Warum wieder Schiller? Es geht darum, ein Denkmal zu restaurieren, das mit Recht noch da steht Es geht darum, die Patina und den Dreck der Zeit abzuschmirgeln; denn was die Texte sagen, ist so gesagt, als sei es eigens uns gesagt. Brechts polemisch-hybrides Wort von den Klassikern, die im Krieg gestorben seien, ist halt schon im Literalsinn falsch : gestor¬ben sind faktisch auf dem Felde jene, die nicht in der Lage waren, die Lehre der Klassiker zu realisieren. Nicht die Klassiker haben versagt, sondern die, welche mit ihnen hätten etwas anfangen müssen.
Lehren ziehen aus dem Klassiker? Etwa diesen Kalibers: Die Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen . Antidemokratisch; monarchistisches, präfaschistisches Bewußt¬sein. Und nicht zu entschuldigen als Frühwerk, Jugendsünde. Spätestes Pro¬dukt, Unwiderrufbar. Ohne Kommentar ist dazuzusetzen: Gegenwärtiges. E. Wiedemann, 'Spiegel'-Reporter, schreibt am Ende eines Berichts über die Ereignisse im Iran:
"Wahr ist allerdings auch: Die Massen stehen trotz allem hinter Cho¬meini. Die Linken und Liberalen bringen zusammen selten mehr als 50 000 Demonstranten auf die Straße. Wenn aber Chomeini ruft, marschieren immer noch Millionen "
Prämisse der vorgelegten Analysen ist, daß - Autonomie hin, Form her - Dichtung in sich - geschichtliche Erfahrung hat, daß, erkennt man Dich¬tung, man erkennt, was der Mensch sei und was Geschichte. Wobei, schlimm daß man es sagen muß, Geschichte nicht die Zeitgeschichte des Autors ist: so als habe Schiller im 'Wallenstein' nacherzählt, was der französische Gene¬ral Dumouriez trieb, als er die Revolutionstruppen verließ und zum deutschen Feind überlief. Deshalb sind auch kluge Sätze, daß Schillers Dichtungen sich mit der Revolution auseinandersetzen, so klug wiederum nicht. Der Karis¬schüler brauchte die Revolution nicht, um zu merken, was Sache ist: die mundane, gesellschaftliche Verfassung der Menschheit, im Blick auf das, was die zeitgenössische Philosophie Kants als einen der Schlußsteine ihres Systems erarbeitet hatte: Freiheit Der 'Karlos', ebenso wie die anderen frühen Stücke, lange vor der Großen Revolution konzipiert und aufgeführt, verhandeln dies Problem poetisch vor dem Forum der Humanität.
Inhalt
(1)Erfahrung von Geschichte als zentrale Thematik - Korff: dichterische Behandlung der Geschichte - Johanna als ideale Gestalt mit göttlicher Sendung oder als von Notwendigkeiten deformierter Mensch?
(2)Prolog: Aufriß des Problems - Beginn: Zerstörung der Idylle - Erweckung der Heldin (Helm-Motiv) - Ergreifung der geschichtlich notwendigen Aufgabe: Kampf gegen den äußeren Feind - Arbeit für den inneren Frieden - Zeitgeschichte im klassischen Text - himmlische Sendung als historische Notwendigkeit - Ruf des Geistes - der furchtbar bindende Vertrag - Deformation des Menschen: Tötungsgebot und Liebesverbot - Johanna als erhabene Heroine - tragische Strukturierung - Weg in die Vollendung? - Geschichtsphilosophie: Arkadien-Geschichte-Elysium als problematische Projektion
(3)Zum ersten Aufzug: Retardation - Nebenmotive: Dichter und Herrscher - Traum von der Idylle
(4)Bemerkungen zur Methode der Analyse: Entmythologisierung - Oberflächenstruktur des Textes - Stilisierung - Selbstverständnis der Heldin - Urteilsenthaltung
(5)Zum zweiten Aufzug: Streit und Versöhnung - Idealisierung des Historischen - Johanna als Vernichtende - Johannas Gott: Ares - Technik antithetischer Positionierung von Motiven
(6)Zum dritten Aufzug: Feier der Versöhnung - Bedeutung der Gestik - Problematisierung des Liebesverbots - Krieg vs. Liebe - Nihilismus als Folge der sich vernichtenden Extreme - Hamaritia der Heldin
(7)Zum vierten Aufzug: Selbstreflexion Johannas - mundane Ausrichtung - hellenische Diesseitigkeit - Beschuldigung durch den Vater: Entzweiung in der Familie - Bedeutung der Nichtverteidigung
(8)Schicksal als geschichtlich Geschicktes - tragische Strukturierung - Gesetzlichkeit des Geschehens - Funktion der Gefangennahme - Notwendigkeit ihres Todes - poetische Struktur des Schlusses
(9)Noch einmal: Methode - Geschichtstheoretische Deutung - Mangel der vorhandenen Interpretationen - Vorwurf: Stil statt Wahrheit - von Schiller eingeführte poetische Motive
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- Prof. Dr. Erwin Leibfried (Author), 1985, Die Jungfrau von Orleans - Eine romantische Tragödie (1802), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184436
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