Die Erfindung des Buchdrucks hat sich bis heute als Epochengrenze zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit in die Köpfe der Menschen eingebrannt. Die plötzlich vorhandene Möglichkeit, Informationen und Meinungen in kurzer Zeit an eine breite Masse von Menschen zu verteilen oder der erleichterte Zugang zu Wissen, auch in den unteren sozialen Schichten – all diese Faktoren und deren Auswirkungen tragen zum allgemeinen Verständnis des Buchdrucks bei. Dem gegenüber steht die Vorstellung, dass der Buchdruck nur die logische Weiterführung der bereits durch spätmittelalterliche Großwerkstätten der Manuskriptproduktion etablierten Strukturen war.
»Zweifellos war der Buchdruck eine der großen Kräfte der Veränderung im Europa des 16. Jahrhunderts. Dies gilt vor allem für die Reformation.«
Dieses Zitat der britischen Historiker Andrew Pettegree und Matthew Hall von 2006 zeigt exemplarisch den wohl bedeutendsten Grund für das noch heute allgemein verbreitete Bild des Buchdrucks als Epochenzäsur – die Bedeutung des Buchdrucks für die Reformation.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Entwicklungen nach der Erfndung des Buchdrucks
1. Wissen und Wissenszugang
2. Kirchliche Entwicklungen
III. Die »neue Eigenständigkeit« der Bevölkerung
IV. Schlussbetrachtung
V. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die Erfindung des Buchdrucks hat sich bis heute als Epochengrenze[1] zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit in die Köpfe der Menschen eingebrannt. Die plötzlich vorhandene Möglichkeit, Informationen und Meinungen in kurzer Zeit an eine breite Masse von Menschen zu verteilen oder der erleichterte Zugang zu Wissen, auch in den unteren sozialen Schichten – all diese Faktoren und deren Auswirkungen tragen zum allgemeinen Verständnis des Buchdrucks bei. Dem gegenüber steht die Vorstellung, dass der Buchdruck nur die logische Weiterführung der bereits durch spätmittelalterliche Großwerkstätten der Manuskriptproduktion etablierten Strukturen war.[2]
»Zweifellos war der Buchdruck eine der großen Kräfte der Veränderung im Europa des 16. Jahrhunderts. Dies gilt vor allem für die Reformation.«[3]
Dieses Zitat der britischen Historiker Andrew Pettegree und Matthew Hall von 2006 zeigt exemplarisch den wohl bedeutendsten Grund für das noch heute allgemein verbreitete Bild des Buchdrucks als Epochenzäsur – die Bedeutung des Buchdrucks für die Reformation. Unbestritten bildete die »Medienrevolution«,[4] ausgelöst durch den Buchdruck, die strukturelle Grundlage für jene 1517 durch Martin Luther initiierte religiöse Erneuerungsbewegung. Umgekehrt fand der Buchdruck in eben dieser Bewegung das Medienereignis, welches ihm erstmals zu weitreichender kultureller Bedeutung verhalf. Denn »[m]it dem Auftreten Martin Luthers veränderte sich im Buchdruck fast alles.«[5] Unzählige Arbeiten von Forschern wie Frieder Schanze, Falk Eisermann[6] oder Johannes Burkhardt zeugen davon, dass sich Buchdruck und Reformation als fruchtbares Forschungsfeld erwiesen haben. Fest steht somit die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dieser ersten Medienrevolution, welche durch die Nutzung der »ars secreta« im reformatorischen Sinne hervorgerufen wurde.[7]
Doch welche Veränderungen mussten sich in der Gesellschaft erst einstellen, damit der Buchdruck in Verbindung mit der Reformation einen derart starken Umschwung bewirken konnten, dass dies auch noch heute als Epochenzäsur angesehen wird? Hätte der Buchdruck die Reformation möglicherweise nicht benötigt, sondern wäre er auch ohne sie zu seiner heutigen Bedeutung gekommen – und umgekehrt genauso?
Dies zu untersuchen wird meine Aufgabe in dieser Arbeit sein. Zu Beginn werde ich dazu die Veränderungen im allgemeinen Umgang mit Wissen und den Wissenszugang darstellen, sowie thematisieren, wie die Kirche auf die Erfindung des Buchdrucks reagierte. Danach werde ich mich mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen auseinandersetzen und dabei die »neue Eigenständigkeit« der Gesellschaft bestimmen. Abschließend werde ich den Grad an Notwendigkeit von sowohl Buchdruck als auch Reformation füreinander herausarbeiten.
II. Entwicklungen nach der Erfindung des Buchdrucks
Warum war es zu Beginn des 16. Jahrhunderts möglich, dass Martin Luther zum »Medienhelden«[8] aufsteigen und seine Thesen, Strafreden oder Schmähbriefe derartigen Einfluss unter der Bevölkerung erreichen konnten, dass der Papst ihn bereits 1521 exkommunizieren ließ?[9] Welche Veränderungen hatten sich im Zeitraum zwischen der Erfindung des Buchdrucks und dem Beginn der Reformation bereits eingestellt? Die zwei bedeutenden Aspekte, die den Buchdruck zu einem wichtigen Werkzeug bei der von Luther geforderten Erneuerung der katholischen Kirche machten, waren der veränderte Umgang mit Wissen in der damaligen Gesellschaft und die damit einhergehende gewandelte Sichtweise auf Religion im Allgemeinen.
II. 1. Wissen und Wissenszugang
Dank der Möglichkeit, Texte schneller, billiger und vor allem einheitlicher zu produzieren, steigerte der Buchdruck die Verbreitung von Wissen in erheblichem Maße. Er wurde zum Bekanntgeber von Eliteerfahrungen, politischen Kenntnissen oder Berufsgeheimnissen,[10] wie etwa dem Wissen über Handwerke wie Drehen, Schleifen oder das Färberwesen.[11] Ein Großteil dessen war dem Durchschnittsbürger aufgrund seiner sozialen Stellung, seinem begrenzten Zugang zu Informationen und begrenzten Mitteln vor der Erfindung des Buchdrucks verborgen geblieben – sofern er etwa die Handwerke nicht als Lehrling erlernt hatte.
Besonders Universitäten wussten die Chancen, die der Buchdruck sowohl Lernenden als auch Lehrenden bot, zu schätzen. Ihnen war es nun möglich, eine fundiertere Lehre und Forschung zu betreiben,[12] da nach kurzer Zeit erheblich mehr Wissen zur Verfügung stand und etwa Forschungsdebatten weitaus intensiver und umfassender geführt werden konnten. Denn der Buchdruck machte es möglich, sehr viel schneller auf Thesen oder Meinungen anderer Forscher zu reagieren. Neben dem Qualitätsanstieg in der universitären Welt gewann die Forschung aufgrund des breitgefächerten Einflussbereichs des Buchdrucks aber auch außerhalb der Universitäten an Bedeutung. Debatten, von denen der Durchschnittsmensch ohne den Buchdruck wohl nur wenig mitbekommen hätte, verlagerten sich zusehends in den Alltag der Gesellschaft – so auch die von Luther angestoßene Reformationsbewegung.
Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der Buchdruck Menschen der unterschiedlichsten sozialen Klassen verstärkt die Möglichkeit einräumte, ihren Horizont zu erweitern und infolgedessen auch ihre Sicht auf die Welt zu verändern. Der Zugang zu mehr Informationen hatte zur Folge, dass Menschen ihre eigene Meinung weiter ausbilden konnten, indem sie neue Dinge in Betracht zogen. Folglich unterstütze der Buchdruck den kritischen Umgang mit zuvor oft dogmatisch erscheinenden Bereichen wie Politik, gesellschaftlichen Ordnungen oder eben auch der Religion.
II. 2. Kirchliche Entwicklungen
Das Verständnis von Glauben entwickelte sich in der Zeit der Erfindung des Buchdrucks und in den darauffolgenden Jahrzehnten nachhaltig. Den Ausgangspunkt dafür bildete die Kirche selbst. Im Anfangsstadium des Buchdrucks war sie es, die diesen neuen Kommunikationszweig besonders intensiv nutzte. Der Großteil erster Druckwerke setzte sich zusammen aus Rechtsliteratur, liturgischen Texten, theologischen Handbüchern und Bibeln.[13]
Das Druckgeschäft war nicht von Beginn an profitabel. Drucker benötigten ein gewisses Grundkapital zur Beschaffung von Material und Arbeitskraft. Dieses Kapital überstieg die bis dahin gebräuchliche Kostenspanne in der Informationsverarbeitungsbranche bei weitem. Es dauert demnach eine gewisse Zeit, bis sich ein Gewinn einstellte.[14] Um das Risiko des Bankrotts zu vermeiden, wurde nur gedruckt wovon sich Gewinn versprochen wurde.[15] In der Kirche als Hauptauftraggeber fand der Drucker einen sicheren Absatz, der ihm das Weiterarbeiten garantierte.
Die Kirche war eine der wenigen Institutionen, die es sich leisten konnten, dieses Risiko in Eigenverantwortung einzugehen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie bereits im fünfzehnten Jahrhundert damit begann, sich in diesem neuen Dienstleistungszweig selbst zu betätigen.[16] Durch die Einführung und Eigennutzung von Druckereien in Kirchen, Klöstern, Universitäten und Kanzleien, sowie der überwiegenden Nutzung von privaten Druckern, baute sich ein Informationsmonopol auf.[17] Trotz alldem stand der Buchdruck aufgrund der hohen Produktionskosten und dem Fehlen einer breiten Leserschaft um 1500 kurz davor, wieder zu verschwinden.[18] Erst in der Reformationsbewegung, die von Luther ausging, fand der Buchdruck diese breite Leserschaft.[19]
[...]
[1] Vgl. Schanze, Frieder, Der Buchdruck eine Medienrevolution?, in: Haug, Walter (Hg.), Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea, 16), S. 286.
[2] Vgl. Ebd., S. 302.
[3] Pettegree, Andrew, Hall, Matthew, Buchdruck und Reformation – Eine Neubetrachtung, in: Bünz, Enno (Hg.), Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland. Neue Forschungen zur Kommunikations- und Mediengeschichte um 1500, Leipzig 2006 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 15), S. 343.
[4] Vgl. etwa: Dobras, Wolfgang, Gutenberg – Aventur und Kunst. Vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution, Mainz 2000.
[5] Burkhardt, Johannes, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517 – 1617, Stuttgart 2002, S. 26.
[6] Vgl. etwa: Eisermann, Falk, Bevor die Blätter fliegen lernten. Buchdruck, politische Kommunikation und die ‘Medienrevolution’ des 15. Jahrhunderts, in: Spiess, Karl-Heinz (Hg.), Medien der Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2003 (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, 15), S. 289-313.
[7] Vgl. Giesecke, Michael, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt a. M. 1991, S. 71.
[8] Burkhardt, Johannes, Das Reformationsjahrhundert, S. 26.
[9] (Mittels der Bulle »Decet Romanum Pontificem«)
[10] Vgl. Weyrauch, Erdmann, Das Buch als Träger der frühneuzeitlichen Kommunikationsrevolution, in: North, Michael (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. Und 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien u. a. 1995 (Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien, 3), S. 12.
[11] Vgl. Kellenbenz, Hermann (Hg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte vom ausgehenden Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1986 (Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3), S. 42-43.
[12] Vgl. Füssel, Stephan, Gutenberg und seine Wirkung, Frankfurt a. M., Leipzig 1999, S. 49.
[13] Vgl. Neddermeyer, Uwe, Lateinische und volkssprachliche Bücher im Zeitalter Gutenbergs. Überlegungen zu den Auswirkungen von medientechnischen Umstellungen auf den Buchmarkt - nicht nur im Mittelalter, in: Bibliothek und Wissenschaft 32 (1999), S. 87.
[14] Vgl. Giesecke, Michael, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 67.
[15] Vgl. Neddermeyer, Uwe, Lateinische und volkssprachliche Bücher im Zeitalter Gutenbergs, S. 92.
[16] Vgl. Schanze, Frieder, Der Buchdruck eine Medienrevolution?, S. 294.
[17] Vgl. Ebd.
[18] Vgl. Burkhardt, Johannes, Das Reformationsjahrhundert, S. 25-26.
[19] (In Augsburg beispielsweise versechsfachte sich der »Output« an Büchern in den Jahren 1517-1525.)
- Quote paper
- Dominik Poos (Author), 2011, Der Buchdruck als Grundlage der Reformation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187824
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