Multikulturalismus - ein Reizwort. In den letzten Jahren wurde dieser Begriff in der öffentlichen Debatte in Deutschland mit äußerst gegensätzlichen Gefühlsassoziationen gebraucht. Von rechtskonservativer Seite wurde und wird das Schreckgespenst einer multikriminellen Gesellschaft gezeichnet sowie vor einem kulturellen Egalitarismus gewarnt. Vielmehr hätten sich Migranten, die nach Deutschland kommen, an einer deutschen Leitkultur zu orientieren, deren Definitionsversuche allerdings kaum zu überzeugen vermögen. Für das linke Lager dagegen steht Multikulturalismus oft für eine positive Utopie, eine Lebensform , die es jedem erlauben soll, nach seiner Facon glücklich zu werden.
Dadurch könne ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen auf
deutschen Boden ermöglicht werden.
Vielfach scheint es den Protagonisten der Debatte eher darum zu gehen,
potentiellen Wählern ihre jeweilige Weltanschauung zu vermitteln, als ernsthaft Gedanken zum Miteinander der Kulturen zu entwickeln. Diese Arbeit soll den Versuch unternehmen, sich dem Begriff Multikulturalismus am Beispiel der USA, zu nähern, denn die „USA haben uns eine 200-jährige Erfahrung des politischen und rechtlichen Umgangs mit den im Staatenverbund ansässigen Minderheiten voraus, eine komplexe und widersprüchliche Geschichte.“ Gerüst und roter Faden der Ausführungen wird dabei das 1997 erschienene Buch „We Are all Multiculturalists Now“ des ehemaligen Harvard Professors Nathan Glazer sein, einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Migrationsforschung und damit zusammenhängenden Thematiken. Ich werde seine Hauptthesen aufzeigen und dabei darauf eingehen, wie Einwanderern integriert werden sollten und was dazu führte, dass von althergebrachten Konzepten nach und nach abgerückt wurde.
Es wird sich zeigen, dass in den USA die Diskussion eine andere Dimension als in Deutschland erreicht hat. Zum einen wird der Begriff Multikulturalismus umfassender verstanden, zum anderen geht es - zumindest Glazers Ansicht nach - kaum noch um die Frage ob, sondern vielmehr wie multikulturelle Anliegen praktisch umgesetzt werden können.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Form und Ziel der Integration von Immigranten in den USA
3 Die Sonderstellung der Schwarzen
3.1 Die historische Sonderstellung der Afro-Americans
3.2 Die wirtschaftlich-soziale Sonderstellung der Afro-Americans
4 Multikulturalismus- Was heisst das?
5 Schlußbetrachtung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Multikulturalismus - ein Reizwort. In den letzten Jahren wurde dieser Begriff in der öffentlichen Debatte in Deutschland mit äußerst gegensätzlichen Gefühlsassoziationen gebraucht. Von rechtskonservativer Seite wurde und wird das Schreckgespenst einer multikriminellen Gesellschaft gezeichnet sowie vor einem kulturellen Egalitarismus gewarnt. Vielmehr hätten sich Migranten, die nach Deutschland kommen, an einer deutschen Leitkultur zu orientieren, deren Definitionsversuche allerdings kaum zu überzeugen vermögen. Für das linke Lager dagegen steht Multikulturalismus oft für eine positive Utopie, eine Lebensform, die es jedem erlauben soll, nach seiner Facon glücklich zu werden. Dadurch könne ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen auf deutschen Boden ermöglicht werden.
Vielfach scheint es den Protagonisten der Debatte eher darum zu gehen, potentiellen Wählern ihre jeweilige Weltanschauung zu vermitteln, als ernsthaft Gedanken zum Miteinander der Kulturen zu entwickeln. Diese Arbeit soll den Versuch unternehmen, sich dem Begriff Multikulturalismus am Beispiel der USA, zu nähern, denn die „USA haben uns eine 200-jährige Erfahrung des politischen und rechtlichen Umgangs mit den im Staatenverbund ansässigen Minderheiten voraus, eine komplexe und widersprüchliche Geschichte.“[1]
Gerüst und roter Faden der Ausführungen wird dabei das 1997 erschienene Buch „We Are all Multiculturalists Now“ des ehemaligen Harvard Professors Nathan Glazer sein, einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Migrationsforschung und damit zusammenhängenden Thematiken. Ich werde seine Hauptthesen aufzeigen und dabei darauf eingehen , wie Einwanderern integriert werden sollten und was dazu führte, dass von althergebrachten Konzepten nach und nach abgerückt wurde.
Es wird sich zeigen, dass in den USA die Diskussion eine andere Dimension als in Deutschland erreicht hat. Zum einen wird der Begriff Multikulturalismus umfassender verstanden, zum anderen geht es – zumindest Glazers Ansicht nach - kaum noch um die Frage ob, sondern vielmehr wie multikulturelle Anliegen praktisch umgesetzt werden können.
Als letzte Vorbemerkung soll noch gesagt sein, dass ich den Begriff „die Schwarzen“ durchaus im Bewußtsein verwende, dass er als solcher zu allgemein ist. Meine Definition, die gedanklich immer mitgelesen werden sollte lautet:
„Die Schwarzen = der Großteil der in den USA lebenden Menschen, die einen oder mehr Vorfahren haben, die aus Afrika nach Amerika kamen.“
Ich habe mich weitgehend gegen die Verwendung des Begriffs Afro Americans entschieden, da es dann meiner Ansicht nach folgerichtig wäre, innerhalb der weißen Bevölkerung hinsichtlich ihrer Abstammung zu differenzieren, also dementsprechend Italo Americans, German Americans, Asia Americans oder auch Jewish Americans zu verwenden, um eine weitere Möglichkeit der Differenzierung ins Spiel zu bringen. Eine so differenzierte Begriffsverwendung wäre zwar angebracht, erfordert aber Rechercheaufwand, den zu leisten ich für diese Arbeit nicht imstande war. Der Hauptgrund für die Verwendung des Begriffs „die Schwarzen“ liegt aber in der Tatsachen begründet, dass in den USA selbst der One-Drop-Rule Tradition folgend, nahezu alle Menschen mit wenigsten einem afrikanischen Vorfahren als „blacks“ kategorisiert werden, was zur Folge hat, dass „blacks“ der Terminus ist, der sich sowohl in der Literatur als auch in offiziellen Statistiken des U.S. Bureau of the Census wiederfindet.
2 Form und Ziel der Integration von Immigranten in den USA
Die USA sind das klassische Einwanderungsland schlechthin. Heute leben ca. 2,2 Millionen Native Americans, meist in ihnen zugeteilten Reservaten, innerhalb der Staatsgrenzen der USA. Demnach hat nicht einmal jeder 100. US-Bürger Ureinwohner dieses Kontinents als Vorfahren. Alle anderen der heute etwa 270 Millionen US-Bürger haben ihre persönlichen Wurzeln anderswo in der Welt. Offensichtlich ist die US-amerikanische Geschichte eine fast unaufhörliche Geschichte der Integration verschiedener Ethnien. Betrachtet man die Prosperität der USA und ihre doch relativ friedliche Geschichte, was Konflikte innerhalb ihrer Staatsgrenzen betrifft, handelt es sich dabei scheinbar um eine Erfolgsstory.
Vom Beginn der ersten Siedlungen, bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war Integration letztlich gleichbedeutend mit Assimilation. Assimilation (lat. Ähnlichmachung, Angleichung) definiert ein Wörterbuch der Soziologie wie folgt: Assimilation „bedeutet Übernahme der soziokult. Werte, Orientierungs-u. Verhaltensmuster bis hin zu den prinzipiellen Lebensinteressen u. dem Wandel des Bewußtseins der Gruppenzugehörigkeit.“[2] In Bezug auf die USA wird statt Assimilation vielfach auch der noch stärkere Begriff der Amerikanisierung verwendet.
Eine oft bemühte Analogie, um die Eingliederung der Neuankömmlinge zu charakterisieren, ist die des Schmelztiegels (engl. melting pot). In einem Schmelztiegel werden viele verschiedene Einzelteile zu einer zusammengehörigen, nicht mehr auseinander zu kennenden Masse verschmolzen. Diese Analogie ist inzwischen vielfach kritisiert und als Mythos entlarvt worden.
Volker Bischoff und Marino Maria haben anhand historischer Quellen nicht nur den Schmelztiegel Mythos, sondern auch andere „uramerikanische“ Legenden kritisch untersucht. In den USA sollte sich der „new man“ entwickeln, der sich aus Charakter und Eigenschaften vieler Nationen zusammensetzt und dadurch zum Amerikaner wird, dass er alle Eigenheiten, Vorurteile und Geisteshaltungen seiner Heimatkultur hinter sich lässt. Der Einwanderer mache demnach idealerweise einen Verschmelzungsprozeß mit anderen US-Bürgern durch, der ihn zum Amerikaner macht und ihn gleichzeitig seine ursprüngliche kulturelle Identität vergessen lässt. Die Väter der Verfassung und der Federalist Paper verknüpften „amerikanisch“ sein daher nicht mit Nationalität, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, sondern verwiesen auf allgemeine Ideale und universelle Prinzipien. „An die Stelle von gemeinsamer Abstammung als Organisationsprinzipien nationaler Identität treten (...) Institutionen, Status und Werte. Der Amerikaner konstituiert sich, indem er sich neue Werte zu eigen macht, Loyalität gegenüber einer neuen Regierungsform zeigt und einen neuen Status als freeman einnimmt.“[3] Wer guter Amerikaner werden wollte, wer zum „New Man“ werden wollte, hatte demnach alte Identitäten abzustreifen und sich dem American Creed zu überantworten. Demokratie, Republikanismus, Wettbewerb, Fortschritt, Individualismus, Erfolg sind noch heute Eckpfeiler der amerikanischen Ideologie und Bestandteil des American Creed.
War dieses „Glaubensbekenntnis“ wirklich ein Mischprodukt verschiedenster Kulturen? Wer entwickelte diesen amerikanischen Konsens ? „Mit dem ‘amerikanische consensus’ ist im wesentlichen der ökonomische und soziale Konsensus marktbezogen wirtschaftender kapitalistischer Eigentümer in allen Wirtschaftssektoren von Anfang an gemeint (...). (...). Er reflektiert im wesentlichen, wie die Angehörigen dieser Gruppe die Gesellschaft sahen und interpretierten, erwähnten die Ausgeschlossenen nicht einmal, wurde aber allen anderen als herrschende Ideologie verordnet und hat lange Zeit hindurch die traditionelle politische Theorie und den politischen Diskurs in den USA geprägt.“[4] Einwanderer sollten also eine uniforme amerikanische Identität übernehmen, die sich trotz aller Lippenbekenntnisse klar am WASP(M) [white anglo saxon protestant (male)] Vorbild orientierte. Grundannahme war, dass die amerikanische Kultur sich fertig entwickelt hatte, den anderen überlegen sei und sich alle Immigranten sich dieser bedingungslos zu unterwerfen hätten. Die Überlegenheit dieser westlichen, weißen, angeblich zivilisiertesten und freiheitlichsten aller nur vorstellbaren Kulturen konnte nicht in Frage gestellt werden. Die ursprüngliche kulturelle Identität des eigenen Geburtslandes bzw. das der Eltern oder Großeltern sollte bedeutungslos werden. Dennoch wurde der „Melting Pot“ Mythos nebst anderen Mythen (gelobtes Land, new life, jeder hat die Chance auf Erfolg) aufrecht erhalten und Einwanderer benutzten diese Mythen um amerikanische Identitäten und gedachte Autobiografien zu entwerfen. „Melting pot Szenarien [waren, H.R.] ein probates Mittel nationaler Identitätsfindung.“[5]
Ziel der Assimilationsbestrebungen war es, Neuankömmlinge zu amerikanischen Bürgern zu machen, sie zur Anpassung an den American Way Of Life zu bewegen und damit zur Teilnahme am politischen und wirtschaftlichen Leben zu befähigen.[6] Dies wurde vor allem durch die Schulbildung erreicht. Zunächst wurde dafür gesorgt, dass alle dieselbe Sprache sprechen, Englisch. Zusätzlich wurden in der Schule bestimmte Werte, Normen, Sitten, und Moralvorstellungen vermittelt, denen sich die Kinder der Immigranten anzupassen hatten.
Hans Jürgen Puhle weist in seinem Text zur Multikulturellen Politik in den USA[7] zu Recht darauf hin, dass die Einwanderer natürlich weiterhin geprägt blieben durch den kulturellen, religiösen und nationalen Background ihrer Familien. Er ist ebenfalls der Ansicht, dass der „melting pot“ Mythos nie der realen Situation entsprochen. Zwar fand durchaus eine Verschmelzung verschiedener Kulturen statt, die Hegemonialstellung der WASP(M)-Kultur war aber niemals ernsthaft gefährdet. Es gab allzeit eine Auslese, welche Ethnien und welche kulturellen Verhaltensmuster, Normen, Sitten etc. Einlass fanden in den Pool aus dem sich die amerikanische Identität generierte. Vor allem die Kulturen der American Indians und der versklavten Schwarzen fanden sich niemals in diesem imaginären Topf. Auch katholischen Italienern und Polen oder orthodoxen Griechen und Slawen war zumindest für lange Zeit eine „aktive“ Rolle beim Prozeß der US-amerikanischen Identitätsfindung verwehrt. Für Neuankömmlinge bestand, wollten sie sozialen Aufstieg erreichen und am öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen, die Notwendigkeit, sich dem American Way Of Life anzupassen, dessen Charakter, wie erwähnt, klar durch die dominante WASP(M) Kultur geprägt . Daher bezeichnet Berndt Ostendorf ethnische Kultur in der Einwandererzeit als Privatvergnügen.[8]
Geschichtliche Quellen, die Glazer heranzieht, erwecken den Eindruck, es hätte allen zu jeder Zeit offen gestanden, gleichberechtigte Amerikaner zu werden. Doch v.a. Schwarze aber auch Indianer und später auch andere ethnische Gruppen, wie etwa die ersten chinesischen Einwanderer, oder die Mexikaner, waren, wenn auch in den meisten Quellen nicht explizit ausgeschlossen, so doch gefühlsmäßig keinesfalls mit eingeschlossen. Sie wurden schlicht und ergreifend – bis auf wenige Ausnahmen - nicht erwähnt, kamen in der öffentlichen Diskussion nicht vor und wurden als Menschen zweiter Klasse ignoriert. Assimilation als Chance in die Gesellschaft aufgenommen zu werden und damit Aufstiegsmöglichkeiten zu erhalten und gesellschaftliche Reputation zu erwerben, war einzig den Immigranten aus Europa vorbehalten. „The concept of assimilation looked toward Europe.“[9]
Diesbezüglich ging das Rezept auch auf. Zwar hatten auch – wie erwähnt- katholische, orthodoxe oder (osteuropäisch-)jüdische zu Anfang gegen starke Ressentiments zu kämpfen, doch nach einer gewissen Zeit und nach Ankunft einer neuen noch „fremdartigeren“ Einwanderergeneration etwa aus Asien oder Südamerika konnten auch sie sich erfolgreich assimilieren. „Our problem (...) [is, H.R.] the one great failure of assimilation in American life, the incorporation of African Americans (...).“[10] Dieses Versagen des (weißen) Amerikas, die Schwarzen im selben Maße zu integrieren, wie andere Minderheiten, hat demnach ein Umdenken erforderlich gemacht.
[...]
[1] Ostendorf, 1994, S.8
[2] Hillmann, 1994, S.49
[3] Bischoff/Maria, 1991, S.518
[4] Puhle, 1994 S.80
[5] Bischoff/maria, 1991, S.535
[6] vgl. Glazer, 1997, S.102
[7] vgl. Puhle, 1996, S.147 ff.
[8] vgl. Ostendorf, 1996, S.167.
[9] Glazer, 1997, S.98
[10] Glazer, 1997, S.97
- Quote paper
- Holger Rupprecht (Author), 2003, Vom Schmelztiegelmythos zum Multikulturalismus - Erfahrungen aus den USA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18406
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