Die Familientherapie ist ein noch recht junges Anwendungsgebiet der Psychologie. Auch wenn Sigmund Freud bereits Anfang des 20. Jahrhunderts im Rahmen seiner Psychoanalyse einen Zusammenhang zwischen der Eltern-Kind-Beziehung und der Entwicklung des Kindes erklären konnte, entstanden Konzepte, welche gezielt ganze Familien untersuchen und behandeln, erst später. So veröffentlichte Horst-Eberhard Richter 1963 sein Werk „Eltern, Kind und Neurose“, in welchem er sein, auf eigenen Untersuchungen basierendes Konzept über neurosefördernde Elterneinflüsse auf das Kind vorstellte. Im Mittelpunkt dieses Modells, welches im Allgemeinen den psychoanalytischen Familientherapien zugeordnet wird, steht eine von Richter entwickelte Rollentheorie, welche das Eltern-Kind-Verhältnis beschreibt. Als weitere wichtige Persönlichkeit ist Helm Stierlin zu nennen, der mit seinem familientherapeutischen Ansatz die systemischen Familientherapien vertritt. Stierlin hat in seinem 1975 erschienenen Buch „Von der Psychoanalyse zur Familientherapie“ und anderen Werken ebenfalls einen Ansatz entworfen, mit dem sich problematische Familienbeziehungen untersuchen und therapieren lassen. Interessanterweise haben sich beide familientherapeutische Konzepte aus der Psychoanalyse, welche sich auf das seelische Leben und Erleben eines Individuums konzentriert, entwickelt.
Daraus ergeben sich nun verschiedene Fragen: Welche Verbindung besteht zwischen den beiden Formen der Familientherapie und der Psychoanalyse? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich beim Vergleich der beiden familientherapeutischen Konzepte feststellen? Wie beschreiben die einzelnen Ansätze den Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung auf die Entwicklung des Kindes? Welche Formen des elterlichen Verhaltens können zu einer Neurose beim Kind führen? Kann die Entstehung einer Neurose dementsprechend auch durch die Erziehung verhindert werden?
Um diese Fragen zu beantworten wird zunächst die Psychoanalyse grundlegend vorgestellt. Dabei wird der Schwerpunkt auf der psychosexuellen Entwicklung des Kindes und der Entstehung von Neurosen liegen. Im Anschluss daran werden die beiden familientherapeutischen Modelle vorgestellt und sowohl mit der Psychoanalyse als auch untereinander verglichen. Abgerundet wird diese Arbeit durch einige allgemeinere Überlegungen über neurosefördernde bzw. -verhindernde Elterneinflüsse und die Konsequenzen, die diese Kenntnisse für die Erziehung eines Kindes haben sollten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Psychoanalyse nach S. Freud
- Die psychosexuelle Entwicklung
- Zur Entstehung von Neurosen
- Die Verdrängung
- Fixierung und Regression
- Die Symptombildung
- Ergänzungen zu Freuds Ansatz
- Psychoanalytische Familientherapie nach H. E. Richter
- Übertragung und narzisstische Projektion
- Rollentypen
- Das Kind als Substitut für einen anderen Partner
- Das Kind als Substitut für eine Elternfigur
- Das Kind als Gatten-Substitut
- Das Kind als Substitut für eine Geschwisterfigur
- Das Kind als Substitut für einen Aspekt des eigenen Selbst
- Das Kind als Abbild schlechthin
- Das Kind als Substitut des idealen Selbst
- Das Kind als Substitut der negativen Identität
- Das Kind als umstrittener Bundesgenosse
- Das Kind als Substitut für einen anderen Partner
- Zusammenfassung
- Systemische Familientherapie nach H. Stierlin
- Die fünf Perspektiven der systemischen Familientherapie
- Die bezogene Individuation
- Die Interaktionsmodi von Bindung und Ausstoßung
- Die Delegation
- Die Mehrgenerationenperspektive von Vermächtnis und Verdienst
- Der Status der Gegenseitigkeit
- Innerer Besitz vs. äußeres Eigentum
- Ein Beispiel
- Die fünf Perspektiven der systemischen Familientherapie
- Der Vergleich
- Psychoanalyse und psychoanalytische Familientherapie
- Psychoanalyse und systemische Familientherapie
- Psychoanalytische und systemische Familientherapie
- Erziehung und Neurosen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Magisterarbeit befasst sich mit der vergleichenden Analyse der psychoanalytischen und systemischen Familientherapie. Ziel ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Ansätze aufzuzeigen und insbesondere ihren Einfluss auf die Entstehung von Neurosen im Kindesalter zu untersuchen.
- Psychoanalytische und systemische Familientherapie im Vergleich
- Entwicklung von Neurosen im Kindesalter
- Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung auf die kindliche Entwicklung
- Rollentypen in der Familientherapie
- Erziehungspraktiken und ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema Familientherapie und stellt die beiden zentralen Ansätze der psychoanalytischen und systemischen Familientherapie vor. Anschließend werden die Grundlagen der Psychoanalyse nach S. Freud erläutert, wobei der Fokus auf der psychosexuellen Entwicklung des Kindes und der Entstehung von Neurosen liegt. Hierbei werden wichtige Konzepte wie die Verdrängung, Fixierung und Regression sowie die Symptombildung vorgestellt.
In einem weiteren Abschnitt werden die psychoanalytische Familientherapie nach H. E. Richter und die systemische Familientherapie nach H. Stierlin detailliert dargestellt. Dabei werden die verschiedenen Perspektiven der beiden Ansätze beleuchtet, wie z. B. die Übertragung und narzisstische Projektion in der psychoanalytischen Familientherapie sowie die fünf Perspektiven der systemischen Familientherapie: die bezogene Individuation, die Interaktionsmodi von Bindung und Ausstoßung, die Delegation, die Mehrgenerationenperspektive von Vermächtnis und Verdienst sowie der Status der Gegenseitigkeit.
Der Vergleich der beiden Ansätze zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der psychoanalytischen und systemischen Familientherapie auf. Dabei werden insbesondere die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Entstehung von Neurosen und die Rolle der Eltern-Kind-Beziehung hervorgehoben.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die Themen Psychoanalyse, systemische Familientherapie, Neurose, Familienbeziehungen, Eltern-Kind-Beziehung, Erziehung, Übertragung, narzisstische Projektion, Rollentypen, bezogene Individuation, Delegation, Mehrgenerationenperspektive, Vermächtnis, Verdienst, Status der Gegenseitigkeit.
- Quote paper
- André Heimerl (Author), 2003, Psychoanalytische und systemische Familientherapie - Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18089