Das Bild der Hacker in Deutschland heutzutage ist geprägt von der Vorstellung, daß es sich um eine Szene handelt, deren Angehörige ausschließlich darum bemüht sind Computer zu illegalen Zwecken einzusetzen, wie dem Eindringen in fremde Rechner und Netzwerke um dort Schaden anzurichten und Daten zu manipulieren. Ein gesellschaftskritischer Anspruch oder gar ein politisches Konzept wird der Subkultur sowohl in ihrer gegenwärtige Ausprägung, als auch in ihre Vergangenheit, dagegen vollkommen abgesprochen. Das Vorherrschen dieser Sichtweise bestätigte sich auch in einer von mir im Wintersemester 2004 durchgeführten Umfrage unter Kommilitonen an der Humboldt Universität Berlin. Einigkeit herrschte darin, Hacken als illegale Handlung zu beschreiben und Hacker unter anderem mit den Attributen Realitätsverlust und Augenringen zu charakterisieren. Die Frage nach der Moralität wurde zum größten Teil mit nicht entscheidbar beantwortet, aber unter denjenigen die sich entscheiden konnten als unmoralisch klassifiziert. Interessant ist die Tatsache, daß kaum jemand einen persönlichen Kontakt zu einem Hacker angeben konnte und die Einschätzungen mehr aus Filmen entnommen zu sein scheint, als beispielsweise aus Presseberichten, was auch die auffällige Differenz zur Selbsteinschätzung der Hacker ausmacht. Was aber begründet diese Arbeit, in der ich mich im Rahmen des Proseminars "Kalter Krieg und Soziale Bewegungen – Gesellschaft, Ideologie und Feindbilder in Westeuropa (1948-1989)" mit der Fragestellung beschäftige, wie die Haltung der bundesdeutschen Hackersubkultur zum OstWestkonflikt, im speziellen zum Kalten Krieg in den 80er Jahren anzusiedeln ist, wie ihr Eigenverständnis ihre Rolle bestimmt und welche Handlungsmotivation sich daraus für sie ergibt? Neben der eingangs erwähnten Differenz zwischen Selbsteinschätzung und öffentlichem Bild, boten vor allem die Texte und Aufsätze Karl Kochs, eines hannoveranischen Hackers, Anlaß zur Vermutung, daß sich die Subkultur seit ihrer Entstehung in den 80er Jahren eingängig mit ihrer Rolle in dem Konflikt beschäftigte, der man laut Karl Koch, als einen Auswuchs des globalen Verteilungskampfes um Information anzusehen hat. Die Fragestellung dieser Seminararbeit ist, wie sehr diese Theorien, die Szene durchdrangen und ob hierin der Kern einer Protestbewegung am Computer auszumachen ist. Zunächst werde ich in zwei Kapiteln das Thema in zwei größere Kontexte einbinden, zum einen in den Wandel der Haltung der Deutschen...
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Fortschrittsglaube und Fortschrittskritik
2.1 Der technische Fortschritt und die Deutschen: eine Geschichte mit Zäsuren
2.2 Die Rolle der Technik in der Balance des Konflikts: Hoffnungen-Ängste-Utopien
3. Subkultur Hacker
3.1 Definition und Entstehung
3.2 Zugehörigkeitsmerkmale
3.3 Forderungen und Ziele: die Informationsfreiheit
4. Der Ost-Westkonflikt aus der Sicht der bundesdeutschen Hackersubkultur
4.1 Ost-Westkonflikt: die Lage 80-
4.2 Positionierung Einzelner: "Wau" Holland und Karl Koch
4.3 Allgemeine Haltung der deutschen Hacker: Feindbild und Protestinhalte
4.4 Methoden und Umsetzung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
a. Auswertung der Umfrage
1. Einleitung
Das Bild der Hacker in Deutschland heutzutage ist geprägt von der Vorstellung, daß es sich um eine Szene handelt, deren Angehörige ausschließlich darum bemüht sind Computer zu illegalen Zwecken einzusetzen, wie dem Eindringen in fremde Rechner und Netzwerke um dort Schaden anzurichten und Daten zu manipulieren. Ein gesellschaftskritischer Anspruch oder gar ein politisches Konzept wird der Subkultur sowohl in ihrer gegenwärtige Ausprägung, als auch in ihre Vergangenheit, dagegen vollkommen abgesprochen.
Das Vorherrschen dieser Sichtweise bestätigte sich auch in einer von mir im Wintersemester 2004 durchgeführten Umfrage unter Kommilitonen an der Humboldt Universität Berlin.[1] Einigkeit herrschte darin, Hacken als illegale Handlung zu beschreiben und Hacker unter anderem mit den Attributen Realitätsverlust und Augenringen zu charakterisieren. Die Frage nach der Moralität wurde zum größten Teil mit nicht entscheidbar beantwortet, aber unter denjenigen die sich entscheiden konnten als unmoralisch klassifiziert. Interessant ist die Tatsache, daß kaum jemand einen persönlichen Kontakt zu einem Hacker angeben konnte und die Einschätzungen mehr aus Filmen entnommen zu sein scheint, als beispielsweise aus Presseberichten, was auch die auffällige Differenz zur Selbsteinschätzung der Hacker ausmacht.
Was aber begründet diese Arbeit, in der ich mich im Rahmen des Proseminars "Kalter Krieg und Soziale Bewegungen - Gesellschaft, Ideologie und Feindbilder in Westeuropa (1948-1989)" mit der Fragestellung beschäftige, wie die Haltung der bundesdeutschen Hackersubkultur zum Ost-Westkonflikt, im speziellen zum Kalten Krieg in den 80er Jahren anzusiedeln ist, wie ihr Eigenverständnis ihre Rolle bestimmt und welche Handlungsmotivation sich daraus für sie ergibt? Neben der eingangs erwähnten Differenz zwischen Selbsteinschätzung und öffentlichem Bild, boten vor allem die Texte und Aufsätze Karl Kochs, eines hannoveranischen Hackers, Anlaß zur Vermutung, daß sich die Subkultur seit ihrer Entstehung in den 80er Jahren eingängig mit ihrer Rolle in dem Konflikt beschäftigte, der man laut Karl Koch, als einen Auswuchs des globalen Verteilungskampfes um Information anzusehen hat. Die Fragestellung dieser Seminararbeit ist, wie sehr diese Theorien, die Szene durchdrangen und ob hierin der Kern einer Protestbewegung am Computer auszumachen ist. Zunächst werde ich in zwei Kapiteln das Thema in zwei größere Kontexte einbinden, zum einen in den Wandel der Haltung der Deutschen gegenüber dem technischen Fortschritt, zum anderen, darauf aufbauend, in die Rolle der Technik auf die Balance des Kalten Krieges mit Schwerpunkt auf die psychischen Aspekte. Nachfolgend skizziere ich die Subkultur der bundesdeutschen Hackerszene unter den Gesichtspunkten ihrer Entstehung, ihrer Zugehörigkeitsmerkmalen und ihrer Forderungen und Ziele, um abschließend die Haltung der Szene zum Ost-Westkonflikt bearbeiten zu können.
Aufgrund des nahezu völligen Fehlens wissenschaftlicher Texte zu diesem Thema und genereller auch zu der Subkultur der Hacker, mußte ich bei der Bearbeitung des Themas auf Publikationen zurückgreifen, die meist nur am Rande meine Fragestellung berührten und zudem oft, sei es gewollt, sei es ungewollt, realitätsverzerrenden bis reißerischen Charakter aufwiesen.[2] Viele Quellen und Kommentare waren für mich nur im Internet zugänglich, was durch den raschen Wandel vieler Seiten leider die Gefahr mit sich bringt, daß einzelne Verweise beim lesen der Arbeit ihre Aktualität verloren haben könnten, ich bitte dies, falls zutreffend, zu entschuldigen.[3]
2. Fortschrittsglaube und Fortschrittskritik
2.1 Der technische Fortschritt und die Deutschen: eine Geschichte mit Zäsuren
Technischer Fortschritt im neuzeitlichen Verständnis beschreibt den Prozeß der andauernden Vervollkommnung technisch-wissenschaftlicher Möglichkeiten und war vor allem zu Beginn der Neuzeit verknüpft mit der Vorstellung, das dieser mit einer Verbesserung der individuellen wie gesellschaftlichen Zustände einhergehe. Ein zunehmendes Bewußtsein der Geschichte als fortschreitender Ablauf, ohne zwingenden Zielpunkt, führte im 18. Jh. zur Begriffsbildung des Fortschrittes, als dessen Indikatoren insbesondere technische Innovationen, industrielle Expansion, wirtschaftlicher Wachstum und steigender Lebensstandart galten.[4] Die Hoffnungen die sich auf den Fortschrittgedanken stützten mündeten im 19. Jh. in einem Fortschrittsglauben, der religiöse Heilsversprechen durch den Glauben an ein, mit Hilfe stetiger Entwicklung erreichbares, paradiesisches Diesseits ersetzte.
Für die Deutschen setzte die erste große Wachstumseuphorie in der Gründerzeit nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges und der preußisch-deutschen Reichsgründung 1871 ein. Kriegsgewinne und eine internationale Spekulationsbegeisterung lösten eine neue Dynamik des Eisenbahn- und Maschinenbaus, der Bau- und Bankenspekulation aus, unterstützt von einem neuen nationalen Aufbruchsgefühl und der Erwartung auf Wachstum und Größe. Der Börsencrash im Jahre 1873 mit anschließender, langer wirtschaftlicher Depression dämpfte die Euphorie und ließ fortschrittskritische Stimmen an Gewicht gewinnen - die es natürlich auch schon seit Beginn der Diskussion um den Nutzen des Fortschrittes gab - dies führte gerade im liberalen, bürgerlichen Bildungsschichten zu einer tiefen Skepsis und Unsicherheit gegenüber dem so begrüßtem schnellen Wachstum der vorangegangenen Jahre.
Das zerstörerische Potential der Fortschritte in Technik und Ingenieurskunst und die Erkenntnis, daß dieser Innovationsschub keineswegs mit einem moralisch-gesellschaftlichen Fortentwicklung zusammenfallen muß, traf die Menschen im 1. Weltkrieg. Nach dem revolutionären Ende des wilhelminischen Kaiserreiches führte das Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Diskontinuität zur Monarchie zu einem labilen, zu Extremen neigendem Gefüge von Zukunftsglaube und Pessimismus, was letztlich zum schleichenden Vertrauensverlust gegenüber der jungen Republik beitrug.
In nationalsozialistischer Zeit wurde der unbedingte Fortschrittsglaube, basierend auf der wirr naturwissenschaftlich gestützten Theorie der Überlegenheit einer deutsch-arischen Rasse und der daraus resultierenden missionarischen Verpflichtung zur Unterwerfung der Welt zu einer der wichtigsten Stützen der NS-Ideologie. Die Technikbegeisterung im 3. Reich in Kombination mit der scheinbar fortschrittlichen, in Einklang mit der Ideologie stehenden vollständigen Ignoranz gegenüber moralischer Werten führten zu einem Vertrauensbruch der Deutschen mit dem, sich problemlos in eine antihumane Weltanschauung integrieren lassenden Fortschritt, der allerdings erst in der nachfolgenden Generation der 68er gesellschaftlich fassbar wurde.
Die Nachkriegszeit war noch vollständig von der ruinösen Gegenwart und dem Willen zum erneuten Aufbau geprägt, begleitet von zaghaftem Optimismus und ersten Verbesserungen der Lebensumstände, dem schließlich der wirtschaftlichen Aufschwung - das Wirtschaftswunder - mit dem Ziel von "Wohlstand für alle" folgte.[5] In der 68er Bewegung stand der Glaube an gesellschaftlichen Fortschritt einer Skepsis hinsichtlich technisch-wissenschaftlichem Fortschritts, als dessen Synonym die Atombombe, das Wettrüsten, der Kalte Krieg galt, diametral gegenüber. Darüber hinaus traf die Ölkrise und der vom Club of Rome 1972 veröffentlichte Forschungsbericht "Die Grenzen des Wachstums" den technischen Fortschrittsglauben an einen zentralen Punkt, denn er basierte bislang auf Vorstellung unendlicher Ressourcen.[6] In diesem Klima drang nun zusätzlich mit rasantem Tempo ein technisches Instrument in den Alltag des Menschen mit erheblichen gesellschaftsveränderndem Potential, der Computer. Diese Entwicklung wurde in der BRD zunächst von der Mehrheit skeptisch beobachtet, denn der Computer galt zum einen als Gefährdung vieler Arbeitsplätze durch Rationalisierungen, zum anderen als Herrschaftsstützendes- und Überwachungsinstrument. Speziell der nicht abzuschätzende Einfluß der fortschreitenden Computerisierung auf die Balance des Kalten Krieges stieß auf Kritik (vgl. 2.2).
2.2 Die Rolle der Technik in der Balance des Konflikts: Hoffnungen-Ängste-Utopien
Der Ost-Westkonflikt in Form des Kalten Krieges basierten auf einem Gleichgewicht der militärischen Schlagkraft beider Machtblöcke. Eine technisch-wissenschaftliche Innovation, die Atombombe, schuf eine Situation, in der ein Eskalieren der Auseinandersetzung ein unabwägbares Szenario für beide Seiten darstellte, aber es bestand die Gefahr, daß weitere Fortschritte der Technik, etwa ein SDI, diese Balance stören und einen Atomkrieg wahrscheinlicher machen könnte.
Die Bedrohung führte zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber technischen Neuerungen, was sich einerseits, in einen gesellschaftlich allgemein verbreiteten Pessimismus hinsichtlich der Zukunft niederschlug (Endzeitstimmung), teilweise untermauert durch wissenschaftliche Prognosen, wie etwa der seit 1947 in der Zeitschrift Bulletin of Atomic Scientists erscheinenden symbolischen Atomkriegsuhr, deren Zeigerstellung den Grad der nuklearen Bedrohung verdeutlichen soll, zum anderen direkt in verschiedenen Medien zu apokalyptischen Fiktionen verdichtet wurde, u.a. in den Filmen "On The Beach" (1959), "The Day After" (1963) und "A Boy And His Dog" (1973). Vor allem im Genre des Science-Fiction, daß sich seit jeher mit Zukunftsvorstellungen beschäftigte, übertrug sich die Situation in Beschreibungen oftmals düsterer, möglicher Entwicklungen und trug so zum gesellschaftlichen Stimmungsbild bei.
Aber auch vor dem Kalten Krieg geschriebene Werke des Science-Fiction wurden nun unter dessen Gesichtspunkten betrachtet, wie Huxleys Roman "Brave New World" (1932), dessen inhumane, perfektionistische Gesellschaft vor allem als Kritik am wissenschaftlichen Fortschritt, ferner aber auch an Zwängen im Kapitalismus verstanden werden kann, oder Orwells "1984" (1949), dessen Beschreibung eines totalitären Staates im Westen als Kritik am Kommunismus interpretiert wurde, aber weitreichender auch den Kapitalismus miteinschließt und ihm, letztlich zum Scheitern verurteilt, als Hoffnung das Individuum entgegenstellt.
Mit der Einrichtung eines computergestützten Frühwarnsystems gegen Interkontinentalraketen in den USA 1958, dem North American Aerospace Defense Command (NORAD), wurden gesellschaftliche Ängste hinsichtlich der zunehmenden Automatisierung im Militär akut. Das früh aufgekommene und kontinuierlich auftretende Motiv, daß ein Roboter oder Computer sich vom bloßen Werkzeug des Menschen zu seiner Bedrohung entwickeln könnte (E.M. Fosters The Machine Stops, 1909; Metropolis 1927; 2001. A Space Odyssey, 1968, Terminator, 1984) wird nun mit dem Bedrohungsszenario des Kalten Krieges verbunden (Colossus: The Forbin Project, 1969) und verstärkte sich noch mit der Einführung des Heimcomputers und erster Netzwerke in den 70er Jahren zu der bedrohlichen Vorstellung, daß eine technisch versierte Privatperson möglicherweise Zugang zu militärischen Netzwerken erlangen könnte (WarGames, 1983).
[...]
[1] Ergebnisse und Analyse der Studie im Anhang dieser Seminararbeit.
[2] Monographien werden mit Autor, Titel, Erscheinungsjahr zitiert, bei Mehrtitelwerken der Text wie Monographie und anschließend mit dem Verweis "in:" Herausgeber, Titel, Erscheinungsjahr, Zeitschriftenartikel werden wie Mehrtitelwerke, aber mit Ausgabennummer an- gegen. Haupsächlich verwendete Literatur: J. Wieckmann (Hrsg.), Das Chaos Computer Buch. Hacking made in Germany, 1988; Chaos Computer Club e. V. (Hrsg.), Die Datenschleuder; Matthias Horx, Chip Generation. Ein Trip durch die Computerszene 1984. Leiderwurde mir auch nach zeitaufendiger Recherche nicht die Seminarabreit, Password to Paradies. Eine neue soziale Computerbewegung? von U. Jonas/J.Kahlke/E. Lischke/T. Robi- schon aus dem Fachbereich der Politologie der FU-Berlin des Sommersemesters 1988 zugänglich.
[3] Internetquellen werden wenn möglich wie folgt angegeben: Autor, Titel, Erscheinungsjahr des Textes, Verantwortlicher der Internetpräsenz, Name der Internetpräsenz, Erstellungsdatum und die Internetaddresse kursiv und unterstrichen und das letzte Zugriffsdatum mit dem Verweis "Zugriff" in Klammern.
[4] Zum deutschen Begriff Fortschritt als Lehnwort aus dem Französischen Ende des 18. Jh. Wolfgang Huber, Fortschritt. Ein Lexikonartikel. In: Wolfgang Lienemann/ Ilse Tödt (Hrsg.), Fortschrittsglaube und Wirklichkeit, 1983,16-17.
[5] Ludwig Erhard, Deutsche Wirtschaftspolitik. Der Weg der Sozialen Marktwirtschaft, 1962, 339.
[6] Dennis Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1972.
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