Empirische Untersuchungen im Bereich des Konsumentenbeschwerdeverhalten ergaben bisher nur im Bereich soziodemographischer Faktoren Überschneidungen: Der beschwerdeführende Konsument ist vorwiegend männlich, zwischen 30 und 50 Jahren alt und verfügt über ein überdurchschnittliches Einkommen. Versuche, anstatt soziodemographischer Variablen verschiedene Persönlichkeitseigenschaften in den Beschwerdeprozess zu integrieren, konnten bislang jedoch keine befriedigenden Ergebnisse liefern. Mit der vorliegenden Arbeit wurde der Versuch unternommen, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften auf das Konsumentenbeschwerdeverhalten und die Evaluierung des Beschwerdeergebnisses nachzuweisen. D.h. sind diese Variablen in der Lage Konsumentenverhalten - im Falle von Unzufriedenheit mit einem langlebigen Konsumgut – nachvollziehbar zu machen bzw. wie wirken diese Faktoren auf die Bewertung des erreichten Beschwerdeergebnisses? Ausgangspunkt der Arbeit bildet die Analyse internationaler Literatur zum Thema des Konsumentenbeschwerdeverhalten. Auf Basis der Recherchen wurde ein Modell des Beschwerdeverhaltens erstellt, indem Persönlichkeitseigenschaften wie Aggressivität und Erregbarkeit mit anderen Faktoren in Zusammenhang gesetzt werden. Gegenstand der Befragung war ein high-involvement Produkt aus dem technischen Bereich, welches von den Konsumenten innerhalb des vergangenen Jahres genutzt worden war. Die Stichprobe kann dabei in zwei Teile gegliedert werden: Unvoiced Complainers und Beschwerdeführer. Das erhaltene Datenmaterial wurde mittels SPSS und Korrelationsmethoden ausgewertet. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen darauf schließen, dass beide Persönlichkeitsfaktoren sehr schwach und nicht signifikant mit dem Beschwerdeverhalten bzw. der Evaluierung des Beschwerdeergebnisses korrelieren: Beschwerdeführer und Unvoiced Complainers unterscheiden sich nicht in der Ausprägung von Aggressivität und Erregbarkeit. Beide Eigenschaften scheinen auch keine Auswirkung auf die Evaluierung der erhaltenen Problemlösung zu haben.
Danksagung
Herzlichen Dank an Frau Dr. Lieselotte Stalzer, die mir bei der Aus- der Daten hilfreich zur Seite gestanden ist.
Dankend erwähnen möchte ich auch Herrn Reinhard Lackner von der Firma eTel Austria AG, der mir die Durchführung der Befragung ermöglicht hat.
Für zahlreiche Diskussionen und Ideen bedanke ich mich bei meiner Freundin Julia.
Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern und meinen Geschwistern für ihr Verständnis und ihre Unterstützung während meines Studi- ums.
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1.1 Ausgangssituation
“Will ein Unternehmen die Zufriedenheit seiner Kunden erhöhen, ge- es nicht, deren Zufriedenheit zu messen. Die Zufriedenheit muss vielmehr aktiv gestaltet werden” (Staminski 1998, S. 188).
Dieser Aussage nach bezieht sich die Gestaltung von Kundenzufriedenheit nicht nur auf die Steigerung des Kundennutzens und der damit verbundenen verbesserten Bedürfnisbefriedigung, sondern auch auf die Handhabung von Kundenunzufriedenheit.
Kundenzufriedenheit wird häufig als Ergebnis der Nachkaufphase aufgefasst. Tat- ist Kundenzufriedenheit jedoch kein einmaliges Phänomen, das nur in einer Phase, sondern in allen Phasen eines Kaufprozesses auftreten kann (siehe
Abb. 1).
Abb. 1: Kontaktkette
(Quelle: in Anlehnung an Simon/Homburg 1998, S. 24)
Im Management-Konzept des Marketing stellt Kundenzufriedenheit mit der unter- Leistungspalette schon seit Jahrzehnten eine zentrale Orientie-
rungsgröße dar (vgl. Erevelles/Leavitt 1992, S. 104; Stauss/Seidel 1998b, S. 203). Doch nicht nur allgemeine Kundenzufriedenheit mit ihren positiven Auswirkungen
wie Wiederholungskäufe, positive Mundkommunikation (Word-of-Mouth) und Kun-
denloyalität (vgl. Bearden/Teel 1983, S. 21), sondern auch Beschwerdezufriedenheit unterliegt den unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten. Der Umgang mit nicht zufriedengestellten Kunden bietet die Möglichkeit, sich von Konkurrenten ab-
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zuheben, das eigene Unternehmen als kundenorientierten Anbieter zu positionie- und Beschwerdeführer ex-post zu befriedigen und somit loyale Kunden zu gewinnen. Zusätzlich besteht für das Unternehmen die Herausforderung, Schwachstellen im Betrieb zu identifizieren und diese zu reduzieren oder zu beseitigen (vgl. Hansen 1990, S. 494).
Der Grund für das Unternehmensziel Kundenzufriedenheit liegt in der Bedeutung zufriedener Kunden für den wirtschaftlichen Erfolg: Kundenzufriedenheit ist die Voraussetzung für Kundenbindung, durch die wiederum ökonomische Unternehmensziele umgesetzt werden können (vgl. Stauss/Neuhaus 1996, S. 129). Während bei unzufriedenen Kunden die Loyalität gegenüber einem Unternehmen bzw. einer Marke zurückgeht, sind zufriedene Kunden durch zunehmend stärkere Bindung, eine höhere Kauffrequenz, geringere Preissensitivität sowie eine ‘breitere’ Nutzung des vorhandenen Leistungsprogramms gekennzeichnet (vgl. Homburg/Rudolph 1995, S. 43; Meyer/Dornach 1998, S. 185). Darüber hinaus sind zufriedene Kunden die besten Verkäufer, da diese durch Mundpropaganda das Unternehmen weiterempfehlen (vgl. Eggert/Helm 2000, S. 63).
Da in den weitgehend gesättigten Märkten der westlichen, industrialisierten Länder keine wesentlichen Zuwachsraten mehr erwartet werden können, sollten Unternehmen jeder Branche - gleich ob Dienstleistungen oder Waren angeboten werden - dem Umgang mit den Konsumenten deshalb vermehrt Aufmerksamkeit
widmen. D.h. während sich für Konsumenten die Schwierigkeit nur schwer voneinander unterscheidbarer Produkte auftut, bedeutet dies für Unternehmen im Umkehrschluss, dass wettbewerbsbezogene Leistungsdifferenzierungen verloren gehen (vgl. Oliva/Oliver/MacMillan 1992, S. 83). 1 Durch die häufig nicht mehr bzw. nicht mehr in genügend großem Ausmaß wahrgenommenen Qualitätsunterschie-
de zwischen konkurrierenden Marken sind Kunden auch nicht mehr bereit, größe-
re Preisdifferenzen zu akzeptieren (vgl. Meffert/Bruhn 1987, S. 125 f.). Daher stehen Unternehmen der Herausforderung gegenüber, “Rezepte zur Umgehung der Falle ‘Massenangebot’ zu finden” (Whiteley/Hessan 1996, S. 235).
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Eine Möglichkeit der Produktdifferenzierung besteht z.B. in der Abgabe von Ga- (vgl. Kendall/Russ 1982, S. 241 f.). Daraus lässt sich schließen, dass sich Leistungsdifferenzierung nicht darauf beschränken darf dem Kunden das Erwartete zu verkaufen. Vielmehr muss die erwartete Leistung zusätzlich um Leistungseigenschaften ergänzt werden, an die der Kunde vorher nicht gedacht hat (vgl. Levitt 1982, S. 82). Eine andere Möglichkeit der Differenzierung besteht darin - so dies noch nicht geschehen ist - den unzufriedenen und beschwerdeführenden Konsumenten vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Hansen/Schoenheit 1987, S. 15). Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit der servicebezogenen Leistungsdifferenzierung durch gesteigerte Qualität von produktbegleitendem und werterhöhendem Service (vgl. Stauss 1992, S. 6). Das bedeutet, dass die eigenen Angebote gegenüber Mitbewerbern stärker an Profil gewinnen, was es Konsumenten wiederum erleichtert, Unterschiede innerhalb einer am Markt befindlichen Angebotspalette festzustellen. Durch eingeschränkte Wachstumschancen muss eine Neuausrichtung der Unternehmensstrategien - weg vom quantitativen und hin zum qualitativen Wachstum - erfolgen (vgl. asw-Report 1984, S. 26). Zusätzliche Bedeutung gewinnt Kundenzufriedenheit durch eine Hinentwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft.
Die geänderten Anforderungen von (potentiellen) Kunden an Unternehmen stehen nicht nur mit der Wettbewerbssituation in den einzelnen Märkten, sondern auch mit der Zunahme des allgemeinen Wohlstands und dem damit angestiegenen Lebensstandard in Zusammenhang. Die beiden letztgenannten Punkte können auch in Verbindung mit Änderungen im Einstellungsverhalten der Konsumenten genannt werden. Z.B. stand vor 20 Jahren noch die technische Funktionalität beim Kauf eines Produkts im Vordergrund. Heute hingegen verlagert sich der Konsumentenfokus immer mehr vom Grund- auf den Zusatznutzen einer Ware.
Da sich das Anspruchsniveau der Konsumenten an Produktleistungen geändert hat - es werden, wird das Anspruchsniveau vor zehn Jahren als Vergleichslevel herangezogen, höhere Ansprüche gestellt - muss es in Folge dessen auch häufiger zu Fällen kommen, in denen Unzufriedenheit auftritt. Allgemein kann daher vom Übergang “des mündig sich entscheidenden zum mündig sich beschweren-
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den und wehrenden Verbraucher” gesprochen werden (Hansen/Schoenheit 1987, S. 21).
Welcher Stellenwert in weiterer Folge der Stimulierung und Bearbeitung von Be- zukommt, kann aus folgenden Untersuchungsergebnissen abgeleitet werden: So schwankt der Prozentsatz der unzufriedenen und sich nicht beschwerenden Kunden zwischen 50 und 70% (Bruhn 1982; Andreasen 1988; TARP 1986), d.h. nicht einmal jeder zweite unzufriedene Kunde eines Unternehmens beschwert sich. 1 Speziell für den Dienstleistungsbereich durchgeführte Studien weisen ein noch ungünstigeres Verhältnis auf: Nur etwa 5% aller unzufriedenen Dienstleistungskunden beschweren sich - 95% der unzufriedenen Konsumenten nehmen den Beschwerdeweg - auf die genauen Gründe soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden - nicht in Angriff (vgl. Andreasen/Best 1977; Abrams/Paese 1993). 2
Werden für Analysezwecke die absoluten Zahlen der Beschwerdeführer in Relati- zum gesamten Kundenstock eines Betriebs gesetzt, muss aus Unternehmenssicht die absolute Zahl unzufriedener Kunden und der daraus resultierenden negativen Auswirkungen verständlicherweise immer sehr stark unterschätzt werden (vgl. Day/Schätzle/Grabicke/Staubach 1981, S. 87). D.h. nur die Spitze eines Unzufriedenheitseisbergs ist sichtbar (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 610; Homburg/Rudolph 1995, S. 44).
Schweigende Konsumenten welche Unzufriedenheit nicht gegenüber dem Anbie- artikulieren sondern auf andere Reaktionsstrategien - etwa negative Mundkommunikation oder auch Abbruch einer Geschäftsbeziehung - setzen, können nicht im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens liegen. Mögliche Konsequenzen für das einzelne Unternehmen reichen von Umsatzrückgängen über nicht wirksame Werbeaktionen bis hin zur Schädigung des Firmenimages.
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Sieht sich ein Unternehmen vielen unzufriedenen oder sich beschwerenden Kon- gegenüber - was üblicherweise nicht der Fall ist - kann dies ein Indikator für Mängel in der Firmenpolitik sein. Das Gegenteil - alle Kunden sind zufriedengestellt und es gibt keinerlei Beschwerden - kann jedoch ein Anzeichen für eine Leistungspalette sein, die dem Konsumenten verhältnismäßig mehr Vorteile als dem leistungserbringenden Unternehmen bietet (vgl. Etzel/Silverman 1981, S. 130).
1.2 Problemstellung
Ob und in welchem Ausmaß Unzufriedenheit sich in Form einer Beschwerde ka- hängt von mehreren Determinanten wie etwa den wahrgenommenen Beschwerdekosten, Beschwerdenutzen, Produktmerkmalen, Problemmerkmalen sowie von personen- und situationsspezifischen Faktoren ab (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 602; Stauss/Seidel 1998a, S. 48).
Im Bereich der Beschwerdeforschung ist schon mit einer Vielzahl von Studien der Versuch unternommen worden, Gründe und ausschlaggebenden Elemente für das Beschwerdeverhalten von Konsumenten zu identifizieren. In vielen Fällen wurden dabei Einflussfaktoren wie individuell wahrgenommene Kosten-Nutzen-Relationen der Beschwerdeführung, soziodemografische Charakteristika etc. verwendet (vgl. Liefeld/Edgecombe/Wolfe 1975; Best/Andreasen 1976; Keng/Richmond/Han 1995).
Obwohl ein Großteil der Untersuchungen in verschiedenen Regionen durchgeführt wurde - schwerpunktmäßig jedoch in den USA und Europa, weisen die Ergebnisse in den grundlegenden Punkten Ähnlichkeiten und Überschneidungen auf. 1 Beschwerdeführende Konsumenten kommen üblicherweise aus jüngeren Bevölkerungsschichten, verfügen über vergleichsweise gute Schulbildung und höhere Einkünfte als die durchschnittliche Bevölkerung (vgl. Liefeld/Edgecombe/Wolfe 1975, S. 73; Riemer 1986, S. 88; Keng/Richmond 1995, S. 62). Andere Studien identifizierten Beschwerdeführer zusätzlich als Mitglieder größerer Familien und als Be-
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sitzer eigener Häuser (vgl. Gaedeke 1972; Mason/Himes 1973). Wenig überra- mag erscheinen, dass sozial und ökonomisch schlechter gestellte oder benachteiligte Verbraucher den Beschwerdeweg seltener antreten (vgl. Mason/Himes 1973; Liefeld/Edgecombe/Wolfe 1975). Obwohl die Erklärung von Beschwerdeverhalten unter Bezugnahme auf soziodemografische Charakteristika der Konsumenten zwar erfolgreich erscheinen mag, sind die ergriffenen Beschwerdemaßnahmen durch soziodemografische Merkmale alleine nicht erklärbar. Beschwerdeverhalten wird viel mehr von psychografischen Personenmerkmalen beeinflusst (vgl. Bruhn 1987, S. 135).
Mit dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, Persönlichkeitscharakteristika von Konsumenten als Erklärungsversuch für Beschwerdeverhalten heranzuziehen. D.h. die Auswirkungen und der Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen - der personenbezogenen Determinante der Beschwerdeführung, der Beschwerdezufriedenheit und in letzter Konsequenz der Zufriedenheit der Konsumenten sollen aufgezeigt werden. Da Persönlichkeitseigenschaften jedoch nur ein Teil des Bündels jener Faktoren sind, die sich auf das Beschwerdeverhalten auswirken, soll schon an dieser Stelle festgehalten werden, dass auf das Konsumentenverhalten natürlich auch andere Faktoren Einfluss haben und zu dessen Erklä- rung herangezogen werden können (vgl. Grabicke/Schätzle/Staubach 1987, S. 150).
Mit der Arbeit sollen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden:
1. Wodurch ist die Persönlichkeit von unzufriedenen Konsumenten, die sich be- gekennzeichnet? Damit soll festgestellt werden, welche Unterschiede zwischen aktiven und passiven Kunden - sich beschwerenden oder nicht beschwerenden Kunden - hinsichtlich der Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften Aggressivität und Erregbarkeit festzustellen sind.
2. Wie machen sich die Persönlichkeitsdeterminanten Aggressivität und Erreg- bei beschwerdeführenden Konsumenten bemerkbar; wirken diese Faktoren direkt auf das Beschwerdeverhalten oder ist der Einfluss eher indirekter, über intervenierende Variablen wirkender Art?
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3. Sind Personen mit unterschiedlicher Ausprägung der Persönlichkeitszüge nach Abschluss der Beschwerdeabwicklung im gleichen Ausmaß zufriedengestellt oder gibt es signifikante Unterschiede?
1.3 Abgrenzung des Themas
Da der Bereich Kundenzufriedenheit und Beschwerden sehr weitreichend ist, er- es nötig, den zu bearbeitenden Themenbereich vorab einzuschränken.
• Prinzipiell werden nur unternehmensgerichtete Beschwerden behandelt - Sammelbeschwerden von zwischengeschalteten Drittinstitutionen (z.B. Verbraucherschutzbehörden etc.) bleiben somit unberücksichtigt (vgl. Riemer 1986, S. 12). D.h. es wird aus der Fülle der möglichen Beschwerdearten nur auf die von Endverbrauchen vorgebrachte - sogenannte konsumenteninitiierte Kommunikation Rücksicht genommen (vgl. Fornell 1982, S. 478). Von rechtsberatenden Organen eingebrachte Beschwerden werden ebenfalls nicht behandelt, da es als fraglich anzusehen ist, ob Beschwerden die durch das Einschalten von Rechtsanwälten vorgebracht werden nicht Reklamationen darstellen. 1
• Zusätzlich werden Unzufriedenheitsäußerungen nur insofern berücksichtigt, als es sich um angebotsbezogene Beschwerden handelt (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 31). Üblicherweise können sich Beschwerden auf die gesamten direkt und indirekt angebotenen Unternehmensleistungen - Güter und Dienstleistungen sowie die Nebeneffekte der Erstellung - beziehen. Dies hat zur Folge, dass auch der Einsatz marketingpolitischer Instrumente (z.B. Frauenbild in der Werbung) aber auch Einwirkungen aus anderen Funktionsbereichen eines Unternehmens (z.B. Emissionsprobleme und Kinderarbeit bei der Produktion) beschwerderelevant sein können (vgl. Riemer 1986, S. 37). Da diese Nebenleistungen zwar auch zur Entstehung von Unzufriedenheit beitragen, hauptausschlaggebend für Beschwerden normalerweise aber Kernleistungen eines Un-
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ternehmens sind, werden gesellschaftspolitische Unmutsäußerungen in dieser Arbeit gleichfalls ausgeklammert.
1.4 Zielsetzung und Nutzen der Arbeit
Mit der Arbeit werden in erster Linie die zuvor angeführten Fragestellungen be- 1 D.h. anhand des empirischen Teils der Arbeit sollen die Zusammenhänge zwischen der Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale Aggressivität und Erregbarkeit und dem Beschwerdeverhalten - insbesondere der Beschwerdezufriedenheit - festgestellt werden.
• Welche Auswirkungen haben die beiden Persönlichkeitszüge Aggressivität und Erregbarkeit auf das Beschwerdeverhalten? Kernpunkt der Kritik an bisherigen Untersuchungen bezog sich vor allem darauf, da nur zwischen 10 und 19% der Gesamtvarianz im Konsumentenbeschwerdeverhalten durch Persönlichkeitsmerkmale (im Sinne von Traits wie z.B. Aggressivität etc.) erklärt werden konnte (vgl. Plummer 1985, S. 28; Grabicke/Schätzle/Staubach 1987, S. 144; Wilkie 1994, S. 153). D.h. Konsumentenverhalten im Beschwerdefall ist in bisherigen Untersuchungen nur bedingt auf Faktoren der menschlichen Persönlichkeit zurückzuführen. Da die Korrelation zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Konsumentenverhalten nachweisbar relativ schwach ist, wurde die Frage aufgeworfen, ob die gesammelten Untersuchungsergebnisse nicht zweifelhaft bzw. bedeutungslos seien (vgl. Kassarjian/Sheffet 1991, S. 291).
Dem kann entgegengehalten werden, dass gerade der Bereich des Konsu- einen hohen Komplexitätsgrad aufweist. Belegt wird diese Überlegung damit, dass es viele unterschiedliche Ansätze gibt Beschwerdeverhalten zu erklären. 2 Zum Teil werden in den einzelnen Modellen gleiche oder ähnliche, teilweise aber auch abweichende (andere) Variablen in den Beschwerdeprozess integriert.
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Alternativ zu den verschiedenen Beschwerdemodellen wirkt sich auch die Ent- der letzten Jahre hin zum mündigen und selbstbewussten Verbraucher darauf aus, dass Konsumenten von ihren Rechten Gebrauch machen. Konsumenten, die über ihre Rechte informiert sind, werden - abhängig von ihrer Persönlichkeit - versuchen, für nicht zufriedenstellende Leistungen Ersatz oder Wiedergutmachung zu erlangen. Wurden früher z.B. nur Probleme reklamiert, die eindeutig im Verantwortungsbereich des Verkäufers lagen, wird heute der Beschwerdeweg auch bei Zweifelsfällen angetreten. Vor allem bei Leistungsmängeln, die nicht eindeutig einer Partei zugewiesen werden können, wirkt sich die Persönlichkeit des Konsumenten aus.
Aufgrund dieser beiden Tatsachen erscheint es verfrüht, die Integration des Faktors Persönlichkeit als nicht erfolgreich zu bezeichnen.
• Welche Faktoren der Beschwerdebearbeitung sind für die verschiedenen Persönlichkeitstypen ausschlaggebend? Damit wird nicht nur auf den Prozess des Beschwerdeverhaltens selbst, sondern auch auf die individuelle Wahrnehmung der Beschwerdebearbeitung und des -ergebnisses eingegangen.
Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass im Bereich der Konsu- ein neuerlicher Versuch unternommen wird, die Persönlichkeit des Konsumenten in den Beschwerdeprozess (Beschwerdeverhalten und Beschwerdezufriedenheit) zu integrieren.
1.5 Aufbau der Arbeit
Für den Aufbau der Arbeit ergibt sich eine - in Abb. 2 ersichtliche - zweigliedrige Struktur.
Basis bildet eine Sekundärrechere für die theoretischen Kapitel über die (Verbrau- Beschwerde(un)zufriedenheit und die Persönlichkeit in der Beschwerdeforschung bzw. die Möglichkeiten der Messung des Konstrukts Persönlichkeit.
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Diese Grundlagen fließen in weiterer Folge in die empirische Untersuchung ein, die anhand einer quantitativen Primärforschung durchgeführt wurde.
1.5.1 Theoriekapitel
Grundlage der Arbeit und spätere Basis für die Primäruntersuchung bilden die theoretischen Kapitel. Dabei wird vor allem auf internationale Fachliteratur zurückgegriffen. Die Sekundärrechere bildet außerdem den Ausgangspunkt für die Primäruntersuchung.
• In Abschnitt 2 wird der Beschwerdebegriff definiert bzw. erfolgt eine Abgrenzung des Begriffs von ähnlichen Bezeichnungen. Anschließend wird darauf eingegangen, welche Ursachen zu Kundenunzufriedenheit führen können und wie von Konsumentenseite darauf reagiert werden kann. In weiterer Folge werden die einzelnen - sich auf das Beschwerdeverhalten auswirkenden Faktoren identifiziert und näher beschrieben. Der Einfluss der verschiedenen Faktoren wird dann in diversen Modellen des Beschwerdeverhaltens - wie sie in Untersuchungen zum Einsatz kommen können - näher erläutert. Zusätzlich wird auch auf die Charakterisierung von Beschwerdeführern, Querulanten und passiven Konsumenten eingegangen.
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Abgeschlossen wird der Abschnitt mit einer Beschreibung, wie Konsumenten bei der Bewertung von Beschwerdeergebnissen und -prozessen vorgehen.
• Abschnitt 3 setzt sich mit der Beschwerde(un)zufriedenheit von Konsumenten auseinander. Dabei wird zuerst auf das allgemeinere Konstrukt der Verbraucherzufriedenheit - dem das Konstrukt Beschwerdezufriedenheit zugeordnet werden kann - zurückgegriffen. Gleichfalls wird erhoben, wie Beschwerdezufriedenheit bzw. -verhalten gemessen werden kann.
• Schwerpunkt von Abschnitt 4 bildet die Persönlichkeit in der Beschwerdeforschung. Dabei wird sowohl allgemein auf die menschliche Persönlichkeit, wie auch auf die Persönlichkeitsfaktoren, die auf die Beschwerdeführung Einfluss nehmen, eingegangen. Anschließend wird in Abschnitt 5 behandelt, welche Möglichkeiten der Messung von Persönlichkeitseigenschaften zur Verfügung stehen.
1.5.2 Quantitative Primärforschung
Auf Basis der theoretischen Abhandlung wird in Abschnitt 6 ein Modell erstellt (Korrelationsdesign), welches die Zusammenhänge zwischen unabhängigen Variablen (Persönlichkeitsdeterminanten) und den abhängigen Variablen (Beschwerdeführung, Beschwerdezufriedenheit) darstellt. 1 Die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse werden in einer quantitativen Forschung (standardisierter Fragebogen) untersucht.
Verwendung finden in der Erhebung Items der revidierten Form des Freiburger Persönlichkeitsinventars (FPI-R) sowie mehrstufige Likert-Skalen zur Messung der Einstellungen einer Person zum Produkt, der Beschwerdeneigung, der Beschwerdeintention, der Beschwerdeerwartung etc. Gegenstand der Befragung war ein high-involvement Produkt aus dem technischen Bereich. Befragt wurden Konsumenten, die ein bestimmtes Produkt einer Firma (einen Internetzugang) nutzen.
Die (Verbraucher)Beschwerde
2 Die (Verbraucher)Beschwerde
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Ziel einer jeden Leistungserbringung di- oder indirekt auf die Bedürfnisbefriedigung der Kunden ausgerichtet ist. Um unternehmerischen Erfolg sicherzustellen, orientieren sich Firmen daher an dieser Philosophie und bieten Leistungen an, die auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Ob die Realisierung der Bedürfnisbefriedigung erreicht wurde, lässt sich aus Kundensicht zumeist erst nach erfolgter Konsumation der erworbenen Leistung feststellen (vgl. Riemer 1986, S. 16). Entsprechen Dienst- oder Produktleistung der Qualitätserwartung der Konsumenten nicht, zieht dies zwangsläufig Unzufriedenheit nach sich, mit welcher Konsumenten umgehen müssen. Sind Kunden nicht zufriedengestellt, müssen sie daher gezwungenermaßen eine von verschiedenen Handlungsalternativen - z.B. Beschwerde, Boykott, Word-of-Mouth etc. - wählen (vgl. Bieberstein 1998, S. 251).
Nicht nur Konsumenten müssen sich mit Unzufriedenheit auseinandersetzen. Auch der Beschwerdeadressat (das betroffene Unternehmen) steht unter Handlungszwang und muss aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die am besten scheinenste wählen (vgl. Etzel/Silverman 1981, S. 126).
2.1 Überblick (Verbraucher)Beschwerde
Der vorliegende Abschnitt beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Begriff der Beschwerde. Dabei wird - um einen Überblick zu verschaffen und näher mit dem Bereich der Beschwerdeforschung vertraut zu machen - einleitend die Einordnung und Definition des Beschwerdebegriffs vorgenommen. Da für das Vorbringen einer Beschwerde meist der emotionale Zustand der Unzufriedenheit mit einer in Anspruch genommenen Leistung Voraussetzung ist, wird auch dargestellt, dass Unzufriedenheit nicht nur auf Mängel des Markts sondern auch auf geänderte Wohlstandsverhältnisse sowie Werthaltungen einer Gesellschaft zurückgeführt werden kann.
Erst nach der Darstellung der ‚Vorbedingung’ Unzufriedenheit werden mögliche Handlungsalternativen, über die unzufriedene Konsumenten verfügen, erläutert.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Als letzter Punkt wird behandelt, welche Variablen das Konsumentenbeschwerde- beeinflussen und welche Modelle des Beschwerdeverhaltens sich daraus ergeben.
2.2 Einordnung der Beschwerde
Wie Kunden auf Unzufriedenheit reagieren können, kann anhand zwei verschie- Dimensionen eingeordnet werden. Die Extrempole beider Maße bewegen sich einerseits zwischen kooperativem oder konfliktärem Reaktionsstil bzw. andererseits zwischen konkreten oder eher diffusen Äußerungen. Aus welchen verschiedenen Kombinationen gewählt werden kann, ist in Abb. 3 ersichtlich.
Dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten sehr fließend ver- kann dadurch herausgestrichen werden, da der Wortlaut „Ich will mich beschweren“ von Kunden häufig vermieden - aber mit der stillen Erwartung geäußert wird, dass der geschilderte Vorfall in Zukunft nicht mehr vorkommen soll (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 29).
konkret
konfliktär
Abb. 3: Arten verschiedener Kundenreaktionen auf Unzufriedenheit (Quelle: Schütze 1992, S. 297)
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass es sich in allen Fällen - mit Ausnah-
Die (Verbraucher)Beschwerde
me der Passivität - immer um unaufgeforderte verbraucherinitiierte Kommuni- handelt (vgl. Fornell 1982, S. 478). Während Kundenanfragen gestellt werden, da spezieller Informationsbedarf bezüglich des Leistungsangebots oder genereller Unternehmensaspekte eines Betriebs vorhanden ist (vgl. Jeschke 1996, S. 292), sind Vorschläge Kommunikationsangebote von Konsumenten oder auch potentiellen Kunden, die auf die Änderung und Beeinflussung des Leistungsspektrums eines Unternehmens abzielen.
Ob das Vorbringen von Anfragen und Vorschlägen überhaupt Unzufriedenheit rep- wird in der Zufriedenheitsforschung als fragwürdig angesehen. Die Wurzeln beider Aktionen liegen zwar in Erfahrungen mit nicht zufriedenstellenden Unternehmensleistungen, da aber im Gegensatz zur Beschwerde zumeist keine ‘direkte’ Form von Unzufriedenheit vorhanden ist, wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher auf diese beiden Möglichkeiten eingegangen (vgl. Riemer 1986, S. 76; Graf 1990, S. 42; Jeschke 1996, S. 292).
Wie aus Abb. 3 ersichtlich, werden Beschwerden als konkrete Äußerungen ange- die sowohl in konfliktärem als auch in kooperativem Stil vorgetragen werden können. Bevor darauf eingegangen wird, wie der Bogen von der Beurteilung der Leistungsqualität bis zur Reaktion auf Unzufriedenheit gespannt wird, erscheint es vorab wichtig, den Begriff der Beschwerde zu definieren und von anderen Begriffen abzugrenzen.
2.3 Begriffsabgrenzung - Beschwerde
Da die Einordnung der Beschwerde anhand zweier Dimensionen als nicht ausrei- erscheint - durch diese Art der Abgrenzung zu verwandten Begriffen werden die vorhandenen Differenzen zu wenig herausgestrichen, soll im folgenden Abschnitt der Begriff der Beschwerde inhaltlich von anderen abgegrenzt werden.
Die (Verbraucher)Beschwerde
„Die Beschwerde ist eine Äußerung über einen Missstand: eine Unzu- mit einem Produkt, den damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen oder mit irgend einem Umstand in der Vorphase des Kaufs oder beim Kauf selbst. Eine Beschwerde bezieht sich nicht unbedingt auf die schlechte Funktion oder das Versagen eines Produkts; sie setzt nicht einmal voraus, dass etwas gekauft wurde. Beschwerden können in mangelhaftem Service, in unzureichender Breite und Tiefe des Sortiments, in langen Warteschlangen, knappem Parkraum, unpraktischer Verpackung usw. begründet sein“ (Fornell 1982, S. 479; Bieberstein 1998, S. 251).
Mit dieser Definition kommt zum Ausdruck, dass eine Beschwerde eine Reaktion auf einen Zustand ist, der für den einzelnen Konsumenten weder zufriedenstellend noch tolerierbar ist. Ausschlaggebender Punkt einer Beschwerde ist somit das als subjektiv schädigend empfundene Verhalten des leistenden Unternehmens. Daher wird bei einer Beschwerde nicht darauf abgestellt, ob Unzufriedenheit auch objektiv gerechtfertigt ist. Dies kann damit begründet werden, da Beschwerden immer nur subjektive Äußerungen sind und diese Meinungen daher nicht objektiv nachvollziehbar bzw. repräsentativ sein müssen (Andreasen/Best 1977, S. 94). Dadurch wird indirekt festgestellt, dass sich unterschiedliche Personen und Persönlichkeitstypen in gleichen Situationen verschiedenartig verhalten können; für jeden Menschen ist etwas anderes subjektiv nicht gerechtfertigt.
Die Ursachen von Unzufriedenheit müssen nicht nur angebotsbezogen (ange- botsbezogene sein (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 31 bzw. S. 127)
- d.h. mit dem Kauf und der Inanspruchnahme einer Dienst- oder Produktleistung in unmittelbarem Zusammenhang stehend - sondern können sich auch auf das Umfeld innerhalb und außerhalb des Point of Sale beziehen.
Unter dem Oberbegriff Unternehmensleistungen werden somit nicht nur Waren- Dienstleistungen, sondern auch Nebeneffekte der Leistungserstellung - wie etwa die Auswirkungen der Marketinginstrumente - zusammengefasst (vgl. Riemer 1986, S. 32 f.). Unzufriedenheit kann daher auch aus den vom Unternehmen eingesetzten Marketinginstrumenten - die gegen individuelle Normen von (potentiellen) Kunden verstoßen - resultieren. Beispiele dafür sind etwa das Frauenbild in der Werbung oder auch gesellschaftliche Umweltfragen. Diese Form der Unzufriedenheit äußert sich nicht in leistungsbezogenen sondern in gesellschaftspolitischen Beschwerden.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Hervorzuheben ist, dass in der obigen Definition zwar die Vorkaufphase und die Kaufphase selbst als Unzufriedenheitsquelle angesehen werden, die Nachkaufphase - der Zeitraum in welchem dem herkömmlichen Sprachgebrauch nach Missstände üblicherweise auftreten - jedoch nicht explizit erwähnt wird. Da die mangelhafte Funktionsweise von Waren andererseits aber direkt angesprochen wird und diese fast ausschließlich in der Nachkaufphase entdeckt werden kann - von Dienstleistungen, bei welchen der Kunde in der Erstellungsphase in die Produktion eingebunden ist, abgesehen - stellt sich die Frage, ob in dieser Definition nicht auch indirekt die Nachkaufphase angesprochen wird.
Häufig wird synonym zum Beschwerdebegriff der Reklamationsbegriff verwen- Reklamationen sind jedoch auf die Inanspruchnahme von Gewährleistungen, die dem Kunden aufgrund des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) - welches beiden Parteien eines Kaufvertrags Rechte und Pflichten zuordnet - zustehen, beschränkt. Eine Reklamation bezeichnet „die Teilmenge von Beschwerden, in denen Kunden in der Nachkaufphase Beanstandungen an Produkten oder Dienstleistungen explizit oder implizit mit einer kaufrechtlichen Forderung verbinden, die gegebenenfalls juristisch durchgesetzt werden können“ (Hansen 1990, S. 449). Da der Beschwerdebegriff weiter als jener der Reklamation gefasst ist, stellt die Reklamation eine Untergruppe der Beschwerde dar. Während Reklamationen nur auf in Anspruch genommene Leistungen bezogen werden können, besteht bei Beschwerden die Möglichkeit, Unzufriedenheit auf alle Unternehmensleistungen zu beziehen (vgl. Hansen/Schoenheit 1987, S. 18; Graf 1990, S. 32).
Abgesehen vom zentralen Punkt der Unzufriedenheit - der sowohl beim Begriff der Beschwerde als auch der Reklamation vorkommt - gibt es noch andere Eigenschaften die eine Beschwerde charakterisieren:
„Beschwerden sind Artikulationen von Unzufriedenheit, die gegenüber dem Unternehmen oder auch Drittinstitutionen mit dem Zweck geäußert werden, auf ein subjektiv als schädigend empfundenes Verhalten eines Anbieters aufmerksam zu machen, Wiedergutmachung für erlittene Beeinträchtigungen zu erreichen und/oder eine Änderung des kritisierten Verhaltens zu bewirken“ (Stauss/Seidel 1998a, S. 27). Kernpunkt dieser Begriffsbestimmung ist - abgesehen vom Aufzeigen eines nicht zufriedenstellenden Zustands - das Streben nach Wiedergutmachung und einer
Die (Verbraucher)Beschwerde
eventuellen Änderung des Missstands. Das bedeutet, der beschwerdeführende Kunde verfolgt mit der Artikulation eine bestimmte Absicht.
Es soll noch festgehalten werden, dass die Adressaten von Beschwerden nicht unbedingt leistende Organisationen sein müssen. Unmutsäußerungen können auch an interessierte Dritte - etwa Verbraucherschutzbehörden, Medien oder auch Bekannte - gerichtet sein (vgl. Graf 1990, S. 32).
2.4 Gründe für Unzufriedenheit
Für das Vorbringen eine Beschwerde ist Unzufriedenheit ein wesentlicher Be- da Beschwerdeverhalten üblicherweise erst durch ein Gefühl von Unzufriedenheit ausgelöst wird (vgl. Singh 1988). Dabei stellt sich die Frage, wie Unzufriedenheit entstehen kann bzw. auf welche Ursachen sie zurückzuführen ist.
Als Ausgangspunkt für das Entstehen von Unzufriedenheit kann das in der Litera- weitverbreitete Konzept der Toleranzzone - welches vor allem beim Expectancy-Disconfirmation-Paradigma Verwendung findet - herangezogen werden. Bei diesem Konzept bildet der Konsument zwei unterschiedliche Bewertungsstandards: Einen der sich auf die gewünschte und einen anderen der sich auf die angemessene Leistung bezieht. 1 Erst bei Über- bzw. Unterschreiten dieser Standards entsteht (Un)Zufriedenheit. 2 Diesem Konzept zufolge sind Kunden nicht deswegen unzufrieden, weil eine Leistung nicht ihren Idealvorstellungen entspricht, sondern weil sie nicht einmal ein Minimum dessen erhalten haben, wovon sie glaubten es erwarten zu können. Nicht einmal die Minimalanforderung des Kunden konnte ‚abgedeckt’ werden (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 43).
Qualitätsaussagen über Leistungen kommen zustande, indem Konsumenten Pro- wahrnehmen und hinsichtlich ihrer Zweckeignung beurteilen. Wie erhaltene Leistungen wahrgenommen werden, ist jedoch individuell von Per-
Die (Verbraucher)Beschwerde
son zu Person verschieden (vgl. Kaas/Runow 1984, S. 453). Maßgebende Krite- für Qualitätsbeurteilung sind dabei Wahrnehmbarkeit und Beurteilbarkeit der Produkteigenschaften sowie die zeitliche Wirksamkeit (vgl. Hansen/Leitherer 1984, S. 35 f.).
Für das Auftreten von Kundenunzufriedenheit mit Produkt- oder Dienstleistungen gibt es mehrere Ursachen: Einerseits kann die Erwartungshaltung zu hoch, die Produktleistung zu gering sein (z.B. überteuerte aber auch veraltete Produkte) bzw. kann auch eine Kombination beider Ursachen vorliegen (vgl. Kaas/Runow 1984, S. 453). Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die wahrgenommene Leistung zwar zufriedenstellend ist, der Preis jedoch als überhöht bezeichnet oder eine Preiserhöhung als unfair eingestuft wird (vgl. Jacoby/Jaccard 1981, S. 5; Campbell 1999). Das bedeutet, dass im Gegensatz dazu Zufriedenheit auch auf geringe - weil resignative - Erwartungen und auf Leistungen zurückzuführen sein kann, die diese geringen Anforderungen übererfüllen. Dadurch wird auch ansatzweise erläutert, warum idente Unternehmensleistungen bei verschiedenen Verbrauchern einerseits Zufriedenheit, andererseits aber auch Unzufriedenheit hervorrufen können (vgl. Kaas/Runow 1984, S. 453).
Welche weiteren Auswirkungen der Grad der Zufriedenheit haben kann, wurde von Stauss und Neuhaus (1996, S. 132 f.) aufgezeigt. Kunden können bezüglich ihrer Gefühle, Erwartungen und der Einstellung gegenüber der aktuellen Geschäftsbeziehung zum Lieferanten unterschiedlichen Zufriedenheitstypen zugeordnet werden (siehe Tab. 1).
Der fordernd Zufriedene - ein aktiver Zufriedenheitstyp - setzt für die Aufrechter- der Geschäftsbeziehung voraus, dass das leistende Unternehmen mit den eigenen Anforderungen Schritt halten kann. Im Gegensatz dazu knüpft der stabil Zufriedene - dessen Anforderungs- und Anspruchsverhalten passiv ist - die Fortsetzung an keinerlei Bedingungen.
Ob aktiver oder passiver Zufriedenheitstyp, hängt von den Erwartungen ab, die der Konsument an das Unternehmen stellt, um die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Der resigniert Zufriedene hingegen sieht den Grund für das Aufrechterhalten der Geschäftsbeziehung nur darin, dass konkurrierende Unternehmen ebenfalls nicht in der Lage sind bessere Leistungen zu erbringen. In diesem Fall ist die Geschäftsbeziehung eher durch Gleichgültigkeit geprägt (vgl. Stauss/Neuhaus 1996, S. 131). Ändert der Konsument sein Verhalten selbst bei Unzufriedenheit nicht, kann dies daran liegen, dass die mit einem Unternehmenswechsel verbundenen Kosten und Unannehmlichkeiten zunächst als zu aufwendig beurteilt werden. Da diese Kunden außerdem keine nennenswerte negative Mundpropaganda betreiben, erscheinen sie inaktiv zu sein. Doch offenbar befindet sich der Grad an Unzufriedenheit noch innerhalb einer gewissen Toleranzzone. Obwohl ein resigniert zufriedener Konsument an der Geschäftsbeziehung weiter festhält, handelt es sich um keinen loyalen Kunden (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 44 f.).
Tab. 1: Zufriedenheitstypen (Quelle: in Anlehnung an Stauss/Neuhaus 1996, S. 131) 1
Auf Erklärungsansätze, worauf Unzufriedenheit zurückzuführen sein kann, soll im folgenden eingegangen werden. Abgesehen von nicht zufriedenstellenden Leistungen können allgemein
• marktorientierte Unzufriedenheit,
Die (Verbraucher)Beschwerde
• wohlstandsorientierte Unzufriedenheit bzw.
• Unzufriedenheit durch geänderte Werte
angeführt werden.
2.4.1 Marktorientierte Unzufriedenheit
Erklärungsansätze für marktorientierte Unzufriedenheit stützen sich zumeist auf die Hypothese, dass Unzufriedenheit durch Enttäuschungen über unbefriedigende Leistungen ausgelöst wird - also auf unzureichende Leistungen eines Unternehmen zurückgeführt wird (vgl. Scherhorn 1987, S. 33).
Die Erwartungshaltung an eine Produktleistung kann aufgrund verbesserter Pro- - die durch die Marktsituation und Handlungen von Konkurrenten erforderlich werden, z.B. durch Forschung und Entwicklung oder Optimierung des Leistungserstellungsprozesses, beeinflusst werden. Durch permanente Adaptierungen und Steigerungen der Leistungscharakteristika kann es zum Widerspruch kommen, dass sich zwar einerseits die Produktleistung erhöht, es aber andererseits aufgrund gesteigerter Konsumentenerwartungen bei der folgenden Inanspruchnahme einer Leistung zu abnehmender wahrgenommener Befriedigung kommt. Dies wirkt sich wiederum auf die Kunden(un)zufriedenheit aus (vgl. Andreasen/Best 1977, S. 94).
Eine weitere Ursache marktorientierter Unzufriedenheit ist die Verlagerung der Marketingaktivitäten von zueinander in Konkurrenz stehenden Unternehmen. Da die Kernleistungen einander immer ähnlicher und vom Kunden als selbstverständlich hingenommen werden, wird durch Kommunikationspolitik versucht, Nebenleistungen stärker herauszustreichen.
2.4.2 Wohlstandsorientierte Unzufriedenheit
Der wohlstandsorientierte Erklärungsansatz versucht - im Gegensatz zum markt- Ansatz - die Ursachen für die Entstehung von Unzufriedenheit in der Wohlstandsentwicklung einer Gesellschaft zu finden. D.h. obwohl der allgemeine
Die (Verbraucher)Beschwerde
Wohlstand steigt, nimmt der Anteil unzufriedener Konsumenten zu (vgl. Scherhorn 1987, S. 33).
Eine Erklärung für den Effekt der wohlstandsorientierten Unzufriedenheit bietet die Anspruchsniveautheorie (siehe Abb. 4).
Abb. 4: Beeinflussung des Anspruchsniveaus (Quelle: ausschnittsweise übernommen aus Trommsdorff 1998, S. 132)
Diese Theorie besagt, dass das Anspruchsniveau - die Erwartungshaltung - steigt, wenn eine vorangegangene gleichartige Handlung (Kaufakt) als erfolgreich eingestuft wurde. Als verstärkender Faktor wirkt sich zusätzlich Wohlstand aus. Bei gleichbleibendem oder stagnierendem Wohlstand und gleicher objektiver Produktleistung nimmt die Bedürfnisbefriedigung durch die wahrgenommene Leistung immer mehr ab und es kommt zu einer Verschiebung von positiver Nicht-Bestätigung über Indifferenz zu negativer Nicht-Bestätigung.
Als zusätzliches Argument kann auch angeführt werden, dass mit ansteigendem Wohlstand der Anteil der dauerhaften Gebrauchsgüter und Dienstleistungen zunimmt, währenddessen der Anteil von Verbrauchsgütern abnimmt. Da die Produktkomplexität von dauerhaften Gebrauchsgütern höher ist, nimmt damit auch das Risiko, mit einer Eigenschaft nicht zufrieden zu sein, zu. Außerdem bleiben dauerhafte Güter länger in Verwendung, was zusätzlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das gekaufte Produkt sich neben neu auf den Markt kommenden Modellen enttäuschend ausnimmt. Damit wird offensichtlich, dass Erwartungen und Kundenzufriedenheit in einem sehr engen Zusammenhang stehen.
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.4.3 Wertewandel
Kundenzufriedenheit kann allgemein als abhängig von Art und Umfang der Erfül- und Realisation von Konsumentenwünschen gesehen werden. Ebenfalls mit Wünschen - und in weiterer Folge mit der Veränderung von Wünschen - haben Werte und Wertewandel zu tun.
Damit wird angedeutet, dass Wertewandel und Konsumentenbedürfnisse in einer Wechselbeziehung zueinander stehen (vgl. Silberer 1987, S. 63). Das bedeutet, Bedürfnisse geben dem Wertewandel nicht nur Impulse, sondern werden umgekehrt auch selbst von Wertwandlungsprozessen beeinflusst. Die Tendenz zu erhöhten Lebensansprüchen und zur Selbstverwirklichung schlägt sich auch im Konsumbereich nieder und führt zu entsprechenden Anforderungen an die Güterqualität (vgl. Raffée 1987, S. 49).
Werte, die das Handeln und Denken von Individuen beeinflussen, können in viel- Art und Weise definiert werden. Allgemein kann jedoch festgehalten werden, dass Werte Anschauungen darüber sind, was vom einzelnen als richtig, fair und gerecht eingestuft wird. Außerdem repräsentieren Werte die grundlegenden Lebensziele - die Lebensprinzipien - einer Person. Werte beeinflussen die Auswahl bestimmter Handlungsalternativen dadurch, dass sie Ziele in Zielhierarchien (Präferenzen) ordnen (vgl. Runow 1982, S. 89). Daher wirken sich die individuell verschiedenen Wertvorstellungen auch auf verschiedene Handlungsweisen - z.B. das Konsumentenverhalten - einer Person aus (vgl. Rogers/Ross/Williams 1992, S. 81 f.).
Da der Begriff Wert in vielen verschiedenartigen Wissenschaftsrichtungen vor- und unterschiedlich verwendet wird, erscheint es notwendig, diesen Begriff vorab näher zu definieren. Prinzipiell sind Werte Vorstellungen vom Wünschenswerten, von grundlegenden Zielvorstellungen, die eine Vielzahl von Motiven und Einstellungen und in Abhängigkeit davon eine Vielzahl von beobachtbaren Verhaltensweisen bestimmen. Bestimmte Werte führen deshalb zu speziellen Einstellungen und Verhaltensweisen. Wird als Beispiel der Wert Familienzugehörigkeit herangezogen, führt dieser zu speziellen Einstellungen und Verhaltensweisen hin-
Die (Verbraucher)Beschwerde
sichtlich Wohnen, Essen, Freizeit, Urlaub etc. und damit zu konkreten Verhal- die einen bestimmten Lebensstil kennzeichnen (Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 548).
Ausschlaggebende Einflussfaktoren auf Werte ist die soziale Zugehörigkeit wie etwa zu einer Kultur oder Familie. Aus diesem Grund können innerhalb sozialer Gruppen relativ homogene Werte beobachtet werden. Welche die grundlegenden Werte einer Person sein können, ist in Tab. 2 angeführt. Dabei ist zwischen förderlichen und verstärkenden Werten zu unterschieden. Welche Wertvorstellungen in welchem Ausmaß für einen Menschen wichtig sind, ist interindividuell verschieden. D.h. nicht alle Menschen verfügen über die gleichen Werte.
Tab. 2: Persönliche Werte (Quelle: Rokeach 1969, S. 161) 1
Konsumbezogener Wertewandel kann am einfachsten am Stil der Werbung er- werden. So wurden in einer Untersuchung (vgl. Carlberg 1984a; Carlberg 1984b) Werbeanzeigen für Produkte verglichen und folgende Veränderungen festgestellt:
• von der Leistung zur Freizeit,
• von der Funktion zum Erlebnis,
• von der weiblichen Abhängigkeit zur Selbstständigkeit bzw.
• von der Realität zum Mythos.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Allgemein kann festgestellt werden, dass funktionale Produkteigenschaften an Bedeutung verlieren - die Erlebnisgesellschaft ist im Vormarsch. Stand früher der Versorgungseinkauf zur Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse im Vordergrund, wird heute mit Erlebniseinkäufen auch der eigene Lebensstil des Konsumenten zum Ausdruck gebracht (vgl. Weinberg 1992, S. 3 f.). Der grundlegende Wertewandel der westlichen Gesellschaft kann daher in der zunehmenden Erlebnis- und Genussorientierung, im Gesundheits- und Umweltbewusstsein sowie in der Betonung der Freizeit gesehen werden (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 124). Begünstigend wirken auch die Zunahme der Mobilität, die schwindende Differenzierung zwischen Berufs- und Freizeitarbeit sowie die demographische Entwicklung zu einer Gesellschaft der „Jungen Alten“ (vgl. Weinberg 1992, S. 13 f.).
Die Änderung der durch Werbung vermittelten Werte spiegelt die Änderung der Wertsysteme und des Einstellungsverhaltens innerhalb der Bevölkerung wider. Wie weitreichend Änderungen eines Wertesystems wirken können, soll am Beispiel ‘sportlich leben’ verdeutlicht werden (vgl. Trommsdorff 1989, S. 148 f.). Sportliches Leben beeinflusst nicht nur Konsumaspekte wie Kleidung, sondern auch Ernährung sowie Urlaubsintentionen. Außerdem müssen auch Design und Verpackung der Produkte den Ansprüchen der Kunden gerecht werden.
Welche Werte bzw. Wertverschiebungen sich auf das Marketing auswirken, wurde im asw-Report (1984, S. 27) festgehalten. Dieser Report bezieht sich zwar auf die ‚alten’ Länder der Bundesrepublik Deutschland, es ist jedoch anzunehmen, dass die Aussagen auch für den restlichen deutschsprachigen Raum Gültigkeit besitzen. So wurde etwa Umweltschutz von 94% der Bevölkerung für wichtig befunden. Dies wirkt sich dahingehend aus, dass im Konsumentenverhalten sowohl eine Rückbesinnung auf Naturwerte - energiesparende Produkte und Produktionsverfahren werden bevorzugt - als auch ein Trend zu verstärktem Gesundheitsbewusstsein zu beobachten ist. Zusätzlich kann ein verstärkter Trend hin zur Eigeninitiative festgestellt werden: Aktive Freizeitgestaltung und die Hinwendung zu erlebnisorientierter Freizeitgestaltung nehmen daher einen immer größeren Stellenwert ein.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Der Studie zufolge kommt es zu einer weitgehenden Ablöse der rein materiellen Werte durch postmaterielle Werte, d.h. Werte wie Umweltschutz und Selbstverwirklichung werden weiter an Bedeutung gewinnen (vgl. Inglehart 1979, S. 280; ähnlich ÖIJ/LBI/IPT/ISG 2001, S. 2). 1 Dabei stützt sich diese Hypothese auf folgende Behauptungen: Maslows Bedürfnishierarchie (1977) - wobei als Basis dieser Pyramide die grundlegenden biologischen und materiellen Werte fungieren und an der Spitze Selbstverwirklichung angesiedelt ist - bildet den Ausgangspunkt.
Unbestritten ist, dass sich heutige (moderne) Werte von früheren unterscheiden. Ausschlaggebende Ursache dafür sind jedoch nicht nur gesellschaftliche Prozesse, sondern auch technologische Änderungen. Doch da in westlichen Industriegesellschaften die Sättigung der Bedürfnisse nach materiellen Gütern zu einem Großteil erreicht ist - die grundlegenden Bedürfnisse sind gestillt, werden höhere Ebenen der Maslow´schen Bedürfnispyramide angestrebt: Selbstverwirklichung und verfeinertes emotionales Erleben (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 124). Durch die Tendenz zu erhöhten Lebensansprüchen und der Selbstverwirklichung werden neue Anforderungen an die Güterqualität im Konsumbereich gestellt: Ökologische und gesundheitsfördernde Produkte, Produkte mit kreativem Potential (Design), qualifiziertes Beratungspersonal, Erlebnisqualitäten etc. werden stärker nachgefragt. Daraus lässt sich schlussfolgern: Zufrieden gestellte Kunden erreicht man nur dann, wenn die Waren- und Dienstleistungsangebote diesen neuen Anforderungen entsprechen.
Zusätzlich zu diesen neuen Anforderungen gibt es auch Änderungen durch das gestiegene Kritikpotential auf Konsumentenseite und eine ‘Wegbewegung’ von früher traditionell lang anhaltenden Beziehungen Anbieter - Konsument. All diese Faktoren spielen zusammen, sodass sich die Schwelle, ab der Kundenzufriedenheit eintritt, in Zukunft weiter erhöhen wird (vgl. Raffée 1987, S. 49). Als Erklärung für das Ansteigen der Zufriedenheitsschwelle kann wieder das bereits erwähnte Konzept der Toleranzzone herangezogen werden, wo Konsumenten zwei unterschiedliche Bewertungsstandards bilden. Durch die Veränderung des Anspruchsniveaus wird die Latte sowohl für gewünschte Leistungen - als Obergrenze - als auch für angemessene Leistungen - die Untergrenze - nach oben verschoben
Die (Verbraucher)Beschwerde
werden. 1 Dieser Überlegung zufolge, muss sich aufgrund des gestiegenen Anfor- auch das Niveau, ab dem Kundenzufriedenheit eintritt, erhöhen.
Änderungen in den Wertvorstellungen der Kunden wirken sich nicht durch Kon- oder Konsumgleichgültigkeit aus, die Nutzenerwartungen an Produkt-und Dienstleistungen werden viel stärker voneinander differieren (vgl. asw-Report 1984, S. 33).
2.4.4 Kategorisierung Fehlerquellen
Da bereits allgemein auf das Entstehen von Unzufriedenheit eingegangen worden ist, soll im folgenden festgehalten werden, worauf Unzufriedenheit konkret zurückzuführen sein kann. Die verschiedenen Ursachen, womit Kunden nicht zufrieden sein können, sollen kategorisiert werden - z.B. die Verletzung individueller Normen durch Kommunikationsmittel der Unternehmen oder auch konkrete Produktmängel. Dabei wird allgemein von einer Hierarchie der Kundenzufriedenheit über verschiedene Fehlerdimensionen auf konkrete Fehlerklassen abgebrochen.
Abgesehen von der Hierarchie der Kundenzufriedenheit lassen sich Fehlerquellen grundsätzlichen auf zwei Arten kategorisieren: nach Fehlerdimensionen und nach Fehlerklassen. Der Unterschied ist darin zu sehen, dass bei Fehlerdimensionen eher allgemeine Leistungseigenschaften beurteilt werden, bei Fehlerklassen hingegen konkrete Mängel festgehalten werden.
Prinzipiell kann zwischen mehreren Ebenen der Unzufriedenheit differenziert wer- Dies ist einerseits Mikro- und andererseits Makro-Marketing-Unzufriedenheit (vgl. Renoux 1973, S. 53 f.; Bruhn 1985, S. 301) Mikro-Unzufriedenheit bezieht sich auf einzelne unternehmensindividuelle Leistungen - d.h. sie beschäftigt sich mit unternehmens- bzw. produktbezogener Zufriedenheit, Makro-Unzufriedenheit hingegen umfasst die „generell kritische Einstellung der Konsumenten gegenüber unternehmerischem Markthandeln“ (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 598; Hansen/Schoenheit 1987, S. 17). Obwohl sich Mikro-Marketing-Unzufriedenheit zwar auf konkrete nicht zufriedenstellende Leistungen bezieht - die üblicherweise nur in
Die (Verbraucher)Beschwerde
der Nachkaufphase auftreten - kann diese Art der Unzufriedenheit sowohl in der Vorkaufphase, während des Kaufakts bzw. in der Nachkaufphase auftreten (vgl. Hansen 1990, S. 116). Es soll auch darauf hingewiesen werden, dass in Verbindung mit Beschwerden eine weitere Zufriedenheitskategorie auftritt. Als dritte Ebene neben Mikro- und Makro-Unzufriedenheit kann Medium-Marketing-Unzufriedenheit angeführt werden (vgl. Hansen 1979). Hier bezieht sich die Kritik des Konsumenten auf bestimmte Produktgattungen.
Abgesehen von der Dreiteilung der verschiedenen Zufriedenheitskategorien gibt es eine „Hierarchie der Konsumentenzufriedenheit“, nach der sich (Un)Zufriedenheit gegenüber
• dem Marketingsystem,
• dem Unternehmen,
• der Produktgruppe/dem Dienstleistungsbereich,
• dem Produkt/der Marke/der Dienstleistung bzw.
• den Produkt- oder Serviceeigenschaften
erfassen lässt (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 598; Bruhn 1982, S. 15). Aussagekräf- als allgemeine Kategorisierungen von Unzufriedenheit sind jedoch konkrete Klassifizierungen von Unzufriedenheitsquellen. Dabei kann allgemein zwischen Fehlerdimensionen - hier wird zwischen realer und ideeller Leistungsqualität unterschieden - und konkret zwischen Fehlerklassen differenziert werden.
2.4.4.1 Fehlerdimensionen
Fehler und Probleme bei der Verwendung von Produkten können nach ein- aber auch mehrmaligem Gebrauch festgestellt werden kann (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 599). Für Einteilung und Unterscheidung von Problemkategorien gibt es unterschiedliche Ansätze.
Eine Möglichkeit besteht darin, die Kategorien technische und funktionale Qualität
Die (Verbraucher)Beschwerde
heranzuziehen (vgl. Grönroos 1983 zitiert nach Hill, 1986, S. 311). 1 Technische Qualität bezieht sich auf die reine Produktleistung, die der Konsument erhält. 2 Die funktionale Qualität hat hingegen damit zu tun, wie der Konsument das Produkt kauft. Letzteres umschließt nicht nur die Verkaufsumgebung am Point of Sale, sondern alle Ereignisse, die mit dem Kauf eines Produkts in Zusammenhang stehen. D.h. auch Werbemaßnahmen wirken sich darauf aus, wie Konsumenten die funktionale Qualität beurteilen. Da diese Qualität in weit größerem Ausmaß der subjektiven Wahrnehmung des Konsumenten unterliegt, sind technische Qualitä- ten eher dazu geeignet, objektive Urteile wiederzugeben.
Da beim Erwerb von Dienstleistungen das Verkaufsumfeld der Dienstleistung stär- im Vordergrund steht, kann in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Prozessqualität von Dienstleistungen verwiesen werden (Parasuraman/Zeithaml/Berry 1985, S. 42).
Eine weitere Möglichkeit der Kategorisierung besteht darin, den beiden Leistungs- reale und ideelle Qualität die Anforderungsarten von Konsumenten gegenüberzustellen (vgl. Hansen/Leitherer 1984, S. 40). Die beiden Dimensionen werden dabei in weitere Qualitätskriterien aufgespalten (siehe Tab. 3).
• Material-/ Stoffqualitä- • Geschmack • gesellschaftliche Aner- • Verarbeitungsqualität
• Funktionsqualität
• ökologische Qualität
Tab. 3: Inhaltliche Qualitätskategorien (Quelle: in Anlehnung an Han- 1984, S. 40)
Sowohl für Produkt- als auch für Dienstleistungen können ähnliche Kategorisie- verwendet werden. Durch die speziellen Eigenschaften von Dienstleistungen können auch andere spezifische Problemarten hervorgerufen werden. Es
Die (Verbraucher)Beschwerde
muss sich nicht nur um Mängel des faktischen Ergebnisses, sondern es kann sich auch um Mängel der Prozessqualität handeln. Zusätzlich kann es auch Beanstandungen der materiellen Elemente - die in den Leistungserstellungsprozess einfließen - geben (vgl. Stauss 1989, S. 53).
Für Unzufriedenheitsquellen im Dienstleistungsbereich haben Zeithaml/Berry/Parasuraman (1988) im Rahmen des SERVQUAL-Ansatzes ein Dimensionsmodell aufgestellt, anhand dessen die vom Kunden wahrgenommene Leistungsqualität mit fünf Dimensionen operationalisiert wird (vgl. Zeithaml/Parasuraman/Berry 1992, S. 34 f.; Stauss 1992, S. 12 f.; Stauss/Seidel 1998a, S. 111): 1
• Die materielle Komponente (eng. tangibles) setzt beim gesamten physischen Umfeld einer Dienstleistung an. Zusätzlich zu Räumlichkeiten und Einrichtung ist auch das Erscheinungsbild und Auftreten des Personals enthalten.
• Verlässlichkeit (eng. reliability) bezieht sich auf die Fähigkeiten, die versprochene Leistung zuverlässig, akkurat, richtig und rechtzeitig durchzuführen.
• Entgegenkommen/Reagibilität (eng. responsiveness) bezieht sich auf den Willen, die Schnelligkeit und die Einsatzbereitschaft aller leistenden Personen (Personal), dem Kunden zu helfen, die Leistung unverzüglich zu erbringen bzw. Anfragen sofort zu beantworten.
• Souveränität/Leistungskompetenz (eng. assurance) ist das Wissen, die Höflichkeit und die Vertrauenswürdigkeit, welche die Angestellten bzw. die sie unterstützenden Mitarbeiter dem Kunden vermitteln. Dabei sind die Komponenten Kompetenz, Zuvorkommenheit, Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit eingeschlossen.
• Verständnis/Einfühlungsvermögen (eng. empathy) ist die Bereitschaft des leistenden Personals, jeden Kunden individuell zu betreuen. Diese Dimension beinhaltet dabei Erreichbarkeit - leichter Zugang zu den Ansprechpartnern,
Die (Verbraucher)Beschwerde
Kommunikation - dem Kunde zuhören und sie in einer verständlichen Sprache informieren (Kommunikation) und Kundenverständnis - sich die Mühe machen, die Kunden und ihre Bedürfnisse kennenzulernen.
Hauptkritikpunkt an diesem Modell ist die nicht vorhandene Trennung von Einstel- und Handeln. Obwohl wichtige Aspekte einer Dienstleistung aus Kundensicht begreiflich gemacht werden, fehlt die direkte Verbindung zu den Verhaltensweisen des Anbieters (vgl. Chase/Stewart 1995, S. 84).
Abgesehen vom SERVQUAL-Ansatz kann prinzipiell zwischen fünf Dienstleistungs-Lücken unterschieden werden (siehe Abb. 5). Dabei wird nicht auf konkrete Dienstleistungsmängel, sondern eher darauf eingegangen, wie Abweichungen von der aus Kundensicht erwarteten Dienstleistung entstehen können.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Konsument
Die (Verbraucher)Beschwerde
• Durch Differenzen bei der Wahrnehmung der Kundenerwartungen durch das Management und der Spezifizierung der vom Kunden erwarteten Dienstleistungsqualität ergibt sich die zweite Lücke (GAP 2). Für Manager ist es deshalb schwierig Kundenerwartungen zu erfüllen oder sogar zu übertreffen, da nicht nur Kundenanforderungen, sondern auch andere Forderungen berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen z.B. die Forderung nach kurzfristiger Gewinnorientierung der Unternehmenseigentümer, die herrschende Marktsituation an die ein Unternehmen sich anpassen muss, die manchmal auftretende Gleichgültigkeit des Managements etc. Das Ausmaß dieser Lücke kann durch das Zusammenspiel von der Verpflichtung des Managements Dienstleistungsqualität zu verbessern, den angestrebten Unternehmenszielen, der Ziel-Standardisierung und der Wahrnehmung der Machbarkeit erklärt werden.
• Durch die Diskrepanz zwischen Spezifizierung der vom Kunden erwarteten Dienstleistungsqualität und Dienstleistungserstellung - inklusive der Vor- und Nachkaufkontakte mit dem Konsumenten, entsteht die dritte Lücke (GAP 3). Diese Lücke kann auch als „service performance gap“ bezeichnet werden. Damit wird der Unterschied zwischen der vom Management vorgegebenen Qualität und die dem Kunden tatsächlich gelieferten Qualität bezeichnet. Verantwortlich für das Entstehen dieser Lücke sind die Variablen Teamwork, ob Mitarbeiter für den Job geeignet sind, ob die verwendete Technologie für den Job geeignet ist, die wahrgenommene Kontrolle der Mitarbeiter über die jeweilige Situation der Leistungserstellung, kontrollierende Aufsichtssysteme, Rollenkonflikte und Rollen-Klarheit.
• Lücke vier (GAP 4) entsteht durch Unterschiede zwischen der Dienstleistungserstellung und der externen kundengerichteten Kommunikation. Erst durch kundengerichtete Werbemaßnahmen werden beim Konsumenten konkrete Erwartungen an eine Leistung gebildet. Werden jedoch gar keine oder nur einseitig übertriebene Informationen kommuniziert, ergibt sich daraus gezwungenermaßen eine Differenz zwischen Kundenvorstellung und tatsächlicher Dienstleistungsqualität. Beeinflussende Faktoren dieser Lücke sind dabei die horizontale Kommunikation und der Hang des Unternehmens, zu hohe Erwartungen zu wecken, d.h. nicht erfüllbare Versprechungen abzugeben (vgl.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Zeithaml/Berry/Parasuraman 1988, S. 39 f.).
• GAP 5 ist die Differenz zwischen Kundenerwartungen und der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität, wobei dieser Ansatz auch beim C/D-Paradigma verwendet wird. 1
2.4.4.2 Fehlerklassen
Stauss und Seidel (1998, S. 112 f.) haben die grundlegenden Fehler - die bei an- Leistungen auftreten können - an Hand von sieben Klassen systematisiert, wobei jedoch keine Trennung in Güter oder Dienstleistungen vorgenommen wurde. Die in Tab. 4 dargestellte Klassifizierung umfasst nicht nur alle zufällig auftretenden Fehlerarten, sondern inkludiert auch alle absichtlich begangenen Mängel der Leistungserstellung (z.B. Unfairness und Inaktivität von Unternehmensseite). Nicht angeführt ist jedoch, wer der Verantwortliche für die aufgetretenen Schwierigkeiten ist. Werden die angeführten Fehlerarten näher betrachtet, sieht es jedoch meist so aus, als ob der Leistungserbringer der Verursacher ist.
Die (Verbraucher)Beschwerde
• Preis oder unrichtiger Preisbestandteile (Preishöhe, Rabatte)
• Produkt (Falsch- oder Minderlieferung der bestellten Ware)
• Rechnung (enthält nicht erbrachte Leistungen, mehrfache Rechnungsausstellung, Fehler in der Rechnung)
• Produktqualität (durch eingeschränkte Funktionsweise)
• Dienstleistungsqualität (durch schlechte Leistungserbringung während des Erstellungsprozesses bzw. wegen eines nicht zufriedenstellenden Ergebnisses der Dienstleistung)
• zeitliche Zusagen (z.B. verspätete Lieferung)
• Leistungszusagen (z.B. keine Reservierung) Interaktionsprobleme wegen ...
• Unfähigkeit der Mitarbeiter (Sprachprobleme, Inkompetenz)
• Unwilligkeit der Mitarbeiter (mangelnde Hilfsbereitschaft, Unfreundlichkeit) eingeschränkte Zugänglichkeit der Leistung durch ...
• unverständliche Instruktionen (Gebrauchsanweisungen schwer oder nicht verständlich)
• fehlende Beratung (Kompetenzschwierigkeiten bzw. zu wenig Personal)
• Lieferprobleme (Unternehmen hat zu wenig Waren auf Lager)
• Begrenzung der Kontaktaufnahme (telefonische Erreichbarkeit nicht gegeben, Öffnungszeiten sind nicht an Kundenwünschen orientiert)
• Geschäftspraktiken (Regelungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen)
• individueller Behandlung (Unterscheidung zwischen Kunden bezüglich Preis und Lieferprioritäten)
• Kommunikation (falsche, irreführende bzw. täuschende Werbung) Inaktivität bei ...
• Kundenanfragen, -wünschen und -forderungen (werden vom Unternehmen nicht behandelt)
Tab. 4: Klassifizierung der Fehlerarten (Quelle: in Anlehnung an Stauss/Seidel 1998a, S. 112 f.)
Ein allgemeines Kategorienschema für (Dienstleistungs)Beschwerden wurde von Chase und Stewart erstellt, wobei zwischen der Dimension der Kaufphase und der Dimension des Anbieters bzw. des Nachfragers (Kunde) differenziert wird (siehe Tab. 5). Diese Kategorisierung wurde zwar nur für den Dienstleistungsbereich vorgenommen, durch die angeführten Beispiele - wie etwa den Problemen in der Nachkaufphase (z.B. Garantieproblem, Beipackzettel etc.) - kann davon ausge-
Die (Verbraucher)Beschwerde
gangen werden, dass die Unterteilung für den Güterbereich ebenso Gültigkeit be-
Tab. 5: Allgemeines Kategorienschema für (Dienstleistungs)Beschwerden (Quelle: eigene Tabelle nach Chase/Stewart 1995, S. 83 f. bzw. Staus/Seidel 1998, S. 113 f.)
Unterschiede im Vergleich zu den Fehlerkategorien von Stauss und Seidel sind die in geringerem Ausmaß vorhandenen Differenzierungsmerkmale, die Verknüpfung von Problemkategorie und -ursache und die Berücksichtigung von Fehlern, die in der Verantwortungssphäre des Konsumenten liegen. Problematisch ist allerdings, dass eine eindeutige Zuweisung in eine Kategorie nicht immer vorgenommen werden kann und auch - vom Standpunkt der Beschwerdebearbeitung - nicht immer sinnvoll ist. Es wird nicht immer eindeutig zuordenbar sein, ob die Ursache von Kundenunzufriedenheit auf Fehler in der Produktplanung, auf mangelnde Qualitätskontrollen oder auch auf falsche Produktverwendung zurückzuführen ist.
Tritt der Fall ein, dass die Ursachen für Beschwerden zwar in der Sphäre des Kunden liegen, ein Unternehmen aber trotzdem Unzufriedenheitsäußerungen erhält, die einander sehr ‚ähnlich’ sind, dann ist wohl davon auszugehen, dass die Beschwerdeursache innerhalb des Unternehmens liegt.
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.5 Reaktion auf Unzufriedenheit
Empfinden Kunden mit einer in Anspruch genommenen Leistung Unzufriedenheit, müssen sie damit umgehen. Die ‚einfachste’ Form besteht darin, die Tatsache der Unzufriedenheit zu akzeptieren und keine Handlung zu setzen. Eine Alternative zu Passivität stellen Abwanderung und Widerspruch dar. Obwohl dem leistenden Unternehmen auf beide Arten signalisiert wird, dass es Schwierigkeiten mit den angebotenen Leistungen gibt, ist aus Anbietersicht dem Widerspruch (unternehmensgerichtete Beschwerde) der Vorzug zu geben. Erst diese Form der Unzufriedenheitsartikulation ermöglicht es, Beschwerdeführer ex-post zu befriedigen, sich von Konkurrenten abzuheben und außerdem Schwachstellen im Betrieb zu identifizieren.
2.5.1 Verhaltensauslösender Prozess
Ausgangspunkt, ob es zu einer Beschwerde kommt, ist, ob der Konsument Unzu- empfindet. 1 Im Fall, dass sich Konsumentenunzufriedenheit lediglich als Gefühl äußert, jedoch keine konkrete Reaktion nach sich zieht, ist diese Unzufriedenheit für das Marketing nicht direkt von Bedeutung, weil davon kein Stimulus für korrigierende Marketingaktivitäten ausgeht (vgl. Riemer 1986, S. 69).
Wird die Möglichkeit eines Kompliments ausgeklammert - dies soll hier nicht weiter verfolgt werden - stehen einem unzufriedenen Konsumenten zwei Reaktionen zur Verfügung - die Möglichkeit einer Beschwerde und die keiner Reaktion (siehe Abb. 6). 2
Nach dem Evaluierungsprozess kann der Konsument Zufriedenheit, Unzufrieden- aber auch ein Gefühl der Indifferenz empfinden. Geht man vom obigen Modell aus, sind Beschwerde- und Komplimentverhalten die Reaktion eines Konsumenten auf empfundene (Un)Zufriedenheit (vgl. Day 1984, S. 497).
Abb. 6: Die Erklärung von Verhaltensreaktionen mit Hilfe der Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit (Quelle: in Anlehnung an Gierl/Sipple 1993, S. 241)
Ob die erlebte Unzufriedenheit auch in Form einer Beschwerde geäußert wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Ausschlaggebend für die Wahl der Reaktion ist, welche Bedeutung dem aufgetretenen Problem zugemessen wird (Meffert/Bruhn 1981, S. 599). Ist etwa der Preis einer Leistung gering, sind Kunden zwar unzufrieden und verärgert, der geringe Preis aber kann eine Beschwerdeaktion verhindern (vgl. Kendall/Russ 1982, S. 248).
Den Aufwand für eine Beschwerde werden Konsumenten nur dann in Kauf neh- wenn erwarteter und angestrebter Nutzen höher als der Aufwand der damit verbundenen Unannehmlichkeiten sind (vgl. Fornell 1982, S. 479). Einige Untersuchungen haben festgestellt, dass viele unzufriedene Konsumenten ihre Enttäuschungen nicht durch Beschwerden zum Ausdruck bringen. Es muss aber auch erwähnt werden, dass Beschwerden manchmal völlig grundlos von eigentlich zufriedenen Konsumenten vorgetragen werden, die das Ziel haben, dadurch Vorteile zu erreichen (vgl. Riemer 1986, S. 77).
Es besteht die Möglichkeit, dass Kunden zwar (noch) nicht unzufrieden sind, auf- einer Qualitätsverschlechterung der Leistung allerdings ein Unbehagen verspüren. Doch nicht nur Leistungsmängel, sondern auch Vorfälle wie unfreundliche Bemerkungen oder unzureichende Informationen können zur Verärgerung von Konsumenten führen (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 74). Nach Hirschman (1974, S. 28) sind die Konsumenten zwar i.d.R. noch nicht bereit einen Marken- oder Geschäftswechsel vorzunehmen (Abwanderung), um allerdings das Unbehagen zu artikulieren, können andere Möglichkeiten des Widerspruchs ergriffen werden (z.B. Mundpropaganda etc). Daher sind nicht abwandernde Konsumenten potentielle Träger des Widerspruchs.
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2.5.2 Handlungsalternativen
Tritt Unzufriedenheit auf, haben Kunden mehrere Möglichkeiten, wie sie weiter vorgehen können. Die Beschwerdeführung von Konsumenten umfasst dabei alle kognitiven und affektiven Prozesse sowie Verhaltensweisen unzufriedener Kunden, die darauf abzielen, subjektiv wahrgenommene Probleme zu lösen, die entweder beim Kauf oder während der Nutzung aufgetreten sind (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 597). Beschwerdestrategien reichen von stillem Anbieterwechsel bis zu (üblicherweise meist negativer) Mundpropaganda. Verhalten auf Unzufriedenheit ist nicht eine einzige isolierte Aktion, die der Konsument setzt, sondern „a set of multiple (behavioral and non-behavioral) responses“ (Singh 1988, S. 94). Konsumentenbeschwerdeverhalten ist dabei ein Anzeichen für die Inadäquanz früherer Marketingentscheidungen eines Betriebs (vgl. Fornell/Westbrook 1984, S. 69).
Für Unternehmen - gleich ob Produkt- oder Dienstleistungen angeboten werden - bedeutet dies im Umkehrschluss, dass - wenn sich Unzufriedenheitsfälle häufen - der Marktmechanismus selektierend eingreift und das betroffene Unternehmen ‚hart‘ treffen kann (vgl. Fornell 1982, S. 480). 1 Wie und in welchem Ausmaß Unternehmen von der Marktselektion getroffen werden, hängt davon ab, ob es regelmäßige Kontakte mit den Kunden gibt (z.B. Verbrauchsgüter) oder ob Kontakte in eher unregelmäßigen Abständen (z.B. Gebrauchsgüter) aufgenommen werden (vgl. Fornell 1982, S. 483).
Wird von Situationen ausgegangen, in denen Unzufriedenheit entstanden ist, lässt sich prinzipiell danach unterscheiden, ob es zu einer Handlung - die entweder privaten oder öffentlichen Charakter hat - kommt oder nicht (vgl. Krapfel 1985, S. 346). Interessant für das Unternehmen sind zwar nur unternehmensgerichtete Beschwerden, aufgrund mangelnder Rückmeldungen kann allerdings nicht der Umkehrschluss von zufriedenen oder zustimmenden Kunden gezogen werden (vgl. Riemer 1986, S. 699).
Die (Verbraucher)Beschwerde
Abb. 7 zeigt, welche Möglichkeiten den Konsumenten zur Verfügung stehen, falls Qualitätserwartung und -wahrnehmung einer Produktleistung differieren und dadurch Unzufriedenheit entsteht.
Abwanderung
negative Mundkommunikation
Inaktivität
Beschwerde
Abb. 7: Kunden(un)zufriedenheit und Beschwerdeverhalten (Quelle: in Anleh- an Stauss 1989, S. 44; Hansen 1990, S. 118; Singh/Pandya 1991, S. 8)
Als zusätzliche Verhaltensmaßnahme können Konsumenten die obigen Maßnah- miteinander kombinieren (vgl. Riemer 1986, S. 32 bzw. 73; Bieberstein 1998, S. 251). So kann z.B. ein eventueller Wechsel des Anbieters mit der verbalen Diskreditierung des Produkts oder des leistenden Unternehmens verbunden werden.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Konsumenten materieller Güter die gleichen Möglichkeiten wie Konsumenten von Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Unterschiede wird es nur dahingehend geben, ob der Beschwerdeweg persönlich oder medial angetreten wird. Bei Dienstleistungen wird jedoch die persönliche unternehmensgerichtete der medialen Beschwerde deshalb vorgezogen werden, da Kunden intensiver in den Produktionsprozess integriert sind und daher Unzufriedenheit direkt gegenüber dem Servicepersonal äußern können (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 75 f.; Bieberstein, 1998, S. 254).
In Abb. 8 soll ein Überblick über die potentiellen Verhaltensalternativen von Verbrauchern bei Unzufriedenheit gegeben werden. Dabei wird gerade diese Systematisierung herangezogen, da - im Gegensatz zu anderen Autoren - auch die Möglichkeiten von Kundenanfragen bzw. -vorschlägen integriert sind.
Die (Verbraucher)Beschwerde
• einzelne Leistungen (Pro- • Hersteller(Markenwechsel)
• Handel (Geschäftswechsel) • Leistungen generell (Kon- • DL-Unternehmen
• individuell (Beschwerde) • privat (Word-of-Mouth) • kollektiv (Aktionen)
• öffentlich (Einschaltung Dritter)
Abb. 8: Verhaltensalternativen von Konsumenten bei Unzufriedenheit (Quel- in Anlehnung an Graf 1990, S. 43)
Hirschman (1974, S. 25 f.) hat die Fälle, in denen Konsumenten Unzufriedenheit in Aktionen umsetzen, in die Kategorien Abwanderung und Widerspruch geteilt. 1
Die Möglichkeit der Abwanderung kann in den Wechsel einer Unternehmensleis- oder des leistenden Unternehmens geteilt werden. Dabei fallen unter diesen Punkt sowohl Produkt-, Marken- als auch Geschäftswechsel. Zusätzlich führt er auch noch den Marktaustritt (Konsumverzicht) an (vgl. Hirschman 1974, S. 17 f.; Jeschke 1996, S. 282). Es wird darauf hingewiesen, dass im Fall starken Wettbewerbs Beschwerden eher seltener ausgesprochen werden, sondern bevorzugt von der Möglichkeit auf alternative Produkte zurückzugreifen Gebrauch gemacht wird.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Beim bereits erwähnten Boykott bestimmter Güter und Dienstleistungen - der Kunde verzichtet auf den Konsum - stellt sich die Frage, inwieweit solch eine Sanktion überhaupt durchführbar ist. Unter potentielle Boykottmöglichkeiten fallen der Boykott einer Produktklasse, einer Marke oder eines Verkäufers (vgl. Day/Schätzle/Grabicke/Staubach 1981, S. 88).
Mit Widerspruch ist das kommunikative Verhalten gemeint, das aufgrund der Un- gezeigt wird: Dabei kann Unzufriedenheit sowohl gegenüber dem Unternehmen - in Form einer individuellen Beschwerde oder einer kollektiven Aktion - als auch gegenüber anderen Dritten - durch private negative Mundpropaganda - kommuniziert werden. Gezwungenermaßen müssen Beschwerden jedoch nicht direkt an das leistende Unternehmen, sondern - wobei diese Möglichkeit ausschließlich bei materiellen Gütern besteht - auch an den Produzenten gerichtet sein. Darüber hinaus müssen Beschwerden nicht immer direkt auf persönlichem Wege eingebracht werden, sondern es können dritte Parteien - etwa Rechtsanwälte - zwischengeschaltet werden (vgl. Day/Landon 1977, S. 430; Day/Schätzle/Grabicke/Staubach 1981, S. 88). Ob es sich beim Einschalten eines Anwalts jedoch noch um eine Beschwerde und nicht schon vielmehr um eine Reklamation handelt, ist jedoch als zweifelhaft anzusehen.
Eine zusätzliche Handlungsalternative, die üblicherweise zur Verfügung steht, ist die Möglichkeit einer öffentlichen Beschwerde gegenüber Drittinstitutionen. Diese Verbraucherschutzeinrichtungen werden häufig jedoch erst dann kontaktiert, wenn eine bereits ergriffene Beschwerdemaßnahme fehlgeschlagen ist. Beschwerden, die nicht direkt dem leistenden Unternehmen gegenüber vorgebracht werden, bergen das Problem in sich, dass es aufgrund des Multiplikatoreffekts zu negativer Kommunikation über Unternehmensleistungen kommen kann (vgl. Riemer 1986, S. 72 f.).
Eine andere Typologisierung möglicher Rektionsweisen unzufriedener Kunden wurde bei einer branchenübergreifenden Untersuchung anhand einer Cluster-Analyse entwickelt (vgl. Singh 1990, S. 88 f.).
• Passives sind dabei jene unzufriedenen Kunden, die auf keine Art und Weise -
Die (Verbraucher)Beschwerde
auch nicht durch Abwanderung - reagieren.
• Jene unzufriedenen Konsumenten, die sich ebenfalls nicht beschweren, allerdings sofort zur Konkurrenz abwandern und dies mit negativer Word-of-Mouth kombinieren, werden als Irates bezeichnet.
• Bei den unzufriedenen Beschwerdeführern kann zwischen Voicers und Activists unterschieden werden. Voicers sind jene unzufriedenen Kunden, die sich nur an den Anbieter selbst wenden. Activists hingegen nutzen alle möglichen Formen von Unzufriedenheitsäußerungen wie Beschwerde beim Anbieter, Word-of-Mouth und informieren auch Verbraucherorganisationen.
Einen Erklärungsansatz, von welcher Handlungsalternative der unzufriedene Kun- Gebrauch macht, bietet die Opponent-Prozess Theorie (Solomon/Corbit 1974). Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Unzufriedenheit durch eine geringe Stabilität gekennzeichnet ist. Die Theorie besagt, dass sich das Phänomen Unzufriedenheit relativ kurzfristig auf ein (Un)Zufriedenheitsmaß zurückentwickelt, dass individuell tolerierbar ist. Mit diesem Rückentwicklungsprozess nimmt auch das Handlungspotential ab. Gibt es für Konsumenten nicht die Möglichkeit, unverzüglich eine Handlung zu setzen, kann es dazu kommen, dass eine eventuell beabsichtigte Aktion unterbleibt.
Es kann allerdings - trotz der Nicht-Reaktion - dazu kommen, dass eine Erinne- an die Unzufriedenheit im Unterbewusstsein bleibt und bei neuerlichem Auftreten eines Problems aktiviert wird. Dies kann dann zu einer schärferen Beurteilung und höherem Handlungspotential führen.
2.6 Konsumentenbeschwerdeverhalten
Betrachtet man das Beschwerdeverhalten von Konsumenten, stellen sich mehrere Fragen: „Wer beschwert sich bezüglich welcher Probleme unter welchen Umständen auf welche Weise bei welcher Institution - und wer beschwert sich nicht?“ (Stauss/Seidel 1998a, S. 40). Welche Überlegungen werden von Konsumenten
Die (Verbraucher)Beschwerde
angestellt, bevor sie den Beschwerdegang auf sich nehmen? Was unterscheidet Probleme, die geäußert werden von Problemen die Verbraucher nicht vorbringen?
Die Entscheidung, ob Konsumenten den Beschwerdegang antreten, ist ebenso komplex wie der Prozess zur Bildung der Erwartungshaltung. Denn „die Beschwerdeführung von Konsumenten umfasst alle kognitiven und affektiven Prozesse und Verhaltensweisen von Konsumenten, die darauf ausgerichtet sind, subjektiv wahrgenommene Produkt- oder Dienstleistungsprobleme zu lösen, die beim Kauf bzw. der Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen aufgetreten sind“ (Bruhn 1981, S. 2).
2.6.1 Faktoren des Beschwerdeverhaltens
Die bisherigen empirischen Ergebnisse der Beschwerdeforschung wurden von Stauss und Seidel (1996, S. 47 f.) folgendermaßen zusammengefasst, wobei jedoch mehrere Faktoren beeinflussen, welche mögliche Handlungsalternative im Unzufriedenheitsfall ergriffen wird (siehe Abb. 9):
Einflussfaktoren der Handlung
• Beschwerdekosten
• Beschwerdenutzen
Unzufriedenheit • Produktmerkmale
• Problemmerkmale
• personenspezifische Merkmale
• situationsspezifische Merkmale
Abb. 9: Einflussfaktoren auf Beschwerdeverhalten (Quelle: in Anlehnung an Stauss/Seidel 1998a, S. 48)
Abgesehen von der in Abb. 9 dargestellten Systematisierung gibt es weitere un- Auffassungen darüber, welche Variablen sich auf das Beschwerdeverhalten von Konsumenten auswirken.
Einer anderen Auslegung zufolge sind die maßgeblich beeinflussenden Faktoren, ob es zu einer Beschwerdehandlung kommt oder nicht, Indikatoren wie problembezogene, produktspezifische und personenbezogene Merkmale (vgl. Mef-
Die (Verbraucher)Beschwerde
fert/Bruhn 1981, S. 602 f.). 1 Gierl und Sipple (1993, S. 245) wiederum unterteilen die Einflussgrößen für das Beschwerdeverhalten in situativ wirksame und zeitlich relativ stabile Faktoren. Unter situativ wirksamen Faktoren werden Unzufriedenheit, die mögliche Kosten-Nutzen-Relation der Beschwerde und die Erfolgswahrscheinlichkeit angeführt. Zeitlich stabile Bestimmungsfaktoren umfassen die wahrgenommenen Abwanderungsmöglichkeiten und die allgemeine Einstellung gegenüber Beschwerden.
Gleich welche Einflussfaktoren herangezogen werden, bleibt jedoch, dass die ein- Variablen nicht isoliert wirken, sondern eine verflochtene Wirkungsweise zu beobachten ist.
2.6.1.1 Unzufriedenheit 2
Das Maß der Unzufriedenheit hat zwar wesentlich Einfluss auf das Beschwerde- - Unzufriedenheit selbst ist jedoch keine notwendige Komponente für Beschwerdeäußerungen. Es können und werden sich auch Konsumenten beschweren, wenn sie sich dadurch Vorteile erwarten (vgl. Riemer 1986, S. 80). Prinzipiell ist jedoch feststellbar, dass mit zunehmender Unzufriedenheit die Wahrscheinlichkeit einer Beschwerde gleichfalls steigt (vgl. Landon 1977, S. 31; Krapfel 1985, S. 346). Abgesehen vom individuellen Grad der Unzufriedenheit wirken sich auch vom jeweiligen Problemfall unabhängige Faktoren auf das Konsumentenverhalten aus (vgl. Bruhn 1982, S. 30):
Die (Verbraucher)Beschwerde
• Niveau der Zufriedenheit (Konsumentenzufriedenheit und spezielle Produktzufriedenheit),
• Häufigkeit der Produktbeanstandung,
• Probleme zum Kaufzeitpunkt bzw.
• das wahrgenommene Kaufrisiko. 1
2.6.1.2 Problemmerkmale
Nicht alle wahrgenommenen Probleme einer Leistung machen sich im gleichen Ausmaß in einer Beschwerde bemerkbar. Bei den problembezogenen Merkmalen handelt es sich um die Faktoren, die den Problemfall näher spezifizieren.
• Art der Beanstandung (welche Probleme/Mängel),
• individuelle Beurteilung der Problemwichtigkeit,
• Problem/Schaden in der Garantiezeit des Produkts,
• Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Produkts,
• Kosten der Schadensbehebung bzw.
• Zuordnung der Verantwortung für das Problem/den Schaden (vgl. Bruhn 1982, S. 30).
Üblicherweise werden Schwierigkeiten von Verbrauchern nur dann offen ange- wenn es sich um manifeste Probleme handelt. In diesen Fällen gibt es keinen oder nur geringen subjektiven Ermessens- und Bewertungsspielraum bei der Feststellung des Problemverursachers. D.h. der Kunde hat lediglich einen Beweis für das Auftreten des Problems vorzulegen (z.B. einen falschen Artikel, einen falsch berechneten Preis etc.), der von Unternehmensseite vernünftigerweise akzeptiert wird. Ist ein schädigender Sachverhalt hingegen schwer zu beweisen oder kann ein Vorfall auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden, werden Kunden seltener das Wagnis einer Beschwerde auf sich nehmen (vgl. Andreasen 1982, S. 188; Graf 1990, S. 86; Hansen 1990, S. 119 f.; Stauss/Seidel 1998a, S. 51).
Die (Verbraucher)Beschwerde
Dass die Ursachenzuweisung nicht immer einfach ist, lässt sich bei Dienstleistun- nachvollziehen. Je stärker die Integration des externen Faktors Konsument in die Leistungserbringung erfolgt, desto mehr nimmt die Eindeutigkeit der Ursachenattribution ab (vgl. Hill 1986, S. 313). Die Einbeziehung des Käufers in den Erbringungsprozess lässt den Konsumenten zum Schluss der teilweisen Mitverantwortlichkeit für den Grund der Unzufriedenheit kommen (vgl. Zeithaml 1981, S. 189). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass gezwungenermaßen bestimmte Probleme häufiger als andere vorgebracht werden (vgl. Andreasen/Best 1977, S. 94):
• Je wichtiger das Konsumereignis - finanziell und sozial gesehen - für den Käufer ist, desto ernsthafter werden auch die damit verbundenen Probleme eingestuft werden. Daher wird es bei diesen wichtigen Problemen am ehesten zu Beschwerden kommen. Dieser Ansatz - Relevanz des Konsumereignisses - bezieht sich auf den Grad des Involvements des Kunden (vgl. Gronhaug 1977, S. 164). 1
• Unter den problemspezifischen Merkmalen sind auch jene Schwierigkeiten zu subsumieren, die in Folge eines Leistungsmangels auftreten und so das Problem direkt oder indirekt beeinflussen: So kann z.B. eine mangelhafte Autoreparatur zu Folgekosten führen (vgl. Hart/Heskett/Sasser 1990, S. 151).
• Es kann vorkommen, dass Probleme mit Leistungen fälschlicherweise dem Hersteller zugeschrieben werden: Ursachen dafür können unrealistische Erwartungen sein oder Missverständnisse über die adäquate Nutzung eines Produkts (vgl. Andreasen/Best 1977, S. 96).
2.6.1.3 Situationsspezifische Merkmale
Situative Faktoren der Beschwerdeführung - unmittelbarer Geschäftsschluss oder das Wochenende - stehen der sofortigen Umsetzung von Unzufriedenheit in einer Beschwerde entgegen. Je länger diese Faktoren eine Barriere bilden, desto wahr-
Die (Verbraucher)Beschwerde
scheinlicher ist es, dass das aktivierende Potential Unzufriedenheit für eine Be- abgebaut wird (siehe Abb. 10). D.h. mit zunehmender Zeitdauer sinken sowohl das beschwerdeauslösende Potential sowie in weiterer Folge auch die Beschwerdeneigung einer Person ab (vgl. Gierl/Sipple 1993, S. 246).
Abb. 10: Ebbinghaus'sche Vergessenskurve (Quelle: Hüttner/von Ah- 1999, S. 36) 1
Doch nicht nur Zeitdruck, sondern auch andere Begleitumstände können sich auswirken. Ausschlaggebende Faktoren sind auch Begleitpersonen oder das Beobachtet-Werden durch dritte Personen, wodurch es zu Handlungszwängen kommen kann (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 53).
Hansen (1990, S. 120) bezieht die situativen Determinanten auf die Anbieterseite, d.h. ob auf einem Markt intensiver Wettbewerb herrscht oder nicht. Je stärker die Konkurrenzsituation auf einem Markt, desto geringer ist die Beschwerdewahrscheinlichkeit.
2.6.1.4 Personenspezifische Merkmale
Personenbezogene Merkmale können in soziodemografische und psychografische Merkmale aufgeteilt werden (vgl. Hansen 1990, S. 120). Soziodemografische
Die (Verbraucher)Beschwerde
Merkmale umfassen individuelle Unterschiede der Konsumenten hinsichtlich z.B. Geschlecht, Alter, Schulbildung, Familienstand, Beruf, Einkommen etc.
Nach Meffert und Bruhn (1981, S. 603 f.; Bruhn 1987, S. 135) werden z.B. Be- von psychografischen Personenmerkmalen beeinflusst, sind aber von soziodemografischen Faktoren weitgehend unabhängig. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch bei Beschwerdezufriedenheit. Der Faktor Persönlichkeit wird bei der Beschwerdeführung zwar als eigener Faktor angeführt, tatsächlich beeinflusst er aber auch die anderen Variablen als intervenierender Faktor.
Einen engen Bezug zum Beschwerdeverhalten haben auch psychografische Merkmale des Konsumenten. Große Bedeutung hat dabei die generelle Einstellung des Konsumenten zur Beschwerde als Möglichkeit der Unzufriedenheitsartikulation. In Verbindung mit anderen Determinantengruppen wirkt sich die personenspezifische Wahrnehmung von Kosten, Nutzen bzw. Risikofolgen einer Beschwerde aus (vgl. Hansen 1990, S. 120).
Jacoby und Jaccard (1981, S. 16 f.) führen an, dass auch konsumentenbezogene Faktoren - wie etwa Persönlichkeit, Motive, Einstellungen etc. - das Beschwerdeverhalten beeinflussen können.
2.6.1.5 Beschwerdekosten
Bei der Integration der Variable Beschwerdekosten in den Beschwerdeprozess wird davon ausgegangen, dass Kosten für den materiellen sowie den psychischen und physischen Aufwand Einfluss auf das Beschwerdeverhalten nehmen. D.h. Kunden nehmen eine interne Kosten-Nutzen-Abschätzung vor, von deren Ergebnis es abhängig gemacht wird, ob es zu einer Beschwerde kommt oder nicht (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 50 f.). Je geringer der wahrgenommene Aufwand ist, desto stärker ausgeprägt und wahrscheinlicher ist der Beschwerdegang.
Die materiellen Kosten setzen sich aus finanziellen und zeitlichen Aufwendungen zusammen (vgl. Gierl/Sipple 1993, S. 246). Damit sind jene Kosten gemeint, die
Die (Verbraucher)Beschwerde
von Beschwerdeführern aufgewendet werden müssen, um die unternehmensin- und -externen Beschwerdebarrieren zu überwinden. Hier findet vor allem Berücksichtigung, auf welche Art und Weise der Konsument sich beschwert. So sind mündliche, schriftliche oder telefonische Beschwerden mit unterschiedlichen (im)materiellen Kosten verbunden.
Ob Beschwerdebarrieren vorhanden sind, wird ganz wesentlich von den Unter- selbst und den zuständigen Beschwerdeabteilungen bestimmt. Wird Konsumenten keinerlei Information darüber gegeben, wo und wie eine Beschwerde deponiert werden kann, erhöht dies die Beschwerdekosten. Auch das Verlangen eines Beweises kann davor abschrecken, sich bei nicht zufriedenstellenden Leistungen an das betroffene Unternehmen zu wenden (vgl. Kendall/Russ 1982, S. 248).
Auswirkung, ob und wie viele Kosten anfallen, haben auch die Erfahrungen, die Kunden bei früheren Beschwerdegängen erlebt haben. Dadurch können Konsumenten das Beschwerdeverfahren effizienter gestalten, d.h. es sind weniger Kontakte bis zur Abwicklung einer Beschwerde notwendig (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 605).
Nach Fornell (1982, S. 484) müssen in die Kosten einer Beschwerdeaktion nicht nur materielle Aufwendungen, sondern auch der psychische Einsatz eingerechnet werden. Psychische Kosten ergeben sich z.B. daraus, wenn für den Beschwerdeführer die Gefahr besteht, sich zu blamieren, sie keine ‘Szene’ machen wollen oder aus den psychischen Mühen wie Ärger und Frustration (vgl. Richins 1983a, S. 70 f.; Graf 1990, S. 44; Hart/Heskett/Sasser 1990, S. 151). Hat ein Unternehmen den Ruf, eine faire Abwicklung von Beschwerdefällen zu gewährleisten, kann dies durch die niedrig eingeschätzten psychischen Kosten Konsumenten zu Beschwerden motivieren (vgl. Halstead/Dröge 1991, S. 211). 1
Die (Verbraucher)Beschwerde
Beschwerdekosten werden auch durch den Grad der Bemühungen, alternative Beschwerdewege zu suchen, beeinflusst.
2.6.1.6 Beschwerdenutzen
Ist ein Konsument mit den Eigenschaften einer Leistung unzufrieden, durchläuft er
- bevor er den Dialog mit dem Unternehmen sucht, um seine Beschwerde zu deponieren - einen komplexen intraindividuellen Evaluationsprozess (vgl. Jeschke 1996, S. 283). Dabei werden die anfallenden Kosten dem erwarteten Nutzen gegenübergestellt (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 51). Üblicherweise wird unter Beschwerdeertrag Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des betroffenen Produkts (z.B. durch Reparatur), Geldrückerstattung oder Kaufpreisermäßigung oder auch der Erhalt eines neuen Produkts (Ersatzleistung) verstanden (vgl. Bruhn 1982, S. 128; Tax/Brown 2000, S. 98).
Der Ertrag einer Beschwerde muss nicht nur in Form einer Problemlösung, son- kann auch aus Informationsgenerierung, Ertrag durch Frustrationsabbau, persönlicher Bestätigung und der daraus resultierenden sozialen Anerkennung generiert werden (Gierl/Sipple 1993, S. 246).
Der Beschwerdenutzen ist hauptsächlich jedoch vom subjektiven Wert der Prob- die der Kunde vom betroffenen Unternehmen erwartet, abhängig (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 51). Damit wird mit der Determinante Beschwerdenutzen ein ähnlicher Gedankengang wie bei den Beschwerdekosten verfolgt. Wird von unzufriedenen Konsumenten die Wahrscheinlichkeit der zufriedenstellenden Beschwerdebearbeitung höher eingestuft, ist die Beschwerdetendenz höher - es erfolgt eine Gewichtigung des Werts der Problemlösung mit der angenommenen Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. Jacoby/Jaccard 1981, S. 16).
Der Nutzen einer Beschwerde wird von der Wichtigkeit des Falls und von der Be- eines Produkt- bzw. Dienstleistungsfehlers beeinflusst. Wird der Beschwerdenutzen als nicht angemessen eingestuft, kann es dazu kommen, dass keine Beschwerdereaktion gesetzt wird, obwohl Unzufriedenheit besteht. Konsumenten mit einem vergleichsweise niedrigen Grad an Unzufriedenheit werden sich
Die (Verbraucher)Beschwerde
allerdings auch dann beschweren, wenn die Wiedergutmachung von Unterneh- den Aufwand übersteigt (vgl. Landon 1977, S. 32 f.). 1
Beschwerden werden auch dann unterbleiben, wenn die Möglichkeit einer nach- Problemlösung nicht besteht, wie dies bei manchen Dienstleistungen der Fall ist. z.B. eine verspätete Flugzeugankunft, unfreundliche Bedienung etc.
Unter dem Punkt Beschwerdenutzen fällt für betroffene Unternehmen auch die Frage, ob durch Beschwerden die langfristige Kundenzufriedenheit gesteigert werden kann. Diese Fragestellung wurde von Nyer (2000) in einer Untersuchung verifiziert: Es wurde festgestellt, dass bei unzufriedenen Kunden, die sich beschweren - im Gegensatz zu unzufriedenen Nicht-Beschwerdeführern - gesteigerte Zufriedenheitsgefühle und bessere Produktbeurteilungen verzeichnet werden konnten.
Treten Produktprobleme auf, sind es großteils psychografische Personenmerkma- welche die Beschwerdeerwartungen bestimmen (vgl. Bruhn 1987, S. 134).
2.6.1.7 Produktmerkmale
In Fällen von Unzufriedenheit streben Konsumenten in Abhängigkeit von der Be- des aufgetretenen Produktproblems eine Falllösung an (vgl. Bruhn 1982, S. 17; Meffert/Bruhn 1981, S. 605). Ob es zu einer Beschwerdehandlung kommt oder nicht, wird wesentlich davon beeinflusst, wie relevant das betroffene Konsumereignis für den Kunden ist (vgl. Gronhaug 1977, S. 162). Da das Vorbringen einer Beschwerde von Konsumenten als aufwendig und lästig beurteilt wird, werden Kunden dies nur dann in Kauf nehmen, wenn das Problem subjektiv gesehen einen hohen Stellenwert einnimmt (vgl. Stauss/Seidel 1998a, S. 51 f.). Dabei wirken sich folgende Faktoren aus (vgl. Bruhn 1982, S. 31):
Die (Verbraucher)Beschwerde
• Produktalter,
• Anschaffungspreis,
• Nutzungsintensität bzw.
• Einkaufsort.
Der Faktor Anschaffungspreis wird nicht nur durch die angefallenen Produktkos- sondern auch durch die Dauer und die physische Kosten der Produktsuche beeinflusst.
Es erscheint einleuchtend, dass Unzufriedenheit mit Produkten aus dem Hoch- für Konsumenten wichtiger ist, als mit vergleichsweise billigen Waren und Dienstleistungen (vgl. Andreasen 1982, S. 188). In beiden Fällen mag zwar das selbe Niveau an Unzufriedenheit zu beobachten sein, es muss sich allerdings nicht gezwungenermaßen jedes Mal in einer Beschwerde manifestieren.
Anzeichen dafür, welchen Stellenwert eine Leistung für Konsumenten einnimmt, ist auch die Suchdauer, die für einen Beschaffungsprozess aufgewendet wird. Damit wird angedeutet, dass eine hohe Sorgfalt (Extensivität) beim Entscheidungsprozess ein Anzeichen für hohe persönliche Wichtigkeit ist (vgl. Trommsdorff 1989, S. 41). Die Intensität der Suchdauer steht in einem engen Zusammenhang mit dem Grad des Involvements, denn je weniger persönliche Wertigkeit und Wichtigkeit ein Produkt aufweist, desto weniger Zeit wird auch für den Beschaffungsprozess investiert.
Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass der erlittene Schaden vom Kunden als zu gering eingestuft wird. Der Grund für den Widerspruch zwischen finanzieller Schädigung und nicht angetretenem Beschwerdeweg liegt darin, wenn dem aufgetretenen Problem eine geringe Wertigkeit zugemessen wird. Daher wird es in Fällen, wo hohes Produktinvolvement gegeben ist, wahrscheinlicher zu einer Artikulation von Unzufriedenheit kommen, als bei Leistungen, die eine geringe persönliche Wertigkeit besitzen (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 605; Fornell 1982, S. 479).
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.6.2 Modelle des Beschwerdeverhaltens
Zur Erklärung der Reaktion auf Konsumentenunzufriedenheit gibt es mehrere un- Ansätze, die jeweils von anderen Überlegungen ausgehen. Dies bringt mit sich, dass die in den einzelnen Modellen verwendeten Variablen nicht ident sind. Selbst bei der Verwendung gleicher oder ähnlicher Variablen entstehen Differenzen durch unterschiedliche Operationalisierungen der Variablen. Als Erklä- rungsansätze für Beschwerdeverhalten können folgende Modelle verwendet werden:
• Kosten-Nutzen-Modell,
• Lernmodell,
• Persönlichkeitsmodell,
• Einstellungsmodell,
• Situationsmodell,
• Funktionsmodell,
• Ressourcenmodell,
• Risiko-Ansatz,
• Involvement-Modell,
• Attributions-Modell bzw.
• Komplexitäts-Ansatz (vgl. Bruhn 1982, S. 128 f.; Riemer 1986, S. 78 f.)
2.6.2.1 Kosten-Nutzen-Modell
Dem Kosten-Nutzen-Ansatz zufolge werden Beschwerden vor allem dann vorge- wenn die erwarteten Erträge die aufzuwendenden Kosten und Mühen ü- bersteigen (vgl. Graf 1990, S. 45). Die Wahrscheinlichkeit, dass Unzufriedenheit zu einer Beschwerdehandlung führt, ist abhängig von der subjektiven Konsumentenunzufriedenheit, den erwarteten Kosten und Erträgen bzw. dem Nutzen der Beschwerdeführung - dem erwarteten Beschwerdeerfolg (siehe Abb. 11).
Beschwerden werden daher vor allem dann vorgebracht, wenn die aufzuwenden- Kosten durch den erwarteten Nutzen gerechtfertigt sind (vgl. Jeschke 1996, S.
Die (Verbraucher)Beschwerde
284). In jenen Fällen, wo die Kosten die Erträge übersteigen, besteht die Möglich- dass es vermehrt zum Auftreten von Unvoiced Complaints kommen wird. 1 Kosten und Mühen einer Beschwerdeführung werden dann höher eingeschätzt, wenn bereits vielfältige Beschwerdeerfahrungen gemacht worden sind (vgl. Bruhn 1987, S. 134).
große Kos- erwartete Kosten bzw. Mühen der
Beschwerde
geringe Kos-
hohe Erwartungen geringe Erwartungen erwartetes Beschwerdeergebnis
Abb. 11: Kosten-Nutzen-Relationen der Beschwerdeführung (Quelle: in Anlehnung an Bruhn 1982, S. 129)
2.6.2.2 Lernmodell
Diesem Modell liegt der Grundsatz „Wissen ist Macht“ zugrunde (vgl. Gron- 1981, S. 84). Prinzipiell kann Lernen als eine Verhaltensveränderung angesehen werden, die auf Erfahrung (Übung) basiert. Dadurch, dass eine Person eine Situation erlebt hat - also bereits Erfahrungen mit dieser Situation gesammelt hat - reagiert sie dadurch auf andere Art und Weise als zuvor (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 316). Umgelegt auf den Prozess des Konsumentenbeschwerdeverhaltens wirkt sich Lernen dahingehend aus, dass sich Erfahrungen, die Konsumenten mit Unternehmensleistungen - sowohl den konkreten Waren-oder Dienstleistungen als auch mit den anderen unternehmerischen Dimensionen
Die (Verbraucher)Beschwerde
wie z.B. Marketingpraktiken - gemacht haben, auf das Beschwerdeverhalten aus-
Dieser Ansatz ist darauf gerichtet, Beschwerdeverhalten als Reaktion auf Wissen über die Vorgehensweise bei Beschwerden und die Einstellung gegenüber Beschwerden anzusehen. Haben Kunden positive Beschwerdeerfahrungen erlebt, ist eine höhere Bereitschaft bezüglich Beschwerden vorhanden (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 605 f.). Außerdem fließt auch ein, inwieweit Kunden Informationen über Verbraucherrechte besitzen (vgl. Bruhn 1982, S. 135 f.). Wurden in der Vergangenheit bereits einmal positive Beschwerdeerfahrungen gemacht, sind auch die Erwartungen an zukünftige Beschwerdeergebnisse höher (vgl. Bruhn 1987, S. 134).
Reiz-Reaktions-Beziehungen sind probalistisch zu verstehen - es gibt nur Wahr- keine feststehenden Wahrheiten. D.h., dass keine fixen Beziehungen Reiz-Reaktion vorhanden sind, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. Auf einen Reiz erfolgt aber - nach einem Lernprozess - mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als zuvor eine bestimmte gleichbleibende Reaktion. In Fall 1 aus Tab. 6 wird das typische Ergebnis eines Lernprozesses dargestellt. Bestimmte Reize rufen auch bestimmte Reaktionen hervor. Möglichkeit zwei und drei verweisen hingegen darauf, dass Lernen als situationsbedingtes Anpassungsverhalten noch nicht stattgefunden hat. Individuen sind noch nicht in der Lage, auf unterschiedliche Reize in einer spezifischen angepassten Weise zu reagieren (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 319 f.).
Tab. 6: Mögliche Reiz-Reaktions-Verknüpfungen (Quelle: Kroeber- 1999, S. 319)
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.6.2.3 Persönlichkeitsmodell
Dieser Ansatz versucht, das Beschwerdeverhalten ausgehend von Persönlich- - beispielsweise Gerechtigkeitsempfinden, Engagement, Selbstvertrauen, Aggressivität und Betroffenheit - der Konsumenten zu erklären. Die zugrunde liegende Annahme dabei ist, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften mit der Wahrnehmung von Unzufriedenheit und dem Handling von Beschwerden zusammenhängen (vgl. Gronhaug/Zaltman 1981, S. 84). Andererseits sind auch Nicht-Beschwerdeführer durch bestimmte Eigenschaften wie Konservativismus und Risikovermeidung gekennzeichnet (vgl. Keng/Richmond/Han 1995).
Persönlichkeitseigenschaften scheinen jedoch nur in sehr geringem Ausmaß mit Beschwerdeverhalten zu korrelieren; nur zwischen 10 und 19% der Gesamtvarianz des Beschwerdeverhaltens konnten durch Persönlichkeitsmerkmale (im Sinne von Traits wie z.B. Aggressivität etc.) erklärt werden. Beispiele für Untersuchungen mit dem Persönlichkeitsmodell sind etwa Zaichkowsky/Liefeld (1977), wo 16 verschiedene Persönlichkeitsfaktoren herangezogen wurden, oder Foxman/Raven/Stem (1990), die vom Ort der Kausalität und der Neigung zum Fatalismus ausgingen.
Die Hauptursache für die nicht zufriedenstellenden Ergebnisse der Untersuchun- denen das Persönlichkeitsmodell zugrund liegt, ist m.E. darin zu sehen, dass Persönlichkeitsfaktoren nur bedingt direkte Auswirkungen auf das Beschwerdeverhalten haben. Dies kann vor allem dann belegt werden, wenn der hohe Komplexitätsgrad des Prozesses des Konsumentenbeschwerdeverhaltens betrachtet wird. 1 Daher muss von einer isolierten Betrachtungsweise des Beschwerdeverhaltens aus dem Blickwinkel der Konsumentenpersönlichkeit abgerückt werden. D.h. die bereits erwähnten Eigenschaften wie Gerechtigkeitsempfinden, Engagement, Selbstvertrauen, Aggressivität, Betroffenheit etc. müssen in bestehende Modelle integriert werden.
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.6.2.4 Einstellungsmodell
Dieser Ansatz erklärt Beschwerdeverhalten ausgehend von den drei Faktoren Atti- soziale Normen und persönliche Normen (vgl. Riemer 1986, S. 79).
• Einstellung des Konsumenten gegenüber Beschwerden,
• soziale Normen ist die Einstellung von Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld gegenüber Beschwerden im allgemeinen bzw. gegenüber Beschwerdeverhalten im speziellen,
• persönliche Normen sind das moralische Empfinden eines Konsumenten, ob Beschwerden vom Individuum als angemessen eingestuft werden oder nicht (vgl. Halstead/Droge 1991, S. 211).
2.6.2.5 Situationsmodell
Im Gegensatz zu den Modellen zuvor, zieht dieser Ansatz drei auf den Kauf bezo- Charakteristika heran. Nachkaufzufriedenheit, Urteilsvermögen und Sachkenntnis bzw. Einschätzung des Beschwerderisikos.
In der Vergangenheit zufriedenstellende Unternehmensleistungen und die An- dass Beschwerden ein gewisses Risiko in sich bergen, reduzieren die Wahrscheinlichkeit von Beschwerden. Nach der Zwei-Komponenten-These ist das subjektiv empfundene Risiko das Produkt aus subjektiver Entscheidungsunsicherheit und der subjektiven Bedeutsamkeit, die den negativen Folgen der Fehlentscheidung entgegengebracht wird. Negative Folgen sind z.B. finanzielle Verluste, Einbußen des sozialen Ansehens etc. (vgl. Bruhn 1982, S. 130).
Andererseits werden Konsumenten, die bei der Einschätzung und Beurteilung von komplexen Sachverhalten sicher sind - also nicht am eigenen Urteil zweifeln - sich eher beschweren.
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.6.2.6 Funktionsmodell
Landon hat in seinem Modell des Konsumentenbeschwerdeverhaltens (1977, S. 31 f.) die Zusammenhänge in Gleichungen dargestellt. Die Kernvariablen, die in seinem Modell auf das Beschwerdeverhalten einwirken, sind in Tab. 7 dargestellt.
Tab. 7: Funktionen des Beschwerdeverhaltens (Quelle: eigene Tabelle zu- aus Landon 1977, S. 31 f.)
Die Faktoren, die verwendet werden, lassen sich in situationsabhängige (z.B. Un- mit dem Produkt, Bedeutung des Produkts etc.) bzw. -unabhängige (z.B. Persönlichkeitseigenschaften, Wissen über Rechte etc.) Determinanten aufschlüsseln (vgl. Grabicke/Schätzle/Staubach 1987, S. 141).
Landons Modell unterscheidet sich von den vorher erwähnten Ansätzen dahinge- dass die einzelnen Faktoren detaillierter aufgeschlüsselt werden und auch in gegenseitige Beziehungen gesetzt werden. Es wird auch vorausgesetzt, dass eine Betrachtung der einzelnen Faktoren immer aus Sicht des Konsumenten erfolgt. Eine externe Betrachtung der einzelnen Faktoren ist als eher zweifelhaft anzusehen, da es sich um die subjektive Einschätzung der einzelnen Punkte - z.B. Unternehmensimage, physische Kosten etc. - und nicht um eine objektive Beurteilung dreht. Das leistende Unternehmen kann zwar Beschwerdemöglichkeiten anbieten, wenn der Konsument darüber aber keine Informationen hat, wird er die physischen Kosten höher als notwendig einstufen.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Die Konzeptualisierung Landons ist aus verschiedenen Gründen kritisiert und in Frage gestellt worden:
• Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass dieser Ansatz Konsumentenbeschwerdeverhalten als eindimensionales Konstrukt betrachtet.
• Für bestimmte Kundenaktionen des Konsumentenbeschwerdeverhaltens (z.B. Beschwerde etc.) kann die individuelle Unzufriedenheit als Initiatorvariable herangezogen werden. Andere Aktionen wie etwa Einschaltung Dritter oder Word-of-Mouth sind jedoch nicht so sehr von Unzufriedenheit als von anderen Variablen abhängig (z.B. Kosten-Nutzen-Abschätzung durch den Konsumenten). Daher muss für andere Reaktionen außer der Beschwerde eine Verbindung zwischen Kundenunzufriedenheit und anderen Vorgängern des Konsumentenbeschwerdeverhaltens hergestellt werden.
• Die Beschreibung der einzelnen Items in den Prädiktorvariablen ist zu breit und zu allgemein. Bei der Messung der individuellen Problemwichtigkeit wurde ursprünglich eine Mischung aus Produktkosten, Suchdauer beim Produktkauf, physischem Schaden und Ego-Involvement herangezogen, was eine Messung sehr schwierig machte. Gleichzeitig wiesen sowohl die Erträge und der Aufwand einer Beschwerde eine hohe Messungskomplexität auf (vgl. Prakash 1991, S. 111).
2.6.2.7 Ressourcen-Modell
Nach dem Ressourcen-Modell (vgl. Gronhaug/Zaltman 1981, S. 84 f.) kann davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für Beschwerden für jeden unzufriedenen Konsumenten unterschiedlich sind. Hier wird herausgestrichen, dass es nicht darum geht, was ein Verbraucher idealerweise tun würde, sondern wozu er imstande ist. Unterschiede zwischen Konsumenten bestehen - abgesehen von den wirtschaftlichen Ressourcen - auch in anderen Kapazitäten, die Konsumenten in unterschiedlicher Art und Weise zur Verfügung stehen: So etwa individuelle Problemlösungskapazitäten, Bildung, Gesundheit, Zeit und soziale Ressourcen.
Die (Verbraucher)Beschwerde
Es wird auch angeführt, dass ein höheres Einkommen etwa aktivierend auf das Beschwerdeverhalten wirken kann.
2.6.2.8 Risiko-Ansatz
Das Risiko, welches beschwerdeführende Konsumenten eventuell zu tragen ha- ist abhängig von der subjektiven Nichterfüllung der Beschwerdeziele und den daraus entstehenden negativen Folgen. Negative Folgen beziehen sich hier auf finanziellen Verlust und angekratztes Sozialprestige. Besondere Bedeutung gewinnt der Ansatz bei der gerichtlichen Durchsetzung von Konsumentenforderungen. Im Fall eines Verlusts der Klage müssen die Gerichtskosten durch den Konsumenten getragen werden (vgl. Bruhn 1982, S. 130 f.; Graf 1990, S. 45).
2.6.2.9 Involvement-Modell
Involvement bezieht sich darauf, dass bei Konsumenten Unterschiede in der In- zu beobachten sind, mit der sie sich mit einer Leistung auseinandersetzen. 1 Für subjektiv wichtige Leistungen werden größere Aufwendungen in Kauf genommen, unwichtige Leistungen hingegen sind für den Einzelnen weniger ‚interessant’ und werden daher auch mit geringerer Aufmerksamkeit bedacht.
Je höher die subjektive Wichtigkeit eines Produkts, umso stärker ausgeprägt ist auch die Betroffenheit von Konsumenten, wenn es zu Problemen mit einer Leistung kommt. Daher kann davon ausgegangen werden, dass stärkeres Involvement auch intensiveres Beschwerdeverhalten zur Folge hat (Bruhn 1987, S. 135; Soloman/Bamossy/Askegaard 1999, S. 101). In einer Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass bei hohem Produktinvolvement - hohes Produktinteresse beeinflusst durch hohen Reparatur- bzw. Produktpreis - ein intensiveres Beschwerdeverhalten zu beobachten ist (Meffert/Bruhn 1981, S. 605 f.).
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2.6.2.10 Attributions-Modell
Einen anderen Zugang bietet die Attributionstheorie (vgl. Krishnan/Valle 1979, S. 445). 1 Kernpunkt ist das menschliche Streben nach Einsicht in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge - wer oder was ist für Erfolg bzw. Misserfolg (Nicht-Bestätigung) eines Kaufes verantwortlich. Ist die Verantwortung beim Käufer zu suchen (inter- ne Attribution)oder liegt die Ursache in der Situation bzw. der Umwelt (externe Attribution)? Zusätzlich kann auch noch die Dimension Zeit herangezogen werden (siehe Tab. 8), d.h. die Leistungswahrnehmung kann etwas zugeschrieben werden, was zeitlich gesehen stabil bzw. instabil ist. Außerdem kann festgelegt werden, ob das Ereignis beabsichtigt (intentional) herbeigeführt wurde (z.B. durch Täuschung) oder nicht (unintentional).
Tab. 8: Beispiele der Attributionstheorie (Quelle: Krishnan/Valle 1979, S. 446)
Eine etwas andere Klassifizierung wurde von Folkes (1984) vorgenommen. Bei
dieser Einteilung wird zwischen Stabilität, Ort der Kausalität und Kontrollierbarkeit unterschieden. Stabilität bezieht sich darauf, ob der Kunde der Meinung ist, ob die Ursache permanent (relativ stabil) vorhanden ist oder ob sie nur temporären (instabilen) Charakter hat und sich somit von Gelegenheit zu Gelegenheit verändert. Der Ort der Kausalität stellt darauf ab, ob der Händler, der Produzent oder der Konsument für das Ergebnis verantwortlich ist; sind die Gründe für das Kaufergebnis daher intern oder extern zu suchen. Kontrollierbarkeit, d.h. Konsument und Lieferant können über das Ergebnis entweder willensmäßig Kontrolle (relative Kontrollierbarkeit) besitzen oder unter relativ unkontrollierbaren Zwängen stehen.
In Abhängigkeit vom wahrgenommenen Grund für einen Produktmangel entschei- sich die Konsumenten, wie sie reagieren werden (vgl. Somasundaram 1993, S. 215). In Fällen, wo der Konsument eine geringe Verantwortung des Lieferanten
Die (Verbraucher)Beschwerde
für das Problem wahrnimmt, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Beschwerde ab, die von negativer Mundkommunikation hingegen zu (vgl. Richins 1983a, S. 72 f.). Abhängig davon, inwieweit der unzufriedene Kunde davon überzeugt ist, dass der Anbieter für den problemverursachenden Fehler Schuld bzw. Verantwortung trägt, steigen auch die Ansprüche hinsichtlich der erwarteten Beschwerdeantwort (vgl. Bruhn/Homburg 1999, S. 227).
Stabilität und Ort der Kausalität wirken sich auch darauf aus, ob zukünftige Pro- erwartet werden und ob ein Austausch des defekten Produkts bzw. Leistung oder nur eine Refundierung des aufgewendeten Geldbetrags erwartet wird (vgl. Krishnan/Valle 1979, S. 445 f.; Folkes 1984, S. 405). Wird daher die Ursache, die zum Leistungsdefekt führte, vom Kunden als stabil bewertet - es besteht die Möglichkeit des wiederholten Fehlereintritts, wird in Folge dessen eine Refundierung gegenüber einem Austausch bevorzugt. Nimmt der unzufriedene Kunde wahr, dass die Fehlerursache vom leistenden Unternehmen kontrollierbar war, löst dies verstärke Ärgergefühle aus. Dies wiederum lässt den Kunden Rache am Lieferanten nehmen (vgl. Erevelles/Leavitt 1992, S. 109 f.).
Schwierig wird Ursachenattribution im Dienstleistungsbereich, da hier die Leistung in einem Interaktionsprozess zwischen Kunden und Mitarbeiter des Anbieters erstellt wird. Während des Prozesses der Dienstleistungserstellung muss sich der Kunde selbst beteiligen: z.B. genaue Informationen über Wünsche und Erwartungen liefern. Ist das Resultat der Leistungserstellung nicht zufriedenstellend, besteht die Möglichkeit, dass er selbst eine Teilschuld am Misserfolg hat, da Wünsche nicht klar genug formuliert wurden. Eine Beschwerde wird in solch einem Fall unwahrscheinlich (vgl. Stauss 1989, S. 52 f.).
Die (Verbraucher)Beschwerde
2.6.2.11 Komplexitäts-Ansatz
Diesem Ansatz zufolge wird angenommen, dass zwischen Problemkomplexität und der Intensität einer Beschwerde ein kurvenlinearer Zusammenhang besteht (siehe Abb. 12). Zunächst steigt mit zunehmender Problemkomplexität die Beschwerdeintensität an, die allerdings nach dem Erreichen eines Maximums wieder abfällt (vgl. Bruhn 1982, S. 134 f.; Graf 1990, S. 45 f.).
Damit wird klargestellt, warum es bei Bagatellfällen und bei Problemen, wo Ver- und passende Problemlösungsstrategien nicht eindeutig identifiziert werden können, seltener zu Beschwerden kommt.
2.6.2.12 Überblick Modelle des Beschwerdeverhaltens
So unterschiedlich die dargestellten Modelle des Beschwerdeverhaltens auch sind, allen Ansätzen ist doch gemeinsam, dass die darin verwendeten Variablen darüber entscheiden, ob sich ein Kunde beschwert oder nicht. Welches der verschiedenen Modelle am besten dazu in der Lage ist, konkretes Konsumentenverhalten im Unzufriedenheitsfall ‚vorauszusagen’, ist sehr stark von der jeweiligen Situation abhängig. Jeder der elf Ansätze ist dabei auf die dem Modell zugrundeliegenden Variablen begrenzt.
Real gesehen verwenden unzufriedene Konsumenten jedoch komplexere Denk- als die Beschwerdemodelle und kombinieren (unbewusst) verschiedene
Die (Verbraucher)Beschwerde
Ansätze, um die Entscheidung zu fällen, ob sich eine Beschwerde lohnt oder nicht. Wird in einem Restaurant beispielsweise eine versalzene Speise verzehrt, wird für eine mögliche Unzufriedenheitsäußerung nicht so sehr das Kosten-Nutzen-Modell als vielleicht das Situationsmodell oder der Risikoansatz eine Rolle spielen. Die Beschwerde, die ein Defekt eines Sportgeräts nach sich zieht (oder auch nicht), kann jedoch mit dem Involvement- oder auch dem Attributions-Modell erklärt werden. Mit diesen Beispielen wird auch verdeutlicht, dass ein Sachverhalt aus mehreren Sichtweisen (Beschwerdemodellen) beurteilt werden kann.
Abgesehen von der nicht eindeutigen Verwendung der Modelle - welches Modell muss in welcher Situation angewandt werden - besteht ein Schwachpunkt der verschiedenen Ansätze darin, dass meist nur ‚harte’ Fakten als Variablen verwendet werden:
• Es ist offensichtlich, dass eine Beschwerde weit wahrscheinlicher ist, wenn die aufzuwendenden Kosten geringer als der erwartete Nutzen ist bzw. vice versa (Kosten-Nutzen-Modell).
• Je geringer das Risiko, negative Folgen der Nichterfüllung der Beschwerdeziele erleben zu müssen, desto wahrscheinlicher wird der Beschwerdegang (Risiko-Ansatz).
• Umso wichtiger eine Leistung bzw. der Mangel einer Leistung für einen Konsumenten ist, desto intensiveres Beschwerdeverhalten ist die Folge.
D.h. je größer der Beschwerdenutzen, je eindeutiger die Fehlerursache dem an- Unternehmen zugeschrieben werden kann, je geringer das Risiko etc. desto wahrscheinlicher ist eine Beschwerde. Nur mangelhaft können jedoch Fälle erläutert werden, wo sich Konsumenten trotz Eigenverschulden oder ausgeglichener Kosten-Nutzen-Relation beschweren. Diese Fälle, wo nicht ‚greifbare’ Tatsachen eine Rolle spielen, sind nur durch den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften erklärbar. Für sich allein können Eigenschaften wie Gerechtigkeitsempfinden, Engagement, Selbstvertrauen, Aggressivität, Betroffenheit etc. zwar - wie im Persönlichkeitsmodell dargestellt - nicht zufriedenstellend erklären, weshalb
Die (Verbraucher)Beschwerde
sich ein Konsument beschwert; doch die Vernetzung von Persönlichkeitseigen- mit Variablen der Beschwerdemodelle kann möglicherweise dazu beitragen, die beschwerdeauslösenden Elemente besser zu verstehen.
Das Modell das m.E. am geeignetsten ist, um auch komplexere Entscheidungen zumindest theoretisch nachvollziehbar zu machen, ist Landons Funktionsmodell. 1 Grund dafür ist, dass zum Teil auch Variable wie sie in anderen Modellen Verwendung finden, integriert sind:
• Variable Unzufriedenheit - ist die individuelle Kundenunzufriedenheit ‚ausreichend’ ausgeprägt, um trotz einer Beschwerde eventuell entgegenstehender Risiken (Risiko-Ansatz) und Situationen (Situationsmodell) das Vorbringen einer Beschwerde zu ermöglichen
• Variable erwarteter Beschwerdeerfolg - ist mit der Kosten-Nutzen-Überlegung des Kosten-Nutzen-Modells vergleichbar
• Variable Bedeutung des Falls - umfasst die Überlegungen des Involvement-Modells
Als zusätzliche Variable des Funktionsmodells wirkt sich die Persönlichkeit des Konsumenten auf die Beschwerdeführung aus. Da die Art und Weise, wie Persönlichkeitseigenschaften in diesen Ansatz zu integrieren sind, offen gelassen wird, ist darauf im Rahmen dieser Arbeit noch einzugehen.
2.6.3 Unvoiced Complaints
Unvoiced Complaints (unausgesprochene stille Beschwerden) sind jene Fälle von Unzufriedenheit - Mängel oder Probleme mit dem Produkt bzw. der Dienstleistung werden wahrgenommen - in denen Konsumenten keine Beschwerdemaßnahmen setzen (vgl. Bruhn 1982, S. 2; Goodman/Malech/Marra 1987, S. 169), d.h. Be-
Die (Verbraucher)Beschwerde
schwerden die möglich sind, werden nicht durchgeführt. 1 Dies kann aus dem Grund erfolgen, dass der erlittene Schaden als nicht bedeutend eingestuft bzw. aufgrund von Beschwerdebarrieren die Wirkungslosigkeit einer Aktion vermutet wird (vgl. Meffert/Bruhn 1981, S. 597).
Nach Tax und Brown (2000, S. 95) gibt es für nicht geäußerte Beschwerden vier Hauptgründe: Die Annahme der Konsumenten, dass Unternehmen nicht reagieren werden, Streit mit dem verantwortlichen Bearbeiter soll vermieden werden, mangelnde Informationen über eigene Rechte und die Pflichten des Unternehmens bzw. wird der Aufwand für die Beschwerde als zu hoch eingestuft.
Etwas andere Ursachen führt Trommsdorff (1998, S. 133) für nicht geäußerte Be- an: Einerseits das als subjektiv empfundene Fehlen eines Ansprechpartners im Unternehmen bzw. andererseits die vermutete Wirkungs- und Sinnlosigkeit der Beschwerdeführung. Das Fehlen einer Kontaktperson kann auch darauf zurückzuführen sein, dass auf der Produktverpackung selber aber auch in der Werbung zu wenig „angemessene Informationen darüber zu finden sind, wie und bei wem man sich beschweren kann“ (Kendall/Russ 1982, S. 248).
In beiden Überlegungen wird der Begriff der Beschwerdebarrieren direkt oder indi- angesprochen.
Die Wahrscheinlichkeit einer Beschwerde ist umso geringer je
• stärker der Kunde in den Leistungsprozess integriert ist,
• immaterieller eine Leistung ist,
• stärker Unzufriedenheit auf subjektive Qualitätsmerkmale zurückzuführen ist,
• stärker der Kunde spürt, dass der Leistungsanbieter in bestimmender Position ist bzw.
• geringer der Kunde die Erfolgswahrscheinlichkeit und somit die Sinnhaftigkeit einer Beschwerde einstuft (Meffert/Bruhn 1995, S. 214). Im Dienstleistungsbereich existiert ein spezieller Grund, warum Beschwerdereaktionen unterbleiben können - der auf den Warenbereich in dieser Form nicht über-
Die (Verbraucher)Beschwerde
tragbar ist: Durch die Unmöglichkeit der nachträglichen Problembeseitigung - z.B. ein unpünktlicher Flug etc. - ist eine erfolgreiche Behandlung einer Beschwerde für den Kunden nicht mehr möglich (vgl. Stauss 1989, S. 54).
2.6.4 Beschwerdeführer
Da im Rahmen der Arbeit der Versuch unternommen wird, Persönlichkeitseigen- von Konsumenten mit der Beschwerdeführung in Zusammenhang zu bringen, wird im folgenden darauf eingegangen, durch welche allgemeinen Eigenschaften sich Beschwerdeführer von inaktiven unzufriedenen Kunden unterscheiden. Dabei wird weniger auf konkrete Faktoren wie Gerechtigkeitsempfinden, Selbstvertrauen etc. als auf andere Charakteristika wie etwa Informiertheit etc. abgestellt.
2.6.4.1 Kennzeichen von Beschwerdeführern - Konsumententypologie
Nach Warland (1977, S. 144 f.) kann eine Typologisierung der Kunden vorge- werden - je nachdem ob sie sich beschweren und ob sie sich über Konsumentenrechte, Beschwerdemöglichkeiten etc. informieren. Dabei lassen sich fünf Cluster unterscheiden:
• involvierte Beschwerdeführer und Informationssucher,
• nicht involvierte Beschwerdeführer,
• nicht involvierte Nicht-Beschwerdeführer,
• involvierte Nicht-Beschwerdeführer bzw.
• uninformierte Nicht-Beschwerdeführer.
Die Unterschiede sind dahingehend zu sehen, dass es Abstufungen zwischen den einzelnen Clustern bezüglich der Aktivitäten im Beschwerdeverhalten bzw. dem Aufwand der für Informationsbeschaffung betrieben wird und dem Wissen über Konsumentenrechte bzw. Konsumbewegungen. Day und Landon (1977, S. 434) verweisen darauf, dass effektive Konsumenten durch Wissen und Fähigkeiten bzw. den Willen, Zeit in den Produktkauf zu investieren, gekennzeichnet sind. Je stärker diese beiden Faktoren ausgeprägt sind, desto geringer ist die Wahrschein-
Die (Verbraucher)Beschwerde
lichkeit, nicht zufriedenstellende Waren und Leistungen zu kaufen. Ist dies trotz- der Fall, können nicht zufriedenstellende Erlebnisse leichter gelöst werden.
2.6.4.2 Der ‘unehrliche’ Beschwerdeführer
Unehrliche Beschwerdeführer sind grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass trotz Zufriedenheit eine Beschwerde vorgebracht wird. Ob eine Beschwerde gerechtfertigt ist oder nicht kann durch Kreuzung der Beschwerdeführung mit der Konsumentenzufriedenheit in Erfahrung gebracht werden (siehe Tab. 9). Dabei kann nach Querulanten, zwischen aktiven Beschwerdeführern, zufriedenen Konsumenten und unvoiced complainers unterschieden werden.
Tab. 9: Reaktionstypen aufgrund Konsumenten(un)zufriedenheit (Quelle: Bruhn 1987, S. 125)
Wie schon erwähnt muss Unzufriedenheit nicht notwendigerweise vorhanden sein, um eine Beschwerde zu initiieren. Prinzipiell sollten jedoch sowohl Kundenanfragen als auch -beschwerden als Ausdruck von Qualitätswahrnehmung und Qualitätsanforderung der Konsumenten angesehen werden (vgl. Jeschke 1996, S. 287). Jacoby und Jaccard (1981, S. 5 bzw. S. 18 f.) haben festgehalten, welche Personen sich außer unzufriedenen Konsumenten noch beschweren können:
• Zufriedene Konsumenten können sich prinzipiell deswegen beschweren, da sie die Möglichkeit sehen, Profit aus der Beschwerdeführung zu erzielen, bzw. können Konsumenten durch einen allgemeinen Hang zu Beschwerden gekennzeichnet sein. Abgesehen von diesen tatsächlich ungerechtfertigten Vorgehensweisen gibt es auch noch andere Gründe für ‘unehrlich’ vorgebrachte Beschwerden. So können durch die Informationen über den Beschwerdeerfolg Dritter (andere Konsumenten aber auch über Medienberichte) Unzufriedenheitsäußerungen oder ein Klima, welches Beschwerden stimuliert, hervorgerufen werden.
Die (Verbraucher)Beschwerde
• Die Beschwerden von Konsumenten - die das Produkt/die Leistung zwar gekauft haben, es aber aus verschiedensten Ursachen nicht benutzen - haben wenig mit der tatsächlichen Leistung der Ware zu tun. Diese Kunden werden sich etwa beschweren, um den Kaufpreis refundiert zu bekommen oder eine Gutschrift zu erhalten. Dieses Verhalten kann mit der Reduktion von psychischem Unwohlsein erklärt werden - kognitive Dissonanzen sollen abgebaut werden. Dabei wird die Häufigkeit solcher Beschwerden sehr stark durch die Informationen der externen Umwelt beeinflusst.
• Als letzte Möglichkeit gibt es Konsumenten, die das Produkt/die Leistung weder kaufen noch konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Beispiel dafür sind Anrainer eines Flughafens, die sich über den Fluglärm beschweren, Nicht-Benutzer von Pkws sind mit der Umweltverschmutzung unzufrieden etc. Die Begründung für diese Beschwerden ist die Besorgtheit um das eigene Wohl oder das anderer. Als Beispiel für Beschwerden von Personen oder Institutionen, die Leistungen weder nutzen noch sie gekauft haben, können Konsumerismusbewegungen angeführt werden. Konsumerismus bezeichnet „das Engagement unterschiedlicher Personen und Gruppen zum Schutz von Verbraucherinteressen und übergeordneten Interessen der Allgemeinheit“ (Meffert/Bruhn 1982, S. 197).
Um festzustellen, ob eine Beschwerde gerechtfertigt ist oder nicht, müssen zwei Fragestellungen (siehe Tab. 10) beantwortet werden. ‚Nimmt der Konsument ein Problem wahr?’ bzw. ‚Existiert das vom Kunden vorgebrachte Problem tatsächlich?’. Aus der Beantwortung der Fragen ergeben sich vier unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten. Zelle 1 beschreibt eine Situation, in der die Kundenwahrnehmung und die Wirklichkeit dahingehend übereinstimmen, dass kein Problem existiert. Die Möglichkeit, dass trotz Zufriedenheit eine Beschwerde vorgebracht wird, besteht allerdings trotzdem.
Der Widerspruch zwischen Problemwahrnehmung (aber auch die Möglichkeit, dass der Kunde - trotz besserem Wissen - die Existenz eines Problems behauptet) und Problemexistenz wird in Zelle 2 aufgezeigt. Solche Probleme können dabei
Die (Verbraucher)Beschwerde
rein imaginär, antizipierend interpretiert oder auch vorsätzlich erfunden sein. All diese Möglichkeiten sind objektiv gesehen keine realen Probleme, sondern sind nur aus subjektivem Blickwinkel real.
Zelle 3 wiederum stellt eine Situation dar, wo zwar tatsächlich ein Problem vor- ist, dem Kunden dies aber nicht auffällt. Zelle 4 zeigt schlussendlich den Tatbestand, wo die Kundenwahrnehmung mit der Realität im Einklang steht (vgl. Jacoby/Jaccard 1981, S. 7 f.; Singh/Pandya 1991, S. 7).
2.6.5 Beschwerdeergebnis
Das vom betroffenen Unternehmen erhaltene Beschwerdeergebnis muss vom Konsumenten darauf überprüft werden, ob es den eigenen Erwartungen entspricht oder nicht. Ist das Resultat nicht zufriedenstellend, muss der Kunde entscheiden, ob er es akzeptiert oder ob eine Folgebeschwerde initiiert wird.
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