„[...], und wozu Dichter in dürftiger Zeit. / Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester, / Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht.“ Diese Verse aus Friedrich Hölderlins Elegie Brot und Wein (um 1800) führen das Problem der folgenden Untersuchung in nuce vor Augen. Am hellichten Tage der fortschreitenden Aufklärung spricht der Dichter vom wiederkehrenden Einbruch einer götterfernen „heiligen Nacht“. Dürftig und dunkel erscheint ihm seine Zeit, geprägt vom Verlust einer theistischen Ordnung, der die Menschen in ein hybrides Welt- und Naturverhältnis zwingt. Im Hyperion werden diese Menschen als ausschließlich von „Zweck“- und „Nutzen“-Denken getriebene, „allberechnende Barbaren“ charakterisiert, „dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes“ . Eine kalte Welt, wäre da nicht die Kunst, der Dichter, der in glühenden Worten die Bruchstücke des zersplitterten heiligen Kosmos schöpferisch neu zusammenschmelzt, Indien, die Antike und das Christentum in mythischer Schau mit der Gegenwart sinnstiftend verbindet. Möglich wird diese Engführung von Kunst und Religion (im Oxymoron der schöpferischen Schau verbildlicht) durch die Hölderlinsche Variante der antiken Konstruktion des Dichters als Seher, der von der Nähe zum Göttlichen inspiriert aus den zurückgebliebenen Fragmenten und Ruinen des Heiligen einen rhapsodischen (zusammengenähten) Gesang anstimmt. So wie einst die „Priester“ des Dionysos ziehen nun die Dichter in „heiliger Nacht“, ein Bild des profanen Tages der Aufklärung, umher und singen von der möglichen Rückkehr eines heiligen Tages, ein „Verzweiflungs-kampf“, „den ihr schöner Geist mit den Barbaren kämpft“ .
Diese knappe Darstellung der poetisch-poetologischen Haltung Hölderlins mag genügen um, den kulturgeschichtlichen Horizont der hier untersuchten Fragestellung zu eröffnen. Auf dem Höhepunkt der Aufklärung, dem Sieg des wissenschaftlichen Geistes über ein theistisches Weltverhältnis, tritt demselben ein „schöner Geist“ kämpferisch entgegen und rechnet mit der „allberechnenden“ instrumentellen Vernunft ab. Hölderlin steht am Anfang dieser romantischen Gegenbewegung, die ein aufklärungskritisches und dennoch philosophisch fundiertes poetisch-religiöses Natur- und Menschenbild entwirft.
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung in zwei Teilen
- Das Paradigma einer „epiphanischen Kunst“
- Kunst und Moral nach dem „Ende der Kunst“: Hegel
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Untersuchung erforscht die Verbindung zwischen Kunst und Moral in der modernen Welt, insbesondere im Kontext des Paradigmas der „epiphanischen Kunst“, das im ausgehenden 20. Jahrhundert eine Renaissance erfährt. Die Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, ob die romantische Brücke zwischen Kunst und Moral, die in Zeiten des moralischen Wandels und des Verlustes traditioneller Werte entstand, einen gangbaren Weg in der Moderne bietet.
- Die „epiphanische Kunst“ als Ausdruck einer romantischen Gegenbewegung zur Aufklärung
- Die Rolle von Hölderlin und Schiller in der Kritik an der instrumentellen Vernunft
- Die Zeitdiagnosen von Charles Taylor und Arnold Gehlen und ihre Verbindung zu romantisch-sentimentalischen Grundhaltungen
- Hegels These vom „Ende der Kunst“ und ihre Bedeutung für die Relevanz von Kunst in der Moderne
- Die Suche nach der Rückgewinnungsmöglichkeit eines verlorengegangenen moralischen Natur- und Kulturverhältnisses
Zusammenfassung der Kapitel
- Vorbemerkung in zwei Teilen:
- Das Paradigma einer „epiphanischen Kunst“: Diese Einleitung stellt die zentrale Fragestellung der Untersuchung vor und beleuchtet die kulturgeschichtliche Entwicklung der „epiphanischen Kunst“, die in Reaktion auf den Verlust einer theistischen Ordnung und das Aufkommen der instrumentellen Vernunft entstand. Hölderlin und seine poetische Haltung dienen dabei als Ausgangspunkt, um die Bedeutung von Kunst als sinnstiftendes Medium zu beleuchten.
- Kunst und Moral nach dem „Ende der Kunst“: Hegel: Dieser Teil der Vorbemerkung beleuchtet Hegels Ästhetik und die These vom „Ende der Kunst“. Es wird dargelegt, dass Hegels Philosophie, trotz seiner eigenen Interpretation, ein philosophisches Fundament für die „epiphanische Kunst“ bieten kann, indem sie die defizitären Züge einer rationalistisch geprägten Moderne offenlegt und die Relevanz von Kunst als Wahrheitsmedium neu beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen und Konzepte dieser Untersuchung sind: „epiphanische Kunst“, romantische Kunstauffassung, Kunst und Moral, Aufklärungskritik, Zeitdiagnosen, Instrumentalisierung, „Ende der Kunst“, Hegels Ästhetik, Charles Taylor, Arnold Gehlen, Moralhorizont, Rückgewinnung.
- Quote paper
- Magister Artium Robert Schulze (Author), 2000, "Und wozu Dichter in dürftiger Zeit", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180404