Die folgende Arbeit über Tizians "Venus mit dem Orgelspieler" wird nach Hans Sedlmayrs Methode der Strukturanalyse untersucht. Die Strukturanalyse ist ein methodischer Zweig der Kunstgeschichte, dessen bisherige Vertreter überzeugt sind, durch Analyse und Deutung aller Ebenen der Bildstruktur die Spezifik bildkünstlerischer Werke intensiver und objektiver zu erfassen, als Stilkritik und Stilgeschichte das vermögen.
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Die Identifikation des Orgelspielers erweist sich zunächst als schwierig. Die Herangehensweise über die Auftraggeber bringt Licht ins Dunkel. In seinem Jahrzehnt der großen Bildnismalerei (1540-1550) nahm Tizian in den Jahren 1548, 1550 und 1551 an den Augsburger Reichstagen teil, wo er Kaiser, Thronfolger und die dort versammelten Persönlichkeiten porträtierte. „Seit 1550 hatte Tizian dauernd allegorisch religiöse und erotisch mythologische Bilder für Karl V. und Philipp II. zu malen. Den spanischen König porträtierte er noch als Prinzen erstmals 1550 in Augsburg.“ 4 Diese Portraits identifizieren den Organist eindeutig als Philipp II. 5
Die Jahre zwischen 1550 und 1560 gelten als Zeit der reinsten Malerei, die ihre Höhepunkte in den »Poesie« für Philipp II, in religiösen Gemälden und Bildnissen findet. Für ihn entstehen ab 1553 die ersten auf Ovids Metamorphosen aufbauenden Bilder der »Poesie«.
Die 5.Phase (1550-1560) steht im Gegensatz zur 4. vorherigen Phase, die vom Heroischen, Männlichen beherrscht wurde. Jetzt stehen vor allem mythologische Bilder im Vordergrund. Sie haben eher privaten Charakter. Tizian malt unbeschwerter und unbefangener. Er huldigt der Schönheit wie er es noch nie zuvor getan hatte. „In der Danae in Neapel ist die Schönheit des Körpers zum mythischen Geheimnis geworden. Das Malen wurde nun zum dramatischen Handeln, der Zustand zum Ereignis. Die Kunst erfüllte sich mit Musik. Im Jahre 1540 ließ T. eine Orgel in sein Haus einbauen.“ 6
Die Staatliche Gemäldegalerie Berlin-Dahlem erwarb die Venus mit Philipp II als Orgelspieler um 1918 neben Clarissa Strozzi und dem Selbstbildnis Tizians.
Physiognomisches Verstehen
„Bietet man eine Reproduktion des Bildes der Betrachtung nur kurz, tachistoskopisch, dar, so sind Betrachter, die das Bild nicht kennen, nicht imstande, bestimmte Aussagen über Einzelheiten des Geschehens zu machen.“ 7 Der Betrachter kann nicht sagen, was im Einzelnen dargestellt ist, wie viele Personen insgesamt dargestellt sind, oder was in der Landschaft vor sich geht, sie erkennen die Liebesgöttin nicht auf den ersten Blick.
„ … eine ‚Stimmung’ dringt von dem Kunstwerk her in unser Wesen ein.“ 8 Zunächst fiel mir auf, welch eine Ruhe und Harmonie das Bild ausstrahlt, kein aufgeregtes Hin- und Her, es kommt sogar eine gewisse romantische Stimmung in einem auf.
4 Ulrich Christoffel: Tizian, Stuttgart,1957, 17ff
5 Filippo Pedrocco, Tizian, München, 2000, S. 216 Abb.171
6 Ulrich Christoffel: Tizian, Stuttgart,1957, 17ff
7 Hans Sedlmayr: Epochen und Werke I, Wien, 1985, 321
8 ebenda S. 323
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Danach stellten sich mir eine Menge Fragen. Wer verbirgt sich hinter dem Bildpersonal? Wieso sticht diese nackte Schönheit dem Betrachter zuerst ins Auge? Welche Rolle spielt die Landschaft im Hintergrund, die der geöffnete Vorhang freigibt?
Formales Verstehen
Das Bild ist die „Erscheinung von Form und Farbe in Ebene und Raum“ 9 . Sedlmayr unterscheidet drei Ordnungen, die der Teilflächen in der Bildfläche, die von vorgestellten, imaginierten Körpern und Teilräumen und die Ordnung von Farben in Fläche und Raum.
Ordnung in Raum und Fläche
„Otto Pächt betont, dass beim anschaulichen Verstehen des Bildbaues Raum und Fläche nicht getrennt betrachten und untersucht werden dürfen.“ 10 Zunächst erweist es sich als Notwendigkeit, die Dinge im Raum und deren Anordnung zu betrachten. Größtenteils wurde diese Beschreibung schon in einem vorangegangenen Absatz vorgenommen. Das Bildpersonal im Vordergrund rahmt durch ihre Komposition die Landschaft im Hintergrund. Die schon erwähnte Version im Prado vertieft die Landschaft im Zentrum noch deutlicher, durch die in die Tiefe gehenden Baumreihen und das „aus dem Bild“ spazierende Pärchen. Vom linken unteren zweiten Drittel des Bildes steigt eine Diagonale in Richtung oberer rechter Bildrand. Sie verläuft parallel mit dem Frauenkörper. (Abb.1) Das sinnliche Mutter-Sohn-Pärchen bildet mit dem Bildrand ein rechtwinkliges Dreieck. (Abb.2) In diesem Dreieck, das das Pärchen auf der rechten Seite schafft, liegt das Gewicht des Bildes. Auf diese Weise erreicht Tizian, dass die Figur das Bild mit mächtiger Gebärde beherrscht.
Die Diagonale beruht darauf, „ dass wir gewohnt sind, wie unsere Schrift, so auch ein Bild von links nach rechts zu lesen, …“ 11 . Aber wie wirkt das Bild auf Menschen, die ihre Schrift von rechts nach links lesen? Jedoch ist sich Sedlmayr nicht sicher, „ob diese Wirkung nur auf unseren Lesegewohnheiten beruht und nicht vielmehr darauf, das ‚rechts’
9 Zitat von Alois Riegl in Hans Sedlmayr: Epochen und Werke I, Wien, 1985, 324
10 Hans Sedlmayr: Epochen und Werke I, Wien, 1985, 326
11 ebenda S.329
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