Schon oft ist darüber gerätselt worden, inwiefern die Ereignisse in Goethes
Dichtung und Wahrheit1 autobiographisch oder doch mehr dichterisch sind.
Auch in bezug auf die Sesenheim2-Periode Goethes – die Zeit, in welcher
Goethe Friederike Elisabetha Brion kennenlernte und eine Liebschaft mit ihr
hatte – sind immer wieder Nachforschungen angestellt worden.
In der nun folgenden Arbeit geht es darum, die Darstellung der Sesenheimer
Zeit im neunten und zehnten Buch vorwiegend unter den dichterischen
Aspekten zu betrachten. Im Gegensatz zu anderen Sekundärtexten ist es nicht
das Ziel, möglichst viele biographische Begebenheiten aus dem Text
abzuleiten. Somit wird Goethe hier mehr als Romanschreiber anstatt als
Autobiograph gesehen. Es soll eine Darstellung der Komposition der
entsprechenden Episode gegeben werden. Hierzu wird die Episode unter
verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet; vor allem aber auf dem
Hintergrund idyllischer Grundlagen und in diesem Zusammenhang auch im
Hinblick auf Oliver Goldsmiths Vicar of Wakefield3. Goethe schreibt in einem Brief an Eckermann4 bezüglich der Sesenheim-
Episode: „Daß darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so
wie er erlebt worden“5. Insofern hat es seine Berechtigung, die Sesenheim-
Episode auch unter dichterischen Gesichtspunkte zu betrachten.
Bereits die Schilderung der Zeit vor Goethes Sesenheim Besuch zeigt, daß
Goethe es in diesem Teil mit den biographischen Fakten nicht so genau nimmt
und statt dessen der dichterischen Konstruktion den Vorzug gibt.
[...]
1 Veröffentlichung vgl.: Goethe Handbuch: Goethe seine Welt und Zeit in Werk und Wirkung, Bd. 1,
Stuttgart 1961, S.1815 „...die Ausführung der drei ersten Teile [erfolgte] in raschem Zuge von Ende
Januar 1811 bis November 1813 (Veröffentlichung 1811, 1812, 1814), während die Arbeit am vierten
Teil sich auf die Jahre 1812, 1813, 1816, 1821, 1824, 1825, 1830, 1831 zersplitterte“, Veröffentlichung
des vierten Teils 1833
2 Eigentlich Sessenheim; Goethes Schreibweise wird jedoch in der Arbeit beibehalten
3 Oliver Goldsmith: Vicar of Wakefield; Erstveröffentlichung 1766
4 Johann Peter Eckermann (1792-1854)
5 Vgl.: Lawrence Marsden Price: Goldsmith, Sesenheim, and Goethe, in: The Germanic Review 4
(1929), S.237-247, hier: S.241
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Beschreibung der Reise nach Sesenheim
- Der Roman Vicar of Wakefield in der Sesenheim-Episode
- Goethes Betrachtungen zu Vicar of Wakefield
- Der direkte Vergleich zwischen der Sesenheim-Episode und dem Vicar of Wakefield
- Motive in der Sesenheim-Episode
- Das Wanderer-Motiv bei Goethe
- Die Darstellung des Beginns der Zeit mit Friederike
- Zeichen der Änderung des Verhältnisses
- Das Motiv des Fluchs
- Die Prüfung
- Die Trennung
- Schlußbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt darauf, die Darstellung der Sesenheimer Zeit in Goethes „Dichtung und Wahrheit“ im neunten und zehnten Buch vorwiegend unter den dichterischen Aspekten zu betrachten. Dabei steht die Analyse der Komposition der Sesenheim-Episode im Vordergrund, indem die Episode unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet wird, insbesondere auf dem Hintergrund idyllischer Grundlagen und in diesem Zusammenhang im Hinblick auf Oliver Goldsmiths „Vicar of Wakefield“.
- Die Komposition der Sesenheim-Episode in Goethes „Dichtung und Wahrheit“
- Die Rolle der dichterischen Konstruktion in der Darstellung der Sesenheimer Zeit
- Der Vergleich zwischen der Sesenheim-Episode und dem Roman „Vicar of Wakefield“
- Die Analyse von Motiven in der Sesenheim-Episode
- Die Bedeutung der idyllischen Grundlagen für die Darstellung der Sesenheimer Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Frage nach dem Verhältnis von Autobiographie und Dichtung in Goethes „Dichtung und Wahrheit“ und stellt den Fokus dieser Arbeit auf die Komposition der Sesenheim-Episode dar. Im zweiten Kapitel wird die Beschreibung der Reise nach Sesenheim analysiert, wobei deutlich wird, dass Goethe bereits in dieser Phase der Erzählung die dichterische Konstruktion über die biographischen Fakten stellt. Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Roman „Vicar of Wakefield“ und seiner Bedeutung für die Sesenheim-Episode. Goethes eigene Betrachtungen zu diesem Werk werden beleuchtet, und der direkte Vergleich zwischen der Sesenheim-Episode und Goldsmiths Roman wird gezogen. Im vierten Kapitel werden verschiedene Motive in der Sesenheim-Episode analysiert, wie das Wanderer-Motiv, die Darstellung des Beginns der Zeit mit Friederike, die Veränderung des Verhältnisses, das Motiv des Fluchs, die Prüfung und die Trennung.
Schlüsselwörter
Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Sesenheim, Vicar of Wakefield, Oliver Goldsmith, Autobiographie, Dichtung, Komposition, Idyll, Motive, Wanderer-Motiv, Friederike Brion, Beziehung, Trennung.
- Quote paper
- Katharina Schnell (Author), 2001, Zur Komposition der Sesenheim-Episode in Goethes "Dichtung und Wahrheit", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18841