Die Lebenserwartung der Menschen ist im letzten Jahrhundert in den meisten Staaten um durchschnittlich 25 bis 30 Jahre gestiegen. Langlebigkeit und Risiko werden daher nicht zwingend miteinander verbunden. Schließlich stellt ein langes und gesundes Leben für jeden
Einzelnen eher ein erfreuliches und erhofftes Ziel dar. Verständlicherweise ist der Begriff Langlebigkeitsrisiko daher auch in die engere Wahl für das Unwort des Jahres 2005 gekommen.2
Aus Sicht der Anbieter von Renten- und Krankenversicherungen sowie Pensionskassen und -fonds sieht die Situation hingegen anders aus. Schließlich ist es für sie entscheidend, ob zukünftige Rentenzahlungen im Schnitt 15 oder 20 Jahre gezahlt werden. Die öffentliche Diskussion um den demographischen Wandel hat dieses Risiko deutlich gemacht. Immer weniger jungen Menschen steht eine steigende Generation vitaler und aktiver Senioren gegenüber. Dies führt zu sinkenden finanziellen Ressourcen von staatlichen und privaten Rentenkassen.
Mit den Langlebigkeitsprodukten hat sich in den letzten Jahren ein neuer Markt derivativer Finanzinstrumente zur Absicherung des Langelebigkeitsrisikos entwickelt. Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Entwicklung dieser Produkte sowie mögliche Instrumente zur Messung des Risikos. Ferner werden die damit verbundenen Chancen und Risiken analysiert. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer bundesweiten Umfrage untersucht, wie die Sparkassen und öffentlichen Versicherer dieser Entwicklung gegenüberstehen. Die Ergebnisse verdeutlichen, wie tief greifend sich die öffentlich-rechtlichen Finanzdienstleister bereits mit dem Thema Langlebigkeit und möglichen Produkten auseinandergesetzt haben.
[...]
1 Vgl. Antolin (2007), S. 5.
2 Vgl. GfdS (2010), http://www.gfds.de/aktionen/wort-des-jahres/unwoerter-des-jahres/ v. 26.04.2010.
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Langlebigkeit - Herausforderungen einer alternden Gesellschaft
2.1 Demographischer Wandel
2.1.1 Allgemeine Entwicklung
2.1.2 Situation in Deutschland
2.2 Risikofaktoren der Langlebigkeit
2.2.1 Longevity Risk - Begriffsdefinition
2.2.2 Biometrische Risiken
2.2.3 Ökonomische Risiken
2.3 Allgemeine Bedeutung für den Kapitalmarkt
2.3.1 Versicherungen
2.3.2 Pensionsfonds
2.3.3 Kreditinstitute
3 Produkte und Indizes zur Absicherung des Langlebigkeitsrisikos
3.1 Traditionelle Risikoabsicherung
3.2 Longevity Bonds
3.2.1 Ausprägungsformen von Langlebigkeitsanleihen
3.2.2 Der Swiss Re Mortality Bond
3.2.3 Der EIB/BNP Longevity Bond
3.3 Mortalitäts Swap
3.4 Longevity Futures und Optionen
3.5 Messung von Langlebigkeitsrisiken
3.5.1 Stochastische Mortalitätsmodellierung
3.5.1.1 Das Gompertz-Makeham-Modell
3.5.1.2 Das Lee-Carter-Modell
3.5.1.3 Weitergehende Entwicklungen und Besonderheiten der Modellierung
Master Thesis Sven Hagendorff
3.5.2 Indizes zur Messung des Langlebigkeitsrisikos
3.5.2.1 LifeMetrics
3.5.2.2 Deutsche Börse Xpect Indizes
3.6 Einsatzfelder von Longevity Products
3.6.1 Marktentwicklung
3.6.2 Stakeholder
3.6.3 Chancen und Risiken
3.7 Aufsichtsrechtliche Herausforderungen
4 Bedeutung des Langlebigkeitsrisikos für öffentlich-rechtliche Finanzdienstleister
4.1 Inhalt und Umfang der Befragung
4.2 Analyse und Bewertung der Sparkassenbefragung
4.3 Analyse der Befragung der öffentlichen Versicherer
5 Resümee
Management Summary
Anhangverzeichnis
Literaturverzeichnis
Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der Absterbeordnung für eine Kohorte von 100.000 Personen 1871/81 und 2002/04
Abbildung 2: Entwicklung der Lebenserwartung von Männern seit
Abbildung 3: Zusammenhang von Langlebigkeitsrisiko und Kapitalmarkt
Abbildung 4: Grundtypen von Longevity Bonds
Abbildung 5: Struktur des Swiss Re Mortality Bond
Abbildung 6: Struktur des EIB/BNP Bond
Abbildung 7: Grundstruktur eines Longevity Swap
Abbildung 8: Modelle zur Mortalitätsbewertung
Abbildung 9: Potentielle Absicherer und Investoren des Langlebigkeitsrisikos
Abbildung 10: Beteiligungsquote an der Sparkassenumfrage
Abbildung 11: Demographischer Wandel und Langlebigkeit - Bedeutung für Sparkassen
Abbildung 12: Bewertung ausgewählter Risikoarten
Abbildung 13: Einfluss von demographischem Wandel und Langlebigkeit im Vergleich
Abbildung 14: Demographischer Wandel und Langlebigkeit - Wahrnehmung im Vergleich
Abbildung 15: Einschätzung und Erwartungen gegenüber öffentlichen Versicherern
Abbildung 16: Einsatz von Langlebigkeitsprodukten als Anlageinstrument im Eigenhandel
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Pensionsverbindlichkeiten im internationalen Vergleich
Tabelle 2: Ausprägungsformen von Longevity Bonds
Tabelle 3: Überblick aktuell bekannter Longevity Swaps 2008/09
Kurzfassung
Die Lebenserwartung der Menschen ist im letzten Jahrhundert in den meisten Staaten um durchschnittlich 25 bis 30 Jahre gestiegen.1 Langlebigkeit und Risiko werden daher nicht zwingend miteinander verbunden. Schließlich stellt ein langes und gesundes Leben für jeden Einzelnen eher ein erfreuliches und erhofftes Ziel dar. Verständlicherweise ist der Begriff Langlebigkeitsrisiko daher auch in die engere Wahl für das Unwort des Jahres 2005 gekommen.2
Aus Sicht der Anbieter von Renten- und Krankenversicherungen sowie Pensionskassen und -fonds sieht die Situation hingegen anders aus. Schließlich ist es für sie entscheidend, ob zu- künftige Rentenzahlungen im Schnitt 15 oder 20 Jahre gezahlt werden. Die öffentliche Diskussion um den demographischen Wandel hat dieses Risiko deutlich gemacht. Immer weniger jungen Menschen steht eine steigende Generation vitaler und aktiver Senioren gegenüber. Dies führt zu sinkenden finanziellen Ressourcen von staatlichen und privaten Rentenkassen.
Mit den Langlebigkeitsprodukten hat sich in den letzten Jahren ein neuer Markt derivativer Finanzinstrumente zur Absicherung des Langelebigkeitsrisikos entwickelt. Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Entwicklung dieser Produkte sowie mögliche Instrumente zur Messung des Risikos. Ferner werden die damit verbundenen Chancen und Risiken analysiert. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer bundesweiten Umfrage untersucht, wie die Sparkassen und öffentlichen Versicherer dieser Entwicklung gegenüberstehen. Die Ergebnisse verdeutlichen, wie tief greifend sich die öffentlich-rechtlichen Finanzdienstleister bereits mit dem Thema Langlebigkeit und möglichen Produkten auseinandergesetzt haben.
1 Einleitung
Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung sowie niedrige Geburtenraten haben den demographischen Wandel in den letzten Jahren in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen gerückt. Finanzdienstleister sind immer stärker gefordert, sich den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen. Auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) widmet sich seit 2007 mit einem Projekt dem demographischen Wandel und dessen Bedeutung für die Sparkassen-Finanzgruppe.3 Dabei liegt der Fokus dieser Betrachtungen auf den Anforderungen an die Personal- und Vertriebspolitik der Institute. Hingegen wurden betriebswirtschaftliche Aspekte der Ertrags- und Risikosteuerung bislang zumeist unter dem Blickwinkel der Notwendigkeit zur Ausweitung von Marktanteilen in jüngeren Zielgruppen betrachtet.4
Zahlreiche Veröffentlichungen und Studien zur demographischen Entwicklung verdeutlichen die Auswirkungen der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung sowie der niedrigen Geburtenraten auf die Altersvorsorge-, Kranken- und Pflegeversicherungssysteme. Von diesem Trend sind nicht nur die staatlichen Sozialsysteme, sondern zunehmend auch Finanzdienstleister betroffen. So birgt die Langlebigkeit für Versicherungen und Fonds- gesellschaften das Risiko unvorhersehbarer und vor allem verlängerter Zahlungsleistungen. Gleichzeitig bietet sich die Chance, durch die Entwicklung neuer Finanzprodukte das Langlebigkeitsrisiko abzusichern oder es als Diversifikationsinstrument zu nutzen.
Vor diesem Hintergrund hat sich in den letzten Jahren mit den so genannten Langlebigkeitsprodukten (engl. Longevity Products) eine neue Form von derivativen Finanzinstrumenten entwickelt. Sie stoßen auf zunehmendes Interesse in der Wissenschaft, bei Versicherungen und auf dem Kapitalmarkt.
Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen werden in der vorliegenden Arbeit nach einer kurzen Betrachtung der Herausforderungen des demographischen Wandels zunächst das Langlebigkeitsrisiko und dessen Bedeutung für den Kapitalmarkt dargestellt. Im Anschluss widmet sich die Arbeit den am Markt vorhandenen Langlebigkeitsprodukten und -indizes. Diese sind wesentliche Motivation für die vorliegende Arbeit. Neben einer kurzen Diskussion zur Messung und Bewertung dieser Produkte werden mögliche Einsatzfelder aufgezeigt.
Zudem interessiert die Fragestellung, ob die Produkte und Indizes bereits ausgereift sind. Folglich rundet die Darstellung der Chancen und Risiken den Produktfokus ab.
Im vierten Kapitel wird die Bedeutung des Langlebigkeitsrisikos für öffentlich-rechtliche Finanzdienstleister untersucht. Grundlage hierfür ist eine Befragung bei den deutschen Sparkassen sowie den öffentlichen Versicherern. Die Arbeit endet mit einem Resümee zur Einschätzung der weiteren Entwicklung von Longevity Products sowie deren zukünftiger Bedeutung für öffentlich-rechtliche Finanzdienstleister.
2 Langlebigkeit - Herausforderungen einer alternden Gesellschaft
Der medizinische und technische Fortschritt hat in den vergangenen 150 Jahren zu einer deutlichen Verlängerung des durchschnittlichen Lebensalters der Bevölkerung beigetragen.5 Gleichzeitig sind steigende Kosten im Gesundheitswesen festzustellen. Dies belegt die steigende Zahl an Pflegebedürftigen.6 Die Langlebigkeit der Menschen stellt somit eine wachsende Herausforderung für die Gesellschaft dar.
2.1 Demographischer Wandel
Ursachen für diese Entwicklung sind im Wesentlichen im demographischen Wandel zu finden. Seit vielen Jahren weicht die Bevölkerungsstruktur von der idealen Vorstellung der klassischen Bevölkerungspyramide ab.7 Diese Entwicklung wird dauerhaft zu Finanzierungsproblemen der staatlichen Sozialversicherungssyteme führen. Dies ist mindestens seit den 80-iger Jahren bekannt.8 Eine genaue Betrachtung des demographischen Wandels verdeutlicht, welchen Veränderungen sich der Staat, aber auch Unternehmen und Institutionen, insbesondere Finanzdienstleister, stellen müssen.
2.1.1 Allgemeine Entwicklung
Die Weltbevölkerung wächst jährlich um etwa 80 Millionen Menschen.9 Gleichzeitig ist in den vergangenen 50 Jahren ein weltweiter Anstieg der Lebenserwartung zu beobachten. So hat sich beispielsweise die Lebenserwartung französischer Frauen von weniger als 30 Jahren zum Ende des 18. Jahrhunderts um mehr als 150 Prozent auf heute rund 84 Jahre erhöht. In Australien haben heutige Rentner über 60 Jahre eine Chance von 60 Prozent älter als 90 Jahre zu werden. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent erreichen heute in Japan geborene Mädchen bereits das 100. Lebensjahr.10 Dieser Trend wird sich nach Prognosen des Max- Planck-Instituts für demographische Forschung in den kommenden Jahren fortsetzen.11
Die Vereinten Nationen gingen in den 1970er und 1980er Jahren von einem Anstieg der Lebenserwartung in entwickelten Ländern von zwei Jahren und in weniger entwickelten Län- dern von zweieinhalb Jahren innerhalb einer Fünf-Jahres-Periode aus. In den meisten Ländern ist diese Prognose bislang auch eingetreten. Dennoch ist in afrikanischen und osteuro- päischen Ländern eine stagnierende bzw. fallende Lebenserwartung festzustellen.12 Die Ursache hierfür liegt zumeist in der unterschiedlichen wirtschaftlichen und medizinischen Entwicklung dieser Länder.
Insgesamt hat sich die Lebenserwartung somit weltweit deutlich verlängert. In den kommenden Jahren wird diese Veränderung nicht nur einzelne Branchen, wie z.B. das Gesundheitswesen, sondern die gesamte Volkswirtschaft vor neue Herausforderungen stellen.
2.1.2 Situation in Deutschland
In Deutschland sind seit mehr als 130 Jahren ein kontinuierlicher Rückgang der Sterblichkeit und ein Anstieg der Lebenserwartung zu beobachten. Allein im Zeitraum 1971 bis 2005 nahm die Lebenserwartung bei Frauen pro Jahr um rund 2,9 Monate zu. Bei Männern betrug der Anstieg sogar 3,25 Monate pro Jahr.13 Die Fortschritte in der medizinischen Versorgung, der Hygiene, der Ernährung sowie der Wohnsituation und den verbesserten Arbeitsbedingungen haben maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen.14
Seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 werden regelmäßig Periodensterbetafeln veröffentlicht.15 Sie werden heutzutage jährlich vom Statistischen Bundesamt erstellt und legen die Entwicklung der Sterbewahrscheinlichkeit für jedes Alter im Zeitverlauf bis heute dar.16 Abbildung 1 verdeutlicht in einer Absterbeordnung von 100.000 Personen die Veränderung der Sterblichkeit von Männern und Frauen in Deutschland. Dabei ist besonders der Rückgang der Sterblichkeit in jüngeren Lebensjahren auffällig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklung der Absterbeordnung für eine Kohorte von 100.000 Personen 1871/81 und 2002/04.17
Babel hat im Rahmen einer stochastischen Modellierung die Entwicklung der Absterbeordnung bis zum Jahr 2050 fortgeschrieben. Danach ist allein bei Frauen mit einer Rechtsverschiebung der Kurve um circa vier Lebensjahre zu rechnen.18
1875 betrug die Lebenserwartung bei Geburt für Jungen durchschnittlich 40 Jahre. Im Jahr 2004 lag die Lebenserwartung von neugeborenen Jungen mit 87,5 Jahren bereits mehr als doppelt so hoch.19 Haupteinflussfaktor für diese Veränderung war die Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit.20
Darüber hinaus ist der Anstieg der verbleibenden Lebenserwartung der 65-Jährigen im gleichen Betrachtungszeitraum von rund 12 Jahren auf über 25 Jahre beachtlich. Einbrüche in der Lebenserwartung waren lediglich bei den Neugeborenen in den Kriegsgenerationen des 1. und 2. Weltkrieges festzustellen. Abbildung 2 stellt diese zügige Entwicklung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zusammenfassend dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklung der Lebenserwartung von Männern seit 1875.21
Neben der längeren Lebenserwartung ist die allgemeine Bevölkerungsentwicklung in Deutschland signifikant. Allein im früheren Bundesgebiet liegt die zusammengefasste Geburtenrate (Fertilitätsrate) seit fast 30 Jahren bei circa 1,4 Kindern je Frau.22 Folglich wird jede Elterngeneration nur zu etwa zwei Dritteln durch Kinder ersetzt.23 Diese beiden Faktoren, steigende Lebenserwartung und niedrige Fertilitätsraten, tragen maßgeblich zu einer immer älteren und zugleich schrumpfenden deutschen Bevölkerung bei.24
Der Bevölkerung im Erwerbsalter werden zukünftig immer mehr Senioren gegenüberstehen. Dies verdeutlichte das Statistische Bundesamt 2006 in seiner 11. koordinierten Bevölkerungs- vorausberechnung. Danach entfielen 2005 auf 100 Personen im Erwerbsalter zwischen 20 und 65 Jahren 32 Personen, die das 65. Lebensjahr bereits überschritten haben. Dieser so genannte Altenquotient wird sich bis zum Jahr 2050 nahezu verdoppeln.25
2.2 Risikofaktoren der Langlebigkeit
Mit der stetig wachsenden Lebenserwartung steigt auch die Anzahl der Menschen mit erhöh- ter Morbidität.26 Dabei ist insbesondere ein Anstieg von chronisch-degenerativen Erkran- kungen festzustellen.27 Das Gesundheitssystem sowie private und gesetzliche Rentenversiche- rungen spüren bereits heute diese Entwicklung. Allein von 1981 bis 2001 ist die durch- schnittliche Rentenbezugsdauer bei Männern in Deutschland von rund 11 Jahren auf über 15 Jahre und bei Frauen von 14 Jahren auf fast 20 Jahre angestiegen.28 Folglich werden die steigende Bezugsdauer der Renten und gleichzeitig wachsende Ausgaben für die Pflege im Alter zunehmend zu einem Risikofaktor für Versicherungen und die Sozialsysteme.29
2.2.1 Longevity Risk - Begriffsdefinition
Die präzise Vorhersage der künftigen Sterberaten hat eine hohe Bedeutung für die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme, von Lebensversicherungen und Pensionskassen.30 Schließ- lich hängt deren Kostenentwicklung maßgeblich von den künftigen Sterblichkeitsraten ab. Daneben sind die privaten Haushalte von dem unsicheren Todeszeitpunkt betroffen. Verstirbt der Haushaltsvorstand zu früh, kann das Finanzvermögen nicht vollständig aufgezehrt werden. Lebt der Haushaltsvorstand länger als stochastisch modelliert, sind die Ersparnisse bereits zu früh aufgezehrt. Die erste Risikoausprägung wird wissenschaftlich als Kurzlebigkeitsrisiko und das zweite Phänomen als Langlebigkeitsrisiko (engl. Longevity Risk) diskutiert.31
Das letztgenannte Risiko beinhaltet im Wesentlichen biometrische Risikofaktoren. Darüber hinaus nimmt das Langlebigkeitsrisiko eine herausragende Stellung für die Institutionen ein, welche ein lebenslanges fixes Zahlungsversprechen gewähren.32 Folglich entstehen für sie weitergehende Risiken, welche auch aus ökonomischer Sicht einen maßgeblichen Einfluss auf den Kapitalmarkt haben können.
2.2.2 Biometrische Risiken
Ausgangsbasis für die Kalkulation von Versicherungsprodukten sind Sterbetafeln. Sie spielen bei der Risikomessung eine zentrale Rolle.33 Immerhin rührt die Belastung der Langlebigkeit für Versicherer, Pensionskassen und die sozialen Sicherungssysteme zumeist aus falschen biometrischen Annahmen in der Sterblichkeitsprognose.34 In Folge werden u.a. Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen nicht in ausreichender Höhe gebildet.
Grundlage für die Ermittlung und Bewertung des Langelebigkeitsrisikos stellen die bereits erwähnten Periodesterbetafeln, wie beispielsweise von Heubeck-Fischer, dar.35 Sie ermöglichen eine Darstellung der Lebenserwartung bei Geburt. Ein heute 30-Jähriger hat nach diesen Berechnungen mit 70 Jahren dieselbe Sterbewahrscheinlichkeit wie ein heute 70-Jähriger. Folglich wird die künftige Sterblichkeitsverbesserung nicht berücksichtigt.36
Durch Änderungen in den Periodentafeln ergaben sich in der Vergangenheit immer wieder erhebliche Bewertungssprünge für die betroffenen Institutionen, während die Zusagen bzw. Zahlungsverpflichtungen unverändert blieben. Um das biometrische Risiko besser zu messen, erschien 2004 von Heubeck eine Generationentafel. Hierbei wird die zukünftige Entwicklung der Lebenserwartung geburtsjahrespezifisch dargestellt.37
Die veränderte Darstellung erlaubt eine realitätsnahe Modellierung. Gleichwohl ist eine vollständige Abdeckung des Langlebigkeitsrisikos auch hierdurch nicht möglich. Rentenversicherungen werden meist von Personen abgeschlossen, die sich selbst für gesund halten. Daher ist die Sterblichkeit dieser Versicherten geringer als die durchschnittliche Sterblichkeit der Gesamtbevölkerung. Sie liegt bei Männern bei rund 65 %, bei Frauen bei 76 % der Sterblichkeit von Männern bzw. Frauen in der Gesamtbevölkerung.38
Aus diesem Grund veröffentlichen Institutionen wie die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) eigene Sterbetafeln. Diese Tafeln berücksichtigen die erläuterten Abweichungen. Daneben wurden in den letzten Jahren verschiedene Mortalitätsmodelle entwickelt. Sie modellieren die zukünftige Sterblichkeitserwartung.39 Diese sind Ausgangspunkt für die Kalkulierung von Prämien und dienen der Bewertung der Risikoreserve von Versicherungs- gesellschaften. Die bekanntesten Modelle von Gompertz-Makeham und Lee-Carter werden in Kapitel 3.5 vorgestellt.
In der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) hat das biometrische Risiko seit 2007 in Form des Nachhaltigkeitsfaktors (NHF) Berücksichtigung gefunden. Der NHF ergänzt die bestehende Rentenformel. Bezugsgröße ist hierbei der Rentnerquotient (RQ), wobei ein Äquivalenzrentner ins Verhältnis zu Äquivalenzbeitragszahlern gestellt wird. Durch den NHF erhöhen sich die Renten bei steigendem RQ in einem geringeren Ausmaß als die Bruttolöhne. Dies geschieht durch einen Vergleich des Barwertfaktors des aktuellen Rentnerjahrgangs (RQt-1) mit dem Barwertfaktor des vorherigen Rentnerjahrgangs (RQt-2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Größe wird mit einer fixen Größe multipliziert. Sie wurde vom Gesetzgeber mit 0,25 festgelegt und soll ein konstantes Beitragsniveau für die Rentenversicherung bis zum Jahr 2030 bewirken.40 Diese Lösung kann die finanzielle Belastung der Alterung nicht verhindern. Dennoch helfen diese Ansätze die Kosten ökonomisch und generationengerecht zu verteilen. Fraglich ist jedoch, ob die dargestellten biometrischen Risiken dauerhaft negative Wirkungen für die Ökonomie zur Folge haben.
2.2.3 Ökonomische Risiken
Durch die Veränderungen in der GRV haben die private und betriebliche Altersvorsorge in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Versicherer, Pensionskassen und Kreditinstitute dürften bei Vorsorgeverträgen noch bis 2030 mit Kapitalzuflüssen rechnen. Danach wird ein Gleichgewicht von Kapitalanlagen und -abflüssen erwartet.41 Um die ökonomischen Auswirkungen zu verdeutlichen, ist eine nähere Betrachtung der Pensionsverpflichtungen (Defined Benefit Obligations - DBO) von Unternehmen angebracht.
Tabelle 1 zeigt, dass die DBO in Deutschland Ende 2006 etwa ein Drittel der gesamten Marktkapitalisierung im Deutschen Aktienindex (DAX) ausmachten. In Relation zum Pensionsvermögen bestand zudem eine Unterdeckung von 39 %.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Pensionsverbindlichkeiten im internationalen Vergleich.42
Die Unterdeckung in DAX-Unternehmen ist im prozentualen Vergleich zum amerikanischen S & P 500 viermal höher. Ferner erfolgt bei Pensionsverpflichtungen nach Internationalen Rechnungslegungsstandard (IFRS) und der überarbeiteten Bewertungsregelungen im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) u.a. eine pauschale Bewertung von Pensionsrückstellungen. Diese Faktoren unterstreichen die Bedeutung des Langlebigkeitsrisikos aus ökonomischer Sicht.43
Bilanzielle Risiken stellen nicht zwangsläufig ökonomische Risiken dar. Gleichwohl führt der Anstieg der Lebenserwartung zu steigenden Risiken für die Teilnehmer am Kapitalmarkt. So hätte allein für die im britischen FTSE 10044 gelisteten Unternehmen eine realistische Einschätzung der Lebenserwartung im Jahr 2006 zu einer Anpassung der Pensionsrück- stellungen in Höhe von 50 Mrd. geführt.45 Folglich unterstrich Rhiel 2008 in seinem Vortrag der DAV-Jahrestagung berechtigt die inflationäre Wirkung niedriger Geburtenraten.46 Dies lässt deutliche Kostensteigerungen für die Kapitalmarktteilnehmer erwarten.
2.3 Allgemeine Bedeutung für den Kapitalmarkt
Vor dem Hintergrund des dargestellten Risikos beurteilt die DAV die zuverlässige Vorher- sage der zukünftigen Sterberaten als eine der größten Herausforderungen der deutschen Versicherungs- und Pensionsindustrie.47 Während der Staat seine Leistungen reduzieren bzw. auf dem bestehenden Niveau einfrieren kann, haben Versicherer, Pensionsfonds und andere Finanzdienstleister grundsätzlich keine Alternative die zugesicherten Leistungen einzu schränken.48 Vielmehr wird für diese Unternehmen die Bedeutung des Langlebigkeitsrisikos weiter zunehmen, weil ein verstärkter Bedarf zur privaten Altersvorsorge besteht. Folglich entsteht für sie ein höherer Absicherungsbedarf, da zahlreiche Versicherte länger leben als ursprünglich kalkuliert.49 Gleichzeitig stellt das Langlebigkeitsrisiko unter Diversifikationsgesichtspunkten als Asset-Klasse ein neues Anlageinstrument dar.50
2.3.1 Versicherungen
Rentenversicherungen versprechen dem Anleger eine lebenslange garantierte Rente. Das Risiko aus Sicht des Rentenzahlers wird bei dieser Betrachtung jedoch vernachlässigt.51 Versicherer gehen bei der Bemessung der Sterbewahrscheinlichkeit in der Regel von einem deterministischen Ansatz aus. Sterblichkeitsraten werden dabei zu jedem Zeitpunkt als bekannt unterstellt.52 Gleichwohl können kalkulierte Sterblichkeitsraten nicht als konstant angesehen werden. Somit gewinnt das Langlebigkeitsrisiko durch die Veränderung in der Sterblichkeit an Bedeutung.
Die möglichen Konsequenzen des Langlebigkeitsrisikos waren erstmals im Dezember 2000 spürbar, als die Equitable Life Assurance Society (ELAS) keine neuen Geschäfte mehr ab- schließen durfte. Durch den Handel von Pensionsplänen mit garantierten fixen Rentenzah- lungen erzielte die ELAS zwischen 1957 und 1988 hohe Gewinne. Auf Grund fallender Zinsen und steigender Lebenserwartung stieg der Wert dieser Optionen in den 90er-Jahren deutlich an. Wegen der daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen geriet die ELAS in finanzielle Schwierigkeiten. Diese Situation hätte durch Abschätzung des Risikos und ein angemessenes Hedging vermieden werden können. Das Unternehmen hatte es jedoch versäumt, seine Risiken abzuschätzen und keine Maßnahmen zur Absicherung ergriffen.53
Zwar dürfte das dargestellte Beispiel eher eine Ausnahme darstellen, dennoch scheint auf Grund der demographischen Veränderungen für Versicherer langfristig ein Bedarf zur Absicherung zu bestehen, da die Zahl der Neukunden tendenziell sinkt und die Zahl der Leistungsempfänger steigt. Vielmehr müssen Lebensversicherer auch die künftige Sterblich- keitsverbesserung in ihrer Kalkulation berücksichtigen.54 Schließlich haben Anpassungen der Sterblichkeitstafeln im Jahr 1998 und der Übergang auf Generationentafeln 2005 allein zu einer Anhebung der Deckungsmittel bzw. Rückstellungen für die betriebliche Altersvorsorge um insgesamt etwa 10 % geführt.55 Somit sollte stets eine genaue Kalkulation bzw. Messung der Sterbewahrscheinlichkeit erfolgen.
2.3.2 Pensionsfonds
Pensionsfonds haben seit dem Inkrafttreten des Altersvermögensgesetzes (AVmG) am 1. Januar 2002, als ein weiterer Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge, an Bedeu- tung gewonnen.56 Als rechtlich selbstständige Einrichtungen bieten sie dem Arbeitnehmer, ebenso wie Rentenversicherungen, eine lebenslange Altersrente. Im Gegensatz zu Versiche- rern und Pensionskassen dürfen sie ihr Vermögen jedoch vollständig in Aktien investieren. Durch das damit verbundene höhere Kapitalanlagerisiko waren Pensionsfonds von den Aus- wirkungen der Finanzmarktkrise stärker betroffen als zahlreiche Versicherer.57 Gleichzeitig sind aber auch die Bruttobeiträge zurückgegangen, da die Einzahlungen maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung der potenziellen Trägerunternehmen abhängen.58
Ausgehend von diesen Fakten stellt das Langlebigkeitsrisiko für Pensionsfonds eine besondere Bedrohung dar. Schließlich besteht die Gefahr einer unzureichenden Risikotrag- fähigkeit, da die Lebenserwartung der Leistungsempfänger steigt. Darüber hinaus sind bei Kapitalmarkteinbrüchen deutliche Substanzverluste zu verzeichnen. Pensionsfonds haben ein Interesse daran ihre Langlebigkeitsrisiken gleichermaßen abzusichern wie Zins- und Inflationsrisiken. Im Gegensatz zu Versicherungen besitzen Pensionsfonds jedoch keine Ausgleichsrisiken. Vielmehr darf eine aktive Rückversicherung nicht betrieben werden.59 Dies ist auch ein Grund für die Neuausrichtung der Versicherungsaufsicht im Rahmen von Solvency II.60
Aktuelle Daten über Änderungen in der Lebenserwartung für die korrekte Bewertung der Rückstellungen von Pensionsfonds sind unerlässlich. Somit dürften Absicherungsinstrumente für das Langlebigkeitsrisiko von Pensionsfonds in den kommenden Jahren, ebenso wie für Versicherer, an Bedeutung gewinnen.61
2.3.3 Kreditinstitute
Im Vergleich zu Versicherern und Pensionsfonds scheint das Langlebigkeitsrisiko für Kredit- institute und die Finanzmärkte von untergeordneter Bedeutung. Dies zeigen auch die in Kapitel 4 der Arbeit dargestellten Untersuchungsergebnisse der Sparkassenbefragung. In Folge der längeren Lebenserwartung steigt die durchschnittliche Dauer der Geschäfts- verbindung. Die Kreditinstitute erwirtschaften somit über einen längeren Zeitraum Erträge mit den Kunden. Maßnahmen werden aus diesem Grund meist zur Stärkung der Kundenbindung vorgenommen.62 Darüber weisen ältere Kunden tendenziell eine höhere Loyalität und damit geringere Wechselbereitschaft auf.63
Die dargestellten ökonomischen Risiken und der zunehmende Trend zur kapitalgedeckten Altersvorsorge dürften jedoch langfristig ebenso Auswirkung auf Kreditinstitute und Fondsgesellschaften haben. Ein Beispiel hierfür stellt die staatlich geförderte Riester-Rente dar. Diese Form der Altersvorsorge kann neben der Anlage bei einer Versicherung auch in Form von Bank- oder Fondssparplänen erfolgen. Bei diesen Verträgen müssen die Anbieter eine garantierte lebenslange Rente anbieten.64 Durch den demographischen Wandel besteht für diese Institute somit dauerhaft ebenfalls ein Langlebigkeitsrisiko. Jedoch dürfte dies im Vergleich zu Versicherungen von untergeordneter Bedeutung sein.
Dauerhaft wird sich durch die Langlebigkeitsprodukte ein neuer Markt für Handels- und Investitionsinstrumente entwickeln. Diese Chance beweisen verschiedene Studien. So zeigen diese Produkte bezogen auf das Capital Asset Pricing Modell (CAPM) eine geringe Korrelation zu Aktien und Anleihen. Vielmehr ist sogar eine leicht negative Korrelation festzustellen, weil beispielsweise die Entwicklung eines neuen Medikamentes gegen Krebs einen positiven Effekt auf den Aktienmarkt hat. Hingegen hat diese Entwicklung eine konträre Wirkung auf das Langlebigkeitsrisiko zur Folge.65
Für Finanzdienstleister scheint sich somit unter Diversifikationsaspekten eine neue Assetklasse mit geringen Risikoprämien zu ergeben. Abbildung 3 verdeutlicht, wie sich das Langlebigkeitsrisiko auf Grund der geschilderten Fakten in den Kapitalmarkt einfügt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Zusammenhang von Langlebigkeitsrisiko und Kapitalmarkt.66
3 Produkte und Indizes zur Absicherung des Langlebigkeitsrisikos
Die Prämien und Leistungen von Versicherungen werden im Wesentlichen vom Zinsänderungsrisiko und dem Langlebigkeitsrisiko getrieben.67 Vor dem Hintergrund der dargestellten Erwartungen des demographischen Wandels bedingt das Langlebigkeitsrisiko ein wachsendes Interesse an Absicherungsmöglichkeiten. Gleichzeitig erfordern wachsende aufsichtsrechtliche Anforderungen eine adäquate Messung und Abdeckung möglicher Risikofaktoren. Neben traditionellen Formen der Risikoabsicherung stehen zunehmend neue Modelle zur Absicherung des Langlebigkeitsrisikos im Fokus.
3.1 Traditionelle Risikoabsicherung
Traditionell nutzen Erstversicherer die Möglichkeit, ihr Ausfallrisiko in Folge von Großschäden bzw. Klumpenrisiken sowie die daraus resultierende Schadenslast auf Rückversicherungen zu übertragen. Dabei kann sowohl die Deckung von Einzelrisiken als auch eines gesamten Portfolios erfolgen.
Der Verbriefung von Risiken und ihrem Transfer wird seit vielen Jahren in der Kreditwirtschaft eine hohe Bedeutung beigemessen.68 So existiert für die Absicherung von Zinsänderungsrisiken ein umfassender Markt an Zinsderivaten. Für Versicherungen bestehen gute Möglichkeiten mit einem wachsenden Angebot an lang laufenden Bonds ihr Zinsänderungsrisiko aktiv zu steuern.69 Ebenso können Pensionskassen, die beispielsweise einen hohen Vertragsbestand über inflationsgeschützte Rentenzahlungen ausstehen haben, einen großen Teil ihrer Investitionen auf inflationsgeschützte Anleihen übertragen.70
Für Langlebigkeitsrisiken von Versicherern hingegen waren Absicherungsinstrumente lange Zeit kaum vorhanden. Sie wurden zumeist ebenfalls an den Rückversicherungsmarkt transferiert.71 Dessen Kapazität zur Aufnahme zusätzlicher Langlebigkeitsrisiken ist jedoch begrenzt. Rückversicherer können das Langlebigkeitsrisiko nur eingeschränkt in Rückdeckung nehmen, da diese innerhalb ihres eigenen Rentenportfolios keinen Ausgleich im Kollektiv herbeiführen können. Erstversicherer nutzen daher die Möglichkeit, zunächst die Gewinnbeteiligung als Folge der anhaltenden Sterblichkeitsverbesserung zu reduzieren. Ferner konnten sie bisher langfristig dem Langlebigkeitsrisiko nur durch Anpassung der verwendeten Sterbetafeln begegnen.72 Folglich verspricht die Entwicklung derivativer Finanzinstrumente eine innovative Möglichkeit zum Transfer dieses Risikos.
3.2 Longevity Bonds
Langlebigkeitsanleihen (engl. Longevity Bonds) ermöglichen dem Emittenten sich gegen die Unterschätzung des Sterblichkeitsrisikos abzusichern.73 In den letzten Jahren wurden am Kapitalmarkt verschiedene Typen von Longevity Bonds platziert. Allgemein sind diese Bonds als Absicherungsinstrument gedacht.74 Daher sollten sie grundsätzlich in Form einer Annuitätenanleihe konstruiert werden. Daneben sind hybride Anleiheformen möglich. Abbildung 4 stellt die Unterteilung dieser Produkte in zwei Grundtypen dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Grundtypen von Longevity Bonds.75
Zur ersten Ausprägung gehören „Principal-at-Risk“ Longevity Bonds. Ein Beispiel hierfür ist die im weiteren Verlauf dargestellte Emission von Swiss Re. Bei diesen Anleihen verliert der Investor einen Teil oder sämtliche Ansprüche gegenüber dem Emittenten soweit der festgelegte Mortalitätsfall eintritt.76 In der Regel wird dabei eine Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle, SPV)77 zwischengeschaltet. Diese fungiert als Kontrahent und nimmt gleichzeitig über Swaps einen Austausch von variablen und fixen Zinszahlungen vor.
Die zweite Kategorie stellen „coupon-based“ Longevity Bonds dar. Bei diesen Anleihen hängt die Kuponzahlung von der Sterblichkeitsentwicklung ab. Dabei erfolgt die Messung dieser Entwicklung in Abhängigkeit von einem Mortalitätsindex oder in Abhängigkeit von spezifizierten Risikomerkmalen einer zugrunde liegenden Kohorte. So kann der Investor einen Teil oder die gesamte Kuponzahlung verlieren, wenn der Mortalitätsindex bestimmte Grenzwerte überschreitet.78 Ein Beispiel hierfür ist die 2004 erfolgte Emission der Europäischen Investitionsbank (EIB).79
3.2.1 Ausprägungsformen von Langlebigkeitsanleihen
In den letzten Jahren wurden verschiedene Formen von kuponbasierten Langlebigkeits- anleihen entwickelt. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht der wesentlichen, am Markt gehandelten Ausprägungsformen. Auf Grund der Vielzahl ist die Darstellung jedoch keinesfalls vollzählig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Ausprägungsformen von Longevity Bonds.
Classical Longevity Bonds stellen den ersten, im Jahr 2001 von Blake und Burrows vorgeschlagenen Grundtypus dar. Dieser wurde unter dem Namen Survivor Bond aufgelegt. Dabei ist die Kuponzahlung proportional von der Überlebensrate der Referenzbevölkerung abhängig. Sie endet mit dem Tod des letzten Mitgliedes der Referenzgruppe. Die letzte Zahlung erfolgt jedoch spätestens nach dem 25. Laufzeitjahr.
Daneben können klassische Langlebigkeitsanleihen mit einer stochastischen Sterblichkeitsentwicklung unterlegt werden. In diesem Fall ist die stochastische Variable die Lebensdauer des längst lebenden Mitgliedes der zugrunde liegenden Kohorte. Dies ermöglicht eine bessere Absicherung, da die Laufzeit der Anleihe nicht auf 25 Jahre beschränkt ist.80
Neben Langlebigkeitsanleihen mit jährlicher Zinszahlung wurden Zero-Coupon Longevity Bonds entwickelt. Diese Form bietet die Möglichkeit einer maßgeschneiderten Absicherung des Langlebigkeitsrisikos. Sie sind besonders für Versicherungsunternehmen interessant, da das Anleihenportfolio passgenau zu ihren Rentenzahlungsverpflichtungen gestaltet werden kann. Gleichwohl dürften solche Anleihen sehr illiquide sein, da sie ausschließlich für eine Buy-and-Hold-Strategie erworben werden, um damit ein spezifiziertes Risiko abzusichern.81
Darüber hinaus wurden Geared Longevity Bonds sowie Deferred Longevity Bonds gebildet. Sie ermöglichen durch eine engere Verzahnung mit dem hinterlegten Underlying eine verbesserte Absicherung des Langlebigkeitsrisikos bei gleichzeitig geringerem Kapitalauf- wand. Gerade in den ersten Laufzeitjahren von Longevity Bonds ist das Langlebigkeitsrisiko eher gering. Für Investoren, die dieses Risiko in der langen Frist absichern wollen, sind diese Cash-flows der Anleihen oft zu teuer. Sie binden viel Kapital zur Absicherung eines geringen Risikos. Daher bietet sich die Emission von Anleihen mit differenzierten Zahlungsdaten an. Deferred Longevity Bonds schützen vor dem Langlebigkeitsrisiko und vor einer zu hohen Kapitalbindung.82
Eine weitere Sonderform stellen Collateralized Longevity Obligations (CLOs) dar. CLOs sind in ihrer Struktur vergleichbar mit Collateralized Debt Obligations (CDOs), welche der Verbriefung von Kreditrisiken dienen.83 Dies erfolgt in der Regel über ein so genanntes Pooling. CLOs hingegen verbriefen bereits verbriefte Langlebigkeitsrisiken. Dies geschieht durch ein Pooling von Longevity Bonds. Diese werden anschließend tranchiert und weisen verschiedene Risikoprofile auf. Risikoträchtigere Tranchen versprechen dabei für den Investor eine höhere erwartete Rendite.84
3.2.2 Der Swiss Re Mortality Bond
Swiss Re war 2003 einer der ersten Rückversicherer, welcher über eine Mortalitätsanleihe das Sterblichkeitsrisiko seines Versichertenbestandes in Folge von Katastrophen über den Kapitalmarkt auf Investoren übertragen hat.85 Das Emissionsvolumen hatte ein Volumen von 400 Million Dollar mit Fälligkeit zum 1. Januar 2007. Der Kupon der Anleihe wurde mit einem Aufschlag von 135 Basispunkten (bps) über dem US-Dollar LIBOR86 festgelegt.87
Im Wesentlichen zielte die Anleihe auf die Absicherung des Mortalitätsrisikos aus Katas- trophenfällen, wie beispielsweise Epidemien, Kriege oder Naturkatastrophen. Damit zählt die Emission nicht zu den Langlebigkeitsprodukten im eigentlichen Sinne. Vielmehr weisen diese Mortalitätspapiere als eigene Schuldverschreibungsform zumeist kurz- bis mittelfristige Laufzeiten auf.88
[...]
1 Vgl. Antolin (2007), S. 5.
2 Vgl. GfdS (2010), http://www.gfds.de/aktionen/wort-des-jahres/unwoerter-des-jahres/ v. 26.04.2010.
3 Vgl. Conrad/ Neuberger (2008a), S. 19.
4 Vgl. Conrad/ Neuberger (2008b), S. 25.
5 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung - BiB (2004), S. 9.
6 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 23.
7 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 17.
8 Vgl. Heubeck (2007), S. 186.
9 Vgl. Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (2009), S. 3.
10 Vgl. Creigton/ Jin u.a. (2005), S. 2.
11 Vgl. Shkolnikov (2005), S. 2.
12 Vgl. Shkolnikov (2005), S. 2.
13 Vgl. Kok/ Oecking u.a. (2008), S. 5.
14 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 36.
15 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung - BiB (2004), S. 40.
16 Vgl. Kok/ Oecking u.a. (2008), S. 4.
17 Abbildung in Anlehnung an Statistisches Bundesamt (2006a), S. 37.
18 Vgl. Babel (2007), S. 25.
19 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006b), S. 14.
20 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 38.
21 Abbildung eigene Darstellung.
22 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 30.
23 Vgl. Ehrentraut/ Raffelhüschen (2008), S. 2.
24 Vgl. Statistisches Bundesamt (2007), S. 6.
25 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a), S. 6.
26 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung - BiB (2008), S. 50.
27 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung - BiB (2004), S. 65.
28 Vgl. Bahr/ Braun u.a. (2008), S. 6.
29 Vgl. Verband der privaten Krankenversicherer e.V. (2008), S. 40ff.
30 Vgl. Babel/ Bomsdorf u.a. (2006), S. 1.
31 Vgl. Horneff (2008), S. 2.
32 Vgl. Bauer (2008), S. 181.
33 Vgl. Beyerstedt (2009), S. 10.
34 Vgl. Ehrentraut/ Raffelhüschen (2008), S. 14.
35 Vgl. Ehrentraut/ Raffelhüschen (2008), S. 9.
36 Vgl. Kok/ Oecking u.a. (2008), S. 4.
37 Vgl. Ehrentraut/ Raffelhüschen (2008), S. 9.
38 Vgl. Kok/ Oecking u.a. (2008), S. 5.
39 Vgl. Gaißer (2006), S. 7.
40 Durch den Faktor soll der Beitrag zur GRV bis 2030 möglichst nicht über 22 % ansteigen.
41 Vgl. Bahr/ Braun u.a. (2008), S. 12.
42 Abbildung in Anlehnung an Riehl (2008), http://www.aktuar.de/download/dav/termine/MV08-PENSION- Rhiel.pdf v. 10.01.2010.
43 Vgl. Bundesgesetzblatt (2009), S. 1103.
44 FTSE 100 ist der britische Aktienindex an der Londoner Börse.
45 Vgl. Loeys/ Panigirtzoglou u.a. (2007), S. 2.
46 Vgl. Riehl (2008), http://www.aktuar.de/download/dav/termine/MV08-PENSION-Rhiel.pdf v. 10.01.2010.
47 Vgl. Babel/ Bomsdorf u.a. (2006), S. 1.
48 Vgl. Bauer (2008), S. 181.
49 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 2.
50 Vgl. Ribeiro/ di Pietro (2009), S. 1.
51 Vgl. Bauer/ Weber (2007), S. 1.
52 Vgl. Gaißer (2006), S. 1.
53 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 2.
54 Vgl. Beyerstedt (2009), S. 10.
55 Vgl. Heubeck (2007), S. 189.
56 Vgl. Altuntas (2008), S. 2.
57 Vgl. Altuntas (2008), S. 13.
58 Vgl. Steffen (2009), 81.
59 Vgl. BaFin (2009a), http://www.bafin.de/cln_115/nn_721290/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Unternehmen/VersichererUndPe nsionsfonds/Zulassung/InlaendischeAnbieter/sc__011201__pffaq__va.html?__nnn=true v. 10.01.2010.
60 Vgl. Rittmann (2009), S. 25; Solvency II stellt eine Reform des Versicherungsaufsichtsrechtes in Europa dar. Es umfasst im Wesentlichen neue Solvabilitätsvorschriften für die Eigenmittelunterlegung von Versicherungsunternehmen. Die EU-Richtlinie wird voraussichtlich 2012 in nationales Gesetz umgesetzt werden.
61 Vgl. Antolin (2007), S. 12.
62 Vgl. Conrad/ Neuberger (2008a), S. 18.
63 Vgl. Griese/ Keller u.a. (2000), S. 10.
64 Vgl. Bundesanzeiger (2001), S. 1323.
65 Vgl. Ribeiro/ di Pietro (2009), S. 6.
66 Abbildung eigene Darstellung.
67 Vgl. Korn/ Natcheva u.a. (2006), S. 397.
68 Vgl. Inhülsen (2010), S. 6.
69 Vgl. Korn/ Natcheva u.a. (2006), S. 397.
70 Vgl. Blake/Burrows (2001), S. 344.
71 Vgl. Inhülsen (2010), S. 1.
72 Vgl. Schwepcke/ Arndt u.a. (2004), S. 207.
73 Vgl. Wills/ Sherris (2008), S. 6.
74 Vgl. Cairns/ Blake u.a. (2005), S. 41.
75 Abbildung eigene Darstellung.
76 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 16.
77 Eine SPV ist eine so genannte insolvenzferne Gesellschaft, deren Aktivitäten auf die Übernahme und Finanzierung bestimmter Vermögenswerte oder Risiken beschränkt ist und damit das Kreditausfallrisiko des eigentlichen Investors ausblendet.
78 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 16.
79 Vgl. Bauer (2008), S. 184.
80 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 16; Cairns/ Blake u.a. (2005), S. 3.
81 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 16.
82 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006a), S. 17.
83 Vgl. Blake/ Cairns u.a. (2006b), S. 652.
84 Vgl. Inhülsen (2010), S. 32.
85 Vgl. Korn/ Natcheva u.a. (2006), S. 1.
86 LIBOR (London Interbank Offered Rate) ist der Referenzzinssatz für kurzfristige Laufzeiten. Er stellt einen marktüblichen Zinssatz dar, zu welchem Kreditinstitute am Londoner Interbankenmarkt Kapital von anderen Banken ausleihen können.
87 Vgl. Creighton/ Jin u.a. (2005), S. 13.
88 Vgl. Inhülsen (2010), S. 28.
- Arbeit zitieren
- Sven Hagendorff (Autor:in), 2010, Management von Langlebigkeitsrisiken als Herausforderung des demographischen Wandels am Beispiel öffentlich-rechtlicher Finanzdienstleister, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186766
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.