Die vielzitierte Liebe auf den ersten Blick. Plötzliches Verliebtsein in jemanden, den man schon lange kennt, der/die bisher jedoch nur als guter Kumpel oder nette/r Bekannte/r galt. Liebe über Jahre hinweg, ein ganzes Leben lang, auch wenn die Partner sich sowohl äußerlich als auch in ihrem Verhalten ändern. Für den Menschen der Moderne sind dies völlig normale Liebesformen. Eines haben sie gemeinsam: sie benötigen keinerlei Legitimationsgründe. Allein unsere Gefühle entscheiden, ob und in wen wir uns verlieben. Verstand, rationelles Denken spielen keine Rolle.
Warum liebe ich gerade sie/ihn? Weil er/sie mir am Wochenende das Frühstück ans Bett bringt, meine Launen nicht zu ernst mit, wir in Woody-Allen-Filmen an der gleichen Stelle lachen, er/sie unglaublich attraktiv ist und einfach toll küßt, weil ... Auf diese Frage gibt es unzählig viele Antworten, die bei jedem unterschiedlich ausfallen.
Der/Die Liebende im Mittelalter dagegen begründete die Liebe mit Argumenten, die für die ganze Gesellschaft nachvollziehbar waren, was jedoch nicht bedeutet, daß die Liebe rein rationell ohne jegliche Emotionen gewesen ist. Dennoch weist sie eine gewisse Objektivität auf. Liebe kann nur entstehen, wenn beide Partner bestimmte, von der höfischen Gesellschaft vorgegebene Werte erfüllen.
In dieser Arbeit werden die verschiedenen causae amoris, die der Minnesang verwendet, kurz untersucht. Anhand eines Minnesang-Liedes und eines modernen Liebesgedichtes sollen die unterschiedlichen Arten der Liebe exemplarisch gegenübergestellt werden, um schließlich die wesentlichen Unterschiede der Liebe im Minnesang und der Liebe der Moderne unter Berücksichtigung möglicher Ursachen dieser Differenzen herauszustellen. In der Interpretation der Texte wird auf formale Kriterien nicht eingegangen, denn ich beschränke mich gemäß des Themas auf Art und Gründe der beschriebenen Liebe.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Causaeamoris- Gründe für die Liebe im Minnesang
2.1. Im Menschen vorhandene Liebesursachen
2.1.1. Schönheit
2.1.2.InnereQualitätenundWerte
2.1.3. Die Dame als Freudestifterin
2.2. Idealbild statt Individuum
2.3. Venus, Amor und Frau Minne – die mythische Personifikation der Liebe
3. Symbolfigur des Weiblichen, ideales Vorbild und Läuterungsinstanz
4. Vergleich der Liebe im Minnesang und der Liebe in der Moderne an zwei selbstgewählten Beispielen
4.1. Heinrich von Morungen: Si ist ze allen êren (MF 122,1)
4.1.1. Text und Übersetzung
4.1.2. Versuch einer Interpretation
4.2. Gottfried Benn: „Blaue Stunde“
4.2.1. Text
4.2.2. Versuch einer Interpretation
4.3. Gegenüberstellung der exemplarischen Liebesbeschreibungen
5. Objektivität der mittelalterlichen und Subjektivität der modernen Liebe
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vielzitierte Liebe auf den ersten Blick. Plötzliches Verliebtsein in jemanden, den man schon lange kennt, der/die bisher jedoch nur als guter Kumpel oder nette/r Bekannte/r galt. Liebe über Jahre hinweg, ein ganzes Leben lang, auch wenn die Partner sich sowohl äußerlich als auch in ihrem Verhalten ändern. Für den Menschen der Moderne sind dies völlig normale Liebesformen. Eines haben sie gemeinsam: sie benötigen keinerlei Legitimationsgründe. Allein unsere Gefühle entscheiden, ob und in wen wir uns verlieben. Verstand, rationelles Denken spielen keine Rolle.
Warum liebe ich gerade sie/ihn? Weil er/sie mir am Wochenende das Frühstück ans Bett bringt, meine Launen nicht zu ernst mit, wir in Woody-Allen-Filmen an der gleichen Stelle la- chen, er/sie unglaublich attraktiv ist und einfach toll küßt, weil ... Auf diese Frage gibt es un- zählig viele Antworten, die bei jedem unterschiedlich ausfallen.
Der/Die Liebende im Mittelalter dagegen begründete die Liebe mit Argumenten, die für die ganze Gesellschaft nachvollziehbar waren, was jedoch nicht bedeutet, daß die Liebe rein ratio- nell ohne jegliche Emotionen gewesen ist. Dennoch weist sie eine gewisse Objektivität auf. Liebe kann nur entstehen, wenn beide Partner bestimmte, von der höfischen Gesellschaft vor- gegebene Werte erfüllen.
In dieser Arbeit werden die verschiedenen causae amoris , die der Minnesang verwendet, kurz untersucht. Anhand eines Minnesang-Liedes und eines modernen Liebesgedichtes sollen die unterschiedlichen Arten der Liebe exemplarisch gegenübergestellt werden, um schließlich die wesentlichen Unterschiede der Liebe im Minnesang und der Liebe der Moderne unter Berück- sichtigung möglicher Ursachen dieser Differenzen herauszustellen. In der Interpretation der Texte wird auf formale Kriterien nicht eingegangen, denn ich beschränke mich gemäß des Themas auf Art und Gründe der beschriebenen Liebe.
2. Causae amoris – Gründe für die Liebe im Minnesang
2.1.Im Menschen vorhandene Liebesursachen
2.1.1.Schönheit
Für das Entstehen der Liebe hatten die ästhetischen Qualitäten einer Person, hier die der Da- me, hohe Relevanz. ,,Daß die Liebe mit den Augen beginnt, war der Antike und dem Mittelal- ter eine vertraute Vorstellung.“ (Schnell 1985, S. 241).
Innerhalb des Wahrnehmungsprozesses werden drei Stufen des Erkennens unterschieden: Zu- erst werden die äußeren Sinne aktiv, danach die inneren wie Vorstellungskraft, Gedächtnis, Er- innerung und schließlich schaltet sich der Verstand ein. Durch die Wahrnehmung anhand der Sinne wird die Tätigkeit des menschlichen Verstandes erst ermöglicht (ebd., S. 243).
,,Somit fungieren die Augen als Vermittler zwischen sichtbarer Welt und der menschlichen Seele (Herz) als Sitz des Erkenntnisvermögens (und Strebevermögens).“ (ebd.)
Auch der Mund wird von den Autoren des Hohen Minnesanges in einigen Liedern beschrie- ben. Die Dichter beschränken sich in der Deskriptio auf seine rote Farbe und setzen ihn als eindeutig erotisches Signal ein, das zur Liebe reizen kann (Schweikle 1995, S. 184; Schnell 1985, S. 322).
Am häufigsten gebrauchen die Minnesänger in stereotyper Weise das Attribut schoene , mit dem sie die Dame qualifizieren (ebd., S. 184). Besondere äußerliche Kennzeichen, die gerade diese eine Dame auszeichnen, fehlen im Minnesang völlig. Als Auslöserin der Minne fungie- rend, wird die weibliche schoenheit auf verschiedene Arten gepriesen. Im allgemeinen, oft hy- perbolischen Lob werden keinerlei Einzelheiten erwähnt; die Schönheit der Frauen an sich wird gerühmt. Von einer einzelnen Dame kann mittels Hyperbel oder Vergleich ein Gesamt- eindruck vermittelt werden. Die nächste Deskriptionsart ist die Betonung einzelner Teile des Kopfes. Schließlich wurde die Schönheit anhand der Beschreibung der einzelnen Körperteile von Kopf bis Fuß eingesetzt, wobei die ,Tabuzonen‘ (zumindest im Hohen Minnesang) aus- gespart wurden (Willms 1990, S. 113f). Die verwendeten Schönheitsattribute sind jedoch all- gemeiner Art, sie lassen keinerlei persönliche Note erkennen (Salem 1980, S. 224).
,,Insgesamt ist in der höfischen Literatur dennoch das Bestreben nicht zu übersehen, von der Schönheit als alleiniger causa amoris wegzukommen und Liebe von den inneren Qualitäten eines Menschen her
zu be gründen.“ (Schnell 1985, S. 251)
Dagegen spricht jedoch eine Analyse der in den Liedern aus ,,Minnesangs Frühling“ verwen- deten Epitheta zum Preis der Dame. Das Lob der Schönheit und das Lob der Tugend sind annähernd ausgeglichen (Willms 1990, S. 94). Dennoch gilt: durch die Schönheit wird die Minne ausgelöst, daher werden die äußeren Vorzüge der Dame stets an erster Stelle
ausgelöst, daher werden die äußeren Vorzüge der Dame stets an erster Stelle beschrieben. Ob die Minne des Sänger-Ichs erfüllt wird, hängt jedoch allein von der güete der Dame ab.
,,(...) die dem deutschen Minnesang immer wieder attestierte Vorliebe für die inneren Werte hat ihren Grund darin, daß die Dame wegen ihrer güete zur genade aufzufordern ist, nicht wegen ihrer schoene .
Die güete bleibt der wichtigere Wert, weil sie der Bürge für die Einlösung des Glücksideals ist.“ (Hübner 1996, S. 22)
Kurz gefaßt: Schönheit löst Liebe aus, die Güte, die ,Gutheit‘ der umworbenen Dame ist je- doch alleiniger Garant für eventuelle Erhörung des Mannes.
Äußere Schönheit wird in der mittelalterlichen Liebesdichtung entsprechend der antiken Tradi- tion stets nur als Abbild der inneren Vollkommenheit interpretiert. Das in der Antike her- schende Ideal der kalokagathia beinhaltet, daß Schönheit und sittliche Reinheit stets verbun- den sein sollen (Schweikle 1995, S. 184).
2.1.2. Innere Qualitäten und Werte
Je mehr der Liebende über seine Beziehung zur Dame reflektiert, desto mehr werden die inne- ren Tugenden über die äußerliche Schönheit gestellt. Eine ideale Minneherrin hat tugende und ist guot . Diese beiden Epitheta werden im Lob der moralischen Integrität der Frauen wohl am häufigsten benutzt. Auch die güete, kiusche, sælde, zuht und werdekeit der Dame werden in den Minneliedern gerühmt (Schweikle 1995, S. 185). Tugenden des Geistes wie Verstand, Klugheit und Witz bekommen die höfischen Damen erstaunlicherweise so gut wie nie zuge- sprochen, obwohl doch die Vollkommenheit der Frau das erstrebenswerte Ideal für den Mann darstellen sollte (Willms 1990, S. 95).
Häufig loben Minnedichter eine Dame, die sie zwar noch nicht gesehen, von deren Schönheit und Tugend sie aber durch andere erfahren haben. Zu diesem sogenannten ,Fernliebe-Motiv‘ existiert auch noch die zweite Variante, bei der eine bereits bekannte Person während ihrer Abwesenheit weiterhin geliebt wird. Mittels der ,Fernliebe‘ konnte eine Liebesbeziehung na- türlich in hohem Maße idealisiert werden. In der ,,Tendenz zur Idealisierung“ kam dieses Lie- besmotiv der Vorstellung von der höfischen Minne daher entgegen (Schnell 1985, S. 275 u. 281f). Zudem stellte sich heraus, daß das ,Fernliebe-Motiv‘ einen Gegenpol zum sexuellen Begehren darstellt: Schönheit allein weckt den Wunsch nach Sex, doch wer aufgrund der inne- ren Werte einer Frau liebt, der liebt auf höherem, geistigen Niveau. Diese Liebe wird durch den Verstand gesteuert, nicht durch die Sinne. Sie ist einmalig, echt und rein (ebd. 1985, S. 285f).
Die Ausschließlichkeit dieser einen Liebesbeziehung, Beständigkeit ( stæte ) und Aufrichtigkeit ( triuwe) lauten die ethischen Forderungen an den Mann. Die Werbung darf nicht allein durch das Verlangen nach schneller sexueller Befriedigung begründet werden, ohne daß auf die Frau, insbesondere auf ihr gesellschaftliches Ansehen Rücksicht genommen wird. Zudem soll er nicht mit möglichen Erfolgen in seinem Liebeswerben prahlen (Hübner 1996, S. 26 u. 343).
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