„Das ist ein Buch über ein Verbrechen.“ – Dieser präzise von Ingeborg Bachmann
formulierte Satz, der in einer ihrer Vorreden zu „Das Buch Franza“ zu finden ist, zeigt das
zentrale Anliegen der Autorin, welches sie in diesem Werk zum Ausdruck bringt. Hierin übt
sie Kritik an den auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch existierenden
Gesellschaftsverbrechen, die so sublim sind, dass sie zwar kaum noch wahrgenommen
werden können, aber eben dennoch zur Realität gehören. „Es ist mir immer, […], ein Problem
gewesen, wohin das Virus Verbrechen verschwunden ist, es kann sich vor zwanzig Jahren
nicht verflüchtigt haben, […]. Es ist nur unendlich viel schwieriger geworden, Verbrechen zu
begehen und die Verbrechen sind sublim, die heute begangen werden, in unserer
Nachbarschaft, unter unsren Augen, die nicht sehen. Ja, ich behaupte, […], daß noch heute die
meisten Menschen nicht sterben, sondern ermordet werden.“ Gleichzeitig kritisiert
Bachmann die Literatur, der es, ihr zufolge, bisher nicht gelungen sei, die reale Welt und die
in ihr begangenen Verbrechen darzustellen. „[…] ich habe oft sagen gehört, die Literatur
heutzutage sei kühn. Ich, für meinen Teil, habe nie an diese Kühnheit geglaubt. […] Denn die
Literatur, wenn man genau hinsieht, drückt nicht einmal die Hälfte der Verbrechen aus, die
die Gesellschaft heimlich und ungestraft begeht, jeden Tag, […]“ Was die Literatur laut
Bachmann bisher versäumt hat, versucht sie in einer äußerst komplexen Form in ihrem
„Todesarten-Zyklus“ und hier im Speziellen in ihrem Romanfragment „Das Buch Franza“
nachzuholen. Hierin thematisiert sie vor allem die Verbrechen des Geistes, die sie für die
schrecklichsten Taten hält, die Menschen einander antun können. [...]
Die „Jordanische Strategie“
Wie aus Franza Ranner der Fall „F.“ wurde
„Das ist ein Buch über ein Verbrechen.“1 - Dieser präzise von Ingeborg Bachmann formulierte Satz, der in einer ihrer Vorreden zu „Das Buch Franza“ zu finden ist, zeigt das zentrale Anliegen der Autorin, welches sie in diesem Werk zum Ausdruck bringt. Hierin übt sie Kritik an den auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch existierenden Gesellschaftsverbrechen, die so sublim sind, dass sie zwar kaum noch wahrgenommen werden können, aber eben dennoch zur Realität gehören. „Es ist mir immer, [...], ein Problem gewesen, wohin das Virus Verbrechen verschwunden ist, es kann sich vor zwanzig Jahren nicht verflüchtigt haben, [...]. Es ist nur unendlich viel schwieriger geworden, Verbrechen zu begehen und die Verbrechen sind sublim, die heute begangen werden, in unserer Nachbarschaft, unter unsren Augen, die nicht sehen. Ja, ich behaupte, [...], daß noch heute die meisten Menschen nicht sterben, sondern ermordet werden.“2 Gleichzeitig kritisiert Bachmann die Literatur, der es, ihr zufolge, bisher nicht gelungen sei, die reale Welt und die in ihr begangenen Verbrechen darzustellen. „[...] ich habe oft sagen gehört, die Literatur heutzutage sei kühn. Ich, für meinen Teil, habe nie an diese Kühnheit geglaubt. [...] Denn die Literatur, wenn man genau hinsieht, drückt nicht einmal die Hälfte der Verbrechen aus, die die Gesellschaft heimlich und ungestraft begeht, jeden Tag, [,..]“3 Was die Literatur laut Bachmann bisher versäumt hat, versucht sie in einer äußerst komplexen Form in ihrem „Todesarten-Zyklus“ und hier im Speziellen in ihrem Romanfragment „Das Buch Franza“ nachzuholen. Hierin thematisiert sie vor allem die Verbrechen des Geistes, die sie für die schrecklichsten Taten hält, die Menschen einander antun können.4
In „Das Buch Franza“ zählen Faschismus, Sexismus und Imperialismus zu Bachmanns primären Kritikpunkten, deren folgenschwere Konsequenzen an der Protagonistin Franza aufgezeigt werden. Franza Jordan ist eine junge jüdische Frau, die mit dem Wiener Psychiater Leo Jordan verheiratet ist. Ihr jüngerer Bruder Martin Ranner, der einst ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Schwester hatte, erhält eines Tages, nachdem er seit mehr als zehn Jahren nichts mehr von Franza gehört hat, ein besorgniserregendes Telegramm, in dem sie Martin offensichtlich zu verstehen gibt, dass sie einige Schwierigkeiten hat und seine Hilfe braucht.
Obwohl Martins Verhältnis zu Franza in den letzten Jahren stark gelitten hat, macht er sich kurzentschlossen auf die Suche, um seiner Schwester zu helfen. Durch einen Anruf bei dem „Fossil“, wie Martin den Psychiater Jordan nennt, erfährt er, dass sich dieser von seiner Schwester scheiden lassen will. Daraufhin beschließt Martin nach Wien zu fahren, um Franza beizustehen. Dort angekommen, muss er jedoch erfahren, dass Franza verschwunden ist und niemand genau weiß, wo sie sich aufhält. Doch Martin gibt sich mit dieser kargen Auskunft der Haushälterin nicht zufrieden und durchstöbert die Wohnung von Franza und dem „Fossil“, in der Hoffnung irgendwelche Anhaltspunkte finden zu können. In einer Schublade findet Martin dann schließlich einige beunruhigende Briefanfänge, die sowohl an ihn als auch an das „Fossil“ gerichtet sind. In ihnen wird Franzas Verzweiflung deutlich: „Mein lieber Martin, es ist so entsetzlich, ich fürchte mich, ich habe ja nur Dich und deswegen schreibe ich Dir. Lieber Martin, ich bin so verzweifelt, ich muss Dir schreiben...“5 Plötzlich weiß Martin, wo er Franza finden wird - in ihrer Heimat Galicien; und so macht er sich alsbald auf den Weg, „um sein kleines Kriminalrätsel lösen zu können.“6
In Galicien angekommen, findet Martin seine Schwester tatsächlich ganz verstört in ihrem früheren Familienhaus auf. Ihn erfasst ein tiefes Entsetzen als er Franzas schlimmen Zustand bemerkt und erkennt, dass dies nicht mehr die Franza Ranner war, die er einmal kannte. „[...], das war nicht mehr die Franza von früher und nicht mehr die fremde Dame, die immer elegantere Dame aus Wien, und von Galicien war auch nichts mehr übriggeblieben, [,..].“7 „[...] sie weinte nicht nur, es war noch etwas andres, das von dem Weinen nur die Tränen hatte, sie zitterte und ihr Körper tat etwas mit ihr, was er nicht niederhalten konnte mit den Armen, in einer Konvulsion, in immer stärkeren Zuckungen, sie schlotterte und wollte ihn wegstoßen und krampfte sich dann wieder an ihn, [,..].“8 Franza scheint also nicht mehr nur ein psychisches Wrack zu sein; die seelische Zerstörung ist bereits auf ihren ganzen Körper übergegangen. Martins Ratschlag, sich ärztliche Hilfe zu holen, lehnt Franza vehement ab. Stattdessen bittet sie Martin, ihn auf seiner Studienreise nach Ägypten zu begleiten.
Die Reise durch die Wüste wird für Franza gleichzeitig eine Reise durch ihre Krankheit.9 Die Wüste als bedeutungsleerer Raum, bietet der erkrankten Franza die Möglichkeit zur Reflexion.10
[...]
1 Vgl.: Ingeborg Bachmann: Das Buch Franza. Requiem für Fanny Goldmann. Texte des„Todesarten"-Projekts. [1995]. München: Piper Verlag, S. 200 (in Das Buch Franza)
2 Vgl.: Ebd., S. 196-197
3 Vgl.: Ebd., S. 197
4 Vgl.: Ebd., S, 201
5 Vgl.: Ebd., S. 17
6 Vgl.: Ebd., S. 19
7 Vgl.: Ebd., S. 24
8 Vgl.: Ebd., S. 23
9 Vgl.: Sigrid Weigel: Ein Ende mit der Schrift. Ein andrer Anfang. [1984] München: Piper Verlag, S. 75
10 Vgl.: Ebd., S. 153
- Quote paper
- B.A. Christina Klemke (Author), 2010, Die "Jordanische Strategie", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181626
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.