Jeder, der sich einmal in seinem alltäglichen Leben auf die mehr oder weniger verbreiteten Werbemethoden konzentriert, wird sich neben den zahlreichen anderen Formen besonders von einer ständig umgeben sehen: den Flyern.
Unabhängig davon, ob wir durch eine städtische Einkaufspassage oder einzelne Geschäfte flanieren, ob wir in einer Imbissbude einkehren oder Abends ins Kino gehen, überall haben wir bewusst oder unbewusst Kontakt mit den bunt bedruckten Zetteln.
Aber was genau ist ein Flyer und welche Eigenschaften machen ihn aus beziehungsweise unterscheiden ihn von anderen altbekannten Werbeträgern, wie zum Beispiel dem Katalog oder der Broschüre? Die
Vielzahl und Varianz an kleinen bunten Handzetteln ist so gewaltig, dass man davon ausgehen müsste, dass sie sich nach gewissen Kriterien
kategorisieren und in Subklassen einteilen lassen.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit diesen Fragen und soll versuchen sie zu beantworten.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einleitung
I. Der Begriff „Flyer“
I.1. Erste Einordnung
I.2. Fliegende Schriften
I.3. Das historische Flugblatt
I.4. Die Geburt der Flyer
I.5. Moderne Flyer
II. Flyer als Werbephänomen
II.1. Der Begriff „Werbung“
II.2. Ziele der Werbung
II.3. Flyer als Werbemittel ?
II.4. Sprache in der Werbung
III. Suche nach dem Prototyp
III.1. Eine Umfrage
III.2. Aufbau und Art der Umfrage
III.3. Was ist ein Flyer
III.4. Wie „groß“ ist ein Flyer?
III.5. Wofür wirbt ein Flyer
III.6. Woher bekommt man Flyer
III.7. Flyer versus Flugblatt?
III.8. Merkmale des Flyer-Prototyps
IV. Ein gesammeltes Corpus
IV.1. Art und Zusammenstellung
IV.2. Das Flyer-Kontinuum
IV.3. Corpusauswertung
IV.4. Sprachliche Besonderheiten des Corpus
IV.5. Ergebnisse
V. Analysemethoden
V.1. Funktionsweisen und Elemente von Party-Flyern
V.2. Bimedialität
V.3. Analysebeispiel eines Party-Flyers
V.4. Analysebeispiel anderer Flyertypen
VI. Fazit
Bibliographie
Anhang
Danksagung
Mein Dank gilt Herrn Professor Serzisko, der mir während der Entstehung dieser Arbeit mit kritischen Denkanstößen und wertvollem Rat zur Seite stand.
Außerdem möchte ich den Informanten und Helfern danken, ohne die gerade der empirische Teil der Untersuchung nicht möglich gewesen wäre, allen voran Nadine Cordes für die ausdauernde Beschaffung von Material für das Corpus.
Schließlich möchte ich mich an dieser Stelle noch ganz herzlich bei meinen Eltern für ihre Unterstützung während meiner gesamten Studienzeit bedanken.
Alexander W. Windeck
Einleitung
In unserer heutigen multimedialen Welt, in der in allen erdenklichen Situationen und Lebenslagen versucht wird, den potentiellen Kunden mit möglichst vielen verschiedenen Formen von Werbung zu erreichen und anzusprechen, fällt es oftmals schwer, sich konkret eines bestimmten Phänomens bewusst zu werden. Doch jeder, der sich einmal in seinem alltäglichen Leben auf die mehr oder weniger verbreiteten Werbemethoden konzentriert, wird sich neben den zahlreichen anderen Formen besonders von einer ständig umgeben sehen: den Flyern. Unabhängig davon, ob wir durch eine städtische Einkaufspassage oder einzelne Geschäfte flanieren, ob wir in einer Imbissbude einkehren oder Abends ins Kino gehen, überall haben wir bewusst oder unbewusst Kontakt mit den bunt bedruckten Zetteln. Sie werden einem entweder direkt im Vorbeigehen in die Hand gedrückt oder zumindest angeboten, oder liegen einfach unserer Paketbestellung bei. Sie finden ihren Weg in unsere Briefkästen, an unsere Autoscheiben und in die Zeitschriften, die wir lesen. Flyer sind ein alltägliches und ständig präsentes Phänomen geworden, das gerade aufgrund seines massenhaften und ubiquitären Auftretens oft nicht mehr bewusst wahrgenommen wird: Flyer gibt es einfach immer dazu.
Aber was genau ist ein Flyer und welche Eigenschaften machen ihn aus beziehungsweise unterscheiden ihn von anderen altbekannten Werbeträgern, wie zum Beispiel dem Katalog oder der Broschüre? Die Vielzahl und Varianz an kleinen bunten Handzetteln ist so gewaltig, dass man davon ausgehen müsste, dass sie sich nach gewissen Kriterien kategorisieren und in Subklassen einteilen lassen. Besonders interessant erscheint auch die Frage, wie genau die Werbebotschaft auf Flyern funktioniert und wie sie vermittelt wird: Finden sich sprachliche Besonderheiten, die dieser Werbeform eigen sind und gibt es immanente Richtlinien für den Aufbau von Flyern, so wie es in der Werbewissenschaft auch für Plakate, Zeitungsannoncen, Werbespots etc. schon lange postuliert ist? Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit diesen Fragen und soll versuchen sie zu beantworten.
Obwohl Flyer als Werbe- und Informationsträger ein omnipräsenter Bestandteil des Alltags geworden sind, scheinen sie in der geisteswissenschaftlichen Forschung bislang nur wenig Interesse erweckt zu haben. Innerhalb der Vorbereitung zu dieser Arbeit fanden sich lediglich vier Sekundärquellen, die Flyer als Hauptthema behandeln. Die Diplomarbeit von JÖRG LANDEN mit dem Titel „Phänomen Flyer: Von der Illegalität zum Kommerz“ (1998/99) beschäftigt sich hauptsächlich und detailliert mit der historischen Entwicklung der Handzettel und ihrem erstmaligen Auftreten außerhalb des englischsprachigen Raumes. Zudem thematisiert Landen Herstellung, Distribution und einige gestalterische Gesichtspunkte der Werbeträger.
Zwei weitere Schriften mit den Titeln „Die Textsorte Flyer“ (2000a) und „Zur Beschreibung verbal konstituierter und visuell strukturierter Textsorten: das Beispiel Flyer“ (2000b) stammen von Jannis ANDROUTSOPOULOS. Ihre thematische Zielsetzung und ihre Beschreibungsmethoden sind größtenteils identisch und zielen, wie die Titel bereits vermuten lassen, auf eine Einordnung von Flyern als Textsorte ab. ANDROUTSOPOULOS widmet sich sehr ausführlich der Beschreibung von verbalen und visuellen Konstituenten und wendet zur Analyse der Funktionsweise von Flyern ein Modell von GUNTHER KRESS und THEO VAN LEEUWEN an, das zur Untersuchung von multimodalen Textsorten dient. Dieser Analysemethode und den Beschreibungen von ANDROUTSOPOULOS bin ich in dieser Arbeit ebenfalls gefolgt. Bei der letzten Quelle handelt es sich um das Sammelband „Flyer Soziotope. Topographie einer Mediengattung.“ (2005) von MIKE RIEMEL (Hrsg.). Hier enthalten sind unter anderem viele Exemplare der größten deutschen Flyersammlungen, darunter jene, die sich im Besitz des Archivs der Jugendkulturen befindet, sowie zahlreiche Beiträge verschiedener Autoren rund um das Thema Flyer.
Ein großer Nachteil an allen genannten Werken ist jedoch, dass sie den Begriff des Flyers - begründet durch seine Entstehungsgeschichte - ausschließlich auf die so genannten Party-Flyer eingrenzen, also die Exemplare, die Werbung für eine moderne Tanzveranstaltung machen. Doch schon bei einfachen empirischen Stichproben zeigt sich schnell, dass die bunten Zettelchen heutzutage sehr viele unterschiedliche Werbeobjekte und -ziele beinhalten und dass es darüber hinaus auch Flyer gibt, die vollkommen andere Themengebiete ansprechen, welche nicht im klassischen Sinne als kommerzielle Werbeziele angesehen werden können. Ziel dieser Arbeit ist es, auch diese Probleme zu klären und die theoretischen Überlegungen zumindest durch empirische Indizien zu untermauern. Dazu ist sie in mehrere Abschnitte gegliedert, in denen jeweils ein Aspekt des Phänomens Flyer näher betrachtet und den oben genannten Fragen nachgegangen wird.
Im ersten Kapitel befasse ich mich mit einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung dieser speziellen Werbeform und der Entstehungs- sowie Verbreitungsgeschichte der Flyer. Im zweiten Kapitel geht es um eine Einführung in bestehende werbewissenschaftliche Schemata und die Einordnung der Handzettel in diese. Als Hauptquelle in diesem Zusammenhang diente die Monographie „Werbesprache. Ein Arbeitsbuch“ (2005) von NINA JANICH, die sich ausführlich mit allen kommunikationswissenschaftlichen und linguistischen Aspekten verschiedener Werbeformen beschäftigt.
Grundlage des dritten Kapitels stellt eine Online-Umfrage dar, die ich im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführt habe. Dabei war das Ziel, zu überprüfen, welche Assoziationen und Beschreibungen im Bezug auf die Semantik des Begriffs ‚Flyer’ auftauchen, wenn man eine Anzahl beliebiger Probanden deskriptive Fragen dazu beantworten lässt. Mithilfe prägnanter Ergebnisse der Umfrage wird außerdem in diesem Kapitel eine Art assoziativer Prototyp herausgearbeitet, der dann im weiteren Verlauf der Arbeit mit anderen empirischen Funden verglichen werden kann.
Im darauf folgenden vierten Kapitel wird das zweite Hilfsmittel präsentiert, das zur empirischen Datengewinnung herangezogen wurde, nämlich ein gesammeltes Flyer-Corpus. Durch die Beschreibung und gezielte Auswertung der zusammengetragenen Exemplare werden einige der oben genannten Fragen im Bezug auf die Varianz der Handzettel beantwortet. Zusätzlich verwende ich die Ergebnisse dieser Auswertung als Vergleichsmoment zu den im vorherigen Kapitel aufgestellten prototypischen Merkmalen. Außerdem widme ich mich der Frage, ob es besondere sprachliche Mittel oder Phänomene gibt, die sich den Flyern als Gesamtheit oder einer Subkategorie von ihnen zusprechen lassen und die sich in dem hier präsentierten Corpus auffinden lassen.
Im fünften Kapitel beschäftige ich mich primär mit den von ANDROUTSOPOULOS genutzten Beschreibungs- und Analysemethoden von Flyern, stelle diese kurz vor und wende sie auf einige ausgewählte Objekte des Corpus an. Ziel dieses Kapitels soll es sein, herauszufinden, ob und inwieweit sich dieses Modell auch auf Handzettel anwenden lässt, die nicht zu der Gruppe der so genannten „Party-Flyer“ gehören.
Inhalt des abschließenden siebten Kapitels ist die Zusammenfassung meiner Ergebnisse und ein Ausblick auf die daraus gezogenen Schlussfolgerungen bezüglich der eingangs formulierten Fragestellungen. Außerdem werden hier noch einige weitere Desiderate erwähnt, die im Zusammenhang mit dem komplexen Phänomen der Flyer in anderen Arbeiten thematisiert werden könnten.
I. Der Begriff „Flyer“
I.1. Erste Einordnung
Obwohl das Phänomen ‚Flyer’ als Werbeträger heute weit verbreitet ist, fällt es äußerst schwer eine genaue Definition zu finden. Der erste Grund dafür ist, dass das Wort bei verschiedenen Personengruppen und auf verschiedene Hintergründe bezogen in der Bedeutung variiert. In der Werbewirtschaft zum Beispiel bemüht man sich um eine konkrete Eingrenzung fester Termini, obwohl auch hier bei weitem keine Einigkeit vorliegt. Dieselben Termini wiederum lösen bei den Kunden völlig andere Assoziationen hervor, und das wiederum stark individuell variierend.
Das zweite große Problem bei der Festlegung einer genauen Semantik von ‚Flyer’ ist, dass sich der Begriff auch von seinen historischen Anfängen durch die Zeit hinweg verändert hat und dementsprechend nicht nur starken Bedeutungserweiterungen, sondern auch Bedeutungsverschiebungen unterlegen war. Die augenscheinlichste Herangehensweise scheint die Konsultierung von Wörterbüchern zu sein. Der Universal-Duden für das Deutsche gibt folgende Erläuterung:
„Flyer [»flaiå], der; -s, - <engl.> (Vorspinn-, Flügelspinnmaschine; Arbeiter an einer solchen Maschine; Handzettel, Werbezettel)“ (Duden 24.Aufl. 2006).
Und auch das Oxford Dictionary schlägt als Übersetzung „a small handbill or fly-sheet“ vor (The Oxford English Dictionary 1989: 1120, volume V). Damit wird also die Bedeutung des ursprünglich englischen Wortes ‚Flyer’ wieder zurückverwiesen auf ein deutsches Wort, nämlich den Handzettel. Das Wort ‚Handzettel’ ist eng verwandt mit dem Begriff ‚Flugblatt’; ihr einziger semantischer Unterschied liegt in der Assoziation, die der Sprecher im Bezug auf ihre jeweilige Verteilungsart hat, also ob sie persönlich „von Hand zu Hand“ gereicht oder in großer Masse in irgendeiner Form „fliegen gelassen“ werden, beispielsweise durch Abwurf aus größerer Höhe. Die historischen Wurzeln des Begriffs ‚Flyer’, wie er in Deutschland verwendet wird, liegen also bei den Flugblättern.
I.2. Fliegende Schriften
Die erste Verwendung eines flugblattähnlichen Mediums im deutschsprachigen Raum gab es ab 14881. Fragt man Personen heute nach ihrer Vorstellung des prototypischen Flugblatts, so wird stets von politischem oder sonst wie sozial-relevantem Inhalt gesprochen. Die ersten Werbeblätter des 15. Jahrhunderts waren allerdings nichts dergleichen. Spätestens durch die Verbreitung des Druckverfahrens nach Johannes Gutenberg war es möglich geworden, günstig und schnell große Mengen dieser „fliegenden Schriften“ zu produzieren2, und zwar ursprünglich zu rein kommerziellen Zwecken. Diese Werbeblättchen des Spätmittelalters waren Einblattdrucke (WÄSCHER 1955: 7), die zahlreich von Marktschreiern und Händlern im Stadtzentrum, auf Jahrmärkten oder vor Kirchentüren vertrieben wurden, also überall dort wo größtmögliche Ansammlungen von Kunden zu erwarten waren.
Diese stets nur auf einer Seite bedruckten Blätter taten hauptsächlich wunderliche Neuigkeiten und Sensationen kund („Kuh mit vier Köpfen geboren!“). Sehr beliebt waren zudem auch religiöse Themen wie Läuterung und Seelentrost und ihre illokutionären Akte beschränkten sich meist auf Warnungen oder Aufrufe.
„Wir lernen alle Sorgen und Nöte, Freuden, Sitten und Unsitten, allen Glauben und Aberglauben, Spot und Witz, alle Himmelserscheinungen und Mißgeburten kennen und erhalten durch die Drucke einen aktuellen Spiegel des gesellschaftlichen Lebens der Zeit.“ (WÄSCHER 1955: 8).
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Abb. 1: Der Kinderfresser (1590)
Was die optische Gestaltung angeht, so überwogen damals - ähnlich wie heute bei den Party-Flyern3 - Illustrationen, was in dieser Zeit allerdings aufgrund der hohen Verbreitung von Analphabetismus absolut notwendig war zur Übermittlung der Botschaft an den Empfänger. Zudem war man sich schon damals des Anreizes bewusst, den eine Illustration beim Betrachter hervorruft (WÄSCHER 1955: 7). Beliebt waren Aufsehen erregende und möglichst nicht-alltägliche Zeichnungen von fernen Ländern, fremdartigen Tiergattungen oder fantastischen Kreaturen und Monstern.
„Erdbeben, Kometen, Sonnen- und Mondfinsternisse sind ebenfalls ein beliebter Vorwand für die Ausgabe von Flugblättern. […] Flugblätter über Mißgeburten von Mensch und Tier, aber auch Mißwuchs von Pflanzen gehören ebenfalls mit zu den ältesten, die auf den Markt kommen.“ (WÄSCHER 1955: 16).
Der sicherlich eklatanteste Unterschied zur Assoziation, die wir heute mit jeder Form dieser „billigen“ Blättchen haben, war, dass man die mittelalterlichen Flugblätter für teures Geld kaufen musste4.
Spätestens ab der Reformationszeit wurden die „fliegenden Blätter“ politischer und beinhalteten zunehmend Themen wie den Glaubens- und den Bauernkrieg (KASTNER 1994: 6f). Zudem wollte die Bevölkerung gerade auch während des Dreißigjährigen Krieges über die politische Situation im Land informiert sein (WÄSCHER 1955: 12f.). Die Flugblätter dieser Zeit waren immer noch nicht kostenlos.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Der rheinische Courier (1813)
Darüber hinaus kamen im 17. Jahrhundert vermehrt „fliegenden Schriften“ in Umlauf, die mehr als ein Blatt enthielten, was sicher durch den größeren Informationsumfang im Bereich Politik notwendig geworden war. Dies ist als Scheideweg in der Entwicklung des Flugblatts zu sehen, denn diese mehrseitige Flugschrift stellt den Urgroßvater der heutigen Tageszeitung dar (MINTZEL 2000: 13), während die einfachen Ein-Blatt- Schriften weiterhin eher kommerziellen oder sensationalistischen Inhalt aufwiesen.
I.3. Das historische Flugblatt
Ab dem 18. Jahrhundert wurde dann auch die konkrete Bezeichnung ‚Flugblatt’ gebräuchlich, die sich bis in die heutige Zeit hält. Besonders einprägsame historische Bedeutung gewannen Flugblätter stets in politischen oder gar weltpolitischen Krisenzeiten, wie zum Beispiel während des Widerstandes gegen die Nationalsozialistische Regierung Mitte des 20. Jahrhunderts (WÄSCHER 1955: 23ff.). Aktionen wie die Anfertigung und Verteilung von Flugblättern durch die Geschwister Scholl und die anderen Mitglieder der Weißen Rose haben sicherlich den semantischen Prototyp des Flugblatts, wie er heute angesehen wird, maßgeblich mitbestimmt. Aber auch Regierungen, wie zum Beispiel die US-amerikanische, nutzten den Abwurf und die großflächige Verteilung von Flugblättern des Öfteren zu propagandistischen Zwecken oder als eine Art der psychologischen Kriegsführung. Die Nutzung zu politischen Zwecken in Kriegs- oder Krisenzeiten hat also stark die Assoziationen geprägt, die wir heute mit dem Begriff Flugblatt verbinden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Hunger! Das alles verdanken wir dem Führer. (um 1943)
I.4. Die Geburt der Flyer
Einen ähnlich prägnanten Einfluss auf die prototypische Semantik, die mit einem modernen Flyer verbunden wird, schreiben einige Autoren der Musikszene der 1980er Jahre zu. In dieser Zeit entwickelte sich nach Anleihen aus dem amerikanischen Raum ein neuartiger Musikstil, der so genannte „House“. Seine Merkmale waren die ausschließlich elektronische Produktion sowie die extreme Verwendung starker Bassrhythmen, welche die Housemusik „extrem gut tanzbar“ (LANDEN 1998/99: 6) machte. Für die rasant wachsende Anhängerschaft dieses Stils gehörte jedoch zum Ausleben ihrer Tanzleidenschaft auch die Einnahme von Ecstasy, einer psychoaktiven Droge, die in den 80er Jahren gerade ihren Einzug in europäische Länder vollzog.
1988 wurde der „House-Boom“ in England so groß, dass sich die Feiernden nicht mehr in kleinen Discos, sondern zu tausenden in riesigen Fabrikhallen oder einfach in öffentlichen Parkanlagen trafen, zu so genannten „Raves“5. (LANDEN 1998/99: 8). Die englische Regierung und Polizei reagierten mit Verboten und Massenverhaftungen, wenn sie von einer geplanten House-Veranstaltung erfuhren. So entdeckte die Anhängerschaft der nun illegal gewordenen Musik das Medium des Flugblatts für sich. LANDEN erklärt:
„Die Veranstalter konnten nicht mehr öffentlich werben. Trotzdem fanden sie eine Möglichkeit, die wichtigen Informationen (was/wann/wo) vorbei an den Behörden an die Zielgruppe weiterzugeben: sie fertigten billige, meist kopierte Schwarz-Weiß-Zettel an. In bestimmten Bars und speziellen Shops wurden dann die Flyer an Interessierte weitergegeben.“ (LANDEN 1998/99: 9).
Der zu diesem Zwecke hergestellte englische (Party-)Flyer verfügte von Anfang an über ganz bestimmte Charakteristika, die ihm auch dann erhalten blieben, als er sich gemeinsam mit der House-Musik in ganz Europa und damit natürlich auch in Deutschland verbreitete. Die Wichtigsten davon sind das stark auf die Optik konzentrierte Design und die Verwendung von bestimmten kodierten Schlüsselwörtern, die ausschließlich von den „Eingeweihten“ verstanden werden sollten (LANDEN 1998/99: 9)6.
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Abb. 4: Ein Rave-Flyer. England, Liverpool (1988)
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Abb. 5: Ein House-Flyer. England, Ort unbekannt (1989)
Obgleich also sowohl ‚Flugblatt’ als auch ‚Handzettel’ eine adäquate Übersetzung des englischen Lexems ‚Flyer’ darstellt, haben sich die beiden Begriffe im Laufe der Zeit stark auseinander entwickelt. Das Wort ‚Flugblatt’ steht auch heute noch für ein hauptsächlich textlich gestaltetes, ein- oder beidseitig bedrucktes Blatt, das frei verteil wird. Sein Inhalt wird mit Politik im weitesten Sinne und bestimmten sozial-gesellschaftlichen Aktionen oder Aufrufen in Verbindung gebracht7.
I.5. Moderne Flyer
Dieser relativ klaren Eingrenzung steht ein enorm verwaschener Bereich gegenüber, wenn es heutzutage um den Terminus ‚Flyer’ geht. Fest steht, dass die Verwendung dieses Mediums heute stärker vertreten ist denn je und dementsprechend viele Werbefirmen und Druckereien bieten den Entwurf und die Herstellung des (meist) papiernen Informationsträgers an. Doch je größer das Angebot, desto größer scheint auch die Anzahl der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffs zu sein.
Die Firma Scali Copy Shop beispielsweise erklärt: „Der Begriff umfasst Prospekte, Rundschreiben, Produktblätter, Broschüren, ja sogar Kundenblätter und Newsletter.“ (Website Scali Copy Shop, 05.08.2009). Hier scheint der Terminus also schlicht als Hyperonym zu fast jeder Form der schriftlichen Werbung zu gelten. „Ein Flyer (dt. Flugblatt) ist ein Werbemittel zur Verbreitung von Informationen über Veranstaltungen (Zeitraum, Ort,). […] Die Gestaltung eines Flyers ist immer so gestaltet, dass er sofort auffällt.“ (Website Printarius, 05.08.2009). Diese Erklärung einer anderen Druckerei fokussiert den Begriff vollkommen auf die Varianten, die über Tanzveranstaltungen informieren und dafür werben, also exakt so, wie es die ersten Flyer der House-Bewegung getan haben. Die gleiche enge Eingrenzung des semantischen und funktionalen Inhalts macht auch der Kommunikationswissenschaftler JANNIS ANDROUTSOPOULOS, wenn er schreibt:
„Typologisch lassen sich Flyer als thematisch und sozial spezifizierte Flugblatt-Variante einstufen. Als Werbeform für Partys und Konzerte mit einem jungen Publikum waren Handzettel schon in den 60-er und 70-er Jahren im Einsatz.“ (ANDROUTSOPOULOS 2000b: 345) .
Aus den genannten Beispielen wird ersichtlich, dass der Begriff ‚Flyer’ je nach konsultierter Quelle unterschiedlich eng oder weit definiert wird. Diese stillschweigende Reduktion des Inhalts von Flyern kommt den heutigen Verwendungszwecken allerdings kaum nahe.
II. Flyer als Werbephänomen
Offenkundig gehören die modernen Flyer, wie wir sie bisher besprochen haben, in den Bereich der Werbung, und zwar unabhängig davon, ob sie Informationen über eine Tanz-Veranstaltung, eine Rabattaktion oder einen Töpferkurs transportieren. Werbung ist heutzutage fast allgegenwärtig und so vielschichtig, dass sich eine regelrechte Werbewissenschaft entwickelt hat, die den Versuch unternimmt, ihren Forschungsgegenstand klar zu strukturieren, sowie Definitionen und Fachtermini zu finden, mit denen sich jede aktuell auftretenden Form von Werbung beschreiben und klassifizieren lässt. In diesem Kapitel soll nun ein kurzer Überblick über die moderne Betrachtungsweise von Werbung gegeben werden, mit dem Ziel, das Phänomen Flyer angemessen und korrekt innerhalb dieses umfangreichen Bereichs zu positionieren.
II.1. Der Begriff „Werbung“
Zunächst wollen wir uns kurz mit dem Begriff Werbung befassen. Etymologisch betrachtet kommt das Verb ‚werben’ vom althochdeutschen ‚(h)werban’ mit der Bedeutung „sich drehen, wenden, umkehren, einhergehen, sich bemühen“ (JANICH 2005: 18) und wandelte sich dann im Laufe der Zeit zur heute allgemein gebräuchlichen Bedeutung ab:
„[…] das über ‚sich hin und her bewegen, geschäftig sein’ bereits früh die noch heute üblichen Verwendungen ‚sich um etw., jmdn. bemühen, zu erreichen, erlangen suchen, jmd. für einen Dienst, eine Arbeit, ein Amt gewinnen wollen’ entwickelt; vgl. ‚Soldaten anwerben (17. Jh.), ‚Reklame machen’ (Ende 19. Jh.).“ (Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 1997: 1557).
Ganz besonders wichtig für die Betrachtung von Aufgabe und Funktion der Werbung ist also die Tatsache, dass sowohl für eine Sache als auch um eine Person geworben werden kann. Das übliche Verständnis des Begriffes konzentriert sich in erster Linie auf erstere Möglichkeit, immerhin wirbt das klassische Werbeplakat oder der Werbespot für ein bestimmtes Produkt. Auch bei Flyern kann diese Verwendungsweise festgestellt werden, aber darüber hinaus gibt es grade bei Flugblättern zahlreiche Varianten, die aus politischen oder gesellschaftlichen Hintergründen eher um die Person an sich werben, die die jeweilige Botschaft gerade empfängt. Beispiele hierfür sind unter anderem politische Flyer, die um die Stimmen ihrer Wähler werben, oder der Aufruf, an einem bestimmten Sportkurs teilzunehmen. Zusammenfassend kann man also sagen:
„In allgemeiner Form umfasst die Werbung als sozialpsychologisches und soziologisches Phänomen alle Formen der bewußten Beeinflussung von Menschen im Hinblick auf jeden beliebigen Gegenstand. Werbung kann aus wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Gründen betrieben werden.“ (TIETZ/ ZENTES 1980: 22).
II.2. Ziele der Werbung
Neben diesen allgemeinen Funktionen werden in der Werbeforschung unterschiedliche Werbeziele postuliert und der Versuch unternommen, diese ganz klar voneinander abgegrenzt zu formulieren. Dabei sorgt die genaue Anzahl und Definition der verschiedenen Werbeziele in der Wirtschaft schon seit geraumer Zeit für kontroverse Diskussionen (JANICH 2005: 21); als einfachen Überblick verwende ich hier die übersichtliche Einteilung von SCHWEIGER/SCHRATTENECKER.
Nach diesen Autoren gibt es erstens so genannte „Einführungswerbung“, die hauptsächlich zur Bekanntmachung eines neuen Produktes verwendet wird und durch Etablierung eines positiven Images einen längerfristigen Platz für dieses Produkt auf dem Markt schaffen soll (SCHWEIGER/ SCHRATTENECKER 1995: 55). Zweitens gibt es die „Erhaltungswerbung“, die den weiterführenden Verkauf eines bereits etablierten und bekannten Produktes unterstützen soll (ibid.). Außerdem existiert „Stabilisierungswerbung“, die speziell der Bedrohung durch ein Konkurrenzprodukt entgegenwirkt, um die eigene Verdrängung vom Markt zu verhindern. Und schließlich nennen die Autoren die so genannte „Expansionswerbung“, deren Aufgabe es ist, die Verbreitung und den Bekanntheitsgrad eines Produktes zu erhöhen und so Marktanteile zu mehren (SCHWEIGER/ SCHRATTENECKER 1995: 55).
Bezogen auf die Werbeform der Flyer kann man festhalten, dass diese sich je nach Typ in die Kategorien der Einführungs- oder, seltener, der Erhaltungswerbung eingliedern lassen. Gerade für den prototypischen Flyer ist eine gewisse Einmaligkeit des angeworbenen Inhalts charakteristisch, daher könnte man dabei stets von einem neu auf den Markt geworfenen Produkt sprechen. Andererseits gibt es zum Beispiel Party-Flyer, die eine Art Veranstaltungsreihe anpreisen. Diese können damit als der Erhaltungswerbung zugehörig angesehen werden.
Unabhängig von diesen verfeinerten Ausrichtungen verfolgt Werbung aber grundsätzlich natürlich stets ein Ziel: Das angepriesene Produkt möglichst erfolgreich zu verkaufen. Damit hat Werbung eine in erster Linie persuasive Funktion und jedes Auftauchen von Werbung kann im Sinne der Sprechakttheorie als perlokutionärer Akt angesehen werden, der den Rezipienten dazu bringen soll, im Sinne des Werbenden zu handeln (JANICH 2005: 74).
Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wird mit jeder Werbung versucht, verschiedene Zwischenschritte zu erreichen, die im Idealfall aufeinander aufbauen und beim Empfänger eine Rezeptionskette bilden. Das am stärksten vereinfachte und zugleich älteste Modell wird mit der so genannten ‚AIDA-Formel’ wiedergegeben, die auf LEWIS (1896) zurückgeht8. Verallgemeinert ausgedrückt wird darin erklärt, dass Werbung die Aufmerksamkeit (Attention) potentieller Kunden erregen und im Anschluss daran Interesse (Interest) an dem Produkt beziehungsweise dem Produktimage entstehen lassen soll. Ist dieses grundlegende Interesse geweckt, soll eine gründlichere Reflexion der Werbebotschaft ein Gefühl des Bedürfnisses (Desire) nach dem Produkt hervorrufen, dem schließlich in Form einer Kaufhandlung (Action) nachgegeben wird (JANICH 2005: 22 & 85. SCHWEIGER/SCHRATTENECKER 2009: 180f.).
Es ist anzunehmen, dass Flyer genauso wie andere Werbeformen über eine breite Palette an speziellen Bausteinen und Kompositionsmerkmalen verfügen, welche unterschiedliche Teilfunktionen übernehmen, um die letztendliche Aufgabe der Persuasion zu erfüllen. Welche Bausteine und Funktionsweisen dabei angenommen werden können, wird in einem späteren Kapitel erläutert.
II.3. Flyer als Werbemittel ?
Wichtiger Bestandteil werbewissenschaftlicher Arbeiten ist die Distinktion zwischen Werbemitteln und Werbeträgern. Werbemittel sind die eigentlichen verschiedenen Formen, in denen Werbung auftreten kann, also zum Beispiel als Werbespot, Anzeige, Plakat oder Werbepräsentation. „Den Werbeträgern kommt die Funktion zu, die Werbebotschaft an die Zielpersonen heranzutragen.“ (SCHWEIGER/SCHRATTENECKER 2009: 300f.). Hierunter fallen also unter anderem Fernsehen, Radio, Zeitschriften, Plakatwände usw. (ibid. & JANICH 2005: 25).
Dieser Definition nach ist es schwer, Flyer eindeutig zuzuordnen. Sobald ein Handzettel als Beilage einer Branchen- oder Szenezeitschrift erscheint, ist einleuchtend, dass es sich bei der Beilage um das Werbemittel handelt, während die Zeitschrift den Werbeträger darstellt. Doch was ist mit Flyern, die auf anderen und direkteren Wegen in die Hände des Rezipienten gelangen, vielleicht weil sie selbstständig in einem Club aufgesammelt wurden, in dem sie auslagen?9 Im Unterschied zu den meisten anderen Werbemitteln benötigt der Handzettel prinzipiell kein ihn überführendes Trägermedium. Man spricht davon, dass er „werbeträgerfrei“ ist (SCHWEIGER/SCHRATTENECKER 2009: 301). Dem Werbeträger am nächsten kommt in diesem Fall ganz wörtlich die Person, die ihn austeilt, oder der Rezipient selbst, wenn er den Flyer irgendwohin „mitträgt“. In anderen Fällen findet die Vermittlung autark und ohne ein größeres Medium statt.
II.4. Sprache in der Werbung
Die Sprache der Werbung vereint in sich jeden kommunikativen Aspekt, der dazu verwendet wird, die Werbeziele zu erreichen. Wichtig dabei ist, dass ich den Terminus in dieser Arbeit so verwenden möchte, dass auch nichtverbale beziehungsweise nicht-textuelle Aspekte von Werbung als zur Werbesprache gehörig gesehen werden, wie sie gerade auf Flyern vermehrt Verwendung finden. Denn auch Bildsprache beziehungsweise die Übermittlung der Werbeaussage durch visuelle oder gestalterische Mittel gehört zum universellen Sprachcode, der sowohl in Anzeigen als auch Werbespots und Flyern dazu dient, die intendierte Botschaft zu senden und beim Rezipienten bestimmte Assoziationen, Emotionen und idealerweise auch Handlungen hervorzurufen (JANICH 2005: 60ff).
Wenn man sich zunächst auf die verbale Seite konzentriert, die in der Werbung zum Einsatz kommt, dann ist festzuhalten, dass es sich dabei um eine ganz spezielle Anwendungsform von Sprache handelt, die eine Reihe von obligaten Merkmalen aufweist. Die Besonderheit dieser Anwendungsform liegt nicht darin, dass sie willentlich von der gegenwärtigen Alltagssprache divergiert - dadurch würde sie einen Großteil ihrer persuasiven Kraft verlieren -, sondern darin, dass sie bestimmte sprachliche Mittel so gezielt und häufig einsetzt, dass sich daraus ein Merkmal zur Erkennung von Werbesprache ableiten lässt (STAVE 1973: 212).
„Für die Fälle, in denen deutliche Abweichungen von diesem sprachlichen Niveau festzustellen sind, ist anzunehmen, daß es sich weder um versehentliche Entgleisungen […] noch um eine […] aus ästhetischen Gründen so gestaltete Besonderheit handelt, sondern daß sich an diesen Stellen eine „besondere Wirkungsabsicht“ manifestiert.“ (SAUER 1998: 19).
Zum anderen findet man in der Werbesprache zahlreiche Verwendungen anderer Varietäten wie zum Beispiel Jugendsprache, Fachjargon und sogar Umsetzungen dialektaler Besonderheiten, die allesamt dazu dienen bei der gewünschten Zielgruppe die gewünschten Assoziationen entstehen zu lassen (JANICH 2005: 35 & 157ff). Hierzu sollte man auch die hochfrequente Nutzung fremdsprachlicher Ausdrücke und Anleihen rechnen, allen voran die Anglizismen, die in erster Linie dem Zweck dienen, „Modernität und Internationalität zu demonstrieren und überraschend zu wirken“ (JANICH 2005: 114).
Außerdem kann Werbesprache unterstellt werden, dass sie bewusst alltäglich gebräuchliche Vokabeln oder Strukturen aufgreift und diese in ihrem Sinne verändert, um eine bestimmte Wirkung beim Konsumenten zu erzielen. Daher ist Werbsprache also stets in gewisser Weise künstlich, obwohl sie größtenteils aus natürlichen Elementen komponiert ist. Man spricht auch davon, dass sie keine Sprechwirklichkeit besitzt, vielmehr eine „Sprache aus zweiter Hand“ ist (STAVE 1973: 212).
„Also lässt sich resümieren, daß die Sprache der Werbung keine Sondersprache im eigentlichen Sinne ist, sondern lediglich eine instrumentalisierte, zweckgerichtete und ausschließlich auf Anwendung konzipierte Sonderform der sprachlichen Verwendung darstellt […].“ (BAUMGART 1992: 34).
Wenden wir uns nun der non-verbalen Seite der Werbekommunikation zu. Werbung ist fast immer - eine Ausnahme bilden beispielsweise Radiospots - ein visuelles Medium, in welchem die Verwendung von Bildelementen mehrere zentrale Funktionen der angestrebten Kommunikation übernimmt. Zum einen erregen Bilder, gerade wenn sie noch in irgendeiner Form nicht-alltägliches darstellen, Aufmerksamkeit und dienen so als Katalysator für die oben beschriebene Rezeptionskette. Zum anderen macht sich gerade die Werbepsychologie die Tatsache zu nutze, dass Bilder ganzheitlich und dabei sowohl schneller als auch unbewusster als Text aufgenommen werden (JANICH 2005: 60).
„Sie können besser emotionale Inhalte vermitteln, erhöhen […] die Erinnerungswirkung und eigenen sich bei entsprechender Gestaltung andererseits besonders dafür, den Eindruck der Objektivität zu erwecken, weswegen sie oft leichter akzeptiert werden als ein entsprechender Textinhalt.“ (Behrens 1996: 52f.).
Genau wie Fernsehspots oder Plakatwerbung machen sich Flyer diese Kommunikation auf visueller Ebene massiv zu Nutze. Hinzu kommt der Einfluss der Semiotik. Darunter versteht man die immanente Relation eines visuellen Zeichens zu dem von ihm Abgebildeten und die dadurch erfordere Interpretation, die der Rezipient erbringen muss (JANICH 2005: 63). Die Ursprünge der auf Flyern anzutreffenden semiotischen Codes liegen noch in den Geburtsjahren der Handzettel, als die Notwendigkeit zur Geheimhaltung bestand. Damals etablierten sich grundlegende symbolische Relationen wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Abbildung eines Gebäudes auf einem Flyer mit dem House-Musikstil in Verbindung gebracht werden muss (ANDROUTSOPOULOS 2000a: 188). Mittlerweile haben diese Codes eher traditionellen Charakter, werden aber immer noch zumindest auf den so genannten Party-Flyern in mannigfaltigen Variationen verwendet, was sich auch in dem von einem Autor verwendeten Begriff der „semiotischen Spielwiese“ niederschlägt (RIEMEL (Hrsg.) 2005: 42).
III. Suche nach dem Prototyp
III.1. Eine Umfrage
Das vorherige Kapitel hat verdeutlicht, wie schwierig es ist, den Begriff des Flyers auf theoretischer Basis zu definieren, selbst - oder eher gerade - wenn man dazu die Erklärungsversuche der Werbe- und Printindustrie heranzieht, die mit diesem Phänomen heutzutage täglich arbeiten. Darum wurde im Rahmen dieser Arbeit der Versuch unternommen, auf empirischem Wege die primären Assoziationen10 zu ermitteln, die Menschen mit dem Begriff ‚Flyer’ verbinden. Ziel der Umfrage war es, auf diesem Weg ein klareres Bild vom prototypischen Flyer zu erhalten. Als Prototyp soll hier genau die Art von Kernbedeutung verstanden werden, die Roch im Rahmen der „Standardversion“ (KLEIBER 1990/1993: 29) ihrer Prototypensemantik definiert:
“Categories are composed of a "core meaning" which consists of the "clearest cases" (best examples) of the category, "surrounded" by other category members of decreasing similarity to that core meaning.” (ROCH 1973: 112).
III.2. Aufbau und Art der Umfrage
Die Umfrage wurde online im Internet durchgeführt und umfasste elf Fragen, die teilweise als multiple choice oder mit freien Erläuterungen beantwortet werden konnten. Zwei der gestellten Fragen hatten rein demographischen Hintergrund. Insgesamt nahmen 89 Personen an der Umfrage teil, wobei der Altersdurchschnitt bei rund 28 Jahren lag. Die Unterteilung nach Geschlecht betrug mit 44 Frauen und 45 Männern fast 50% zu 50%11. Die Zahl der Informanten war zwar zu gering, um dieser Umfrage starke Repräsentativität zu verleihen, aber es handelte sich um Menschen, die nicht aus dem werbewirtschaftlichen Umfeld stammen und daher eher als typische Empfänger oder Konsumenten des Flyers angesehen werden können. Aus der Analyse der Ausdrücke, die sich in ihren Erklärungen und Beantwortungen der Fragen mit wiederkehrender Häufigkeit fanden, erhält man eine grobe Eingrenzung der Semantik, welche die Begrifflichkeit eines prototypischen Flyers in der Alltagssprache mit Bedeutung füllt.
III.3. Was ist ein Flyer?
Die erste Frage bezog sich auf die generellen Assoziationen, die durch das Wort ‚Flyer’ hervorgerufen werden. Diese Frage konnte von den Informanten frei beantwortet werden. Bei der Auswertung fiel eine Reihe verschiedener Begriffe und Ausdrücke auf, die sich mit deutlicher Häufigkeit in den gegebenen Antworten wiederholten. Um die Ergebnisse eindeutig und darstellbar zu machen, wurden Ausdrücke in Gruppen zusammengefasst, wenn sie in die gleiche assoziative Richtung deuteten und außerdem in mehreren Antworten genannt wurden. Bei der Zählung der Gesamtnennungen ergab jede Verwendung eines Begriffs, der in eine der Gruppen eingeordnet werden konnte, einen Treffer unabhängig davon in welcher Antwort er genannt wurde. Somit konnten die Antworten verschiedener Personen also in unterschiedlich vielen Kategorien jeweils maximal einen Treffer erzielen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Gesamtnennungen der verschiedenen Schlüsselgruppen
Abbildung 6 zeigt deutlich die beiden Kategorien, welche mit jeweils 39 Nennungen die größte Häufigkeit an verwendeten Ausdrücken aufweisen. Die erste davon wurde „explizite Werbung“ genannt. Sie beinhaltet Begriffe, die eine konkrete, kommerzielle Werbeabsicht unterstellen, wie zum Beispiel „Werbebotschaft“, „Werbezwecke“, aber auch „(Werbung) für ein Produkt“ oder „für eine Dienstleistung“.
Demgegenüber steht die Kategorie „Allgemeine Information“. Wenn eine Antwort beinhaltete, dass Flyer in irgendeiner Form über etwas informieren, ohne eine explizite kommerzielle (Werbe-)Absicht zu unterstellen, wurde sie hierzu gezählt. Mir 20 Nennungen kommt diese Kategorie zwar erst an dritthäufigster Stelle, aber dennoch tauchten Begriffe in diesem Assoziationsrahmen mit auffallender Frequenz auf. Natürlich ist es schwierig, Ausdrücke wie „informieren über ein Produkt“ exakt einzuordnen, da man dabei nicht weiß, ob der- oder diejenige ausschließlich nicht-kommerzielle Information meinte. Da aber auch Werbung in gewissem Maße informiert ohne dabei stets deutlich ihre persuasive Funktion zu enthüllen, kann man im Hinblick auf die allgemeine Zielsetzung dieses Kapitels die beiden Kategorien „explizite Werbung“ und „allgemeine Information“ als ineinander übergehende Assoziationen werten.
Hierzu sollte auch die auffallend niedrige Gesamtzählung der Gruppe „politische Motivation“ betrachtet werden, da sie mit lediglich einer Nennung quasi die oppositionelle Begrenzung des semantischen Rahmens darstellt, den die beiden vorher besprochenen Gruppen widerspiegeln. Nur eine Person von 89 verwendete den Begriff „politisch[e]“ in ihrer Definition des Begriffs ‚Flyer’. Wie bereits im Kapitel über die historischen Ursprünge dieser Werbeform erwähnt, kann man dies durchaus als eine Art definitio ex negativo sehen12.
Die zweite Kategorie, die mit 39 von 89 die meisten Nennungen aufwies, war „Assoziation über äußere Gestaltung und Umfang“. Bei der Auswertung der Antworten fiel sehr stark auf, dass viele Informanten immer wiederkehrende Ausdrücke verwendeten, um auf die physische Größe der Flyer zu rekurrieren. In fast vierzig registrierten Erklärungsversuchen fielen Begriffe wie „ein kleines Stück Papier“ oder „Stück Papier in Handflächengröße“. Zusätzlich war häufig eine genaue Beschreibung anhand standardisierter Druckgrößen vertreten: „ein Blatt kleiner A5“ oder „ein(en) Din A 6-4 großen Zettel“. Alle diese Beschreibungen wurden für die Kategorie „Assoziation über äußere Gestaltung und Umfang“ gewertet.
Als Sonderfall ist hierbei die Verwendung von DiminutivKonstruktionen zu nennen. Auch der Ausdruck „Werbeblättchen“, der insgesamt zweimal vorkam, wurde als Nennung im Sinne dieser Gruppe gezählt, denn er trägt ebenfalls eine Konnotation im Bezug auf die Größe mit sich, die — aus Sicht des Sprechers — einen bestimmten Wert nicht überschreiten darf beziehungsweise eines physischen Umfang, der kleiner ausfällt als bei anderen schriftlichen Werbeträgern.
In eine ähnliche Richtung, allerdings auf inhaltlicher Ebene, gingen die Ausdrücke, die für die nächste Gruppe gewertet wurden. In insgesamt 33 Fällen verwendeten die Informanten in ihren Erläuterungen Begriffe und Konstruktionen, die man generalisierend als „Assoziation über sprachliche Gestaltung und Umfang“ zusammenfassen kann. Beispiele hierfür sind „kurz und bündig“, „in kurzen Sätzen“ oder „möglichst prägnant“. Bezeichnend ist, dass alle Ausdrücke in die semantische Richtung knapper und in irgendeiner Form komprimierter Information tendieren. Ein zusätzliches Merkmal ist, dass diese Informationen typischerweise auf die wesentlichsten Bestandteile reduziert sind. Die auffallend häufige Verwendung von Ausdrücken wie „die wichtigsten Informationen zu einem bestimmten Thema“ oder „wichtige Fakten“ belegen dieses Merkmal. Erläuterungen, die in diese Richtung gingen, wurden ebenfalls für die Kategorie „Assoziation über sprachliche Gestaltung und Inhalt“ gewertet.
Die in Abbildung 6 gezeigten Gruppen „öffentliches Ausliegen“, „Briefkasteneinwurf/ Post“ und „(persönliche) Verteilung“ beinhalten Aussagen, die die Art und Weise betrifft, wie Flyer an die Rezipienten vermittelt oder auf welchem Weg ein Flyer generell erhalten werden kann. Die Kategorien wurden angelegt, um zu zeigen, dass das Merkmal der Vermittlung für einige der Informanten so wichtig erschien, dass sie darauf in ihren allgemeinen Erläuterungen explizit eingingen. Zählt man alle derartigen Nennungen zusammen und erfasst sie unter dem Merkmal der Übermittlung, so kommt meine Auswertung auf 17 Antworten, in denen ein entsprechender Vermerk verbalisiert wurde. Eine genauere Besprechung folgt in einem späteren Abschnitt.
Ein weiterer Sonderfall ist die Kategorie „Veranstaltung/ Einladung“. Mit insgesamt 19 Nennungen stellt sie die vierthäufigste dar und fasst die Nennungen aller Antworten zusammen, in denen ein Proband den konkreten Inhalt eines typischen Flyers in der Art beschrieb, dass darin zu einer bestimmten (Tanz-)Veranstaltung eingeladen werde. Diese assoziative Gruppe wird hier aufgeführt, weil derartige Nennungen mit auffallender Häufigkeit auftauchten. Daraus ist zu ersehen, dass für eine erhöhte Anzahl an Probanden die Assoziation mit diesem bestimmten Werbeobjekt13 so immanent war, dass sie mehrfach Eingang in den allgemeingültigen Erklärungsversuch des Begriffs Flyer erhielt. In Abschnitt III.5. wird daher genauer auf die Frage nach dem Werbeinhalt eingegangen.
III.4. Wie „groß“ ist ein Flyer?
Im vorherigen Unterkapitel zeigte sich, dass zwei der häufigsten Begriffskategorien sich mit der visuellen und inhaltlichen Gestaltung von Flyern befassten. Dabei wurde beobachtet, dass die mit auffallender Frequenz verwendeten Begriffe allesamt die Assoziation mit Kürze, Handlichkeit und Prägnanz hervorriefen. Um diesem offenbar von der eindeutigen Mehrzahl der Befragten empfundenen Merkmal noch genauer nachzugehen, werde ich nun auf ein paar der anderen Fragen, die gestellt wurden, eingehen.
Zunächst gab es die Frage nach der Seitenanzahl eines typischen Flyers. Sie ergab einen Durchschnittswert von 1,6 Seiten. Eine genauere Einschätzung davon, was mit diesem Wert gemeint sein könnte, ergab die Auswertung einer weiteren Frage, die in Abbildung 7 dargestellt ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7: Eingaben auf die Frage „Ein Flyer besteht immer aus…“
Diese Frage ermöglichte eine multiple choice Antwort mit den vorgefertigten Auswahlmöglichkeiten. Dies war deshalb wichtig, um die Befragten einerseits nicht zu sehr in eine bestimmte Richtung zu drängen
[...]
1 Etwas abweichende Angaben finden sich bei RIEMEL (2005: 245).
2 Es wurden allerdings auch vorher bereits fliegende Blätter mithilfe der Holzschnitttechnik produziert (siehe dazu KÖRNER 1979: 84ff.).
3 Mehr dazu in Kapitel III und IV.
4 Man schätzt heute den Preis für ein Flugblatt auf den Stundenlohn eines Handwerkers; je nach Quelle sogar das Vier- oder Fünffache.
5 (to) rave - “1. To be mad, to show signs of madness or delirium. 2. To give oneself over to enjoyment; […] to depart rowdily or with the intention of having a good time.” (The Oxford English Dictionary 1989: 230, volume XIII).
6 Für eine ausführlichere Beschreibung siehe Kapitel IV. 13
7 Mehr zur Assoziativität des Wortes ‚Flugblatt’ in Kapitel II.7.
8 So zu finden bei Schweiger/Schrattenecker 2005: 180.
9 Zur genaueren Betrachtung der Verteilungsmöglichkeiten von Flyern siehe III.6. 19
10 Unter Assoziation versteht man „In der Psychologie [den] Vorgang der Bewusstseinsverknüpfung von zwei oder mehreren Vorstellungsaspekten.“ (BUSSMANN - Lexikon der Sprachwissenschaft: 101).
11 Zu allen Angaben der Umfrageergebnisse siehe: Anhang, Teil 2+3. 23
12 Siehe hierzu die abweichenden Ergebnisse der Auswertung in Kapitel III.7. 25
13 Hier nicht als konkretes Produkt, sondern als allgemeiner werbewissenschaftlicher Terminus gemeint (siehe hierzu SCHWEIGER/SCHRATTENECKER 2009: 174).
- Quote paper
- M.A. Alexander Windeck (Author), 2009, Werbephänomen - Flyer und ihre Sprache, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187680
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