Ästhetik und Japan sind im gängigen westlichen Bewusstsein eng verbunden.1 Insbesondere
wird die japanische Teezeremonie, mit höchsten ästhetischen Prädikaten versehen, inzwischen
in alle Welt exportiert. Zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen hat das 1906 in
englischer Sprache verfasste und erst einige Jahre später auf Japanisch übersetzte „The Book
of Tea“ von K. Okakura. Dieses Buch stellt die Teezeremonie dem Westen als japanische
Kunstform vor und charakterisiert sie als „Religion des Ästhetizismus“.2 Dass diese neue
Hochschätzung der Teezeremonie im Kontext damaliger gesellschaftlicher Entwicklungen zu
sehen ist, zeigt etwa schon nur die Tatsache, dass sie noch in einer wichtigen japanischen
Enzyklopädie (Enzyklopädie der alten Dinge; Kojiruien) anfangs der Meiji-Zeit (1867-1912)
lediglich unter der Rubrik „Kinderspiele und Vergnügungen“ erwähnt wird. 3
Tatsächlich ist die Interpretation der Teezeremonie durch Okakura ein Ausdruck für die
Neuformierungsversuche japanischer Identität jener Zeit, die sich dem Westen in möglichst
vorteilhaftem Lichte zu präsentierten suchten.4
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1 Schaumann, Werner (Hg.); Ästhetik und Ästhetisierung in Japan. Referate des 3. Japanologentages der
Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG) 1992, 7-10.
2 K. Okakura, The Book of Tea, New York 1906, deutsch 1979, 9; durch die Lektüre des Buches sollen die
Anhänger der Teezeremonie „zu Aristokraten guten Geschmacks“ werden, ebd.9. Die religiös- philosophische
Deutung der Teezeremonie, die Zen-und Tee-Praxis für geradezu identisch erklärt, wurde später stärker
ausgearbeitet, z.B. von Sh. Hisamatsu („Die Religion des Wabi ist eine Religion des Nichts“); vgl. N.J. Gülberg,
Eine philosophische Ästhetik des Teeweges – zum Werk Hisamatsu Shin’ichs (1889-1980); in: W. Schaumann
(Hg.), Ästhetik und Ästhetisierung in Japan, 1993, 119-129, 125.
3 Vgl. W. Schaumann (Hg.); Ästhetik und Ästhetisierung in Japan. 111. Freilich gibt es schon aus der ersten
Begegnung von Europäern im 16. Jahrhundert Berichte, wonach das dem europäischen Geschmack fremde
Schlichtheitsideal der Teezeremonie Erstaunen und Interesse weckte. Deren Studium und Praxis wurde Teil der
jesuitischen Missionsstrategie im Interesse einer kulturellen Adaption.
4 So soll und kann nach Okakura, Das Buch vom Tee 1979, 10, der Leser durch die Teezeremonie den „wahren
Geist östlicher Demokratie“ kennenlernen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Sekundärliteratur und Fragestellung
- 1. Zum historischen Hintergrund
- 2. Der Teemeister Sen Rikyu (1522-1591) und sein soziales Feld
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die japanische Teezeremonie, insbesondere den Wabi-Stil, aus soziologischer Perspektive. Sie hinterfragt die gängige idealisierte Darstellung und analysiert die historische und soziale Einbettung dieser Praxis.
- Die historische Entwicklung der Teezeremonie im 16. Jahrhundert Japan.
- Der soziale Kontext und die soziale Position von Sen Rikyu, dem Begründer des Wabi-Stils.
- Die soziologische Analyse des Wabi-Stils unter Verwendung von Theorien Pierre Bourdieus.
- Der Gegensatz zwischen der idealisierten Darstellung der Teezeremonie und der sozialen Realität.
- Die Rolle der Teezeremonie im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die gängige westliche Wahrnehmung der japanischen Teezeremonie und deren Kontextualisierung im Kontext nationaler Identitätsfindung. Das Kapitel „Sekundärliteratur und Fragestellung“ kritisch die bestehende Literatur und begründet die soziologische Perspektive der Arbeit. Das Kapitel „Zum historischen Hintergrund“ skizziert die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen im 16. Jahrhundert Japan, die die Entstehung des Wabi-Stils beeinflusst haben. Das Kapitel über Sen Rikyu beschreibt seinen Werdegang, seine soziale Herkunft und seine Verbindungen zu einflussreichen Persönlichkeiten.
Schlüsselwörter
Japanische Teezeremonie, Wabi-Ästhetik, Sen Rikyu, Soziologie, Pierre Bourdieu, symbolisches Kapital, 16. Jahrhundert Japan, Sakai, soziale Ungleichheit, Zen-Buddhismus.
- Arbeit zitieren
- Rosmarie Wider (Autor:in), 2011, Japanische Teeästhetik als symbolisches Kapital , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183052