Inhalt der vorliegenden Bachlor-Abschlussarbeit ist der praktische Ansatz akzeptierender
Drogenarbeit, der anhand seiner Prinzipien, Ziele und Methoden, verknüpft mit theoretischen
Ausführungen ausgewählter sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden sowie ethischen
Perspektiven in seiner Aktualität und Wichtigkeit dargestellt wird.
Ziel der Arbeit ist es, einer oftmals vermeintlich angenommenen Willkür akzeptierender Drogenarbeit
entgegenzutreten, indem die fundierten theoretischen und praktischen Überlegungen
dieses Ansatzes abgebildet werden. Gleichzeitig wird die Theorie auf ihre Praxistauglichkeit
getestet, indem ausgewählte Angebote akzeptierender Drogenarbeit betrachtet werden. Eine
kritische Analyse der einzelnen Aspekte akzeptierender Drogenarbeit, insbesondere im Hinblick
auf deren Realisierung in der aktuellen abstinenzorientierten drogenpolitischen Situation
in Deutschland, ergibt ein realistisches Bild des Ansatzes.
Zu Beginn stelle ich durch die detaillierte Betrachtung ausgewählter illegaler Substanzen deren
Wirkungen, Folgen und Umgangsregeln dar. Dies bildet die Grundlage der darauf folgenden
medizinischen und sozialwissenschaftlichen Betrachtungen von Konsum und Abhängigkeit,
die daraufhin in die Skizzierung der Menschenbilder, die den Ansätzen ‘akzeptierend’
und ‘abstinenzorientiert’ zu Grunde liegen, mündet. Das zweite Kapitel umfasst die Darstellung
der aktuellen drogenpolitischen Lage in Deutschland im direkten Vergleich zur akzeptierenden
Drogenarbeit. Diese betrachte ich detailliert in ihrer Entstehung, der praktischen und
theoretischen Entwicklung sowie deren aktuellen Schwerpunkte. Im dritten Kapitel erläutere
ich die handlungstheoretischen Grundlagen des Ansatzes: das hermeneutische Paradigma, die
lebensweltorientierte Soziale Arbeit, die Verantwortungsethik und die Methode des Empowerment.
Zentraler Aspekt ist dabei die Autonomie des/der Konsumenten/in zum verantwortlichen
Handeln und die Aufgabe der Sozialen Arbeit, diese dazu zu befähigen. Abschließend
verdeutliche ich die bisherigen Ausführungen in der Darstellung ausgewählter praktischer
Angebote.
Zentrale Ergebnisse der Arbeit sind die Widerlegung der Willkürlichkeit akzeptierender Drogenarbeit,
die trotz der Zieloffenheit des Hilfeprozesses nicht stattfindet sowie die Erkenntnis,
dass absolute akzeptierende Drogenarbeit in der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation in
Deutschland nicht möglich ist, ohne sich auch im Graubereich der Legalität zu bewegen.
Inhaltsverzeichnis
Summary
1. Einleitung
2. Konsum und Abhängigkeit
2.1 Substanzgebundener Konsum illegaler Drogen
2.2 Drogenabhängigkeit - Krankheit oder selbstbestimmter Lebensstil!?
2.3 Konsument/innen als Inhaber/innen der Menschenwürde
3. Abstinenzorientierte Drogenpolitik vs. Akzeptierende Drogenarbeit!?
3.1 Abstinenzorientierte Drogenpolitik und Gesetzgebung in Deutschland
3.2. Akzeptierende Drogenarbeit
3.2.1 Die Anfänge des Ansatzes akzeptierender Drogenarbeit
3.2.2 Prinzipien, Ziele und Methoden akzeptierender Drogenarbeit
4. Handlungstheoretische Grundlagen und praktische Umsetzung akzeptierender Drogenarbeit
4.1 Hermeneutisches Paradigma und lebensweltorientierte Soziale Arbeit
4.2 Verantwortungsethik und die Bedeutung für akzeptierende Drogenarbeit
4.3 Befähigung von Drogenkonsument/innen durch Empowerment
4.4 Beispiele praktischer Umsetzung akzeptierender Drogenarbeit
4.4.1 Konsumräume
4.4.2 Drugchecking
4.4.3 Aufsuchende Arbeit
5. Resümee
Literaturverzeichnis
Anhang
I. Bundesministerium für Gesundheit (2009): Antwort von Marion Caspers-Merk auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Monika Knoche, Karin Binder, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Gesundheitsschutz und Prävention durch “Drugchecking”, BT-Drs. 16/12765, Berlin
II. Bücheli, Alexander (2008): Sechs Jahre Drugtesting - Zeit für einen Rückblick. In: In- fodrog (Hrsg.): SuchtMagazin. Fachzeitschrift für Suchtarbeit und Suchtpolitik, Ausgabe 1/2008, Bern, S.36-38
III. Contact Netz - Berner Gruppe für Jugend-, Eltern- und Suchtarbeit (2006): Konzept. Kontakt- und Anlaufstellen des Contact Netz im Kanton Bern, Bern
Summary
Inhalt der vorliegenden Bachlor-Abschlussarbeit ist der praktische Ansatz akzeptierender Drogenarbeit, der anhand seiner Prinzipien, Ziele und Methoden, verknüpft mit theoretischen Ausführungen ausgewählter sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden sowie ethischen Perspektiven in seiner Aktualität und Wichtigkeit dargestellt wird.
Ziel der Arbeit ist es, einer oftmals vermeintlich angenommenen Willkür akzeptierender Drogenarbeit entgegenzutreten, indem die fundierten theoretischen und praktischen Überlegungen dieses Ansatzes abgebildet werden. Gleichzeitig wird die Theorie auf ihre Praxistauglichkeit getestet, indem ausgewählte Angebote akzeptierender Drogenarbeit betrachtet werden. Eine kritische Analyse der einzelnen Aspekte akzeptierender Drogenarbeit, insbesondere im Hinblick auf deren Realisierung in der aktuellen abstinenzorientierten drogenpolitischen Situation in Deutschland, ergibt ein realistisches Bild des Ansatzes.
Zu Beginn stelle ich durch die detaillierte Betrachtung ausgewählter illegaler Substanzen de- ren Wirkungen, Folgen und Umgangsregeln dar. Dies bildet die Grundlage der darauf folgen- den medizinischen und sozialwissenschaftlichen Betrachtungen von Konsum und Abhängig- keit, die daraufhin in die Skizzierung der Menschenbilder, die den Ansätzen ‘akzeptierend’ und ‘abstinenzorientiert’ zu Grunde liegen, mündet. Das zweite Kapitel umfasst die Darstel- lung der aktuellen drogenpolitischen Lage in Deutschland im direkten Vergleich zur akzeptie- renden Drogenarbeit. Diese betrachte ich detailliert in ihrer Entstehung, der praktischen und theoretischen Entwicklung sowie deren aktuellen Schwerpunkte. Im dritten Kapitel erläutere ich die handlungstheoretischen Grundlagen des Ansatzes: das hermeneutische Paradigma, die lebensweltorientierte Soziale Arbeit, die Verantwortungsethik und die Methode des Empo- werment. Zentraler Aspekt ist dabei die Autonomie des/der Konsumenten/in zum verantwort- lichen Handeln und die Aufgabe der Sozialen Arbeit, diese dazu zu befähigen. Abschließend verdeutliche ich die bisherigen Ausführungen in der Darstellung ausgewählter praktischer Angebote: den Konsumräumen, des Drugcheckings und der aufsuchenden Arbeit.
Zentrale Ergebnisse der Arbeit sind die Widerlegung der Willkürlichkeit akzeptierender Dro- genarbeit, die trotz der Zieloffenheit des Hilfeprozesses nicht stattfindet sowie die Erkenntnis, dass absolute akzeptierende Drogenarbeit in der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation in Deutschland nicht möglich ist, ohne sich auch im Graubereich der Legalität zu bewegen.
1. Einleitung
In Gesprächen von und mit Kolleg/innen und Komilliton/innen der Sozialen Arbeit fiel mir oft auf, dass im Bereich der Arbeit mit Drogenkonsument/innen hauptsächlich eine abstinenzori- entierte “Behandlung”, z.B. in stationären Therapien, bekannt ist. Dem Ansatz der akzeptie- renden Drogenarbeit wird mit Kritik begegnet, in der Annahme, dass dieser die Wirkungen und Auswirkungen von Drogenkonsum verharmlosen und Drogen als etwas “Gutes” und “Unverfängliches” anpreisen würde. Ebenso bestehen Bedenken in der Professionalität der Sozialarbeiter/innen, wird doch mit der Zieloffenheit des Ansatzes eine Willkür in den Hand- lungen der Professionellen verbunden.
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich durch die Verknüpfung der Prinzipien, Ziele und Methoden akzeptierender Drogenarbeit mit sozialwissenschaftlichen Theorien und Methoden sowie ethischen Perspektiven der Annahme der Unprofessionalität entgegentreten. Gleichzeitig ist die vorliegende Arbeit eine kritische Betrachtung grundlegender Aspekte akzeptierender Drogenarbeit, an denen ich die Notwendigkeit eines Diskurses innerhalb der Gremien und Institutionen akzeptierender Drogenarbeit sehe.
Um dem Umfang der Bachelorthesis gerecht zu werden, ist es mir nicht möglich, alle Praxis- felder akzeptierender Drogenarbeit darzustellen. Aufgrund dessen habe ich mich auf die nied- rigschwelligen Angebote beschränkt. (siehe Punkt 3.2.2) Exemplarisch betrachte ich davon im abschließenden Kapitel die Konsumräume, die Drugcheckings und die aufsuchende Arbeit. Diese Auswahl begründet sich auf meinen eigenen praktischen Erfahrungen im Bereich der aufsuchenden Arbeit sowie auf Besichtigungen je eines Konsumraumes und eines Drugche- cking-Angebots auf einer Reise nach Bern (Schweiz). Eine weitere Eingrenzung nehme ich im Bereich des Konsums vor, indem ich mich nur auf substanzgebundenen Konsum der in Deutschland illegalen Drogen beziehe.
Die vorliegende Arbeit ist eine Betrachtung der aktuellen Situation akzeptierender Drogenarbeit in Theorie und Praxis. Dabei beziehe ich mich auf aktuelle Literatur des Ansatzes und der Sozialwissenschaften und beziehe unterschiedliche Bezugswissenschaften ein: die Medizin, die Ethik und das Recht. Insbesondere meine eigenen kritischen Passagen und Darstellungen der Praxisfelder beruhen auf eigenen Erfahrungen in meiner Arbeit mit Drogenkonsument/in- nen nach dem akzeptierenden Ansatz.
In der verwendeten Literatur wird akzeptierende Drogenarbeit oft auch akzeptanzorientierte Drogenarbeit genannt und meist mit einem Artikel verwendet, z.B. die akzeptierende oder die akzeptanzorientierte Drogenarbeit. Ich verzichte in meiner Arbeit bewusst auf diesen, gibt es doch unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltungen und Vertreter/innen des Ansatzes. Ich habe mich für die Ausdrucksweise ‘akzeptierend’ entschieden, da das Prinzip der Akzeptanz für mich grundlegend ist und lediglich eine Orientierung daran nicht ausreicht (‘akzeptanzorien- tiert’).
Ebenso strittig ist in der Literatur der Gebrauch der Bezeichnungen ‘des/der Konsument/in‘ und ‘des/der Abhängigen’. Da ich aus der Distanz nicht festlegen kann und möchte, welche Konsument/innen ein abhängiges Gebrauchsmuster praktizieren, habe ich mich für die Be- zeichnungen ‘des/der Konsument/in’ und ‘des/der Gebrauchers/in’ entschieden. (siehe Punkt 2.2) Abgewendet habe ich mich auch vom Terminus des/der Klienten/in, da meiner Meinung nach nicht jede/r Konsument/in auch Klient/in ist. (siehe Punkt 2.2) Anstatt dessen spreche ich von dem/der Adressaten/in.
Der Aufbau dieser Arbeit folgt dem Prinzip des wissenschaftlichen Verstehens (siehe Punkt 4.1): Im ersten Kapitel stelle ich den Bereich der in Deutschland illegalen Drogen dar, auf welchen ich mich im Weiteren beziehe. Exemplarisch werde ich drei Substanzen genauer er- läutern und deren Umgangsregeln für einen risikoärmeren Umgang benennen. Grundlegend für die theoretischen und praktischen Überlegungen akzeptierender Drogenarbeit sind die da- rauf folgenden Ausführungen zur Unterscheidung von Konsum und Abhängigkeit unter be- sonderer Betrachtung der Autonomie der Gebraucher/innen. Zur Untermauerung des Autono- mieanspruchs gehe ich im abschließenden Punkt des ersten Kapitels auf den Grundwert der Menschenwürde ein, welchen auch Drogenkonsument/innen besitzen und den es zu achten gilt.
Unter diesem ethischen Blickwinkel betrachte ich im zweiten Kapitel die aktuelle Drogenpo- litik in Deutschland und deren Rechtsprechung. Grundlegende Frage des Kapitels ist dabei, ob Drogenpolitik und akzeptierende Drogenarbeit aktuell noch in jeder Beziehung unvereinbar nebeneinander stehen oder bereits Gemeinsamkeiten erkennbar sind. Um dies einschätzen zu können, stelle ich im Weiteren des zweiten Kapitels geschichtliche, theoretische und prakti- sche Entwicklungen und Standpunkte akzeptierender Drogenarbeit dar. Eine kritische Be- trachtung lege ich dabei jedoch nicht nur auf die Vereinbarkeit von Drogenpolitik und akzep- tierender Drogenarbeit, sondern auch auf deren ideologische Diskrepanzen, die eine absolute Praxis akzeptierender Drogenarbeit erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen.
Zur wissenschaftlichen Untermauerung des Ansatzes akzeptierender Drogenarbeit widme ich mich im abschließenden dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit sozialwissenschaftlichen Handlungstheorien: dem hermeneutischen Paradigma und der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit und stelle diese in Bezug zur akzeptierenden Drogenarbeit und der Menschenwürde. Einen weiteren ethischen Aspekt skizziere ich im darauf folgenden Punkt: die Verantwor- tungsethik in Verbindung mit dem Handlungsansatz des Empowerment. Durch die Befähi- gung der Konsument/innen zum verantwortlichen Handeln stelle ich die Verbindung zum Au- tonomieaspekt des ersten Kapitels her. Um abschließend einen Einblick in die Praxis akzep- tierender Drogenarbeit zu erhalten, betrachte ich die Angebote der Konsumräume, des Drug- checkings und der aufsuchenden Arbeit.
2. Konsum und Abhängigkeit
Täglich konsumiert der Mensch diverse stoffliche Elemente (z.B. Essen) und nicht-stoffliche Elemente (z.B. Sport, Sex). Einige dieser Elemente (stofflich oder nicht-stofflich) können bei missbräuchlichem Konsum zu psychischer und/oder physischer Abhängigkeit führen. Bekannte stoffliche Elemente, deren Gebrauch in eine Sucht einmünden kann, sind u.a. legale und illegale Drogen, nicht-stoffliche Elemente sind u.a. Sex, Spielen, Kaufen. Neben der Gefahr einer Abhängigkeit ist diesen Elementen auch der Gelegenheits- und der Gewohnheitskonsum gemeinsam, bei denen die Substanz in kontrollierter niedriger Dosierung als Genussmittel fungiert. (siehe dazu Punkt 2.2)
In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich mit den stofflichen Konsumformen von lega- len und illegalen Drogen, wobei der Fokus auf den in Deutschland illegalen Drogen liegt.
2.1 Substanzgebundener Konsum illegaler Drogen
Im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist festgelegt (vgl. Bundesministerium der Justiz (1), § 1), welche Drogen in Deutschland als legal oder illegal gelten. Die Eingruppierung einzelner Substanzen kann sich im Laufe der Zeit verändern: Heroin war bis zur Verabschiedung des BtMG im Jahr 1971 ein verkehrs- und verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel. (vgl. Hof- fmann, 2000, 7ff) Weltweit variiert die Einstufung unterschiedlicher Substanzen in legale und illegale Stoffe. So ist z.B. in Bolivien der Anbau, Verkauf und Konsum von Koka (Blätter des Koka-Strauchs, aus dem Kokain hergestellt wird) erlaubt. Koka wird als natürliches Kulturgut angesehen und stellt nach bolivianischem Recht in seinem Ursprungszustand kein Rauschmit- tel dar. (vgl. edmund a. walsh school of foreign services :: center for latin american studies, Artículo 384) Unterschiedliche Handhabungen existieren auch im rechtlichen Umgang mit illegalen Substanzen. So gibt es in Deutschland (differierend je nach Bundesland) eine Rege- lung zum Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch, bei dem von einer Strafverfolgung abgesehen wird - die Drogen werden jedoch einbehalten (vgl. Bundesministerium der Justiz (1), § 31a). In den Niederlanden werden rechtlich illegale Substanzen unterschieden in harte (z.B. LSD, Heroin) und weiche (Cannabis und halluzinogene Pilze) Drogen. Bei letzteren ist ein öffentlicher Erwerb und Konsum an dafür vorgesehenen Orten (Coffeeshops) gestattet. Ebenso wird der Besitz weicher Drogen bis zu 30 Gramm als Eigenbedarf toleriert. (vgl. Mi nisterie van Volksgezondheit, Welzijn en Sport, 2003, 7ff)
Da die Anzahl legaler und illegaler Substanzen und deren Derivate (abgeleiteter Stoff ähnli- cher Struktur) recht hoch ist, werde ich im Folgenden nur einige kurz darstellen, die vermut- lich die bekanntesten sind. Im Bereich der legalen Drogen sind dies Alkohol, Nikotin und Medikamente (zum Teil legal). Allen Substanzen ist gleich, dass sie ein hohes Suchtpotential in Form von psychischen (bei Alkohol und bestimmten Medikamenten auch physischen) Ab- hängigkeiten besitzen. Insbesondere Alkohol wird in Deutschland als legitimes und geselliges Genussmittel konsumiert.1
Substanzen aus dem Bereich der illegalen Drogen lassen sich in verschiedene Gruppen unterteilen: Opioide, Amphetamine, Halluzinogene, Cannabinoide, Kokain und Narkotika. Bespielhaft werde ich Heroin und Kokain (grundlegend für die Ausführungen unter Punkt 4.4.1) sowie Ecstasy (grundlegend für die Ausführungen unter Punkt 4.4.2) in deren Zusammensetzungen, Konsumformen und Wirkungsweisen darstellen. Als Brückenschlag zur akzeptierenden Drogenarbeit skizziere ich im Folgenden die Safer-Use (sicherer Umgang) Regeln der einzelnen Substanzen. (vgl. Arbeitsgruppe DRUGS 04, ³ 2007) 2
Heroin
Heroin (aus der Gruppe der Opioide) ist eine halbsynthetische Substanz, die aus Rohopium (einer aus Schlafmohn gewonnenen Substanz) hergestellt wird. Heroin wird als Pulver ver- trieben, meist intravenös konsumiert, seltener geraucht oder gesnieft. Oft wird Heroin mit Kokain gemischt (als so genannter Speedball) konsumiert. Heroin wirkt schmerzlindernd, ausgleichend-beruhigend, angstlösend und euphorisierend (Flash). Die Wirkung tritt schnell ein (zwischen ca. 10 Sekunden bei intravenösem Konsum und einigen Minuten beim Rauchen und Sniefen). Abhängig von Dosis und Reinheit des Stoffes hält die Wirkung zwischen 2 - 5 Stunden an.
Unmittelbare Nebenwirkungen sind: Verlangsamung der Atmung, Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, Blutdruckabfall, Pulsverlangsamung und Pupillenverengung. Bei regelmäßigem Konsum können als Langzeitnebenwirkungen Verwirrung, Desorientierung, Erinnerungslücken, undeutliche und verwaschene Sprache sowie Koordinierungsstörungen auftreten. Eine Überdosis kann ohne sofortige medizinische Hilfe tödlich verlaufen.
Die Gefahr einer psychischen und physischen Abhängigkeit ist sehr hoch. Durch die schnelle Entwicklung einer körperlichen Toleranz muss öfter konsumiert werden, um die selbe Wirkung zu erreichen. Wird die benötigte Substanzmenge nicht zugeführt, treten ca. 8 - 12 Stunden nach der letzten Einnahme körperliche Entzugserscheinungen auf, z.B. Schweissausbrüche, Kälteschauer, Erbrechen, Durchfall, Unruhe, Schwäche, depressive Zustände, schmerzhafte Krämpfe und psychotische Phasen.
Safer-Use Regeln bei Heroinkonsum sind u.a. die Verwendung eines eigenen, sauberen Be- stecks (Nadeln, Filter, Löffel), beim Sniefen die Verwendung eines eigenen Röhrchens, die Vermeidung von Mischkonsum wegen unkalkulierbaren Wirkungen und Risiken, der Konsum in einer ruhigen Umgebung und nicht alleine, um im Notfall medizinische Hilfe vor Ort zu haben.
Kokain
Kokain wird als Pulver (zum sniefen oder intravenösen Gebrauch) oder als Stein (zum rau- chen) verkauft. Rauchbares Kokain wird Crack genannt. Kokain hat viele Wirkungen, u.a. Euphorie, Gefühl erhöhter Leistungsfähigkeit, stark gesteigertes Selbstvertrauen, Bewegungs- drang, Unruhe, Redseligkeit, Wegfall von Hemmungen und Ängsten, erhöhte Risikobereit- schaft und Abnahme der Kritik- und Urteilsfähigkeit. Körperliche Wirkungen sind: Verengung der Blutgefäße, Anstieg der Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck, Unterdrückung von Müdigkeit, Hunger und Durst. Nimmt die Wirkung von Kokain ab, stellt sich eine Erschöpfungszustand ein, oftmals in Verbindung mit depressiven Verstimmungen, Gereiztheit, Angstgefühlen und einem starken Drang zur Wiedereinnahme (Craving). Geraucht und intravenös gebraucht setzt die Wirkung schon nach ein paar Sekunden ein und dauert ca. 5 - 20 Minuten. Gesnieft wirkt Kokain nach ca. 2 - 3 Minuten für ca. 30 - 90 Minuten.
Nebenwirkungen des Kokain-Konsums sind u.a. Schlafstörungen, Gereiztheit, Aggressivität, Angst- und Wahnzustände, Depression, Gedächtnis-/Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität, nervöse Zuckungen und stereotype Bewegungen, Muskelkrämpfe und Muskelzittern, krampf- hafte Verengung der Herzgefäße, im Extremfall Herzinfarkt oder Hirnschlag bei einer Über- dosis.
Langzeitrisiken bei chronischem Konsum sind u.a. Angststörungen, Persönlichkeitsveränderung, Depression, bleibende Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der intellektuellen Fähigkeiten, nur schwer heilende Entzündungen und Schäden der Nasenschleimhaut und Nasenscheidewand sowie Schwächung des Körperabwehrsystems. Die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit ist bei Kokain und Crack-Konsum sehr hoch.
Safer-Use Regeln bei Kokain-Konsum sind u.a. das Einlegen von Konsumpausen (wegen starker Gefahr von psychischer Abhängigkeit), das Ritualisieren des Konsums, das Konsumie- ren in niedrigen Dosen und das Vermeiden von zu häufigem, direkt aufeinander folgendem Konsumieren; Das Sniefen ist die risikoärmste Konsumform, (kein Teilen von Spritzbesteck und Pfeifen), Beachten der Safer-Use Regeln beim Sniefen (siehe Heroin) und Safer-Sex Re- geln (u.a. Benutzung von Kondomen), kein Mischkonsum mit Alkohol und Ecstasy.
Ecstasy (MDMA)
Zur Gruppe der Amphetamine zählt MDMA (Methylendioxymethamphetamin), besser be- kannt als Ecstasy, welches ein synthetisch hergestelltes Amphetaminderivat ist. In der Regel wird Ecstasy in Pillenform, selten auch als Pulver oder abgefüllt in Kapseln verkauft. MDMA wird geschluckt, selten gesnieft. Durch den Konsum von Ecstasy wird vermehrt der Neuro- transmitter Serotonin im Körper freigesetzt. Dadurch sind Hunger- und Durstgefühl reduziert, Wachheit und Aufmerksamkeit erhöht, Körpertemperatur und Blutdruck steigen. Es entsteht ein Gefühl der Leichtigkeit und Unbeschwertheit, das Seh- und Hörvermögen verändert sich, Berührungen und Musik werden tiefer empfunden, Hemmungen werden abgebaut und das Kontaktbedürfnis wird gesteigert. Die Wirkung von MDMA tritt in der Regel nach ca. 30 Mi- nuten ein und dauert ca. 4 - 6 Stunden an.
Nebenwirkungen des Ecstasy Konsums sind: Kieferkrämpfe, Muskelzittern, Übelkeit/Brech- reiz und erhöhter Blutdruck, Gefahr eines Hitzschlags und Halluzinationen bei Überdosierungen. Langer und intensiver Konsum kann zu einer Veränderung des Serotoninsystems führen. Bei wiederholten hohen Dosierungen und nach zu kurzen Pausen steigt die Wahrscheinlichkeit einer bleibenden Schädigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit.
Safer-Use Regeln sind u.a. das Testen von MDMA Pillen bei Drugcheckings, um schädliche Zusammensetzungen der Inhaltsstoffe zu analysieren (siehe Punkt 4.4.2), oder das Konsumieren einer halben Pille (Antesten), wenn ein Drugchecking nicht möglich ist; das Abwarten des Wirkungseintritts, bevor erneut konsumiert wird (“nachspicken”), der Verzicht auf Alkohol und der ausreichende Konsum von alkoholfreien Getränken, das Einlegen von (Tanz)Pausen an der frischen Luft und Konsumpausen von mindestens 4 - 6 Wochen.
Wirkungsweise und Wirkungsdauer einer konsumierten Substanz hängen von mehreren Fak- toren ab, die mit den Begriffen “Drug, Set und Setting” beschrieben werden. “Drug” bezieht sich auf alle Komponenten rund um die Substanz, insbesondere auf deren Dosis und Zusam- mensetzung (Wirkstoffe und Streckmittel). “Set” bezeichnet die eigene körperliche und psy- chische Verfassung zum Zeitpunkt des Konsums: u.a. Ausgeglichenheit, Stress, Nervosität und Krankheiten. Das bestehende Umfeld wird als “Setting” benannt, dessen Indikatoren sind u.a. eine stressfreie Umgebung während des Konsums, die Verfügbarkeit von sauberen Kon- summaterialien (z.B. Spritzbesteck) und der Gebrauch in einem vertrauten Milieu.
In allen Bereichen sind die schon benannten Safer-Use Regeln anzusiedeln, ein Produkt ak- zeptierender Drogenarbeit, die dieser einerseits einen Ansatzpunkt bieten, um Schadensmini- mierungsangebote (harm-reduction) durchzuführen, z.B. in der Form von Konsumräumen und Drugchecking-Angeboten (siehe die Punkte 4.4.1 und 4.4.2), andererseits auch den Konsu- ment/innen selbst die Möglichkeit geben, eigenverantwortlich auf einen risikoärmeren Kon- sum zu achten.
Die beschriebenen detaillierten Darstellungen der einzelnen Substanzen - Heroin, Kokain und MDMA, bilden wichtiges Hintergrundwissen, um die folgenden Ausführungen zu kontrolliertem und abhängigen Konsum und den zu Grunde liegenden Menschenbildern der Ansätze ‘akzeptierend’ und ‘abstinenzorientiert’ zu verstehen. Des Weiteren zeigen die beschriebenen (kurzfristigen und langfristigen) Wirkungen des Konsums auf, mit welchen unterschiedlichen und vielseitigen Phasen der physischen und psychischen Verfassung der Gebraucher/innen die Akteur/innen akzeptierender Drogenarbeit alltäglich umgehen.
2.2 Drogenabhängigkeit - Krankheit oder selbstbestimmter Lebensstil!?
Diametral entgegen stehen die Ansichten eines selbstbestimmten, kontrollierten und genusso- rientierten Konsums der vorgestellten Substanzen, welche akzeptierende Drogenarbeit vertritt (siehe dazu die folgenden Ausführungen) und die vorherrschende Ansicht in Politik und Ge- sellschaft von schädlichem, missbräuchlichem Konsum und abhängigem, süchtigem Verhal- ten. Die Einstellung gegenüber Drogenkonsument/innen, welche die Zielgruppe akzeptieren- der Drogenarbeit darstellen, ist wichtiger Ausgangspunkt jeglicher theoretischer Überlegun- gen und praktischer Handlungen. Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Begriff der Abhängigkeit aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven scheint mir deshalb an dieser Stelle angebracht. Deutlich wird dabei insbesondere, dass beiden Ansätzen - akzeptie- rend und abstinenzorientiert, zwei verschiedene Menschenbilder zu Grunde liegen, die Men- schen entweder befähigen (akzeptierend) oder entmündigen (abstinenzorientiert) über ihr Le- ben zu entscheiden.
Die bekannteste Betrachtung von Abhängigkeit ist die der pathogenetischen (Pathogenie be- trachtet die Entstehung und Entwicklung von Krankheit) Sichtweise der Medizin. Nach dem Klassifikationsschema des ICD-10 wird neben einer akuten Intoxikation (Vergiftung) durch psychotrope Substanzen unterschieden zwischen einem schädlichen Gebrauch und einem Ab- hängigkeitssyndrom. Schädlicher Gebrauch (F1x.1) wird definiert als ein Konsum psychotro- per Substanzen, der zu körperlichen (z.B. Hepatitis-Infektion) und/oder psychischen (z.B. de- pressive Episoden) Störungen führt. Für eine Diagnose des Abhängigkeitssyndroms (F1x.2) muss sich eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen nach wie- derholtem Substanzgebrauch entwickeln. Dies sind u.a. der starke Wunsch, die Substanz zu konsumieren und die verminderte Kontrolle über ihren Konsum, trotz schädlicher Folgen; der Vorrang des Konsums vor anderen Aktivitäten; die Entwicklung einer Toleranz und teilweise das Auftreten körperlicher Entzugssyndrome. (vgl. WHO, 2008, 76ff) Diese teils vagen Cha- rakteristika werden anhand von diagnostischen Kriterien spezifiziert, bleiben jedoch rein auf der Substanzebene; eine Betrachtung anderer Einflussfaktoren (“Set” und “Setting”) bleibt aus. Dies ist auch nicht der Fokus der medizinischen Sichtweise des ICD-10, wodurch sie a- ber auch nicht als alleinige Betrachtungsweise von Konsum und Abhängigkeit fungieren kann.
Die pathogenetische Sichtweise ist fokussiert auf die Defizite, die durch den Konsum schädlicher Substanzen entstehen und definiert dabei den Drogenkonsum als Krankheit - dem Gegenstand der Pathogenie. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine “Heilung” nur möglich ist, wenn der Drogenkonsum beendet wird (Abstinenz).
Dem entgegen argumentiert ein anderes medizinisches Modell, die Salutogenese (Salutogene- se betrachtet die Entstehung und Entwicklung von Gesundheit). Das Augenmerk dieses An- satzes ist auf die individuellen Ressourcen der Menschen gerichtet, durch die Gesundheit ent- steht und sich entwickelt. Der Organismus einer Person ist ein zirkuläres System, welches Krankheits- und Gesundheitsphasen beinhaltet. Die medizinische Unterstützung besteht darin, durch Aktivierung gesundheitsfördernder Anteile ein subjektives Gleichgewicht zu erlangen, um Lebensqualität zu erreichen und zu erhalten, inklusive und exklusive Drogenkonsum.
(vgl. Homfeldt u.a., 2006, 76ff)
Dass es möglich ist, ein beständiges Leben trotz abhängigem Drogenkonsum zu führen, zeigt u.a. das Angebot der kontrollierten Diamorphinabgabe - auch bekannt als kontrollierte Heroinabgabe.3 Das mittlerweile abgeschlossene Modellprojekt in Deutschland belegt in den Auswertungen aller Studienphasen eine Stabilisierung der Konsument/innen in den Bereichen des Physischen und Psychischen sowie im sozialen Umfeld.4 (vgl. Bundesministerium für Ge- sundheit u.a., 2009)
Sowohl die pathogenetische, als auch die salutogenetische Sichtweise definieren - trotz unter- schiedlicher Handlungs- und Sichtweisen - Drogenkonsum als Krankheit; ein Konsum psy- chotroper Substanzen scheint somit niemals “vorrangig genussorientiert” und “risikoarm” zu sein. Diese Annahme verfeinert Tretter durch sein Konsummodell. Er nimmt eine Unterschei- dung im Bereich des Substanzgebrauchs vor, ehe ein missbräuchlicher Konsum einsetzt. Jene Einstufungen nennt er Gelegenheitskonsum (unregelmäßiger Gebrauch niedriger oder hoher Dosen) und Gewohnheitskonsum (regelmäßiger Gebrauch niedriger oder hoher Dosen). Bei Hochdosiskonsum der beiden Konsumtypen ist der Übergang in missbräuchliches und/oder abhängiges Konsumverhalten gegeben, im Falle von Niedrigdosierungen bei Gewohnheits- konsument/innen ebenfalls missbräuchlicher Gebrauch. (vgl. Tretter, 2008, 4f)
Durch die Annahme, dass es einen niedrig dosierten Gelegenheitskonsum gibt, der weder missbräuchlich ist, noch zu einer Abhängigkeit führt, ist es in der Konsequenz also möglich, alle Substanzen in einer “risikoverminderten” Art als Genussmittel zu konsumieren.
Wird Drogenkonsum (insbesondere missbräuchlicher und abhängiger Gebrauch) als Krank- heit deklariert, so muss die weitere Überlegung sein, inwiefern ein/e Konsument/in selbst über ihren/seinen Konsum bestimmen kann und inwieweit die Droge ihn/sie “fest in ihrer Hand hat”. Diese Anschauung ist aus zwei Standpunkten kritisch zu betrachten: Durch die Festle- gung, dass alle Konsument/innen krank sind, werden sie als Opfer stigmatisiert und automa- tisch als Klient/innen z.B. der Medizin betrachtet. (vgl. Schneider, 1997a) Einen gesunden - und dadurch einen gesellschaftlich vollwertigen - Status erreichen sie nur über eine Therapie hin zur gelungenen Abstinenz.5 Konsument/innen, die kein Bedürfnis und/oder keine Mög- lichkeit haben, in ihrer aktuellen Lebenssituation abstinent zu leben, werden in diesem Ent- wurf zwar wahrgenommen, jedoch nur als “chronisch Kranke”, die von der Macht der Substanz handlungsunfähig gemacht sind. Des Weiteren bietet das Krankheitsmodell den Konsument/innen die Möglichkeit, sich ihrer Eigenverantwortung gegenüber ihrem Leben zu entziehen, in dem sie ihren Drogengebrauch als Krankheit darstellen, die sie selbst nicht vari- ieren, kontrollieren und beenden können. Ebenfalls bietet das Modell das Potenzial, das eige- ne Verhalten als Auswirkung der Krankheit “Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit” zu le- gitimieren.
Dem entgegen stehen Argumentationen sozialwissenschaftlicher Modelle aus dem Umfeld akzeptierender Drogenarbeit. Der/Die Konsument/in wird als selbstbestimmtes Individuum anstatt als Opfer wahrgenommen und nicht automatisch als Klient/in sozialer, therapeutischer und/oder medizinischer Arbeit gesehen. Drogengebraucher/innen werden in ihrer Person ak- zeptiert (zum Akzeptanzbegriff siehe Punkt 3.2.2) und der Substanzkonsum als Teil eines Le- bensstils betrachtet. Abhängigkeit und Krankheit werden im Zusammenhang mit Drogenge- brauch nicht generell ausgeschlossen, jedoch auch nicht automatisch als gegeben angesehen.
(vgl. Degkwitz, 1999, 38f)
Einen Schritt weiter geht Herwig-Lempp in seinem Denkmodell, indem er Abhängigkeit als ein soziales Konstrukt definiert, welches die Selbstbestimmung nicht beeinflusst und Drogen- konsument/innen ihre Rolle als Subjekte nicht abspricht. Durch diese Neudefinition kommt den Gebraucher/innen eine absolute Autonomie zu, auch im Falle von exzessivem und lang andauerndem Konsum. Dieser Autonomiestatus birgt jedoch gleichzeitig eine Verantwortung für den/die Konsument/in zum selbstständigen, bewussten Umgang mit dem eigenen Leben und zur Wahrnehmung von Werten und Normen innerhalb einer Gesellschaft. (vgl. Herwig- Lempp, 1994 / Degkwitz, 1999, 44ff)
Für den/die Konsumenten/in bedeutet das Autonomiekonstrukt, dass auch eingefahrene Ver- haltens-, und somit auch Konsummuster aus eigenem Willen zu verändern sind, da es sich nicht um Abhängigkeiten, sondern um Gewohnheiten handelt, die wandelbar sind. (vgl. Degkwitz, 1999, 49)
Für meine eigene Positionierung im Rahmen dieser Arbeit beziehe ich mich im Weiteren auf eine Betrachtungsweise, die gespeist ist aus fast allen vorgestellten Entwürfen. Grundlegend ist für mich, Konsument/innen als selbstbestimmte Individuen zu erachten und zu akzeptieren, sowohl in ihrem Konsum, als auch in ihrer Person. Eine allumfassende Autonomie in der Ent- scheidungsmacht sehe ich jedoch in manchen Aspekten beschnitten, da eine lebensbestim- mende Funktion von Substanzen (physisch und psychisch) meiner Ansicht nach nicht außer Acht gelassen werden kann. So gibt es Konsummuster, die als abhängig betrachtet werden können. Eine Klientelisierung und Bevormundung dieser Konsument/innen ist dadurch jedoch nicht legitimiert, vielmehr sollte gemeinsam mit der/dem Gebraucher/in unter der Prämisse der Freiwilligkeit daran gearbeitet werden, den Konsum zu kontrollieren und die eigenen Steuerungskräfte zu aktivieren (Empowerment), um die vollständige Autonomie wiederzuer- langen.
Diese sozialwissenschaftliche Positionierung basiert auf einer ethischen Auseinandersetzung des Begriffs der Menschenwürde als unveräußerlicher Grundwert jeder Person, unabhängig von unterschiedlichen Merkmalen, wie u.a. Religion, Rasse, Geschlecht, Konsum, Abhängigkeit und/oder Behinderung. Besitzen die Konsument/innen einen Autonomieanspruch, wie akzeptierende Drogenarbeit argumentiert, so müssen sie auch über eine uneingeschränkte Menschenwürde verfügen, die sie zu selbstständigem Handeln befähigt. Wird ihnen nach pathogenetischer Sichtweise die Selbstbestimmung aufgrund des Drogenkonsums abgesprochen, sind sie in der Konsequenz in ihrer Menschenwürde eingeschränkt. Ob deren Minderung ü- berhaupt möglich ist, stelle ich im Folgenden dar.
2.3 Drogenkonsument/innen als Inhaber/innen der Menschenwürde
Bei der Annäherung an den Begriff der Menschenwürde steht zunächst eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Betrachtungskonzepten im Vordergrund. Die Diskussion und Verwendung des Terminus ist geschichtlich betrachtet sowohl eine philosophische, als auch eine rechtliche. Unterschieden werden kann zwischen zwei Konzepten, dem heteronomischen und dem autonomischen. (vgl. Tiedemann, 2006, 51)
Der heteronomische Entwurf, zurückgehend auf die Stoiker, begründet die Würde des Men- schen darin, dass dieser nicht von seinen Neigungen bestimmt wird und gleichzeitig seine Vernunft einsetzt, um Normrelevantes in der Natur zu erkennen, und danach seine praktischen Handlungsweisen auszurichten.
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1 Zur Kategorie der legalen Drogen zähle ich ebenfalls Koffein, welches sowohl in Kaffee, Limonaden, als auch in illegalen Drogen (z.B. Speed) vorkommt. Wichtig zu erwähnen sind meiner Ansicht nach auch die lösemittel- haltigen Schnüffelstoffe, die sowohl auf legalem Wege (z.B. Benzin, Klebstoff) erhältlich sind, als auch in illega- lisierter Form, z.B. als Poppers.
2 Das Info-Set DRUGS Just say know bietet einen guten Überblick über die einzelnen Substanzen (pro Substanz eine Postkarte) sowie über allgemeine Konsumempfehlungen, allgemeine Risiken und Nebenwirkungen sowie das Verhalten im Drogennotfall. Bestellbar unter www.know-drugs.ch
3 Diamorphin = Pharmazeutisch hergestelltes Heroin.
4 Mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 28.5.2009 wurde ein Gesetz verabschiedet, welches regelt, dass unter Einhaltung enger Voraussetzungen, Diamorphin zur Substitution Schwerstopiatabhängiger eingesetzt wer- den darf. Eine Überführung der kontrollierten Diamorphinabgabe in die Regelversorgung ist somit möglich. (vgl. Bundesministerium für Gesundheit u.a., 2009)
5 Im salutogenetischen Denkmodell ist auch ein kontrollierter Konsum möglich (siehe vorherige Ausführungen). 14
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- Marie-Luise Hess (Author), 2009, Akzeptierende Drogenarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188850
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