In der Juristerei können wenige Buchstaben viel verändern. Genau um elf Buchstaben
wurde jahrelang mitunter sehr leidenschaftlich gestritten, bis am 17.05.2002 der Bundestag
mit einer überwältigten Mehrheit beschloss das Grundgesetz, genauer den Art. 20a GG, um
die drei Worte „und die Tiere“ zu ergänzen. Wenig später stimmte auch der Bundesrat diesem
zu.
Diese Arbeit beschäftigt sich nach einem kurzen historischen Abriss des Weges bis hin zur
Ergänzung des Grundgesetzes und einem Überblick über die vorherigen Diskussionen, ob
der Tierschutz nicht schon Verfassungsrang hatte, vor allem mit den Auswirkungen, welche
diese elf neuen Buchstaben in Artikel 20a GG, genau bringen werden. Dabei werden
vor allem die Auswirkungen der Grundgesetzänderung auf die unbeschränkt gewährleisteten
Grundrechte der Kunstfreiheit, der Lehr- und Forschungsfreiheit, sowie der Religionsfreiheit
im Vordergrund stehen. In diesen Bereichen gab es in der Vergangenheit
zahlreiche Urteile, bei welchen die Gerichte unter den neuen Voraussetzungen bei der Beurteilung
des Falles unter Umständen zu einem anderen Ergebnis kommen könnten.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Einleitung
B. Der Weg zur Grundgesetzänderung
I. Erste Formen des Tierschutzes in Deutschland
II. Diskussionen anlässlich der deutschen Einheit
III. Erste Fortschritte auf Länderebene
IV. Gesetzesinitiativen nach der Bundestagswahl 1998
V. Die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz 2002
C. Streit über den Verfassungsrang von Tierschutz vor der Grundgesetzänderung
I. Herleitung aus der Präambel
II. Herleitung aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG
III. Herleitung aus Art. 2 GG
IV. Herleitung aus dem Umweltschutz (Art. 20a GG a.F.)
V. Herleitung aus der Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 20 GG)
VI. Ergebnis zum Streit über den Verfassungsrang des Tierschutzes
D. Die künftige Bedeutung des Staatsziels Tierschutzes
I. Zur Rechtsnatur von Staatszielbestimmungen
II. Auswirkungen für die Legislative
III. Auswirkungen für die Exekutive
IV. Auswirkungen für die Judikative
1. Tierschutz und die Forschungsfreiheit
a) Schutzbereich der Forschungsfreiheit
b) Eingriff
c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
aa) Staatsziel Tierschutz ein Rechtswert mit Verfassungsrang?
(1) Vergleich mit dem Sozialstaatsprinzip
(2) Vergleich mit dem Umweltschutzprinzip
bb) Folgerungen aus dem Verfassungsrang des Tierschutzes
2. Tierschutz und die Lehrfreiheit
a) Kontrollfunktion der Behörden
b) Konflikte mit Gewissensfreiheit von Studierenden
Exkurs: Zur Bindungswirksamkeit von Gerichtsentscheidungen
3. Tierschutz und die Kunstfreiheit
4. Tierschutz und die Religionsfreiheit
a) Die Regeln des Schächtens
aa) Islam
bb) Judentum
b) Entscheidungen der Rechtssprechung zum Schächten
aa) Entscheidung des BVerwG vom 15.06.1995
bb) Entscheidung des BVerwG vom 23.11.2000
cc) Entscheidung des BVerfG vom 15.02.2002
dd) Kritik an den Entscheidungen
c) Die neue Rechtslage durch den Verfassungsrang des Tierschutzes
5. Tierschutz und Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt
E. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Art. 20a GG „und die Tiere“: Reichweite des Tierschutzes im GG
A. Einleitung
In der Juristerei können wenige Buchstaben viel verändern. Genau um elf Buchstaben wurde jahrelang mitunter sehr leidenschaftlich gestritten, bis am 17.05.2002 der Bundestag mit einer überwältigten Mehrheit beschloss das Grundgesetz, genauer den Art. 20a GG, um die drei Worte „und die Tiere“ zu ergänzen. Wenig später stimmte auch der Bundesrat diesem zu.
Diese Arbeit beschäftigt sich nach einem kurzen historischen Abriss des Weges bis hin zur Ergänzung des Grundgesetzes und einem Überblick über die vorherigen Diskussionen, ob der Tierschutz nicht schon Verfassungsrang hatte, vor allem mit den Auswirkungen, welche diese elf neuen Buchstaben in Artikel 20a GG, genau bringen werden. Dabei werden vor allem die Auswirkungen der Grundgesetzänderung auf die unbeschränkt gewährleisteten Grundrechte der Kunstfreiheit, der Lehr- und Forschungsfreiheit, sowie der Religionsfreiheit im Vordergrund stehen. In diesen Bereichen gab es in der Vergangenheit zahlreiche Urteile, bei welchen die Gerichte unter den neuen Voraussetzungen bei der Beurteilung des Falles unter Umständen zu einem anderen Ergebnis kommen könnten.
B. Der Weg zur Grundgesetzänderung
Am 21. Juni 2002 war es geschafft: Nachdem schon am 17. Mai 2002 der Bundestag mit 543 von 577 abgegebenen Stimmen (19 Abgeordnete stimmten dagegen, 15 enthielten sich und 90 waren abwesend), und damit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz stimmte, passierte nun auch die Grundgesetzänderung den Bundesrat, ebenfalls mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Damit ist Deutschland der erste Staat in der EU der den Tierschutz in die Verfassung aufgenommen hat.[1] In Europa hat der Tierschutz davor schon in die Verfassungen der Schweiz, Kroatiens, Sloweniens und der Ukraine Eingang gefunden.[2]
I. Erste Formen des Tierschutzes in Deutschland
Bis zu dieser Entscheidung am 21. Juni war es aber ein langer Weg, der - wenn man es genau nimmt - schon im Jahr 1839 begann, also mehr als ein Jahrhundert bevor es das Grundgesetz überhaupt gab. In diesem Jahr gründete sich in Nürnberg der „Verein zur Verhinderung von Tierquälerei“, nur zwei Jahre später folgte ein „Münchner Verein gegen Tierquälerei“.[3] Diese Vereine waren die ersten Vorläufer des deutschen Tierschutzbundes, der 1948 in Frankfurt gegründet wurde.[4]
Wenn man noch weiter zurück geht, sieht man sogar, dass der Codex Hammurabi, das älteste uns bekannte Gesetzeswerk des Königs Hammurabi von Babylonien (1728 – 1686 v. Chr.), ein Verbot für Tierhalter enthielt, ihre Tiere übermäßig arbeiten zu lassen.[5] Auch aus dem antiken Griechenland sind drakonische Bestrafungen für Tierquälereien überliefert.[6]
In Deutschland gab es zum ersten Mal 1838 (also fast einhergehend mit der Gründung des ersten Tierschutzvereins) eine Form des Tierschutzes. Das Quälen von Tieren wurde unter Strafe gestellt, allerdings nur, wenn dadurch ein öffentliches Ärgernis erregt wurde.[7] Das erste Tierschutzgesetz folgte dann am 24.11.1933 mit dem Reichstierschutzgesetz.[8] Dieses Gesetz galt bis zum Jahre 1972 weiter.
In diesem Jahr raffte sich der Gesetzgeber endlich auf, ein neues Tierschutzgesetz zu erlassen, welche die entstandenen Probleme bezüglich Massentierhaltung und Tierversuchen lösen sollte. Leider blieb es beim „sollte“, denn dem ersten Tierschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland lag zwar ein richtiger Kern zugrunde, aber es bestand eine tiefe Kluft zur gänzlich entgegengesetzten Praxis.[9] Deshalb folgten in den Jahren danach immer wieder Gesetzesinitiativen einzelner Bundesländer, oder der SPD und später auch der Grünen, die aber nur zum kleinen Teil erfolgreich waren.
II. Diskussionen anlässlich der deutschen Einheit
Richtig in den Mittelpunkt rückte der Tierschutz erst wieder im Rahmen der deutschen Einheit. Gem. Art. 5 des Einheitsvertrages wurde den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschland empfohlen, sich mit den aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen. Dazu wurde am 16.01.1992 eine Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (GVK) konstituiert. Diese sollte sich mit diesen Fragen beschäftigen.[10]
Während den Sitzung des GVK stellten, nach vorhergegangenen Aufrufen großer Bevölkerungsgruppen und zahlreicher Prominenter, sowohl SPD als auch das Land Hessen einen Antrag auf die Abgabe einer Empfehlung für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz. Diese Anträge wurden ebenso wie ein Vermittlungsantrag der FDP abgelehnt, da sie trotz einer relativen Mehrheit die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlten.[11] Als Grund für die Ablehnung wurde von den Gegnern ins Feld geführt, dass die Aufnahme eines uneingeschränkten Staatsziels Tierschutz in die Verfassung die Gesamtbalance innerhalb der Werteordnung des bisher ausschließlich auf den Menschen bezogenen GG verändern würde.[12]
III. Erste Fortschritte auf Länderebene
Eine Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz war damit erst einmal ad acta gelegt. Anders sah dies auf Länderebene aus. Noch im Jahr des Scheiterns auf Bundesebene (1993), fand der Tierschutz seinen Weg in die ersten drei Landesverfassungen: in die von Brandenburg, Sachsen und Thüringen.[13] In den folgenden acht Jahren kamen mit Berlin, Bayern, Niedersachsen, Bremen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen acht weitere Bundesländer hinzu.[14]
In Bayern ist die Aufnahme des Tierschutzes auf eine parlamentarische Initiative von Bündnis 90/Die Grünen und auf Aktionen zahlreicher Tierrechtsorganisationen zurückzuführen, so dass der Bayerische Landtag am 10.7.1997 die Verfassungsänderungen beschloss, welche durch eine Volksabstimmung vom 8.2.1998 in Kraft traten.[15]
In dieser Zeit gab es auch weitere Anträge, von SPD[16], den Grünen[17], der PDS[18] und einzelner Bundesländer[19] für die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung, die aber alle an der nötigen Zweidrittelmehrheit aufgrund des Widerstandes der Union scheitern.
IV. Gesetzesinitiativen nach der Bundestagswahl 1998
Nach der Bundestagswahl von 1998 beschlossen SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag eine Initiative zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz. Am 19.01.1999 stellten die beiden Regierungsparteien einen Antrag für einen zweiten Absatz zu Art. 20a GG.[20] Kurz darauf folgte die PDS mit einem eigenen Antrag[21], auch die FDP stellte schon einen Monat zuvor einen Antrag, allerdings sah dieser nur eine Ergänzung von Art. 20a GG vor.[22]
Auch auf Länderseite wurden Initiativen gestartet, so von Rheinland-Pfalz auf Änderung des Grundgesetzes[23], von Bayern auf eine Änderung der Präambel[24] und von Nordrhein-Westfalen auf eine Einbringung eines separaten Artikel 20b GG, nur mit etwas anderem Wortlaut als bisher vorgeschlagen.[25]
Am 13.4.2000 kam es dann zur Abstimmung über die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz ins Grundgesetz. Zur Abstimmung stand ein letzter Kompromissvorschlag, der nun endgültig keinen eigenen Art. 20b GG mehr vorsah, sondern lediglich eine Erweiterung des Art. 20a GG um die drei Worte „und die Tiere“. Die Chancen für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz standen gut, nach Umfragen befürworteten 80 % der Bevölkerung dies, und erstmals sprachen sich auch einzelne CDU-Politiker für eine solche Aufnahme aus. So z.B. der Abgeordnete Dr. Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen, der wenige Tage vor der Abstimmung noch mit einer pro-Tierschutz-ins-Grundgesetz-Ankündigung Wahlkampf machte. Auch Christian Wulff, Landesvorsitzender der Union in Niedersachsen, sprach sich für eine Grundgesetzänderung aus. Im Vorfeld hatte sich ebenso Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber für die Grundgesetzänderung stark gemacht. Bei der Abstimmung selbst, stimmten dann nach einem verordneten Fraktionszwang allerdings nur vier CDU/CSU-Abgeordnete für die Grundgesetzänderung, darunter keiner aus Niedersachsen und keiner aus Nordrhein-Westfalen. Dr. Jürgen Rüttgers war bei der Abstimmung abwesend.
Mit 391 Ja-Stimmen (bei 205 Nein-Stimmen, und 6 Enthaltungen) wurde die nötige Zweidrittelmehrheit von 446 Stimmen verfehlt. Die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz war erneut gescheitert.[26]
V. Die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz 2002
Zwei Jahres später, war es dann aber endlich soweit. Unter immer stärkerem Druck der Öffentlichkeit, unter den Nachwirkungen des Schächt-Urteils und mit der Bundestagswahl vor Augen, verkündete Edmund Stoiber am 25.03.2002, dass die Union seiner Bitte gefolgt sei und der Grundgesetzänderung nunmehr zustimmen wird.[27] Daraufhin wurde der von SPD und Bündnis 90/Grüne am 28.02.2002 erneut eingebrachte Antrag auf Grundgesetzänderung[28] durch einen gleich lautenden interfraktionellen Antrag, unter Mitwirkung von CDU/CSU und FDP und mit geringfügiger Änderung der Begründung, vom 23.04.2002 ersetzt.[29]
Am 17.05.2002 fiel dann die Entscheidung für die drei Worte „und die Tiere“!
C. Streit über den Verfassungsrang von Tierschutz vor der Grundgesetzänderung
Bevor der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung am 01.08.2002 dem Tierschutz eindeutig Verfassungsrang gegeben hat, gab es in der Literatur großen Streit darüber, ob der Tierschutz nicht vielleicht schon Verfassungsrang habe. Diese Frage hatte dahingehend große Bedeutung, dass es sehr oft zu Kollisionen zwischen Grundrechten und dem Tierschutzgesetz kam. Fraglich war in diesen Fällen des öfteren, ob einzelne Paragraphen des Tierschutzgesetzes überhaupt verfassungsmäßig sind. So schränkt z.B. § 7 III S. 1 TierSchG die Forschungsfreiheit dahin gehend ein, dass Versuche an Wirbeltieren nur durchgeführt werden dürfen, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind. Außerdem sieht § 8 III TierSchG vor, dass solche Versuche an Wirbeltieren nur mit einer Genehmigung durchgeführt werden dürfen und diese Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn „wissenschaftlich begründet dargelegt ist“, dass die § 7 III TierSchG genannten Voraussetzungen vorliegen. Diese beiden Einschränkungen in die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 III GG könnten ohne einen Verfassungsrang des Tierschutzes verfassungswidrig sein, da vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte nur im Interesse anderer Grundrechte oder sonstiger Rechtsgüter von Verfassungsrang eingeschränkt werden dürfen (sog. Schrankenformel)[30]. Das Bundesverfassungsgericht hat sich aber immer um die Beantwortung dieser Frage „gedrückt“. Sogar, als den Richtern im Wege einer konkreten Normenkontrollklage die Frage nach der Vereinbarkeit der beiden betreffenden Paragraphen des Tierschutzgesetzes mit Art. 5 III GG vorgelegt wurde, umging man diese Problematik[31], indem dieser Normenkontrollantrag abgelehnt wurde. Eine Entscheidung welche bei Schelling die Vermutung nahe legte, dass das Gericht eine Entscheidung scheute, weil es darin die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit für verfassungswidrig hätte erklären müssen.[32] Auch das bekannte Schächt-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes[33] umging diese Frage, indem es eine naheliegende Prüfung von Art. 4 GG vermied und diesen lediglich zur Verstärkung des Art. 2 I GG heranzog.[34] Von anderen Teilen der Literatur wurden dagegen verschiedene Argumente vertreten, die dafür sprechen sollen, dass der Tierschutz Verfassungsrang habe und damit auch die beiden Paragraphen des Tierschutzgesetzes verfassungsmäßig seien.
I. Herleitung aus der Präambel
So wurde von Starck die Ansicht vertreten, dass man einen Verfassungsrang des Tierschutzes aus der Präambel des Grundgesetzes herleiten könne.[35] Er leitete aus der Aussage, dass das deutsche Volk das Grundgesetz „in Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ beschlossen hat, eine Verantwortung des Menschen für die Schöpfung und damit auch für die Tiere her.
Eine solche Herleitung eines Verfassungsranges des Tierschutzes aus der „Verantwortung vor Gott“, wie Starck sie vorgenommen hat, ist aber völlig verfehlt. Eine „Verantwortung vor Gott“ kann nach der Auslegung von Starck eine Verantwortung des Menschen für alles bedeuten, und somit, dass letztlich alles zu einem Schutzgut von Verfassungsrang werden könnte.[36]
II. Herleitung aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG
Eine weitere Auffassung versuchte dagegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG als Argument für den Verfassungsrang des Tierschutzes zu verwenden. Jede Form der Tierquälerei sei eine „Selbstentwürdigung“ des Menschen und eine solche zu verhindern, sei verfassungsrechtlich aus Art. 1 I GG geboten.[37]
Wenn man es aber als Aufgabe der Verfassung ansieht, dem Menschen zu verbieten, sich selbst zu erniedrigen, wie es diese Ansicht fordert, dann beschränkt man den Menschen in seiner Freiheit und macht dadurch aus dem freiheitssichernden Verfassungsprinzip der Menschenwürde ein freiheitsbeschränkendes.[38] Träger der Menschenwürde ist jeder als Person und nicht durch sein Verhalten, wie es bei dieser Ansicht der Fall wäre. Nach dieser Ansicht müsste man dann einigen Menschen aufgrund ihres Verhaltens die Menschenwürde absprechen.[39] Somit konnte auch diese Ansicht nicht überzeugend darlegen, dass man einen Verfassungsrang des Tierschutzes aus Art. 1 I GG herleiten kann.[40]
III. Herleitung aus Art. 2 GG
Auch andere Ansichten, wie die von Lübbe, der einen Verfassungsrang des Tierschutzes aus Art. 2 II 1 GG herleiten wollte, konnten nicht überzeugen. Lübbe begründete seine Auffassung mit dem verfehlten Argument, dass das Zulassen des Quälens von Tieren zum Abbau einer Hemmschwelle auch gegen das Quälen und Töten von Menschen führe.[41] Auch über das in Art. 2 I GG genannte Sittengesetz versuchte man dem Tierschutz Verfassungsrang zu verleihen. Richtigerweise wurden ausgeführt, dass der Tierschutz ein sittliches Gebot sei, aber fälschlicherweise wurde unterstellt, dass die bloße Erwähnung des Sittengesetzes in der Schrankentrias des Art. 2 I GG genüge ihm einen Verfassungsrang zuzubilligen.[42]
IV. Herleitung aus dem Umweltschutz (Art. 20a GG a.F.)
Eine weitere Ansicht leitete den Verfassungsrang des Tierschutzes aus der alten Fassung des Art. 20a GG her. Dort wird dem Staat der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aufgetragen und ein Teil der Literatur sah hierdurch auch den Tierschutz gewährleistet.[43] Diese Ansicht hat aber den Art. 20a GG a.F. überinterpretiert. Einzelne Tiere sind keine natürliche Lebensgrundlage und eine darüber hinausgehende Auslegung des Art. 20a GG a.F., die auch den Schutz des konkret-individuellen Tieres vor Schmerzen, Leiden und nicht artgemäßer Haltung beinhaltet, ist sowohl mit dem Wortlaut als auch mit der Entstehungsgeschichte des Art. 20a GG nicht vereinbar.[44] Den dieser Meinung entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers kann man ja auch gerade an der jahrelangen Debatte um eine Erweiterung des Art. 20a GG, bzw. eine Neueinfügung eines Art. 20b GG sehen und auch daran, dass in der Gemeinsamen Verfassungskommission Einigkeit darüber bestand, dass der Tierschutz in einer Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ nicht enthalten ist.[45]
V. Herleitung aus der Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 20 GG)
Die am weitesten verbreite Ansicht pro Verfassungsrang des Tierschutzes argumentierte mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Artikel 74 Nr. 20 GG. Der vom Verfassungsgesetzgeber angestrebte Zweck könne nur erreicht werden, wenn dem ethischen Tierschutz zugleich mit der Bundeskompetenz auch der Rang eines Rechtswertes mit Verfassungsrang zuerkannt wird.[46] Diese Ansicht verkennt allerdings den wahren Zweck der Festschreibung der Gesetzkompetenz. Diese dient in erster Linie zur föderalistischen Kompetenzzuweisung und erkennt in zweiter Linie nur den Tierschutz grundsätzlich an. Es ist ein Auftrag an die Bundesgesetzgebung für Tierschutz zu sorgen, aber es ist keine Grundlage für einen Verfassungsrang.[47]
VI. Ergebnis zum Streit über den Verfassungsrang des Tierschutzes
Keine der Ansichten konnte überzeugen. Der Tierschutz hatte vor der Grundgesetzänderung folglich keinen Verfassungsrang. Dies zeigt, wie nötig eine Verfassungsänderung war, da man ohne diese, große Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einzelner Vorschriften des Tierschutzgesetzes hätte haben müssen, welche z.B. die vorbehaltlosen gewährten Grundrechte der Forschungs- und Lehrfreiheit einschränken. Allein im Interesse der Rechtssicherheit musste somit eine Grundgesetzänderung her.[48] Die in methodisch sehr fragwürdiger Weise vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des Tierschutzgesetzes ging zudem immer zu Lasten des Tierschutzes.[49] Denn so wurde durch diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Aushöhlung des Tierschutzgesetzes Tür und Tor geöffnet.[50] Ganz eindeutig hat sich Erbel geäußert: „Wer ... davon ausgeht, Tierschutz besitze keinen Verfassungsrang, darf, bei konsequentem Zudenken dieser Prämisse, keine tierschützenden Vorschriften für zulässig erachten, die zu Einschränkungen vorbehaltlos garantierter Grundrechte führen.[51]
D. Die künftige Bedeutung des Staatsziels Tierschutzes
Doch inwieweit hat die erfolgte Grundgesetzänderung nun Auswirkungen auf das weitere Handeln von Legislative, Exekutive und Judikative in Fragen, welche den Tierschutz berühren? Dazu muss man bedenken, dass es sich bei Art. 20a GG um eine Staatszielbestimmung handelt. Deswegen muss erst einmal die Rechtsnatur von Staatszielbestimmungen geklärt werden.
I. Zur Rechtsnatur von Staatszielbestimmungen
Staatszielbestimmungen formulieren eine verfassungsrechtliche Zielsetzung und keine vorverfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage.[52] Sie schreiben der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben vor.[53] Folglich gewährt der Tierschutz als Staatszielbestimmung keine subjektiv einklagbaren Rechte.[54] Es ist also nicht möglich, dass z.B. ein Tierschutzverband aus Art. 20a GG Verfassungsbeschwerde einreicht wegen Verletzung eventueller Vorschriften bei Tierversuchen oder wegen des Quälens der Tiere bei diesen. Solche von den Tierschutzverbänden mit der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz einhergehenden Hoffnungen sind falsch.
II. Auswirkungen für die Legislative
Als Staatszielbestimmungen hat der Tierschutz besondere Auswirkungen für die Legislative. Staatszielbestimmungen formulieren eine verfassungsrechtliche Zielsetzung (s.o.), der Staat muss folglich das Ziel verfolgen, die Tiere zu schützen. Daraus ergibt sich, wie schon für den Umweltschutz, dass der Staat nunmehr nicht nur berechtigt, ist tierschützende Gesetze zu erlassen, sondern durch die Änderung hierzu beauftragt ist.[55] Der Auftrag an den Gesetzgeber und die Pflichten desselben gehen aber noch weiter. So leiten Caspar und Geissen aus dem Staatsziel Tierschutz auch ein tierschutzrechtliches Verschlechterungsverbot neben einer staatlichen Nachbesserungspflicht ab.[56] Dies ist nur konsequent, da auch der bisherige Art. 20a GG ein Rückschrittsverbot für den Gesetzgeber in Umweltschutzfragen darstellte und zudem dem Gesetzgeber eine permanente Nachbesserungspflicht auferlegte.[57] Folglich darf der Gesetzgeber nun nach der Grundgesetzänderung keine Gesetzesänderung mehr vornehmen, die einen Rückschritt beim Tierschutz bedeuten würden, sondern muss ganz im Gegenteil für ein „mehr“ an Tierschutz sorgen. Dies kann auf allen Ebenen passieren, so ist es zum Beispiel vorstellbar, dass der Gesetzgeber nun strengere Bestimmungen als bisher für die Tierhaltung einführt.
[...]
[1] Caspar/Geissen, NVwZ 2002, 913.
[2] Hillmer, S. 138.
[3] Informationen aus: Durchblick - Das aktuelle Lexikon: http://www.politikerscreen.de/lexikon/lexikon_detail.asp?ID=376
[4] Ebd.
[5] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 21.
[6] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 22.
[7] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 33.
[8] von Loeper in Kluge, TierSchG, Rinf Rn. 34.
[9] Eingehend dazu: von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 71ff.
[10] eingehend zur GVK: Strauß in Umbach/Clemens, Verfassungsrechtliche Reformüberlegungen, Rn. 1ff.
[11] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 101.
[12] Bericht der GVK, BT-Drs 12/6000, S. 71.
[13] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 97; http://www.wdr.de/tv/service/tiere/inhalt/20020428/b_3.phtml
[14] Ebd.
[15] von Loeper in Kluge, TierSchG, Einf Rn. 98.
[16] siehe z.B. BT-Drs. 13/8597.
[17] siehe z.B. BT-Drs. 13/8249.
[18] siehe z.B. BT-Drs. 13/8678.
[19] so von Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt, BR-Drs. 742/97.
[20] BT-Drs 14/282.
[21] BT-Drs 14/279.
[22] BT-Drs. 14/207.
[23] BR-Drs. 13/99.
[24] BR-Drs. 13/1/99.
[25] BR-Drs. 13/2/99.
[26] Zu diesem Absatz: von Loeper in Kluge, Einf. Rn. 103; Süddeutsche Zeitung v. 13. April 2000, S.2: Union gegen Tierschutz ins Grundgesetz; Süddeutsche Zeitung v. 14. April 2000, S. 5.: Dem Tierschutz bleibt der Verfassungsrang verwehrt; Pressemeldung Deutscher Tierschutzbund vom 18.4.2000: http://www.tierschutzbund.de/AKTUELL/PRESSE/PM_2000/0004.HTM; namentliches Abstimmungsergebnis: http://www.tierschutzbund.de/AKTUELL/KAMPAGNE/KAM_STAATSZIEL_ABST.HTM
[27] von Loeper in Kluge, Einf. Rn. 103.
[28] BT-Drs 14/8360.
[29] BT-Drs 14/8860.
[30] BVerfGE 28, 243; 47, 369.
[31] BVerfG, NuR 1995, 135ff.
[32] Schelling, NuR 2000, 189.
[33] BVerfGE 104, 337 ff.
[34] siehe auch als kritische Stimme zu dieser Lösung: Tillmanns, NuR 2002, 580ff.
[35] Starck in v.Mangoldt/Klein/Starck, Art 5 Rn. 383.
[36] Im Ergebnis ebenso: Kuhl/Unruh, DÖV 1991, 101; Schelling, NuR 2000, 189.
[37] Erbel, DVBL 1986, 1251; Kunig in v. Münch/Kunig (4. Auflage), Art. 1 Rn. 16.
[38] Schelling, NuR 2000, 190.
[39] Kuhl/Unruh, DÖV 1991, 100; Hässy, BayVBl 2002, 203.
[40] Im Ergebnis ebenso: Lorz/Metzger, Einf. Rn. 92.
[41] Lübbe, NuR 1994, 471; ebenso: Brandhuber, NJW 1991, 728.
[42] Erbel, DVBl 1986, 1249f.; Müller-Volbehr, JuS 1997, 226.
[43] Kuhlmann, NuR 1995, 5; Waechter, NuR 1996, 327.
[44] Ebenso: Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20a Rn. 30; Kloepfer/Rossi, JZ 1998, 370.
[45] Siehe Bericht der gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs- 12/6000, S. 69
[46] Maisack, NVwZ 1997, 763; ebenso: Kluge, NVwZ 1994, 872.
[47] Im Ergebnis ebenso: Schelling, NuR 2000, 192; Lorz/Metzger, Einf. Rn. 96.
[48] von Loeper, DÖV 2001, 374.
[49] Caspar/Geissen, NvWZ 2002, 915.
[50] Hillmer, S. 104.
[51] Erbel, DVBl 1986, 1249.
[52] Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20a Rn. 20.
[53] Hässy, BayVBL 2002, 204.
[54] Uhle, DÖV 1993, 951; Bernsdorff in Umbach/Clemens, Art. 20a Rn. 60.
[55] Kloepfer/Rossi, JZ 1998, 374.
[56] Caspar/Geissen, NVwZ 2002, 914; siehe auch (dort aber noch mit anderer Meinung): Caspar, ZRP 1998, 445.
[57] Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20a Rn. 58f.
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