Das Lateinamerikanische Spanisch im Spanischunterricht

Phonetik, Morphosyntax und Lexik zum lateinamerikanischen Spanisch und seine Bedeutung im Spanischunterricht


Examensarbeit, 2011

111 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG

II. DAS SPANISCHE IN AMERIKA
2. Allgemeines
2.1. Fakten und Geschichtliches
2.1.1 Mexiko
2.1.2 Kuba
2.1.3 Venezuela
2.1.4 Chile
2.2 Phonetik und Phonologie
Der seseo, yeísmo undžeísmo
Aspirierung von implosivem /s/ und Neutralisierung von implosivem /r/ und /l/
2.1 2.Mexiko
2.2.2 Kuba
2.2.3 Venezuela
2.2.4 Chile
2.3 Morphosyntax
Voseo und Anrede
Weitere morphosyntaktische Besonderheiten
2.3.1 Mexiko
2.3.2 Kuba
2.3.3 Venezuela
2.3.4 Chile
2.4 Lexik
2.4.1 Mexiko
2.4.2 Kuba
2.4.3 Venezuela
2.4.4 Chile
Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse

III. LEHRPLÄNE UND LEHRWERKE IN RHEINLAND-PFALZ UND IM SAARLAND
3.1 Allgemeines zu den Schulsystemen
3.2 Lehrplan Spanisch Rheinland-Pfalz
3.2.1 Lehrplanentwurf Spanisch
3.2.2 Theoretische Grundlagen
3.2.2.1 Ziele
3.2.2.2 Kompetenzen
3.2.2.3 Didaktisch-methodische Grundsätze
3.2.3 Unterrichtspraxis in der Sekundarstufe I
3.2.3.1 Themen und Inhalte der Sekundarstufe I
3.2.3.2 Übergangsprofil zur MSS
3.3 Lehrpläne Spanisch Saarland
3.3.1 Lehrplan Spanisch Klassenstufe 8
3.3.2 Lehrplan Spanisch Klassenstufe 9
3.3.3 Lehrplan Spanisch für die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe
3.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
3.5 Analyse der Lehrwerke Rheinland-Pfalz
3.5.1 Rápido neu
3.5.2 Caminos plus
3.5.3 Línea verde
3.6 Analyse der Lehrwerke Rheinland-Pfalz und Saarland
3.6.1 Puente Nuevo
3.6.2 Encuentros
3.6.3 ¡Vale!
3.7 Ergebnisse der Lehrwerksanalyse

IV. EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ZUM THEMA „LATEINAMERIKANISCHE GEGEBENHEITEN IM SPANISCHUNTERRICHT“
4.1 Untersuchungsvoraussetzungen
4.1.1 Darstellung der Schulen
4.1.2 Beschreibung der Umfrage und des Fragebogens
4.2 Auswertung der empirischen Untersuchung
4.2.1 Ergebnis der Befragung in Rheinland-Pfalz
4.2.2 Ergebnis der Befragung im Saarland
4.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

V. FAZIT

VI. BIBLIOGRAPHIE
6.1 Literatur
6.2 Internetquellen
6.3 Lehrpläne

VII. ANHANG
A: Abbildung zur Verbreitung des voseo in Lateinamerika
B: Fragebogen zur empirischen Untersuchung

I. Einleitung

Sowohl Deutsche als auch Spanier hegten schon in frühester Zeit Interesse daran, die Spra- che des anderen zu lernen, auch wenn dies zunächst nicht auf institutioneller Ebene pas- sierte. Bereits vor dem 9. Jahrhundert pflegten germanische Volksstämme den Kontakt mit der Iberischen Halbinsel und der dort ansässigen kastilisch sprechenden Bevölkerung. So- wohl Deutsche als auch Spanier hegten schon in frühester Zeit Interesse daran, die Spra- che des anderen zu lernen, auch wenn dies zunächst nicht auf institutioneller Ebene pas- sierte.[1] Seit dem 16. Jahrhundert wird der sogenannte kastilische Dialekt offiziell als Spa- nisch bezeichnet. Im Laufe der Jahrhunderte waren es nicht mehr nur Angehörige des Adels oder Klerus und Wissenschaftler, die Spanisch lernten, sondern auch Kaufleute, See- fahrer, Pilger und einfache Handwerker. Ebenfalls im 16. Jahrhundert trugen unter ande- rem die Technik des Buchdrucks und damit der Einsatz von Lehr- und Lernmitteln zu ei- nem enormen Aufschwung des Spanischlernens bei. Erste deutsche Handelsschulen, an denen Spanisch gelehrt wurde, wurden im 18. Jahrhundert gegründet, und bis zum 20. Jahrhundert „hatte sich der Spanischunterricht einen kleinen aber soliden Platz im schuli- schen Fremdsprachenangebot erobert.“[2] Heute wird Spanisch nicht nur an Gymnasien, Privat- oder Gesamtschulen unterrichtet, sondern kann auch an Volkshochschulen, Univer- sitäten oder Fachhochschulen studiert werden.[3] Dass das Spanische eine so große Präsenz in fast allen Bereichen des deutschen Unterrichtswesens zeigt, „liegt sowohl an den engen Verbindungen zu Spanien als auch an der wirtschaftlichen Bedeutung (…) Lateinameri- kas.“[4] In insgesamt 21 Ländern ist das Spanische offizielle Amtssprache und selbst in den USA sprechen 34 von 45 Millionen Hispanos, die dort leben, auch zu Hause regelmäßig Spanisch.[5] Mit fast 440 Millionen Muttersprachlern hat sich Spanisch neben Englisch als Weltsprache etabliert, hauptsächlich wegen der großen Sprecherzahl in Hispanoamerika. Dennoch wird Madrid, der Hauptstadt Spaniens, im schulischen oder universitären Kontext größere Beachtung geschenkt als beispielsweise Buenos Aires, der Hauptstadt Argenti- niens. An deutschen Universitäten sind Seminare zur Landeskunde, Sprach- und Literatur- wissenschaft Lateinamerikas fester Bestandteil des Studiums. Eine (Fremd-)Sprache zu lernen oder zu studieren bedeutet auch, zumindest einen groben Überblick über deren Sprachgeschichte zu haben. Dies sollte ebenso für Schüler und Schülerinnen gelten, die in der Schule Spanisch lernen. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man davon ausgehen, dass sie von der Existenz Lateinamerikas als spanischsprachigem Kontinent wissen. Doch kennen sie auch die Besonderheiten des lateinamerikanischen Spanisch bezüglich der Pho- netik, Grammatik, Morphologie und Lexik? Welchen Stellenwert hat die Sprach- und Lan- deskunde Lateinamerikas im deutschen Spanischunterricht? Um einen Versuch zur Klä- rung dieser Fragen zu unternehmen, wird sich die vorliegende Arbeit mit folgenden Aspek- ten beschäftigen: Welche Rolle spielen lateinamerikanische Gegebenheiten in den Lehr- plänen der Sekundarstufe I an Gymnasien? Werden die offiziell eingeführten Lehrwerke den jeweiligen Lehrplänen bezüglich dieses Aspektes gerecht? Wie beurteilen Lehrperso- nen den Anteil und die Qualität lateinamerikanischer Inhalte im Spanischunterricht? Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es natürlich nicht möglich, Lehrpläne und -werke aller Schulen deutscher Bundesländer, in denen Spanisch zum Schulkanon gehört, zu verglei- chen, weshalb sich die Analyse auf Gymnasien der benachbarten Länder Saarland und Rheinland-Pfalz beschränken wird, in denen Spanisch als dritte Fremdsprache gewählt werden kann. Interessant wird besonders der Vergleich der Lehrpläne, denn beim Saarland handelt es sich um ein Bundesland, in dem die Gymnasialzeit auf acht Jahre verkürzt wor- den ist. Dementsprechend ist auch der Lehrplan konzipiert. In Rheinland-Pfalz entscheiden die Schulen selbst, ob sie die verkürzte Gymnasialzeit einführen; dann muss jedoch Ganz- tagsunterricht angeboten werden, und weil diese neuerliche Umstellung noch nicht im ak- tuellen Lehrplanentwurf Rheinland-Pfalz berücksichtigt ist, sind deutliche Unterschiede zum Lehrplan Spanisch des Saarlandes zu erwarten.

Eine Untersuchung des Lehrplans der Oberstufe ist in diesem Kontext weniger interessant, da zwar Lehrwerke für die Oberstufe existieren, diese jedoch fakultativ eingesetzt werden können. Die Entscheidung darüber liegt bei der Schule beziehungsweise Fachschaft selbst. Folglich gestaltet sich ein Vergleich zwischen vorgegebenem Inhalt des Lehrplans und dessen Umsetzung im Lehrwerk schwierig, da nicht beurteilt werden kann, ob tatsächlich mit dem Lehrwerk gearbeitet wird. Des Weiteren gibt es nur noch wenige Schüler und Schülerinnen, die Spanisch als dritte Fremdsprache in der Oberstufe weiter belegen, deshalb konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die Sekundarstufe I.

Um einen sinnvollen Einstieg ins eigentliche Thema, die Analyse der Lehrpläne und -werke, zu vollziehen, werden in Kapitel II zunächst einmal allgemeine phonetische, morphosyntaktische und lexikalische Charakteristika des lateinamerikanischen Spanisch dargelegt. Des Weiteren bezieht sich dieses Kapitel auf die sprachlichen Besonderheiten der vier Länder Mexiko, Venezuela, Kuba und Chile sowie ansatzweise auf deren Sprachgeschichte, da aus Platzgründen nicht auf die besonderen Merkmale aller spanischsprachigen Länder eingegangen werden kann. Somit steht Mexiko exemplarisch für ein nordamerikanisches hispanophones Land, Kuba für ein Karibikland, Venezuela für einen Staat im Norden und Chile für einen im Süden Lateinamerikas.

Kapitel III beschäftigt sich mit der Analyse der Lehrpläne Spanisch von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes hinsichtlich ihrer sprachlichen, aber auch landeskundlichen Lerninhalte zu Lateinamerika sowie deren Umsetzung in den entsprechenden Lehrwerken. In Kapitel IV folgt die Auswertung einer empirischen Untersuchung, welche sich mit dem Intervie- wen von Fachlehrerinnen und -lehrern beschäftigte. Die Umfragen wurden mit Lehrperso- nen eines saarländischen und eines rheinland-pfälzischen Gymnasiums durchgeführt, die unter anderem die Qualität und Quantität lateinamerikanischer Gegebenheiten in den Lehr- plänen und Lehrwerken beurteilen. Abschließend gilt es in Kapitel V zu überprüfen, inwie- fern die oben formulierten Forschungsfragen geklärt werden konnten und ob sich der Spa- nischunterricht bezüglich seiner lateinamerikanischen Thematik noch weiterentwickeln muss.[6]

II. Das Spanische in Amerika

2. Allgemeines

„[...] el español de América es una lengua extendida por la colonización [...].”[7] Neben dem Kastilischen, welches in Spanien offizielle Staats-, Kultur- und Verkehrssprache ist, hat sich im Zuge der spanischen Eroberung Lateinamerikas das amerikanische Spanisch ent- wickelt, das sich in verschiedenen Bereichen stark vom europäischen Spanisch abhebt:

„La inmensidad del territorio en el que se habla el español de América, y la enorme variación en la pronunciación, en el vocabulario y la sintaxis, nos instan a proponer algún esquema de clasificación.”[8] Wie Lipski schon sagt, lässt sich das amerikanische Spanisch nicht pauschalisieren und muss differenziert betrachtet werden. Auch Lapesa ist dieser Ansicht:

Cuando decimos “ español de América ” , pensamos en una modalidad de lenguaje distinta a la del español peninsular, sobre todo del corriente en el Norte y Centro de España [pero] no es igual el habla cubana que la ergentina, ni la de un mexicano o guatemalteco que la de un peruano o chileno.[9]

Das lateinamerikanische Spanisch weist folglich nicht nur Differenzen zum Kastilischen auf, sondern unterscheidet sich auch innerhalb Lateinamerikas. El español americano als eigenständige Varietät des Spanischen einerseits und die spezifischen Merkmale einzelner Länder andererseits gilt es im folgenden Kapitel darzulegen.

Wie bei allen Sprachen haben sich auch bei dem Kastilischen zahlreiche Unterdialekte herausgebildet. Einer davon ist das Andalusische, dessen vor allem phonetisch- phonologische Besonderheiten auch in bestimmten Regionen Amerikas zu finden sind. Aufgrund der lautlichen Affinität zwischen dem Andalusischen und dem Spanischen in Amerika wurde bereits früh die sogenannte „Andalucismo-These“ aufgestellt, die den Ur- sprung des amerikanischen Spanischs im andalusischen Dialekt sieht. Diese These ist lange Zeit nicht angezweifelt und erstmals im 20. Jahrhundert kritisch hinterfragt worden. Auf der Grundlage älterer Textbelege war es Sprachwissenschaftlern möglich, die Existenz zahlreicher phonetischer und morphosyntaktischer Charakteristika im Andalusischen be- reits vor der Eroberung Amerikas nachzuweisen. Bis heute lässt sich aufgrund der vielen verschiedenen Einflussfaktoren nicht eindeutig belegen, dass sich das amerikanische Spa- nisch weitestgehend durch den Einfluss Andalusiens herauskristallisierte.[10]

Im Folgenden werden die markantesten lautlichen, grammatischen und lexikalischen Be- sonderheiten des Spanischen in Amerika[11] aufgeführt, die, wie oben erwähnt wurde, zum Teil mit den Charakteristika des Andalusischen übereinstimmen. Die spezifischen sprach- lichen Merkmale Mexikos, Kubas, Venezuelas und Chiles werden jeweils in Unterkapiteln separat dargestellt. Bevor dies geschieht, sollten jedoch zunächst einmal allgemeine Fakten zu den exemplarischen Ländern sowie deren geschichtlichem Hintergrund erläutert wer- den.

So interessant eine detaillierte Untersuchung der Sprachgeschichte und -entwicklung wäre, ist sie nicht Gegenstand dieser Arbeit. Aus dem gleichen Grund können zu den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen lateinamerikanischen Länder keine An- gaben gemacht werden. Lediglich die markantesten phonetischen, morphosyntaktischen und lexikalischen Besonderheiten des lateinamerikanischen Spanisch sollen beschrieben und deren Ursprung in Einzelfällen knapp erwähnt werden. In diesem Zusammenhang können vor allem die Herkunft und Verbreitung der indigenen Sprachen in Hispanoameri- ka und der Einfluss afrikanischer Völkergruppen nicht ausführlich behandelt und vertieft werden.

2.1. Fakten und Geschichtliches

Die Entdeckung und Eroberung Amerikas erfolgte in drei Phasen[12]:

- 1494-1508: Entdeckung der Karibik und der umliegenden Küsten durch Christoph Kolumbus
- 1519-1521: Eroberung Mexikos und seiner Hochkulturen, Azteken und Maya, durch Hernán Cortés
- 1531: Eroberung der Andenhochländer, mit dem Inka-Reich im Zentrum, durch Francisco Pizarro

Diese Phasen bilden den Anfang der Verbreitung des Spanischen in der Welt. Fakten zur Sprecherzahl sowie zur Zusammensetzung der Bevölkerung in Mexiko, Kuba, Venezuela und Chile werden im Folgenden dargelegt. Ebenso wird erläutert, wie sich die Eroberung Amerikas am Beispiel der vier ausgewählten Länder vollzog.

2.1.1 Mexiko

Mexiko zählt mit insgesamt 106,7 Millionen Einwohnern (2008) zum bevölkerungsreich- sten spanischsprachigen Land, und seine Hauptstadt nimmt in der Rangliste der größten spanischsprachigen Städte den ersten Platz ein.[13] Spanisch gilt in Mexiko als offizielle Amtssprache, auch wenn dies in der Verfassung nirgendwo eindeutig geschrieben steht. Der indianische Bevölkerungsanteil liegt bei etwa 14%, verhältnismäßig hoch im Ver- gleich zu vielen anderen lateinamerikanischen Ländern.[14] Zu den bekanntesten indigenen Sprachen in Mexiko zählt man das Maya, welches mit all seinen Dialekten von circa 6 Mil- lionen Menschen in den Gebieten Chiapas, Tabasco, Yucatán, Guatemala und Belize ge- sprochen wird, und die Azteken-Sprache Nahuatl, mit etwa 1,4 Millionen Sprechern im mexikanischen Hochland.[15] Die Rechte dieser und weiterer indigener Sprachen in Mexiko haben seit dem Generalgesetz über die Sprachenrechte der indigenen Völker von 2003 deutlich an Ansehen gewonnen und besitzen einen umfassenden Rechtsstatus.[16]

Da die Eroberung Mexikos bereits recht früh begann, kam dem Land eine wichtige Stel- lung innerhalb der Hispania zu. Die enge Bindung des mexikanischen Hofes zum Mutter- land und die Akzeptanz durch die indigene Bevölkerung brachte eine Verschmelzung der beiden Kulturen mit sich. Am mexikanischen Hof folgte man den spanischen Gewohnhei- ten und machte sie sich zu eigen, dies betraf in besonderer Weise die Sprache. Des Weite- ren waren die Spanier in kaum einem anderen Land in kultureller Hinsicht so engagiert: Um 1530 wurde der Buchdruck eingeführt und man gründete Schulen sowie erste Univer- sitäten, an denen sowohl Spanisch als auch die aztekische Sprache gelehrt wurden.

Auch wenn Nahuatl im mexikanischen Spanisch heute nicht mehr so bedeutsam ist wie im 16. Jahrhundert, so hat es doch im Laufe der Zeit sprachliche Veränderungen, vor allem im Vokalismus, mit sich gebracht. Dem konnte selbst die enge Bindung zum spanischen Hof nicht entgegenwirken, der stets versuchte die Sprache „rein“ zu halten.[17]

2.1.2 Kuba

Im Gegensatz zu Mexiko geht aus der kubanischen Verfassung eindeutig hervor, dass Spanisch hier offizielle Amtssprache ist: „ Artículo 2. El nombre del Estado cubano es República de Cuba, el idioma oficial es el español y su capital es la ciudad de La Habana.”[18] Nach dem Stand von 2008 leben 11,2 Millionen Menschen auf Kuba, die allesamt Spanisch sprechen.[19]

Die karibischen Inseln, bestehend aus verschiedenen Inselgruppen und Inselstaaten, waren das erste amerikanische Gebiet, welches von den Spaniern kolonisiert wurde. Die Taíno-Indianer, die sprachlich zur großen südamerikanischen Arawak-Familie gehö- ren, waren die ersten amerindischen Eingeborenen, die Kontakt zu den Spaniern aufbau- ten und ihnen das Fremde der Neuen Welt näher brachten. Sie waren die Einzigen, außer den von ihnen in den Westen Kubas und Hispaniolas verdrängten Sibonéis, die auf den Großen Antillen ansässig waren. Während in Mexiko das Zusammentreffen der unter- schiedlichen Kulturen zu einer Verschmelzung führte, wurden die Indianer in der Kari- bik unterdrückt und nach wenigen Jahrzehnten ausgerottet, was erklärt, warum auf den Großen Antillen keine Arawak mehr leben.[20]

Die fruchtbaren Böden Kubas erwiesen sich als sehr geeignet für die Entwicklung des Ackerbaus, vorzugsweise im Bereich des Rohrzuckers, dessen Kultivierung und Ernte jedoch zahlreiche Arbeitskräfte verlangte. Dieser Bedarf an Arbeitskräften konnte schließlich, nach dem Aussterben der indigenen Bevölkerung, nur durch die Einführung von Sklaven gedeckt werden, vornehmlich aus Afrika, später jedoch auch aus anderen Ländern, wie beispielsweise China. Daher entwickelte sich Kuba vor allem aus seiner Vergangenheit heraus zu einer an Sprachen und Kulturen sehr vielfältigen Region, die dadurch durchaus von anderen karibischen Inseln unterschieden werden kann, deren Sprache jedoch immer noch als Varietät des karibischen Spanisch zu erkennen ist.[21]

2.1.3 Venezuela

Bei den 27,9 Millionen Einwohnern Venezuelas (2008) handelt es sich bei der Mehrheit um spanische Muttersprachler; nur etwa 2% sind Indianer (1996).[22] Unter diesen existieren insgesamt 35 verschiedene Gruppen, die teilweise zu der großen Sprachgruppe der Arawak und der Kariben gehören. El caribe ist eine indigene Sprache, die ihren Ursprung auf den Kleinen Antillen hat und sich im Zuge der Eroberung bis zu den Küstengebieten des süd- amerikanischen Kontinents ausbreitete. Somit fanden sich die karibischen Sprachen im Küstenbereich des zirkumkaribischen Festlandes, sprich in Venezuela, Honduras und Ko- lumbien, wieder. Heute existieren nur noch wenige Nachfahren der Kariben im Osten Ve- nezuelas und im karibischen Meer.[23] Auch wenn die venezolanische Verfassung von 1999 das Kastilische als offizielle Amtssprache festlegt, wird daneben die Existenz indigener Sprachen völlig akzeptiert: „ Artículo 9. El idioma oficial es el castellano. Los idiomas indígenas también son de uso oficial para los pueblos indígenas y deben ser respetados en todo el territorio de la República (...).”[24]

Kolumbus entdeckte Venezuela bereits 1498, doch die dauerhafte Kolonisierung des Lan- des begann erst ab 1527. Von 1528 bis 1546 verpflichtete sich das Augsburger Handels- und Bankhaus der Welser zusammen mit spanischen Truppen zur Eroberung und Koloni- sation Venezuelas.[25] Zur Zeit der Kolonisierung waren in Venezuela mehrere Hundert Volksstämme indianischer Abstammung ansässig, die keiner der bisher entdeckten Volks- gruppen eindeutig zugeordnet werden konnten. Die Unterschiede in ihrer Sprache und Entwicklung erlaubten eine für Lateinamerika übliche territoriale Unterteilung in tierras bajas und tierras altas.

Der Sprachwissenschaftler Angel Rosenblat, der sich auf das venezolanische Spanisch spezialisiert hat, misst dem Einfluss der Indianer auf das español venezolano aber relativ wenig Bedeutung bei: „ Casi todos los conquistadores [ … ] tuvieron hijos mestizos. Y esos hijos aprendieron la lengua de sus padres y se convirtieron [ … ] en campeones de la obra conquistadora y colonizadora.“[26] Ob sich Rosenblats Theorie bestätigt, wird sich bei der Untersuchung der sprachlichen Besonderheiten des venezolanischen Spanisch, vor allem im Bereich der Lexik, zeigen.

2.1.4 Chile

Chile gehört mit etwa 16,4 Millionen (2008) Menschen zu einem der bevölkerungsreich- sten Länder Lateinamerikas. Von den 16,4 Millionen Einwohnern sprechen etwa 90-99% Spanisch und nur circa 4,2% Indianersprachen. Die meistgesprochene indigene Sprache in Chile ist Mapuche, nur wenige sprechen Aimara, Quechua und Tupi-Guaraní.[27] Zwischen 1541 und 1552 erfolgte verhältnismäßig spät schließlich auch die Eroberung des Landes durch Pedro Valdivia.[28] Im Gegensatz zu den Inkas, die sich erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts bis nach Chile ausdehnten, lebten die Araukaner bereits lange Zeit vor der Entdeckung Amerikas in Chile. Zur Zeit der Kolonisierung des Landes verständigten die Spanier sich weitestgehend in dem ihnen schon bekannten Quechua, welches heute noch ebenso wie das ihm verwandte Aymara vor allem an der Grenze zu Bolivien und Peru gesprochen wird. Die Mapuche-Indianer hingegen sind, wie bereits erwähnt wurde, zahlreicher in Chile vertreten, auch wenn ihre Sprache immer mehr vom Spanischen verdrängt wird. Dies zeigt sich besonders in der jüngeren Generation.[29]

2.2 Phonetik und Phonologie

Die phonetische Beschreibung des amerikanischen Spanisch erfordert eine grundsätzliche Unterscheidung in zwei Zonen, die unter den Begriffen tierras altas/interiores (Hochland- und binnenländische Gebiete) und tierras bajas/marítimas (Tiefland- bzw. Küstengebiete) bekannt sind. Zu den tierras altas zählen nicht nur die entsprechenden Gebiete in Mexiko und ganz Mittelamerika, sondern auch der Andenbereich in Venezuela, Kolumbien, Ecua- dor, Peru, Bolivien, Argentinien und Chile. Zu den tierras bajas hingegen gehören neben den Antillen die karibischen Küstengebiete Mexikos (Veracruz und Tabasco), Mittelame- rikas, Kolumbiens und ein Großteil Venezuelas, sowie die La-Plata-Staaten, Chile (den Andenbereich ausgeschlossen) und die pazifischen Küstengebiete Mexikos (Acapulco), Kolumbiens und Ecuadors.[30]

Während die Hochlandgebiete tendenziell für einen stabilen Konsonantismus und für eine Reduktion oder einen Ausfall der unbetonten Vokale bekannt sind, zählt in den Tiefland- gebieten ein stabiler Vokalismus mit Reduktion oder Schwund der Konsonanten in Silben- endstellung zu den phonetischen Charakteristika. Bei diesen Feststellungen handelt es sich allerdings lediglich um Tendenzen der Sprachentwicklung, die regional variieren können.[31] Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf anderen Aspekten liegt, werden nicht alle vor- herrschenden Phänomene im Bereich der Phonetik und Phonologie detailliert aufgeführt, sondern nur die markantesten, die in nahezu ganz Lateinamerika vertreten sind.

Der seseo, yeísmo und žeísmo

Die Aufhebung der kastilischen Opposition von /s/:/θ/ und der daraus resultierende Zusammenfall zu einem stimmlosen /s/ im amerikanischen Spanisch werden als seseo bezeichnet. Durch den Zusammenfall dieser Phoneme entstehen gelegentlich Homonyme, durch die eine lautliche Unterscheidung erschwert ist. coser [ko´ser] und cocer [co´ser] sind ebenso homophon [s] wie casa und caza. Der seseo ist in fast ganz Hispanoamerika, aber auch in Teilen Andalusiens verbreitet.

Auch der yeísmo ist sowohl in weiten Teilen Hispanoamerikas als auch in Spanien breit vertreten. Aus diesem Grund stellt er kein typisches Charakteristikum des amerikanischen Spanisch mehr dar. Bei dem yeísmo handelt es sich wie bei dem seseo um das Resultat

einer Dephonologisierung, die ein Zusammenfall der Phoneme /Ȟ/ und /j/ zu /j/ bewirkt. Sowohl calló [ka´Ȟo] und cayó [ka´jo] als auch halla [´aȞa] und haya [´aja] sind homo- phone Paare. Obwohl der yeísmo in den meisten Gebieten Hispanoamerikas vertreten ist, sind durchaus Gebiete bekannt, welche die ursprüngliche kastilische Opposition aufweisen.

Die Realisierung des Phonems /Ȟ/ wird mit dem Begriff lleísmo bezeichnet, welcher besonders in den Andenregionen Venezuelas vorherrscht.

Neben dem yeísmo existiert auch der ž eísmo, zu dem insgesamt drei Varianten zählen. Der ž eísmo beschreibt die Nutzung des Lautes /z/ als Allophon der Phoneme /ll/ und /y/. Die meistgebrauchte Form ist diejenige, bei der /z/ eine phonetische Variante des Phonems /y/ ist, welches sich mit dem Phonem /ll/ verbunden hat (cuyo [cuzo], gallo [gazo]).[32]

Aspirierung von implosivem /s/ und Neutralisierung von implosivem /r/ und /l/

„Als implosiv (implosivo, posnuclear) bezeichnet man Laute, die im Silbenauslaut vor Konsonant oder im Wortauslaut stehen.“[33] Bei der Aspirierung von [s] in implosiver Stellung geht es um die Abschwächung des Konsonanten /s/ zu einem Hauchlaut (esto [εhto], las casas [lah´kasah], isla [´ihla], las costas [lah´kohtah]). In den tierras altas Mexikos, Kolumbiens, Ecuadors, Perus und Boliviens bleibt das implosive /s/ erhalten, in Chile, Argentinien, Kuba und der Dominikanischen Republik sowie in Teilen Andalusiens wird es hingegen bevorzugt aspiriert, kann aber auch gänzlich ausfallen. Die Elision des auslautenden /s/ in implosiver Stellung ist ein volkssprachliches Phänomen, welches vor allem in den tierras bajas, besonders im karibischen Raum, weit verbreitet ist und in Chile beispielsweise gerne der ungebildeten Schicht zugeschrieben wird.[34]

Die Neigung zur Vertauschung von /r/ und /l/ in implosiver Stellung stellt eine Besonderheit der Volkssprache dar und ist vorwiegend in den tierras bajas, speziell im Karibikraum, verbreitet. In der Sprachentwicklung ist am häufigsten die Realisierung des Phonems /r/ zu /l/ zu beobachten (por favor [polfavol], el mar [el´mal]. Die Vertauschung der Phoneme in umgekehrter Richtung ist weitaus seltener anzutreffen.[35]

Bei der Aufweichung des intervokalischen /d/ handelt es sich um ein zuletzt zu nennendes phonetisches Merkmal des lateinamerikanischen Spanisch. Wie bei den meisten oben genannten phonetischen Besonderheiten handelt es sich bei der Abschwächung des intervokalischen /d/ um ein Merkmal, welches vorwiegend in den Tiefland- und Küstengebieten verbreitet ist. Die bis zur Elision gehende Aufweichung des intervokalischen /d/ ist überwiegend in den Partizipialendungen - ado und - ido sowie in häufig angewandten Formen wie todo zu finden ([´ao], [´too], médico [´meiko]).[36]

2.1 2.Mexiko

La primera impresió n que el español mexicano puede producir en un observador medianamente atento es la que se trata de un habla sumamente conservadora. Y, en efecto, no son pocos los casos en que el habla de México ha conservado antiguos modos de decir, sin dejarse arrastrar por las innovaciones realizadas en otras zonas de la comunidad ling üí stica española.[37]

Das Spanische in Mexiko entspricht weder dem europäischen Spanisch noch dem, welches in den meisten Ländern Lateinamerikas gesprochen wird. Laut Lope Blanch ist die linguistische Sonderstellung Mexikos sogar von einem Laien zu erkennen, wie aus dem oben genannten Zitat hervorgeht.

Zu den markantesten phonetischen Merkmalen im mexikanischen Spanisch zählt die Abschwächung oder auch der Ausfall unbetonter Vokale, was im zentralen Hochland Mexikos vor allem zwischen /s/ und den Konsonanten /p/, /t/ und /k/ sowie vor dem auslautenden /s/ auftritt.[38] Als Beispiele wären an dieser Stelle (espirito [espir´to], demostrar [dem´strar]oder todo/as [tod´s] anzuführen.

Wie bereits erwähnt wurde, wird in Mexiko, im Vergleich zu den meisten lateinamerikanischen Ländern, das implosive /s/ beibehalten, sogar deutlich ausgesprochen (diez pesos [´djess ´pess]). Eine weitere Besonderheit, die zu nennen wäre, sind die oftmals veralteten Vokale am Wortanfang (oscuro [escuro]), die eine Elision, unter anderem aus satzphonetischen Gründen nach sich ziehen (ahíestá [ahístá]). Des Weiteren tritt gelegentlich eine Reduktion der Diphthonge auf (precaució n [precación]).[39]

Aufgrund des Ausfalls der unbetonten Vokale findet man in Mexiko eine Anhäufung von Konsonanten, die nicht der typischen Phonemabfolge des Kastilischen entspricht (creo quesí [croksí]). Typisch für das mexikanische Spanisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass das intervokalische /d/ erhalten bleibt, manchmal sogar verstärkt wird (parado [pa´raddo]), der Wandel von /bue/ zu /gue/ (bueno [gueno]) und die Velarisierung von /f/ vor /u/ und /w/ (fuerte [juerte]). Diese und weitere Phänomene erscheinen jedoch ebenfalls zumindest in ähnlicher Weise außerhalb Mexikos.

Während der seseo in ganz Mexiko vertreten ist, findet man den yeísmo zwar auch überwiegend vor, allerdings nicht im ganzen Land. Der ž eísmo ist in der südlichen Hälfte von Mexiko wirksam und schließt ebenfalls die Hauptstadt mit ein.

Ein zuletzt zu nennendes phonetisches Charakteristikum des mexikanischen Spanisch ist die Akzentverlagerung, die häufig bei Lehnwörtern oder Neologismen (telegrama [telég- rama], colega [cólega]) und auch bei Imperativen ([¡váyansén!]) zu verzeichnen ist.[40]

2.2.2 Kuba

Im Vergleich zu lexikalischen Studien besitzen phonetisch-phonologische Untersuchungen des Kubaspanischen in der Wissenschaft einen niedrigen Stellenwert. Dennoch sind im español cubano, neben den bereits in diesem Kapitel aufgeführten, folgende phonetische Charakteristika zu verzeichnen:

Bezüglich des Vokalismus wäre der Ausfall des implosiven /s/ zu nennen, durch welchen die vorangehenden Vokale /e/ und /o/ leicht geöffnet werden (vienes [´bjenε]). Die Öffnung der Vokale ist ebenso typisch für die gesamten Antillen.

Den Konsonantismus betreffend sollte im Zusammenhang mit dem kubanischen Spanisch die Realisierung des Phonems /x/ zu /h/ erwähnt werden. Hierbei kommt es zu einer Ab- schwächung des Phonems /x/ und somit zur Bildung des Allophons /h/ (jugar [hu´gar]). Die Neutralisierung von implosivem /r/ und /l/ ist ein Phänomen, welches vor allem in der Karibik zu finden ist. In ländlichen Gebieten Zentralkubas kommt es nicht selten vor, dass /l/ und /r/ sogar an den Folgekonsonanten assimiliert werden (puerta [´pwetta]).[41]

Als eine besondere Eigenheit des Kubaspanischen sollte die Realisierung der Phoneme /j/ und /t∫/ zu /ŋ/ ebenfalls aufgezählt werden. So kann aus llá malo ein ñá malo entstehen. Außerdem erzeugen die Schwächung des auslautenden /b/ und die damit verbundene Tendenz zur Verwechslung Formen wie [ars´welto] (= absuelto).[42]

Zuletzt sei noch erwähnt, dass die stimmlosen Okklusive /p/, /t/ und /k/ häufig verändert werden, wenn sie in Konsonantengruppen auftreten. So kann acueducto im kubanischen Spanisch zu acuedulto oder acueduto werden.[43]

2.2.3 Venezuela

Die phonetischen Varianten des español venezolano lassen sich in zwei verschiedene Zo- nen gliedern. Auf der einen Seite ist das Küstengebiet zu nennen, auf der anderen Seite das Andenhochland, welches eher konservative phonetische Eigenschaften aufweist.[44] Die Varietät des venezolanischen Spanisch zeigt größtenteils ähnliche Charakteristika wie das karibische Spanisch, auch wenn der Dialekt der venezolanischen Andengebiete eher dem der Hochlandgebiete Kolumbiens entspricht.

Zu Beginn des Kapitels sind bereits einige phonetisch-phonologische Merkmale genannt worden, die gleichermaßen auf das Spanische in Venezuela zutreffen, darunter auch der yeísmo und der lleísmo, die Realisierung des Phonems /Ȟ/, die im Andenbereich Venezuelas vorzufinden sind. Ebenso zählen der seseo und der Ausfall des intervokalischen /d/ zu den Charakteristika des venezolanischen Spanisch.

Die Neutralisierung von /r/ und /l/ tritt neben dem Wandel von /b/ zu /g/ (volver [golver]) vor gerundeten Vokalen besonders im venezolanischen Tiefland und den Küstenregionen auf.[45] Im Andengebiet hingegen werden /b/, /d/ und /g/ „nachkonsonantisch insbesondere nach /r/, /l/ und /s/ und Halbvokalen als Plosive realisiert (cerveza [sεr´besa]).“[46] Die Realisierung von /x/ und dem alten Phonem /h/ vollzieht sich durch den Zusammenfall der beiden Phoneme zu [x] (jamá s [xa´mas]).

Den Vokalismus betreffend sollte erwähnt werden, dass Einzelvokale gelegentlich umgewandelt werden (aus somos wird semos), während hiatische Gruppen durch Schließung des ersten Vokals zu Diphthongen werden (deseando wird zu desiando).[47] Die Realisierung von /s/ in implosiver Stellung zeigt sich regional differenziert. So kommt es, dass in den Tiefland- und Küstengebieten Venezuelas die Aspiration von /s/ in implosiver Stellung vor allem von der gebildeten Gesellschaftsschicht und die Elison besonders von der unteren Schicht bevorzugt werden. In den Andenregionen hingegen wird das /s/ deutlich artikulier.[48] Ein letztes besonderes Merkmal des venezolanischen Spanisch ist der Ausfall des finalen /r/, vor allem bei Infinitiven.[49]

2.2.4 Chile

Außer den „universellen“ Charakteristika[50], die für das Spanisch aller Länder Lateinameri- kas gelten, zeichnet sich das chilenische Spanisch vor allem durch einen recht stabilen Vo- kalismus aus. Bei der geschlossenen Aussprache der betonten Vokale /e/ und /i/ nach Pala- talen (mujer [mu´çjer] handelt es sich um eine typisch chilenische Eigenschaft. Bezüglich der unbetonten Vokale fällt die Tendenz zur Alternation von unbetontem /e/ und /o/ mit /i/ und /u/ auf, wobei sich wiederum besonders eine allophonische Alternanz zwischen [e-i] und [o-u] zeigt: So wird aus militar melitar und aus noche nochi.[51] Ein phonetisches Cha- rakteristikum der unteren Bevölkerungsschicht in Süd- und Zentralchile ist die Reduktion der Diphthonge (contino statt contin u o). Die Vokalgruppe /ai/ unterliegt einem Wandel und wird als /ei/ ausgesprochen (caigo [´keiγo]). Nicht selten findet in diesem Zusammen- hang eine Akzentverlagerung statt, was als Charakteristikum der Umgangssprache gilt: So wird zunächst maíz in maiz und dann in meiz umgewandelt.[52] Was den Konsonantismus betrifft, stellt die labiodentale Realisierung des Phonems /b/ <v> ein typisch phonetisches Merkmal des español chileno dar (lavar [la´var]). Das labiodentale [v] ist außerdem auch in Mexiko und Venezuela anzutreffen.[53] Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Aspiration von implosivem /s/ besonders unter der gebildeten städtischen Bevölkerung und die Elision besonders in ländlichen Gebieten verbreitet ist. Vulgären Charakter besitzt dagegen der Ausfall des /s/ in anderen Positionen als im Auslaut, beispielsweise am Wortanfang. Durch den häufigen Ausfall von /s/ fällt /o/ eine morphologische Funktion zu, wodurch besonders der Plural in betonter und unbetonter Stellung verdeutlicht wird (caballo [ka´βajo], cabal- los [ka´βaj ]).[54]

Wie in den Küstenregionen Venezuelas kann es auch in Chile zum Ausfall des finalen /r/ kommen. Dieses Phänomen findet sich häufig bei Infinitiven.[55]

Die Elision des intervokalischen /d/ ist nur in der Partizipialendung - ado konsequent gebräuchlich, und orthographisches h - gilt hauptsächlich im Süden Chiles als Zeichen vulgärer Sprechweise (helado [çe´lao]).[56]

Während in Venezuela die Velarisierung des finalen /n/ [ŋ] als typisches Charakteristikum gilt, findet sich in Chile das alveolare /n/ [-n]. Außerdem führt die Realisierung von /x/ vor palatalen Vokalen (/i/, /e/) in Chile zu „einer Palatalisierung, die im Ergebnis dem deutschen ich -Laut nahesteht (ginebra [çi´nebra]).“[57]

Es hat sich herausgestellt, dass das mexikanische Spanisch sich im phonetisch- phonologischen Bereich stark von den Charakteristika der anderen drei Sprachen abgrenzt. Das bedeutet, dass in Mexiko ein klarer Kontrast zu der Sprechweise an der Karibikküste einerseits und der Aussprache in den Hochlandgebieten andererseits zu erkennen ist. Die kubanische Phonetik hingegen weist wenig typisch kubanische Eigenheiten auf. Im Großen und Ganzen entsprechen sie denen der gesamten Antillen sowie eines großen Teils Venezuelas. Somit sind für die venezolanische ebenso wie für die chilenische Phonetik und Phonologie wenig landestypische Merkmale zu verzeichnen. Auffällig ist lediglich, dass manche Phänomene regional in unterschiedlicher Form auftreten. Diese phonetischen Un- stimmigkeiten lassen sich mit der Unterteilung der Länder in tierras altas beziehungsweise bajas einerseits und mit dem unterschiedlichen Bildungsniveau andererseits erklären. Im nächsten Kapitel soll es nun um die morphosyntaktischen Besonderheiten des latein- amerikanischen Spanisch gehen.

2.3 Morphosyntax

Voseo und Anrede

Der voseo ist eines der prägnantesten Charakteristika des español americano im gramma- tisch-morphologischen Bereich. Die Bezeichnung beschreibt den Gebrauch von vos statt t ú (tuteo) für die intime Anrede. Hierbei handelt es sich um den pronominal-verbalen voseo, der rein verbale existiert beispielsweise in Chile.[58] Vertreten ist der verbale voseo haupt- sächlich im La-Plata-Raum, Paraguay und Mittelamerika. Bei Mexiko hingegen handelt es sich abgesehen von den Bundesstaaten Tabasco und Chiapas weitestgehend um ein „ tuteo- Gebiet “. Am konsequentesten vertreten ist der voseo jedoch in Argentinien, wo er in Schrift und Sprache ausnahmslos in allen sozialen Klassen Anwendung findet.[59] In Anhang A befindet sich eine Abbildung, die einen Gesamtüberblick hinsichtlich der Verbreitung des voseo in Lateinamerika bietet.

Eine weitere Besonderheit des amerikanischen Spanisch bezüglich der Anrede äußert sich im Plural des Personalpronomens vosotros, das gänzlich wegfällt und durch ustedes und usted als einzige sowohl persönliche als auch formelle Anredeformen ersetzt wird (ustedes trabajan statt vosotros trabajá is). Ebenso wenig gebraucht man in Hispanoamerika das Possessivpronomen vuestro und das Pronomen os. Diese werden, wie vosotros, durch die entsprechenden Formen der dritten Person Plural ausgetauscht (su casa statt vuestra casa; les espero mañana statt os espero mañana). Der ausschließliche Gebrauch von usted, vuestro und os als vertraute Anredeformen hat sich im amerikanischen Spanisch seit dem 19. Jahrhundert fest etabliert.[60] In Teilen Südspaniens vermochte sich der Gebrauch von ustedes anstelle von vosotros ebenso durchzusetzen.

Weitere morphosyntaktische Besonderheiten

In manchen Regionen Lateinamerikas lässt sich eine relativ freie Bildung von geschlechts- bezogenen Personenbezeichnungen erkennen. So wird aus el presidente einfach la presi- denta und aus el jefe la jefa.[61] Des Weiteren kommt regional vor, dass bei „[…] einigen Substantiven Abweichungen im Genus […]“[62] auftreten (la azúcar, la calor, la mar) und die Präposition hasta meist eine völlig neue Bedeutung erlangt, nämlich die des Adverbs ´erst` (llega hasta las nueve).[63]

Als ein weiteres morphosyntaktisches Merkmal wäre der loísmo zu nennen, der außer in Ecuador, Paraguay und im Nordosten Argentiniens auch in allen anderen Ländern Hispanoamerikas vertreten ist. Er bezeichnet den überwiegenden Gebrauch der direkten Objektpronomen lo/los für Personen. Im Kastilischen hingegen wird der leísmo le/les verwendet (lo encontréayer statt le encontréayer).[64]

Betrachtet man den Gebrauch der Zeitformen, so fällt auf, dass im español americano be- vorzugt das periphrastische Futur statt des futuro simple zum Einsatz kommt (lo voy a visi- tar la semana que viene statt le visitaré). Ebenso wird im größten Teil Lateinamerikas das einfache (pretérito indefinido) dem zusammengesetzten Perfekt (pretérito compuesto) vorgezogen, wenn es darum geht, einen Bezug zur näheren Vergangenheit herzustellen (Hoy fuimos al cine statt Hoy hemos ido al cine).[65] Dieses Phänomen tritt gleichermaßen in Asturien und Galizien auf.

Weitere morphosyntaktische Besonderheiten, die speziell auf die ausgewählten Länder zutreffen, werden in den nachfolgenden Kapiteln dargelegt.

2.3.1 Mexiko

Was die oben genannten typischen morphosyntaktischen Merkmale angeht, findet man im mexikanischen Spanisch nur den loísmo. Der voseo beispielsweise ist, wie bereits erwähnt, lediglich in den einfachen Bevölkerungsschichten der Staaten Tabasco und Chiapas zu finden. Ansonsten handelt es sich beim mexikanischen Spanisch um eine Sprache, die aus- schließlich t ú als Personalpronomen der zweiten Person Singular kennt.[66] Darüber hinaus weist die Varietät des mexikanischen Spanisch bezüglich der Morphosyn- tax Phänomene auf, die nur dort anzutreffen sind. Dazu zählen unter anderem die häufig verwendeten Gerundivperiphrasen. Dabei erhält das Verb ir unterschiedliche Bedeutungen, die kontextabhängig sind. So tritt der Ausdruck vamos terminando anstelle von estamos a punto de und voy llegando wird statt der Wendung acabo de gebraucht.[67] Während in Me- xiko zum größten Teil, wie in den meisten Ländern Hispanoamerikas sowie in Spanien, die Diminutivbildung mit dem Suffix - ito erfolgt (un perrito), bevorzugt man in den südöstli- chen Regionen des Landes, vor allem in Chiapas, - illo ([ío]).[68]

2.3.2 Kuba

Der Genuswechsel (la estudianta), die Pluralkongruenz bei unpersönlichen Verben (hacen años) sowie der bevorzugte Gebrauch des einfachen Perfekts und des periphrastischen Fu- turs sind morphosyntaktische Phänomene, die in Kuba ebenso zu finden sind wie in den meisten lateinamerikanischen Ländern. Des Weiteren handelt es sich bei den Antillen, so- mit auch bei Kuba, um ein tuteo -Gebiet, in dem t ú für die intime Anrede verwendet wird.[69] Auffällig für den karibischen Raum bezüglich der Satzstellung ist, dass das Subjekt bei Fragen oft vor dem Verb steht (¿ Quétúquieres?) und má s wird in einigen Kombinationen mit Wörtern negativer Bedeutung vorangestellt (másnunca, másnada). In der Diminutivbildung wird in Kuba, Costa Rica und Kolumbien das Suffix - ico gegen- über dem üblichen - ito vorgezogen (un momentico, ratico, chiquitico) und viele Suffixe, die von Toponymen hergeleitet werden, konvergieren auf - ero (habanero, santiaguero). Bei den Infinitivkonstruktionen findet man in Haupt- und Nebensatz unterschiedliche Sub- jekte (antes de yo llegar habían hecho las maletas)[70], und Konstruktionen mit dem Sub- junktiv werden, vor allem in der informellen Sprache, durch die häufige Verwendung von para fast völlig ausgeschlossen (¿ Quétúme recomiendas para yo entender la ling üí sti- ca?).[71]

2.3.3 Venezuela

Ein morphosyntaktisches Charakteristikum des español venezolano ist in jedem Fall die unterschiedliche Verteilung des voseo. In der Region um Maracaibo sowie in den Anden- regionen im Westen ist ausschließlich der voseo anzutreffen, während es sich bei der Hauptstadt Caracas um ein tuteo -Gebiet handelt.[72] Die zweite Person Plural vosotros fällt wie im restlichen lateinamerikanischen Spanisch weg und wird durch ustedes ersetzt. Es kann jedoch auch regional vorkommen, dass usted im Bereich der vertrauten Anrede be- nutzt wird.[73] Die Bevorzugung mancher Zeitformen, wie sie oben dargestellt wurde, ist im venezolanischen Spanisch ebenfalls zu erkennen. Des Weiteren ist die Satzkonstruktion mit dem emphatischen ser ein typisches Merkmal der venezolanischen Jugendsprache. Vor allem Jugendliche der mittleren und oberen Schicht konstruieren Sätze wie diesen: Yo vivo es en Caracas. Dieses Phänomen existierte schon lange Zeit zuvor in Kolumbien und Ecuador und hat sich durch eine Immigrationswelle kolumbischer Arbeiter nach Venezuela ausgeweitet.[74]

Zuletzt sollten noch die Infinitivkonstruktionen und die umgekehrte Subjektstellung bei Fragen genannt werden, die als morphosyntaktische Charakteristika des español cubano bereits vorgestellt worden sind und unter anderem auch für das español venezolano gel- ten.[75]

2.3.4 Chile

Bei Chile handelt es sich um eine Region, die durch eine „Alternanz zwischen voseo und tuteo mit wechselnder Verbalmorphologie“[76] gekennzeichnet ist. Der verbale voseo, der t ú mit voseo -Verbformen verbindet (vos hablá s, vos eres), wird in Chile bevorzugt ange- wandt.[77] Besonders auffällig bei der chilenischen voseo -Variante ist eine Abweichung im Futur (vos tomarís). Wie auch in anderen Regionen Lateinamerikas kommt es vor, dass vos mit der üblichen Form der zweiten Person Plural kombiniert wird (vos hablá is). Als ein typisch volkssprachlich chilenisches Phänomen erweist sich in diesem Zusammenhang eine Veränderung bei den Verben auf - er, die sich an denen auf - ir orientieren (vos tenís, vos salís).[78] Folglich ist festzuhalten, dass im chilenischen Spanisch vos und t ú nebenei- nander existieren und Mischformen zugelassen werden (tútenís, vos tienes).[79]

Im Gegensatz zu den meisten lateinamerikanischen Ländern[80] wird in Chile, wie auch im gesamten Andenraum, das Indefinido durch das zusammengesetzte Perfekt ersetzt (lo he encontrado ayer).[81]

Während - ad das gebräuchlichste Suffix der Substantivierung (frenada) darstellt, sind be- züglich der Adjektivierung folgende Formen vorzufinden: poquitito (muy poco), lindaza (muy linda).[82]

Als besondere morphosyntaktische Merkmale gelten zum einen die umgekehrte Stellung von Subjekt, Verb und Objekt im Satz (poco agua tenemos) und zum anderen Formen le- xikalischer Wiederholung (el pobre dice que estaba andando así, andando). Außerdem stimmen Numerus und Genus häufig nicht überein, wobei es sich um ein typisches Charakteristikum des Anden-Spanisch handelt (los niños que aprenda poco).[83]

Im Hinblick auf die morphosyntaktischen Besonderheiten des amerikanischen Spanisch hat sich ergeben, dass in Mexiko nur wenige der „allgemeingültigen“ Charakteristika, zumin- dest genau in der Form, wie sie beschrieben wurden, vorzufinden sind. Bezüglich der Ver- breitung des voseo sind in Mexiko, Kuba und Venezuela Gemeinsamkeiten zu verzeich- nen, während Chile, wie sich dem vorangegangenen Kapitel entnehmen lässt, in dieser Hinsicht einen Sonderfall darstellt. Ansonsten lässt sich festhalten, dass die meisten mor- phosyntaktischen Phänomene, bis auf wenige Ausnahmen, die in den einzelnen Kapiteln beschrieben wurden, in ganz Lateinamerika vorkommen. Teilweise lassen sich die Unter- schiede, wie bereits im phonetisch-phonologischen Bereich[84], mit der Unterteilung der Länder in verschiedene Zonen erklären.

Das folgende Kapitel wird sich nun mit den lexikalischen Charakteristika des lateinamerikanischen Spanisch beschäftigen.

2.4 Lexik

Die größten Unterschiede zwischen dem Spanisch in Europa und dem in Amerika bestehen zweifelsohne im Bereich der Lexik, was zum Teil auf den Anteil zahlreicher aus den verschiedenen indigenen Sprachen stammender Wörter zurückzuführen ist.

Für die Konstitution der hispanoamerikanischen Lexik ist einerseits der spanische Erbwortschatz relevant, der mit den Kolonisten nach Amerika kam, sich dort bewahr- te und zum Teil weiterentwickelte. Andererseits nahm das amerikanische Spanisch in der Kolonialzeit Entlehnungen auf, die sowohl aus den Indianersprachen als auch aus dem Afrikanischen stammen und solche, die neuere fremdsprachliche Einflüsse dar- stellen.[85]

Manche dieser Indigenismen sind sogar in den Sprachkanon Spaniens und den anderer europäischer Länder aufgenommen worden, wie beispielsweise maíz, cacao und chocolate. Zudem haben einige kastilische Wörter im amerikanischen Spanisch eine neue Bedeutung erlangt. So hat es sich ergeben, dass manejar im Sinne von conducir un coche und plata anstelle von dinero gebraucht wird. Es ist außerdem festzustellen, dass in Lateinamerika manche Ausdrücke öfter gebraucht werden als andere, die die gleiche Bedeutung haben. So kommt es, dass carro öfter gebraucht wird als coche und tomar (una bebida) häufiger als beber. Da diese Merkmale allerdings regional unterschiedlich verbreitet sind, sollten im Folgenden einige besondere lexikalische Charakteristika Mexikos, Kubas, Venezuelas und Chiles erläutert werden. Hierbei wird lediglich eine kleine Auswahl angesprochen. Eine detaillierte Auflistung des mexikanischen, kubanischen, venezolanischen und chilenischen Wortschatzes wird in entsprechenden Wörterbüchern dargeboten.[86]

2.4.1 Mexiko

Die mexikanische Lexik besteht unter anderem aus Archaismen und Anglizismen. Zu den Anglizismen, deren Aufnahme aufgrund der Nähe zu den USA das in Lateinamerika übli- che Maß übertrifft[87], gehören neben den shorts anstelle von pantaló n corto auch der bei- sbol (auf der letzten Silbe betont) und der Begriff out statt fuera.[88] Zu den Archaismen zählen folgende Phänomene: Statt dem Pronomen si ist die Verwendung von donde in Konditionalsätzen ein typisch mexikanisches Merkmal. Des Weiteren tritt an die Stelle des Begriffes inmediatamente luego und statt se dice que sagen einige Mexikaner einfach diz- que. Sprachwissenschaftler vertreten sogar die Ansicht, „das gängige Adverb siempre in der Bedeutung von finalmente habe sich von Mexiko aus über ganz Lateinamerika verbrei- tet.“[89] Beispiele anderer Begriffe des mexikanischen Wortguts, die sonst heute nirgendwo mehr gebraucht werden, sind folgende: agonizos (molestias), canso (cansado), escurana (oscuridad) und recordar (despertar).[90]

An der Bevölkerungszahl gemessen leben in Mexiko und Peru die meisten Indianer, was zu der Annahme führt, dass die mexikanische Lexik aus zahlreichen Indigenismen be- steht.[91] Lope Blanch hat hinsichtlich der Indigenismen Untersuchungen angestellt und he- rausgefunden, dass lediglich 95 entsprechende Wörter in Mexiko als allgemein bekannt und geläufig gelten. Folglich werde der sprachliche indianische Einfluss auf die mexikani- sche Lexik deutlich überschätzt wird.[92] Zu den gängigsten aus dem Nahuatl stammenden Indigenismen, welche in Mexiko und auch in anderen hispanoamerikanischen sowie euro- päischen Ländern in Gebrauch sind, gehören cacao, coyote, tomate oder chocolate.[93]

Als weiteres mexikanisches Charakteristikum gilt beispielsweise der Begriff ¿ mande? An- stelle von ¿ có mo?, wenn etwas nicht verstanden wurde und nachgefragt werden muss.[94] Der „deutsche“ Bürgersteig, im Kastilischen unter der Bezeichnung acera bekannt, wird in Mexiko banqueta genannt, während er in Kuba und Puerto Rico auch acera heißt.[95] Au- ßerdem wird der Superlativ bevorzugt mit mucho muy (mucho muy importante) konstruiert.

2.4.2 Kuba

El número de términos exclusivos de Cuba es muy limitado, pues Cuba sirvió de trampolín para muchas palabras nuevas del español de América.”[96]

Durch die zentrale Rolle Kubas im Zuge der Kolonialisierung nahmen viele verschiedene fremde Sprachen Einfluss auf die kubanische Lexik. So kommt es, dass neben den indiani- schen und afrikanischen Elementen auch Gallizismen, Anglizismen und vor allem seit der Kubanischen Revolution osteuropäische Elemente in das Kubaspanische gelangten. Auch wenn heute keine Indianer mehr in Kuba leben, lässt sich der kubanische Wortschatz in Verbindung mit der damals einzigen dort verbreiteten Indianersprache bringen und weist immer noch viele Indigenismen auf.[97] Zu diesen gehören Entlehnungen, wie beispielsweise aj í ´Pfeffer` oder jaiba ´Krebs`.[98] Manche Begriffe wie maíz oder tabaco wurden im Laufe der Zeit sogar international gebraucht. Besonders Vokabeln aus den Bereichen der Flora, Fauna, Ernährung und Religion sind als indianische Elemente ins Spanische übernommen worden.

Aufgrund der langen Tradition des 1517 beginnenden Sklavenhandels und der in diesem Kontext zahlreich übersiedelten Afrikaner, lassen sich auch Einflüsse der Sklavensprachen, die an dieser Stelle nicht detailliert aufgeführt werden können, im Kubaspanischen erken- nen.[99] Besonders im Bereich der Lebensmittel (fuf ú ´Gericht aus Jamswurzel mit Bananen oder Kürbis`, congrís ´Reis mit schwarzen Bohnen) und der Religion (mandinga ´Teufel`) vermochten sich Ausdrücke in Alltagssituationen durchzusetzen. Weitere Afrikanismen in den Bereichen Musik und Tanz sind: batuque ´Trommeln, Lärm` und mambo ´kubanischer Tanz`.[100]

Neben den Indigenismen und Afrikanismen spielen auch die Anglizismen eine wichtige Rolle im español cubano. Bereits 1762 gelangten Anglizismen durch die britische Besetzung Havannas in die Lexik Kubas, doch spätestens nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg, als Kuba 1898 unter die Kontrolle der Vereinigten Staaten geriet, wurde der kubanische Wortschatz durch Anglizismen stark erweitert.[101] Beispiele für solche englischen Entlehnungen, die gegenwärtig fester Bestandteil des Kubaspanischen sind, wären show anstelle von espectá culo und sandwich statt bocadillo.[102]

Wie bereits erwähnt wurde, finden sich in der kubanischen Lexik auch Gallizismen, die auf die haitianische Revolution und die damit verbundene Immigration franco-haitianischer Sklaven und etwa 30 000 Franzosen zurückzuführen ist. So wird in manchen Regionen Kubas der Schaukelstuhl balance genannt, abgeleitet aus dem französischen balan ç oire.[103] Nach der Aufhebung des afrikanischen Sklavenhandels 1847 emigrierten Asiaten als billi- ge Arbeitskräfte nach Kuba. Insofern wirkte auch die chinesische Sprache auf die Lexik des Kubaspanisch ein. Die Anzahl chinesischer Lehnwörter heutzutage ist zwar nicht mehr so hoch, doch Begriffe wie ´Tee` und charol ´Lack` sind noch aktiv in Gebrauch. Auch japanische Lehnwörter wie catre ´Liege`, piyama ´Schlafanzug` und lancha ´Boot` fanden Einzug in das español cubano.[104]

[...]


[1] Vgl. Voigt, Burkhard (1998): Spanischunterricht heute, Bonn 1998, S. 23.

[2] Ebd., S. 42.

[3] Vgl. ebd., S. 48.

[4] Noll, Volker (2009): Das amerikanische Spanisch, Tübingen 2009, Vorwort.

[5] Vgl. ebd., S. 110.

[6] Der Begriff umfasst in diesem Zusammenhang alle Staaten Amerikas, in denen Spanisch offizielle Landes- sprache ist.

[7] Lapesa, Rafael (1986): Historia de la lengua española, Madrid 1986, S. 535.

[8] Lipski, John (1994) : El español de América, Madrid 1994, S. 15.

[9] Lapesa (1986), S. 535.

[10] Vgl. Noll (2009), S. 78ff.

[11] Es handelt sich hierbei um Merkmale, die in nahezu ganz Hispanoamerika vertreten sind.

[12] Vgl. Noll (2009), S. 57.

[13] Vgl. Noll (2009), S. 4; vgl. Kabatek, Johannes/Pusch, Claus D. (2009): Spanische Sprachwissenschaft, Tübingen 2009, S. 19.

[14] Vgl. Noll (2009), S. 77.

[15] Vgl. ebd., S. 67; vgl. Kabatek/Pusch (2009), S. 19.

[16] Vgl. Kabatek/Pusch (2009), S. 19f.

[17] Vgl. Kubarth, Hugo (1987): Das lateinamerikanische Spanisch, München 1987, S. 63f; vgl. Noll (2009), S.

[18] Kabatek/Pusch (2009), S. 21.

[19] Vgl. Noll (2009), S. 3.

[20] Vgl. Kubarth (1987), S. 87f.

[21] Vgl. Noll (2009), S. 57ff.

[22] Vgl. Noll (2009), S. 7.

[23] Vgl. ebd., S. 77.

[24] Kabatek/Pusch (2009), S. 22.

[25] Vgl. König, Hans-Joachim (2006): Kleine Geschichte Lateinamerikas, Bonn 2006, S. 14.

[26] Rosenblat, Angel (1958): El castellano de Venezuela: La influencia indígena, Caracas 1958, S. 3f.

[27] Vgl. Noll (2009), S. 68ff; vgl. Kabatek/Pusch (2009), S. 23.

[28] Vgl. König (2006), S. 14.

[29] Vgl. Kubarth (1987), S. 158f.

[30] Phoneme erscheinen in //, Allophone sowie Aussprache in [ ].

[31] Vgl. Noll (2009), S. 26.

[32] Vgl. ebd., S. 31f.

[33] Noll (2009), S. 29.

[34] Vgl. ebd., S. 29f.

[35] Vgl. ebd., S. 32.

[36] Vgl. ebd., S. 33.

[37] Lope Blanch, Juan (1964): Estado actual del español en México, Madrid 1964, S. 79.

[38] Vgl. Kubarth (1987), S. 68.

[39] Vgl. ebd., S. 69f.

[40] Vgl. Kubarth (1987), S. 72ff.

[41] Vgl. Noll (2009), S. 29ff; vgl. Lipski (1994), S. 257.

[42] Vgl. Kubarth (1987), S. 90f.

[43] Vgl. ebd.; vgl. Lipski (1994), S. 256.

[44] Vgl. Kubarth (1987), S. 130.

[45] Vgl. ebd., S. 131.

[46] Noll (2009), S. 33; vgl. Lipski (1994), S. 382.

[47] Vgl. Kubarth (1987), S. 131.

[48] Vgl. ebd.; vgl. Lipski (1994), S. 382f.

[49] Vgl. Noll (2009), S. 33.

[50] Vgl. Kap. 2.2.

[51] Vgl. Kubarth (1987), S. 163.

[52] Vgl. ebd., S. 164.

[53] Vgl. Noll (2009), S. 34.

[54] Vgl. Kubarth (1987), S. 163ff.

[55] Vgl. Noll (2009), S. 33.

[56] Vgl. Kubarth (1987), S. 164.

[57] Noll (2009), S.34.

[58] Neben diesen beiden voseo -Varianten gibt es noch den rein pronominalen voseo.

[59] Vgl. Noll (2009), S. 36.

[60] Vgl. Noll (2009), S. 99f.

[61] Vgl. ebd., S. 37.

[62] Ebd.

[63] Vgl. ebd., S. 39.

[64] Vgl. ebd., S. 38.

[65] Vgl. Noll (2009), S. 38.

[66] Vgl. Kubarth (1987), S. 74; vgl. Noll (2009), S. 36.

[67] Vgl. ebd., S. 74f.

[68] Vgl. Noll (2009), S. 38; vgl. Lipski (1994), S. 304.

[69] Vgl. Kubarth (1987), S. 91; vgl. Noll (2009), S. 100.

[70] Vgl. Noll (2009), S. 101f.

[71] Vgl. Lipski (1994), S. 258f.

[72] Vgl. Noll (2009), S. 36.

[73] Vgl. ebd., S. 100.

[74] Vgl. Lipski (1994), S. 384; vgl. Noll (2009), S. 38.

[75] Vgl. Noll (2009), S. 102.

[76] Ebd., S. 37.

[77] Vgl. Lipski (1994), S. 224.

[78] Vgl. Noll (2009), S. 37, 100.

[79] Vgl. Lipski (1994), S. 225.

[80] Vgl. Kap. 2.3.

[81] Vgl. Noll (2009), S. 39.

[82] Vgl. Kubarth (1987), S. 167.

[83] Vgl. Palacios, Azucena (2008): El español en América, Barcelona 2008, S. 251f.

[84] Vgl. Kap. 2.2.

[85] Noll (2009), S. 40f.

[86] Vgl. Nuevo diccionario de americanismos / Diccionario contrastivo del español de América / Diccionario del español usual en México u.a.; vgl. ebenso Literaturverzeichnis.

[87] Vgl. Kubarth (1987), S. 75.

[88] Vgl. Moreno de Alba, José G. (1992): Diferencias léxicas entre España y América, Madrid 1992, S. 208, 219f, vgl. Münster, Annina Maria: Die spanische Sprache in Hispanoamerika am Beispiel Mexikos, S. 259f.

[89] Kubarth (1987), S. 75.

[90] Vgl. Moreno de Alba (1992), S. 55f.

[91] Vgl. Kap. 2.1.1.

[92] Vgl. Noll (2009), S. 41.

[93] Vgl. ebd., S. 66f.

[94] Vgl. Lara, Luis Fernando (1996): Diccionario del español usual en México, México 1996, S. 583.

[95] Vgl. Noll (2009), S. 39.

[96] Lipski (1994), S. 259.

[97] s. Kap. 2.1.2.

[98] Vgl. Noll (2009), S. 64f.

[99] Bei der habla bozal handelt es sich um eine dieser Sklavensprachen.

[100] Vgl. Lipski (1994), S. 259f.; vgl. Noll (2009), S. 41.

[101] Vgl. Noll (2009), S. 109.

[102] Vgl. Paz Perez, Carlos (1988): De lo popular y lo vulgar en el habla cubana, La Habana 1988, S. 25ff.

[103] Vgl. Noll (2009), S. 40.

[104] Vgl. Beldarraín Jiménez, Roquelina (2002): Das Kubaspanisch, Frankfurt am Main 2002, S. 57f.

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Das Lateinamerikanische Spanisch im Spanischunterricht
Untertitel
Phonetik, Morphosyntax und Lexik zum lateinamerikanischen Spanisch und seine Bedeutung im Spanischunterricht
Hochschule
Universität Trier
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
111
Katalognummer
V187990
ISBN (eBook)
9783656117360
ISBN (Buch)
9783656131496
Dateigröße
1213 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sprache: Deutsch und Spanisch!
Schlagworte
Lateinamerika, Lateinamerikanisches Spanisch, Lateinamerika im Spanischunterricht
Arbeit zitieren
Julia Mähler (Autor:in), 2011, Das Lateinamerikanische Spanisch im Spanischunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187990

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