Live übertragene politische Reden bei Massenversammlungen, Volksempfänger und ideologische Indoktrination über den Äther direkt ins Ohr des Hörers sind die Stereotypen, die oft das Bild des nationalsozialistischen Rundfunks bestimmen; ein Bild von der Allmacht der Propaganda, der der Rezipient schutzlos ausgeliefert ist.
Ist die These von der Verführung des Volkes durch die Propaganda haltbar? Handelt es sich dabei nicht vielmehr um eine Rechtfertigungsstrategie, die dem Vorwurf des Mitläufertums und der Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes die Unmündigkeit und Manipulierbarkeit des Volkes entgegenstellt?
Diese Fragen lenken den Blick nicht nur auf das Programm des NS-Rundfunks, seine Organisationsstruktur und seine Verwurzelung in der Bevölkerung, sondern auch auf den Umgang der Rezipienten mit dem staatlich gelenkten Medienangebot. Sie werfen wiederum neue Fragen auf: nach der Rolle der Konsumenten innerhalb des Mediengefüges; nach ihren Möglichkeiten der Einflußnahme und natürlich auch nach der Konkurrenz um die Macht der Wirklichkeitsauslegung für die deutsche Bevölkerung.
Denn neben dem gleichgeschalteten deutschen Kriegsrundfunk machten viele Hörer von der nicht ungefährlichen Möglichkeit Gebrauch, alternative Informationsquellen als Gegengewicht zur NS-Propaganda zu konsultieren. Der Deutsche Dienst der BBC erhielt dabei eine herausragende Bedeutung. Die Gestapo schätzte 1941 die Zahl der Hörer des Londoner Senders auf eine Million. Drei Jahre später rechnete die BBC bereits sehr viel großzügiger mit 10 bis 15 Millionen deutschen Hörern. Zwar sind solche Schätzungen nicht sehr verläßlich, doch lassen sie den Erfolg des deutschen Programmes der BBC zumindest erahnen. Daß die NS-Führung dieses Problem ernst nahm, beweisen ihre juristischen Maßnahmen. Noch am 1. September 1939 trat die ‚Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen‘ in Kraft, die langjährige Freiheitsstrafen, im schlimmsten Fall sogar die Todesstrafe für das Hören von Feindsendern androhte.
Eine Analyse der Rundfunkpropaganda des 2. Weltkrieges kann folglich den wichtigsten Konkurrenten des NS-Rundfunks nicht unberücksichtigt lassen. Es gilt zu klären, mit welchen Strategien der Londoner Sender versuchte, das Informationsmonopol des deutschen Rundfunks zu brechen und die Hörer zum riskanten Abhören des ‚Feindsenders‘ zu bewegen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Organisation der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien
- 2.1. Deutschland - Rundfunk als staatlicher Propaganda-Apparat
- 2.1.1. Die Organisationsstruktur des Deutschen Rundfunks
- 2.1.2. Das Führerprinzip im Reichsfunk
- 2.1.3. Ein Radio für jeden Haushalt: Die 'politischen' Empfangsgeräte
- 2.1.4. Deutsches Wesen für die Welt - Der Deutsche Kurzwellensender
- 2.1.5. Wer darf den Feind hören? - Streitigkeiten um den 'Sonderdienst Seehaus'
- 2.2. Unabhängiger Rundfunk? Die British Broadcasting Corporation
- 2.2.1. Strukturen eines halbstaatlichen Unternehmens - Der Aufbau der BBC zwischen Regierungsmeinung und politischer Unabhängigkeit
- 2.2.2. Die verschiedenen Inlands-Sendedienste der BBC
- 2.2.3. Senden auf allen Wellenlängen – Der Deutsche Dienst
- 2.2.4. Dem Feind aufs Maul geschaut - Der BBC Monitoring Service
- 2.1. Deutschland - Rundfunk als staatlicher Propaganda-Apparat
- 3. Propagandastrategien im Kampf um Deutsche Hörer
- 3.1. Volksgemeinschaft und Integration – Maxime für den NS-Rundfunk in der Friedenszeit
- 3.2. NS-Rundfunk im Krieg
- 3.2.1. Siege an allen Fronten – Propaganda des unaufhaltsamen Vormarsches
- 3.2.2. „Frontbegradigungen“ – Unterhaltung zwischen Durchhalteparolen und Eskapismus
- 3.3. Glaubwürdigkeit als wichtigster Wirkungsfaktor – Die Maximen des Deutschen Dienstes der BBC
- 3.3.1. Aufklären, Relativieren, Umdeuten – Die Erzeugung einer alternativen Wirklichkeit in den Sendungen bis zur Kriegswende 1942
- 3.3.2. Einfach die Fakten sprechen lassen? – Chancen und Probleme für die britische Propaganda in einem erfolgreichen Krieg
- 4. Hypnotische Verführung oder Anpassung an den Volkswillen?- Die Rolle des Hörers zwischen „Reflexamöbe“ und aktivem Mitgestalter des Rundfunks im Zweiten Weltkrieg
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Organisation und Inhalte der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs. Im Fokus steht ein Vergleich der unterschiedlichen Strategien und die Rolle des Hörers als Rezipient und potenzieller Akteur im medialen Geschehen. Die Arbeit hinterfragt gängige Stereotypen über die Wirkung von Propaganda und analysiert die Interaktion zwischen staatlicher Steuerung und dem individuellen Umgang mit den Medienangeboten.
- Organisation und Struktur der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien
- Vergleich der Propagandastrategien beider Länder
- Die Rolle des Hörers und seine Interaktion mit der Propaganda
- Analyse der Glaubwürdigkeit von Propaganda
- Die Bedeutung alternativer Informationsquellen (z.B. BBC Deutscher Dienst)
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Wirkung von Propaganda im Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunkt. Sie hinterfragt das gängige Bild der allmächtigen Propaganda und setzt die These auf, dass die Rezipienten nicht nur passive Opfer waren, sondern aktiv mit dem Medienangebot interagierten und alternative Informationsquellen nutzten. Die Arbeit konzentriert sich exemplarisch auf den Vergleich des deutschen Inlandsrundfunks mit dem Deutschen Dienst der BBC.
2. Die Organisation der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien: Dieses Kapitel beschreibt die Organisationsstrukturen des deutschen und britischen Rundfunks im Zweiten Weltkrieg. Es analysiert den staatlich gelenkten deutschen Rundfunk als Instrument der NS-Propaganda, inklusive der technischen Ausstattung und der Kontrolle über die Informationsflüsse. Im Gegensatz dazu wird die BBC als halbstaatliches Unternehmen mit größerer redaktioneller Unabhängigkeit dargestellt, und dessen Deutsche Dienst wird als wichtige Alternative zur NS-Propaganda hervorgehoben. Die Kapitel untersuchen die jeweiligen Hierarchien, die technischen Möglichkeiten und den Einfluss der Regierung auf beide Systeme.
3. Propagandastrategien im Kampf um Deutsche Hörer: Dieses Kapitel vergleicht die Propagandastrategien Deutschlands und Großbritanniens. Es analysiert die deutschen Strategien der Volksgemeinschaft und Integration in Friedens- und Kriegszeiten, die auf Siegesmeldungen und Durchhalteparolen setzten. Im Gegensatz dazu konzentriert sich der britische Deutsche Dienst der BBC auf die Glaubwürdigkeit und versucht durch die Vermittlung alternativer Fakten eine Gegenwirklichkeit zu schaffen. Das Kapitel vergleicht die jeweiligen Erfolgsfaktoren und die Herausforderungen, denen die Propaganda beider Seiten gegenüberstand.
4. Hypnotische Verführung oder Anpassung an den Volkswillen?- Die Rolle des Hörers zwischen „Reflexamöbe“ und aktivem Mitgestalter des Rundfunks im Zweiten Weltkrieg: Dieses Kapitel befasst sich mit der Rolle der Hörer als aktive oder passive Rezipienten. Es hinterfragt die These von der hypnotischen Wirkung der Propaganda und analysiert das komplexe Verhältnis zwischen staatlicher Steuerung und der individuellen Interpretation der Botschaften. Die Möglichkeit, alternative Quellen zu nutzen und die aktive Auseinandersetzung mit den Informationen werden als wichtige Aspekte der Hörer-Rezeption betrachtet.
Schlüsselwörter
Rundfunkpropaganda, Zweiter Weltkrieg, Deutschland, Großbritannien, Nationalsozialismus, BBC, Deutscher Dienst, Propaganda Strategien, Hörer, Rezeption, Massenmedien, Informationskontrolle, Alternative Informationsquellen, Glaubwürdigkeit.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Arbeit: Rundfunkpropaganda im Zweiten Weltkrieg
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Organisation und Inhalte der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht ein Vergleich der unterschiedlichen Strategien beider Länder und die Rolle des Hörers als Rezipient und potenzieller Akteur im medialen Geschehen. Die Arbeit hinterfragt gängige Stereotypen über die Wirkung von Propaganda und analysiert die Interaktion zwischen staatlicher Steuerung und dem individuellen Umgang mit den Medienangeboten.
Welche Aspekte der Rundfunkpropaganda werden verglichen?
Die Arbeit vergleicht die Organisationsstrukturen, Propagandastrategien, und die Rolle der Hörer im deutschen (NS-Propaganda) und britischen (BBC Deutscher Dienst) Rundfunk während des Zweiten Weltkriegs. Es wird untersucht, wie beide Systeme organisiert waren, welche Strategien sie verwendeten, und wie die Hörer auf diese Propaganda reagierten.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: Einleitung, Organisation der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien, Propagandastrategien im Kampf um deutsche Hörer, und die Rolle des Hörers. Jedes Kapitel befasst sich mit einem spezifischen Aspekt des Themas, wobei die Kapitel aufeinander aufbauen.
Welche Rolle spielte der Hörer in der Propaganda?
Die Arbeit hinterfragt die gängige Vorstellung vom Hörer als passivem Opfer der Propaganda. Sie argumentiert, dass die Hörer aktiv mit den Medienangeboten interagierten und alternative Informationsquellen, wie den Deutschen Dienst der BBC, nutzten. Das Verhältnis zwischen staatlicher Steuerung und individueller Interpretation der Botschaften wird analysiert.
Welche Organisationsstrukturen werden untersucht?
Die Arbeit analysiert die Organisationsstruktur des staatlich gelenkten deutschen Rundfunks als Instrument der NS-Propaganda und vergleicht sie mit der Organisation der BBC, die als halbstaatliches Unternehmen mit größerer redaktioneller Unabhängigkeit dargestellt wird. Es werden die jeweiligen Hierarchien, technischen Möglichkeiten und der Einfluss der Regierung auf beide Systeme untersucht.
Welche Propagandastrategien werden verglichen?
Die Arbeit vergleicht die deutschen Strategien der Volksgemeinschaft und Integration in Friedens- und Kriegszeiten, die auf Siegesmeldungen und Durchhalteparolen setzten, mit den britischen Strategien des Deutschen Dienstes der BBC. Dieser konzentrierte sich auf Glaubwürdigkeit und versuchte durch alternative Fakten eine Gegenwirklichkeit zu schaffen. Die jeweiligen Erfolgsfaktoren und Herausforderungen werden verglichen.
Welche Bedeutung haben alternative Informationsquellen?
Die Arbeit hebt die Bedeutung alternativer Informationsquellen, insbesondere des Deutschen Dienstes der BBC, hervor. Dieser wird als wichtige Alternative zur NS-Propaganda präsentiert, die versuchte, Glaubwürdigkeit durch die Vermittlung alternativer Fakten zu erreichen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Rundfunkpropaganda, Zweiter Weltkrieg, Deutschland, Großbritannien, Nationalsozialismus, BBC, Deutscher Dienst, Propaganda Strategien, Hörer, Rezeption, Massenmedien, Informationskontrolle, Alternative Informationsquellen, Glaubwürdigkeit.
Welche zentrale Forschungsfrage steht im Mittelpunkt?
Die zentrale Forschungsfrage befasst sich mit der Wirkung von Propaganda im Zweiten Weltkrieg und hinterfragt das gängige Bild der allmächtigen Propaganda. Die Arbeit setzt die These auf, dass die Rezipienten nicht nur passive Opfer waren, sondern aktiv mit dem Medienangebot interagierten und alternative Informationsquellen nutzten.
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- Johannes Kaufmann (Author), 2007, Der Zweite Weltkrieg als Rundfunkkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184752