Seit Sherry Turkle 1995 ihr, vom Medienphilosoph Mike Sandbothe als „...das Gründungsdokument der humanbiologischen Internetforschung...“ bezeichnete, Buch „Life on the Screen“ herausbrachte hat sich viel getan im Areal der computervermittelten Kommunikation. Schon damals berichtet sie von MUDs1, die ambitionierte Spieler eher als ihre Lebensräume sehen, als die Realität. So zitiert sie einen amerikanischen Collegestudenten und exzessive MUD - User: „ ‚RL2 ist nur ein Fenster unter vielen’ [...] ‚und es ist gewöhnlich nicht mein Bestes.’“(Turkle 1995: S. 16). Heute sind solche Online-Rollenspiele nicht länger nur textbasierende Chats, in denen Charaktere und deren Umfeld lediglich durch Worte beschrieben werden, sondern ausgeklügelte, visualisierte, vertonte, virtuelle Welten, die der realen in immer weniger Punkten nachstehen und in immer mehr überlegen sind. Da ist es kaum verwunderlich, dass diese auch immer mehr zum Schauplatz sozialen Lebens werden. Menschen treffen sich dort, lernen sich kennen, freunden sich an, kommunizieren also. Und diese Kommunikation geht über das Spiel als solches oft weit hinaus, lässt es teilweise sogar zur Nebensache werden.
„ ‚Warum’, so fragt ein begeisterter MUD - Spieler und IRC - User, ‚dem Selbst, das einen Körper hat eine so große Überlegenheit zu billigen, wenn die Selbste, die keinen Körper haben, ganz andere Arten von Erfahrungen machen können?’“ (Turkle ebd. S.18)
Was für einen Einfluss hat diese einerseits ausgeweitete, andererseits eingeschränkte Kommunikationsform auf unser Leben?
Birgt die Virtualität nicht eine große Gefahr in sich, den Bezug zur Realität zu verwischen oder ganz zu verlieren, oder lassen sich lediglich ‘Kinderkrankheiten’ aufzeigen, wie sie mit der Einführung jedes neuen Mediums verbunden sind?
Ist eine globale Kommunikationsform wie diese vielleicht eine Chance, uns sozial weiter zu entwickeln, ethnische und kulturelle Grenzen abzubauen, oder lässt uns eine Welt, die uns ihr ganzes Spektrum durch ein einziges Fenster an einem einzigen Ort darbietet zu eigenbrötlerischen ‘Einsiedlern’ werden, die ihre sozialen Kompetenzen allmählich verlieren?
Das herauszufinden würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. Sie soll vielmehr eine Idee davon bieten, womit wir es bei diesem noch relativ jungen Medium zu tun haben, wohin die Entwicklung gehen könnte und wo sich weitere Nachforschungen anbieten würden.
Inhaltsverzeichnis
1 Grafische MUDs – eine neue Form von Computerkommunikation
2 Was ist ein moderner MUD – Das Online-Rollenspiel „Everquest“ als Beispiel
2.1 Spielprinzip
2.2 Ziele im Spiel
2.3 Kommunikation
2.4 Nebeneffekte – durch Virtualität modifizierte soziale Bedingungen
3 Überlegungsansatz
3.1 Fragen
3.2 Methoden
3.3 Einschränkungen, Probleme bei der Befragung
4 Ergebnisse
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb.1 – Screenshot aus ‚Everquest’
Abb.2 – Beispielscreen aus dem verwendeten Fragebogen
Diagramme
Diagramm 1 – Familienstand
Diagramm 2 – Beschäftigung
Diagramm 3 – Bildung
Diagramm 4 – Spieldauer pro Tag
Diagramm 5– Was ist Everquest für die User?
Diagramm 6 – Was ist wichtig an Everquest?
Diagramm 7 – Zusammenhang: Spieldauer – wichtige Rolle
1 Grafische MUDs – eine neue Form von Computerkommunikation
Seit Sherry Turkle 1995 ihr, vom Medienphilosoph Mike Sandbothe als „...das Gründungsdokument der humanbiologischen Internetforschung...“ bezeichnete, Buch „Life on the Screen“ herausbrachte hat sich viel getan im Areal der computervermittelten Kommunikation. Schon damals berichtet sie von MUDs[1], die ambitionierte Spieler eher als ihre Lebensräume sehen, als die Realität. So zitiert sie einen amerikanischen Collegestudenten und exzessive MUD - User: „ ‚RL[2] ist nur ein Fenster unter vielen’ [...] ‚und es ist gewöhnlich nicht mein Bestes.’“(Turkle 1995: S. 16). Heute sind solche Online-Rollenspiele nicht länger nur textbasierende Chats, in denen Charaktere und deren Umfeld lediglich durch Worte beschrieben werden, sondern ausgeklügelte, visualisierte, vertonte, virtuelle Welten, die der realen in immer weniger Punkten nachstehen und in immer mehr überlegen sind. Da ist es kaum verwunderlich, dass diese auch immer mehr zum Schauplatz sozialen Lebens werden. Menschen treffen sich dort, lernen sich kennen, freunden sich an, kommunizieren also. Und diese Kommunikation geht über das Spiel als solches oft weit hinaus, lässt es teilweise sogar zur Nebensache werden.
„ ‚Warum’, so fragt ein begeisterter MUD - Spieler und IRC - User, ‚dem Selbst, das einen Körper hat eine so große Überlegenheit zu billigen, wenn die Selbste, die keinen Körper haben, ganz andere Arten von Erfahrungen machen können?’“ (Turkle ebd. S.18)
Was für einen Einfluss hat diese einerseits ausgeweitete, andererseits eingeschränkte Kommunikationsform auf unser Leben?
Birgt die Virtualität nicht eine große Gefahr in sich, den Bezug zur Realität zu verwischen oder ganz zu verlieren, oder lassen sich lediglich ‘Kinderkrankheiten’ aufzeigen, wie sie mit der Einführung jedes neuen Mediums verbunden sind?
Ist eine globale Kommunikationsform wie diese vielleicht eine Chance, uns sozial weiter zu entwickeln, ethnische und kulturelle Grenzen abzubauen, oder lässt uns eine Welt, die uns ihr ganzes Spektrum durch ein einziges Fenster an einem einzigen Ort darbietet zu eigenbrötlerischen ‘Einsiedlern’ werden, die ihre sozialen Kompetenzen allmählich verlieren?
Das herauszufinden würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. Sie soll vielmehr eine Idee davon bieten, womit wir es bei diesem noch relativ jungen Medium zu tun haben, wohin die Entwicklung gehen könnte und wo sich weitere Nachforschungen anbieten würden.
2 Was ist ein moderner MUD – Das Online-Rollenspiel ‘Everquest’ als Beispiel
An dieser Stelle soll kurz erklärt werden, was ein moderner MUD ist, wie er funktioniert und was ihn kommunikationswissenschaftlich interessant macht. Als Beispiel sei hier das am 16. März 1999 online gegangene ‘Everquest’ angeführt, ein dreidimensionales Echtzeit-Multiplayer-Online-Rollenspiel, dessen Teilnahmegebühr von 12,95 $ pro Monat laut Internet-Videospiel-Magazin „Gamer“ (www.gamer.at) im November letzten Jahres 300.000 Spieler bezahlten. Bei gleichbleibender Entwicklung dürfte sich die Anzahl Teilnehmer nochmals verdoppelt haben. Durch das immense Ausmaß dieser Gemeinschaft entstehen hier online soziale Systeme, deren Prinzipien uns aus der realen Welt vertraut sind[3].
2.1 Spielprinzip
Der erste Schritt, bei ‘Everquest’ einzusteigen, ist seine eigene Identität (seine Spielfigur, seinen ‘character’, kurz ‘Char’) festzulegen und zu definieren. Man kreiert diese auf einem der Server, auf denen die Welt von ‘Everquest’ gespeichert ist, indem man aus folgenden Attributen auswählt:
- eine von 14 Rassen (z.B. Mensch, Elf, Zwerg, Riese, Drache, Echsenwesen etc.)
- einen von 15 Berufen (z.B. Krieger, Priester, Zauberer, Dieb, Paladin etc.)
- Geschlecht
- Individuelles Gesicht
- Eine von 18 Religionen
Zuletzt bestückt man noch Grundattribute wie z.B. Stärke, Ausdauer, Intelligenz etc. aus einem Startpool von Punkten. Zu diesem bekommt man mit steigender Erfahrung weitere Punkte hinzu und kann so seine Fähigkeiten ausbauen..
Die Welt von ‘Everquest’ startete mit einer Umgebung vergleichbar einem ‘Kontinent’ mit Städten, Wäldern, Flüssen, Bergen etc. Weitere vier dieser Kontinente und noch andere Spielzonen kamen mit der Zeit hinzu.
Im Spiel wird die eigene Figur mit Maus und Keyboard bewegt, man kann gehen, laufen, reiten, mit einem Boot fahren oder teleportieren. Durch ein zentrales ‘Fenster’ sieht man seine Umgebung, Mitspieler und Gegner, am Bildschirmrand den eigenen Gesundheitsstatus, Müdigkeitslevel und die Ausrüstung. Abb.1 – Screenshot aus ‚Everquest’
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In einem Chatfenster wird angezeigt, was die Spieler in der näheren Umgebung und man selbst sagen und tun.
Der Cyberspace durch den man sich bewegt, ist eine Fantasie-Welt voller fantastischer Dinge, magischer Wesen, Drachen und Monstern, sagenhaften Schätzen und wirklich gewordenen Legenden.
2.2 Ziele im Spiel
Hat man nun mit seinem ‘neugeborenen’ Char diese Welt betreten, gilt es Geld zu verdienen, indem man bettelt, Dinge verkauft, die erlegte Tiere (!) fallengelassen haben oder seine Dienste anderen anbietet (z.B. Geleitschutz). Außerdem muss man Erfahrungen sammeln (in Form von Punkten) indem man Tiere und Monster bezwingt, Aufgaben löst (die u.a. von NSCs[4] gestellt werden) und sich in Gruppen organisiert. Das Erlangen von Erfahrung und der Ausbau von Fähigkeiten ist ein wichtiges Motiv im Spiel, viele Spieler konzentrieren sich vor allem darauf, ihren eigenen Char weiter zu entwickeln. Manche dieser Aufgaben kann man alleine verfolgen und lösen, für andere braucht man eine ‘Party’ (Gruppe mit bis zu sechs Leuten), für wieder andere eine ‘Raid’ (mehrere Gruppen). Dieses Prinzip fördert das Zusammenspiel mit anderen. Um sich selbst weiter zu bringen, muss man sich mit anderen austauschen, sich zusammenschließen und gemeinsame ‘Interessen’ verfolgen.
Sich selbst (die eigene Figur) zu verbessern kann auch aus Prestige-Gründen wichtig sein, da andere User lieber mit bewährten Characteren zusammenspielen. Auch bekommt man dadurch eventuell Bestätigung und Aufmunterung, welche einem im wahren Leben vielleicht verwehrt bleiben.
Weiter ist ein Motiv das gemeinsame Erleben von ‘Freud und Leid’ und den anschließenden Austausch darüber.
Am Leben zu bleiben stellt nur ein untergeordnetes Ziel dar, da man nach seinem Ableben an einem definierten Punkt (anfangs nahe der Heimatstadt) ‘respawnt’ d.h. wieder zum Leben erwacht. Das Problem besteht dann lediglich darin, dass die Ausrüstungsgegenstände noch bei dem alten Körper ‚liegen’ und man dorthin zurück muss um sie zu holen. Das schafft man aber in der Regel nur mit Geleitschutz, also mit Hilfe von ‘Freunden’.
Eine Party muss ausgewogen sein, darf also nicht beispielsweise nur aus Kriegern bestehen, weil sonst niemand die Aufgabe des Heilens übernehmen kann usw. Es liegt im Interesse aller, dass jede/r Aufgaben übernimmt, die der Gruppe zugute kommen und sich höflich und fair den Anderen gegenüber verhält, da bei Missachtung dieser Regeln niemand mit dem/derjenigen zusammenspielen wollte. Wie bereits erwähnt käme er / sie alleine aber nicht weit. Somit ist eine hervorragende Basis gegeben, sich gegenseitig kennen zu lernen, sich auszutauschen, zu kommunizieren.
2.3 Kommunikation
Wie bei den klassischen, rein text-basierenden MUDs hat man die Möglichkeit, mit anderen Spielern per Tastatureingabe zu ‘sprechen’. Man kann dabei aus verschiedenen Kommunikationsarten wählen. Beispielsweise richtet man sein Wort an alle Mitspieler in der ‘näheren Umgebung’, nur an eine einzelne Person, eine bestimmte Gruppe oder man macht etwa eine Ansage, die alle auf dem jeweiligen Server eingeloggten Spieler ‘hören’, die aber das Spiel selbst nicht direkt betrifft.
[...]
[1] Multi User Dungeon. Bezeichnung für Online-Rollenspiele, nach dem Pionier Dungeons & Dragones.
[2] Real Life, die Realität, das „echte“ Leben.
[3] Siehe dazu auch folgenden taz-Artikel, der „Everquest“ als Wirtschaftssystem beschreibt: http://www.taz.de/pt/2002/11/08/a0162.nf/textdruck (alternativ beim Author einzusehen).
[4] Non Player Characters – sogenannte Bots, Figuren, die vom Computer gesteuert werden, nicht von realen Spielern
- Quote paper
- Marcus Breisinger (Author), 2003, Moderne Online-Rollenspiele - Zeitvertreib oder soziales Phänomen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18385
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