Zum gelingenden Leben gehört nicht nur eine Vermittlung von Werten, sondern außerdem eine Grundhaltung der erziehenden Menschen, eine gefühlsmäßige Sicherheit, von der Zukunft auch etwas Gutes zu erfahren. Es ist eine innere Gewissheit, dass das Leben einen Wert und die Welt Sinn hat. Dieses Grundvertrauen entsteht ganz früh und ist dann eine Sicherheit, die Kraft gibt, schlechte Erfahrungen und Schwierigkeiten zu verarbeiten.
Ein Erziehungserfolg scheint im wesentlichen an die Startphase des Lebens geknüpft. In diesem Zusammenhang spielen die Einstellung und Wertorientierung des Erziehenden, der mit seiner positiven Lebenseinstellung dem Kind eine Grundsicherheit mitgibt, eine wichtige Rolle. Auf dieses tragfähige Fundament kann eine stabile, liebevolle, konsequente, fordernde und damit fördernde Beziehung zwischen Erzieher und jungem Menschen aufgebaut werden.
Da es keine „richtige“ Methode gibt, ein Kind zu erziehen, müssen die Eltern individuell entscheiden, was sie ihren Kindern mitgeben wollen, um eine gute Ausgangsbasis für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen. Erziehende sollten wieder eine Ahnung davon bekommen, dass es eine von materiellen Voraussetzungen unabhängige Ausstattung gibt, die sie ihren Kindern für das Leben anbieten können: Werte und Normen.
Inhaltsverzeichnis
Von den Kindern
1. Vor – Gedanken
2. Familie im Wandel – was heißt heute eigentlich „Familie“?
3. Ist die Familie überholt?
4. Am Anfang steht Beziehung
5. Kirche, Religion, Familie und Werte
6. Erziehung, der Versuch einer Begriffserklärung
7. Welche Folgen hat unzureichende Erziehung?
8. Auf welchem Boden wächst Erziehung?
9. Erziehung – muss das sein?
10. Werte, Spielregeln des Lebens
11. Werteerziehung – eine Anleitung
12. Schluss – Gedanken
Quellenverzeichnis
Von den Kindern
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
und obwohl sie mit euch sind,
gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
aber nicht eure Gedanken,
denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,
aber nicht ihren Seelen.
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen könnt,
nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein,
aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts,
noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder
als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad
der Unendlichkeit
und er spannt euch mit seiner Macht,
damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
So wie er den Pfeil liebt, der fliegt,
so liebt er auch den Bogen, der fest ist.
(Khalil Gibran, geb. 1883 im Libanon, gest. 1931 im Exil in den USA, Schriftsteller, Philosoph, Maler, aus: "Der Prophet".[1]
1. Vor – Gedanken
Als allein erziehende Mutter von 3 inzwischen erwachsenen Kindern arbeitete ich mehrere Jahre in einer Wohngruppe von behinderten und verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen.
Täglich konnte ich die Entwicklung dieser oft seit Jahren im Heim lebenden jungen Menschen im Vergleich zum Heranwachsen meiner eigenen Sprösslinge beobachten. Oft stellte ich mir die Frage, weshalb sich die Kinder in der Gruppe mit vielen ihrer Verhaltensweisen und Eigenschaften, allein und im Miteinander so schwer taten und oftmals schon als Vorschulkinder völlig bindungs- und ziellos waren.
Besonders augenfällig war, dass die Mehrzahl der Kinder entweder schon sehr früh aus verwahrlosten Familien herausgeholt oder zu Beginn der Pubertät von völlig überforderten Müttern (es waren tatsächlich immer nur allein erziehende Mütter!), die den langsam erwachsen werdenden Kindern keine Grenzen setzen konnten oder wollten, in unsere Gruppe gebracht wurden.
Doch wie unterschieden sich diese „Heimkinder“ von meinen Dreien? Auch in unserer Familie gab es große Probleme: alkoholkranker Ehemann und Großvater, Trennung und Scheidung. Neuanfang in völlig neuem Umfeld, weit weg von der bisher vertrauten Umgebung, jahrelang war der finanzielle Spielraum stark eingeschränkt, so dass ich mich viel früher als geplant wieder beruflich engagieren musste.
Dennoch – etwas muss ich doch im Gegensatz zu den Eltern der „Heimkinder“ meinen Kindern mitgegeben haben, was ihr Leben so ganz anders hat werden lassen.
Diese Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass auch ein allein erziehender Elternteil in der Lage ist, seine „Sprösslinge“ zu lebenstüchtigen, selbstbewussten, liebevollen Menschen zu erziehen. Auch die finanzielle Situation kann, für sich allein betrachtet, nicht ursächlich für das Gelingen oder Misslingen einer Erziehung sein. Wo liegt demnach der Schlüssel dafür: an der Ausgangsbasis, den ersten Lebensjahren oder in meiner Person? Wenn ich aber etwas anders gemacht habe als die Eltern der Kinder des Kinderheimes, wie muss diese Startphase des Lebens aussehen, damit Leben und Wachsen, Erwachsenwerden gelingen kann? Was können oder müssen Erziehende tun, einer Rolle gerecht zu werden, auf die die wenigsten vorbereitet sind, der Elternrolle, die oft durch „Versuch und Irrtum“ erlernt wird?
Mit diesem Fragenkomplex werde ich mich im Folgenden beschäftigen und hoffentlich auch eine plausible Antwort finden.
2. Familie im Wandel – was heißt heute eigentlich „Familie“?
Während noch bis vor 50 Jahren fast jedes Kind zusammen mit Vater, Mutter, Geschwistern und evtl. noch Großeltern lebte und aufwuchs, nimmt die Häufigkeit dieser klassischen Familienzusammensetzung stetig ab.
Wenn ich also heute in meiner Betrachtung den Begriff „Familie“ benutze, muss ich ihn zunächst einmal definieren.
Nicht nur, dass im Jahr 2001 von etwa 22,5 Mio. Familien in der BRD nur noch gut die Hälfte überhaupt Kinder erzog, lebte fast ein Drittel dieser Kinder nicht (mehr) mit beiden Elternteilen zusammen.[2]
Aus dieser Situation heraus entstehen zunehmend neue Familienstrukturen mit unterschiedlichsten Verwandtschafts- und Beziehungsverhältnissen. So stellt sich die Frage: Familie, was ist das heute überhaupt? Welche Familienformen treffen wir heute an?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben dem ursprünglichen Familienverband, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern sind also noch weitere familiäre Gruppierungen entstanden, in denen Kinder heute aufwachsen.
Wenn ich in meinen Ausführungen von „Familie“ spreche, beziehe ich meine Erläuterungen nicht nur auf die klassische Definition der Familie, sondern auf alle in der heutigen Zeit vorkommenden Formen des Zusammenlebens mit Kindern, gleich ob in vollständigen, Teil-, Stief- oder Pflegefamilien.
3. Ist die Familie überholt?
„Jedes menschliche Wesen hat Anspruch auf eine Erziehung, die es fähig macht, auf sich selbst zu ruhen.“[3]
Viele Erziehende sind überfordert mit der sich stetig verändernden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Situation und somit der Erziehung ihrer Kinder. Nicht
nur allein Erziehende fordern ganztägige Betreuungsangebote für Kleinstkinder, Ganztagsschulen und Horte für Schulpflichtige, um bei der schweren und verantwortungsvollen Aufgabe der Erziehung des Nachwuchses wirksam unterstützt zu werden.
Kann die Familie dem eigenen und gesellschaftlichen Anspruch unter diesen Umständen noch gerecht werden, oder wäre es zu Gunsten der persönlichen Entwicklung sinnvoll, Aufgaben ganz oder teilweise dem Staat und der Gesellschaft zu übertragen?
Die Erziehung ist eine schwere, verantwortungsvolle, wichtige aber auch schöne Aufgabe, die Eltern oder Elternteile nicht ohne Not delegieren sollten. Sie vergeben damit eine große Chance, ganz persönlich und individuell Einfluss auf die Entwicklung, die Einstellungen und Erfahrungen ihrer Kinder zu nehmen.
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“[4] Seit über 50 Jahren steht es so im Grundgesetz. Dabei steht die Aufgabe der Erziehung vorrangig der Familie zu. Der Staat soll subsidiär nur schützen, fördern und ergänzen, ohne das Erziehungsmonopol zu beanspruchen.[5] „Die Familie ist der Ort, an dem Werte gelebt und vermittelt werden, und die Aufgabe der Politik besteht niemals darin, den Menschen vorzuschreiben, was sie tun sollen, sondern darin, die Menschen zu befähigen, dass sie das Richtige tun können."[6]
Es scheint mir aber, dass viele Eltern diese Lebensaufgabe nur noch als Pflicht empfinden, obwohl es sich auch um ein Recht handelt, das ihnen eingeräumt wird. Eltern, die ihre Rechte, auf die Entwicklung ihrer Kinder einzuwirken wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Schwierigkeiten nur unzureichend beanspruchen, müssten eigentlich von Staat und Gesellschaft ernsthaft fachlich und finanziell in der Erziehung
unterstützt werden. Sie könnten dann mit dieser Hilfe die Bedeutung und Verantwortung der Erziehung in der kleinen Gemeinschaft der Familie erkennen lernen.
Christliche Eltern haben sogar in zweifacher Hinsicht Rechte und Pflichten, da sie der Erziehung auch noch eine religiöse Ausrichtung geben können und sollen.[7] Nach der christlichen Soziallehre ist die Familie die „für die menschliche Gesellschaft wichtigste Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft.“[8] Die Liebe und Zuneigung, die Kindern in der Familie geschenkt werden, sind Grundlage für Erziehung und Persönlichkeitsbildung.
„Es gibt nur eine Gemeinschaft, in der die gefühlsmäßigen Grundlagen der Lebenstüchtigkeit einigermaßen verlässlich und ohne großen erzieherischen Aufwand entstehen können: die Familie“,[9] behauptet Wolfgang Brezinka, Professor der Erziehungswissenschaften der Uni Konstanz. Jedes Kind hat ein Anrecht, „Urvertrauen“, die emotionale Grundhaltung als Basis für das Vertrauen zum Leben und zur Welt entwickeln zu können, damit es fähig wird, Geborgenheit zu fühlen und einen Wert im Leben zu finden. Daraus kann es ein Leben lang Kraft schöpfen, um schlechte Erfahrungen, Zweifel und Angst erfolgreich zu verarbeiten. Gerade auch in dieser Zeit der Unsicherheit und Unbeständigkeit brauchen Kinder die Sicherheit der Menschen, die mit ihnen zusammenleben, gleich ob mit Vater und Mutter oder nur einem Elternteil.
Fachleute gehen von der Erkenntnis aus, dass die Familie immer noch die entscheidende Sozialisationsinstanz sei, deren Versagen durch keine andere vollständig kompensiert werden könne.
Jetzt wird es nötig, einige erziehungswissenschaftliche Begriffe zu erklären:
In der Sozialisation werden dem Kind Werte und Normen, die soziale Lebensweise der Familie oder Gruppe, in der es aufwächst, vermittelt. Das kann geschehen durch absichtliches Einwirken, also durch Erziehung und Bildung aber auch durch das gemeinsame Leben in der Gesellschaft. Die Personalisation ermöglicht es dem Menschen, eigene Maßstäbe zu entwickeln und zu vergleichen, zu bewerten und sich so für eigene Werte und Haltungen zu entscheiden. Dazu braucht er aber Hilfe und Unterstützung, um im sozialen Bezug zu lernen. Da der Mensch ein Kultur- und Gemeinschaftswesen ist, muss ihm die kulturelle Lebensweise, die Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens vermittelt und vorgelebt werden. Dadurch wird er zum aktiven Mitglied seiner Kultur, auf die er dann auch gestalterisch einwirken kann. Dies nennt man Enkulturation.[10]
Die Erfahrungen und die Sicherheit, die das Kind in seinen ersten Lebensjahren erhält, sind entscheidend für seine Persönlichkeitsentwicklung und später auch nicht mehr nachzuholen. Kinder brauchen also zunächst diese kleinen und gefühlsmäßigen, dauerhaften und beständigen Gemeinschaften, vertraute und liebevolle, ihnen Sicherheit gebende Menschen, Geborgenheit und Grundvertrauen. Von dort aus lernen sie die Welt kennen, erleben Zuwendung und Ordnungen, Grundhaltungen und Orientierung. Sie erfahren durch das Vorbild der Eltern oder Elternteile Werte und Haltungen, Musterbilder und Möglichkeiten für das eigene Handeln und Erleben sowie deren Deutung.
Die Eltern als Vorbilder haben die wichtige Aufgabe, für sich und ihren Nachwuchs in ihrer kleinen Gemeinschaft eine Lebensordnung zu schaffen, die zunächst die eigenen Ideale und Normen verkörpert, nach der glaubwürdig gelebt werden kann, die offen für notwendige Anpassung ist, aber negativen Einflüssen widersteht und so eine eigene Orientierung schafft. Dazu gehört der Mut zur „Unterscheidung der Geister“[11] und Kraft und Sicherheit, sich gegen die Meinung der anderen durchzusetzen.
4. Am Anfang steht Beziehung
„Die beste Erziehungsmethode für ein Kind ist, ihm eine gute Mutter zu verschaffen.“[12]
„Indem sie (die Mutter, Anm. der Verfasserin) sich dem Säugling zuwendet, ihn anlacht, drückt, mit ihm spielt, erste Worte unterrichtet, ihn tröstet und wiegt, erschließt sie ihm, der bei seiner Geburt ein Bündel animalischer Bedürfnisse ist, die Umwelt, lockt seine Aufmerksamkeit aus dem Gefängnis elementarer Triebe und pflanzt ihm die Fähigkeit ein, soziabel zu sein. Mit der Regelmäßigkeit und Freundlichkeit ihrer emotionalen Zuwendung bildet sich im Kind die Sicherheit, in dieser Welt willkommen zu sein.“[13] Mit der Weitergabe des lebensbejahenden Verhaltens an ihr Baby stärkt die Mutter sein Gefühl, angenommen und geborgen zu sein. Da offensichtlich in erster Linie die Konstanz, die Regelmäßigkeit, die Sicherheit und das Vertrauen in der Beziehung zum Kleinkind ausschlaggebend sind, halte ich auch den Vater oder eine andere vertraute Bezugperson in gleicher Weise geeignet, dem Kleinen dieses Urvertrauen zu vermitteln.
Schon sehr bald werden dem Säugling und Kleinkind weitere, für seine Entwicklung wichtige Grundsätze mitgegeben: Werte und Normen. Durch Reaktionen auf Bewegungen und Laute, durch einen sanft in den Tagesablauf einfließenden Rhythmus zeigt die Bezugsperson dem Erdenneuling, was sein oder nicht sein soll und damit ein Grundmuster von Verhaltensweisen und Orientierung. Dadurch entwickeln Kinder im Heranwachsen eine Sicherheit, die ihnen hilft, entscheiden zu können, welche Normen sie anerkennen wollen und welche nicht.
So entsteht eine für das gesamte Leben des jungen Menschen besonders wichtige Basis des Geborgenseins, der Sicherheit und des grundsätzlichen Angenommenwerdens, auf der alle späteren Erfahrungen aufbauen.
[...]
[1] Khalil Gibran, Kinder, Seite 32.
[2] Statistisches Bundesamt, 2002, Seite 64.
[3] Malvida von Meysenburg, 2001, Seite 287.
[4] Grundgesetz der BRD, Artikel 6.
[5] Papst Johannes Paul II., 1992, LC 94.
[6] Angela Merkel, 2001.
[7] Joseph Kardinal Höffner, 1997, Seite 123.
[8] Joseph Kardinal Höffner, 1997, Seite 121.
[9] Wolfgang Brezinka, 1986, Seite 56.
[10] Heike Bücheler, 1998.
[11] Die Bibel, 1998, 1 Kor. 12, 10.
[12] Christian Morgenstern, 2001, Seite 891.
[13] Johannes Schwarte, 1996, Seite 182.
- Arbeit zitieren
- Beatrix Hartmann (Autor:in), 2003, Werte und Normen in der Familie und ihre Bedeutung für die Erziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18854
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