
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