Die vorliegende Arbeit behandelt Tankred Dorsts Drama Toller. Das Ziel
ist es, die historischen Umstände und Ereignisse der bayrischen
Revolution im April 1919 mit den geschilderten Begebenheiten in Dorsts
Stück aufzuzeigen. Hierzu werden im ersten Teil die geschichtlichen
Ereignisse, welche zum Umsturz in München führten, und die Rolle des
Schriftstellers Ernst Tollers darin dargelegt. Der zweite Teil widmet sich
der Entstehungsgeschichte und dem formalen Aufbau von Tankred Dorsts
dokumentarischem Drama, sowie dem Vergleich seines Stückes mit den
realen Geschehnissen. Abschließend soll untersucht werden, welchen
dokumentarischen Charakter das Stück besitzt. Hierzu muss auch die
Frage aufgeworfen werden, weshalb Dorst in der Mitte der Sechziger
Jahre ein Theaterstück über die Räterepublik in München schrieb,
welchen Gegenwartsbezug es beinhaltete und welche Brisanz es damals
repräsentierte. 2.1. Die Vorgeschichte des Umsturzes
Die Einsicht, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, und die sich
zuspitzende Lage in Deutschland führten im Winter 1916/1917 zur
Verdrossenheit in breiten Schichten der Bevölkerung gegenüber der
aktuellen Regierung. Innerhalb der politischen Opposition sah man in ihr
zunehmend die Verkörperung einer gesellschaftlichen Ordnung, die ihre
Existenzberechtigung verloren hatte. Das Königreich Bayern bildete keine
Ausnahme, obwohl hier die meist konservative Landbevölkerung (1907:
51 Prozent) größer war als im Reichsdurchschnitt (34 Prozent)1. Die
Spannung entlud sich Ende Januar 1918 in München in einem Streik der
Metallarbeiter. [...]
1 Dorst, Tankred & Neubauer, Helmut (Hg.): Die Münchner Räterepublik. 1966. Frankfurt am Main.
Suhrkamp. S.172
Inhalt
1. Einleitung
2. Ernst Toller und die Revolution in München
2.1. Die Vorgeschichte des Umsturzes
2.2. Toller und der Umsturz in München
3. Tankred Dorst und das Drama Toller
3.1. Entstehungsgeschichte
3.2. Aufbau und Form des Stückes
3.3. Die Szenen und ihr historischer Hintergrund
4. Rezeption und Gegenwartsbezug
5. Zusammenfassung
Literaturnachweis
Tankred Dorst: Toller
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit behandelt Tankred Dorsts Drama Toller. Das Ziel ist es, die historischen Umstände und Ereignisse der bayrischen Revolution im April 1919 mit den geschilderten Begebenheiten in Dorsts Stück aufzuzeigen. Hierzu werden im ersten Teil die geschichtlichen Ereignisse, welche zum Umsturz in München führten, und die Rolle des Schriftstellers Ernst Tollers darin dargelegt. Der zweite Teil widmet sich der Entstehungsgeschichte und dem formalen Aufbau von Tankred Dorsts dokumentarischem Drama, sowie dem Vergleich seines Stückes mit den realen Geschehnissen. Abschließend soll untersucht werden, welchen dokumentarischen Charakter das Stück besitzt. Hierzu muss auch die Frage aufgeworfen werden, weshalb Dorst in der Mitte der Sechziger Jahre ein Theaterstück über die Räterepublik in München schrieb, welchen Gegenwartsbezug es beinhaltete und welche Brisanz es damals repräsentierte.
2. Ernst Toller und die Revolution
2.1. Die Vorgeschichte des Umsturzes
Die Einsicht, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, und die sich zuspitzende Lage in Deutschland führten im Winter 1916/1917 zur Verdrossenheit in breiten Schichten der Bevölkerung gegenüber der aktuellen Regierung. Innerhalb der politischen Opposition sah man in ihr zunehmend die Verkörperung einer gesellschaftlichen Ordnung, die ihre Existenzberechtigung verloren hatte. Das Königreich Bayern bildete keine Ausnahme, obwohl hier die meist konservative Landbevölkerung (1907: 51 Prozent) größer war als im Reichsdurchschnitt (34 Prozent)[1]. Die Spannung entlud sich Ende Januar 1918 in München in einem Streik der Metallarbeiter. Dabei zeigte sich, daß die Sozialdemokratische Partei viel Sympathie unter der Arbeiterschaft verloren hatte. Die Stimmung neigte der im April 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zu, die radikalere Programme vertrat. Ihr bester Kopf in München war der Schriftsteller und Journalist Kurt Eisner. Die bayrische Regierung versuchte im Herbst, entstandene Unruhe durch Zugeständnisse aufzufangen. Eisner wurde entlassen, und am 02. November verkündete König Ludwig III., künftig seien die Minister dem Landtag verantwortlich. Dieser Ansatz zur Demokratisierung des politischen Lebens kam jedoch zu spät: Am 08. November 1918 war Bayern aufgrund von zahlreichen Aufständen Republik. Als neue Repräsentanz wirkte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat unter dem Vorsitz Eisners, der bald auch Ministerpräsident einer neu gebildeten Regierung wurde, in welcher vier SPD-, zwei USPD-Mitglieder und ein Parteiloser vertreten waren. Beamte und Angestellte der bayerischen Verwaltung stellten sich der neuen Regierung auf deren ausdrückliches Ersuchen zur Verfügung. Die USPD, erhielt in der Wahl 1919 jedoch nur drei von 180 Mandaten, die SPD 61, die Bayerische Volkspartei 66 .[2]
Die Kommunisten hatten zudem zum Boykott der Wahl aufgerufen. Von fast allen Parteien wurde geschlossen Eisners Rücktritt gefordert.
Am 21. Februar 1919 wurde dieser vom Grafen Arco-Valley ermordet, woraufhin die Revolution in Bayern unumgänglich, und der Nationalversammlung in Weimar der revidierte Verfassungsentwurf vorgelegt wurde. In der Nacht vom 06. zum 07. April 1919 wurde die Räterepublik durch den Revolutionären Zentralrat ausgerufen, der eine Diktatur des Proletariats proklamierte. Man dekretierte die Auflösung des Landtages und der Bürokratie, die Sozialisierung von Wirtschaft und Presse, die revolutionäre Umgestaltung des Gerichts- und Bildungswesen, man verkündete eine allgemeine Arbeitspflicht und die Aufstellung einer Roten Armee. Die neue Regierung, die beinahe ausschließlich aus politischen Laien bestand, überschritt hierbei bisweilen die Grenze zum Grotesken: So erwies sich beispielsweise der für die Außenpolitik verantwortliche Franz Lipp nach einigen Tagen Amtszeit als unzurechnungsfähige Person.
2.2. Toller und der Umsturz in München
Der Student Ernst Toller war Mitte November 1918, nach Ausrufung des Volksstaates Bayern, von Berlin nach München gekommen. Kurt Eisner, der neue Ministerpräsident, hatte ihn aufgefordert, am Aufbau des jungen Staatsgebildes mitzuarbeiten. Von vergangenen Rednerauftritten noch bekannt, wurde er Mitglied des Revolutionsausschusses des Landesarbeiterrates und kam so in den provisorischen Nationalrat, der 256 Köpfe zählte. Man wählte ihn alsbald zum 2. Vorsitzenden des Vollzugsrates der bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte. Als Kandidat der USPD bei den Landtagswahlen am 12. Januar 1919 fiel er durch: Von 180 Mandaten errang die Partei des Ministerpräsidenten ganze drei.[3] Im Februar vertrat Toller den Vollzugsrat auf dem Kongreß der 11. Sozialistischen Internationale in Bern; auf der Rückreise erfuhr er von dem tödlichen Attentat auf Kurt Eisner. Dieser Mord wirkte radikalisierend und dürfte den Ausschlag gegeben haben, daß sechs Wochen später vom Revolutionären Zentralrat - jedoch noch ohne Tollers Beteiligung - die bayerische Räterepublik ausgerufen wurde.
Im März war dieser im Vorsitz der USP Niekisch gefolgt; nun übernahm er zudem dessen Amt als 1. Vorsitzender des Zentralrates, da Niekisch die Aussichtslosigkeit des Unternehmens Räterepublik sofort erkannt und resigniert hatte. Dieses Gremium, dem der 25 Jahre alte Toller nunmehr vorstand, übte seit Eisners Ermordung praktisch die oberste legislative Gewalt im Lande aus. Toller unterschrieb eine Reihe von Erlassen, die rechtsschöpferischen Charakter trugen. So wurden Revolutionsgerichte eingesetzt, die von ihrer Macht jedoch milden Gebrauch machten. Auf diese mehr oder weniger formale Funktion eines obersten Signatars, die zuvor der Wittelsbacher Ludwig III. innehatte, spielte Leviné an, als er zum Sturz der ersten Räteregierung durch die Kommunisten Tollers Festnahme mit dem spöttischen Ausruf begleitete: „Jetzt haben wir den König von Südbayern.“ [4]
Da Berlin die nach Bamberg geflüchtete Landtagsregierung des Sozialdemokraten Hoffmann mit Truppen unterstützte, rechnete Toller mit einem baldigen gewalttätigen Ende der revolutionären Strömungen. Am 13. April übernahmen kommunistische Revolutionsagitatoren die Macht und installierten eine zweite, rein kommunistische Regierung. Toller schloß sich nach diesem Putsch dem Rücktritt anderer Mitglieder der ersten Revolutionsregierung nicht an. Eugen Leviné, der Kopf jener zweiten Revolution, suchte ihn daraufhin, zu verhaften und unschädlich zu machen. Ende April begab Toller sich an die Dachauer Front im Nordwesten Münchens und wurde Abschnittskommandeur, unter dem bis zu 2000 Mann kämpften. Dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, das er jetzt aufzugeben gezwungen war, suchte er durch möglichst unblutige Kampfführung nahezukommen. Er verzichtete daher auf den Einsatz von Artillerie; einen Befehl des kommunistischen Kriegskommissars Egelhofer, Dachau zu beschießen und dann zu stürmen, führte er nicht aus, weil sich in Dachau eine Pulverfabrik befand, und die Bauern auf der Seite der Räterepublik standen. Beim „Sieger von Dachau“[5], der sich nicht als solcher empfand, traf ein Befehl Egelhofers ein, fünf gefangene Offiziere vor ein Standgericht zu stellen und zu erschießen, einen Befehl den er wieder umgehend verwarf. Daß er Blutvergießen vermied, wo immer er konnte, wurde ihm in seinem Prozeß bescheinigt und führte wohl nicht zuletzt zur Zubilligung ehrenhafter Motive, woraus sich später die verhältnismäßig milde Haftstrafe ergab.
Toller trat zu jener Zeit für Verhandlungen mit Hoffmann ein, um ein Massaker zu vermeiden. Er plädierte für einen friedlichen Kompromiß mit der Landtagsregierung, um zu retten, was sich noch retten ließ. München war durch weit überlegene Truppen eingeschlossen, die militärische Ausrüstung war höchst ungleich, die belagerte Stadt wäre selbst im Falle eines Standhaltens bald ausgehungert worden. Als sich Toller bei den Kommunisten nicht durchsetzen konnte, trat er unter Protest von seinem Kommandeursposten zurück, was ihm als Flucht aus der Verantwortung und Desertion ausgelegt wurde. Als sich sein Wunsch nach einer gewaltfreien Lösung nicht erfüllte, wollte Toller als Gemeiner nach Dachau zurück, um bei den Resten seiner Truppen das Ende zu erleben. Doch Dachau war bereits abgeschnitten. Leviné trat an dieser Stelle die Flucht an.
[...]
[1] Dorst, Tankred & Neubauer, Helmut (Hg.): Die Münchner Räterepublik. 1966. Frankfurt am Main. Suhrkamp. S.172
[2] Dorst, Tankred & Neubauer, Helmut (Hg.): Die Münchner Räterepublik. S.173
[3] Rothe, Wolfgang: Toller. 1983. Reinebeck bei Hamburg. Rowohlt. S. 54
[4] Rothe, Wolfgang: Toller. S. 54
[5] Rothe, Wolfgang: Toller. S. 59
- Quote paper
- Michael Kaiser (Author), 2000, Tankred Dorst: Toller, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18137
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