Nicht zuletzt durch die jetzige Wirtschaftskrise hat sich gezeigt, dass das Aktien- und Kapitalmarktrecht stets anpassungs-, wandelungs- und reformbedürftig ist.(1)
Doch gibt es Bereiche des Aktien- und Kapitalmarktrechts in denen über Reformen nicht erst seit kurzer Zeit, sondern bereits seit Jahrzehnten diskutiert und gestritten wird. Zu nennen ist hier insbesondere die Vorschrift des § 23 Abs.5 AktG(2), in der das Prinzip der „aktienrechtlichen Satzungs - strenge“ verkörpert ist.
So regelt § 23 Abs.5, dass die „Satzung (scil: einer AG) von den
Vorschriften des Gesetzes (scil: Aktiengesetz) nur abweichen kann, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind zulässig, es sei denn, dass das Gesetz (scil: Aktiengesetz) eine abschließende Regelung enthält.“
Da solche Ausnahmeregelungen im Aktiengesetz jedoch kaum vorhanden
sind,(3) wird schnell deutlich, dass § 23 Abs.5(4) zu einer erheblichen Einschränkung der Gestaltungsfreiheit bei Aktiengesellschaften führt.
Diese werden nahezu dem gesamten kodifizierten Aktienrecht unterworfen. Auch war die Regelung des § 23 Abs.5 mit ihrer einschneidenden Wirkung zuletzt erst Thema des 67. Deutschen Juristentags(5), welcher sich mit der Frage beschäftigt hat, ob „sich nicht besondere Regeln für börsennotierte und geschlossene Gesellschaften empfehlen?“.
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1 Wirtschaftskrise ab 2007: Banken- und Finanzkrise, die im Frühsommer 2007 mit der USImmobilienkrise (auch Subprimekrise) begann. In Deutschland (2008): Versuch zur Stabilisierung des Finanzsektors durch das Finanzmarkt- stabilisierungsgesetz und die Finanzmarktstabilisierungfonds- Verordnung.
2 §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des AktG.
3 Hey, Frei Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.167.
4 In Verbindung mit der hohen Regelungsdichte der übrigen Normen des Aktiengesetzes.
5 67.Deutscher Juristentag der vom 23. bis 26. September 2008 in Erfurt stattfand.
Gliederung
A. Einleitung
B. Gestaltungsfreiheit als allgemeines gesellschaftsrechtliches Prinzip
I. Weitgehende Satzungsautonomie bei Personengesellschaften und der GmbH
II. Satzungsstrenge nach § 23 Abs.5 AktG bei der AG
C. Einschränkung der Privatautonomie und Legitimation des § 23 Abs. 5 AktG
I. Historische Erklärung der „aktienrechtlichen Satzungsstrenge“- Entwicklungsstufen des modernen Aktienrechts
1. Das Octroi- System (17. und 18. Jahrhunderts)
2. Konzessionssystem (Anfang bis Mitte des 19. Jhd.)
3. „System der Normativbedingungen“ (um 1870)
4.Die Aktienrechtsreform von 1884 und
5. Die Aktienrechtsreform von
a) Umfang der Gestaltungsfreiheit im Aktienrecht vor der Aktienrechtsreform von
aa) Rechtsprechung des Reichsgerichts
bb) Auffassungen des damaligen Schrifttums
b) Normierung des heutigen § 23 Abs.5 AktG
II. (Aktuelle) Begründungsansätze für die „aktienrechtliche Satzungsstrenge“
1. Anlegerschutz
a) Begriff des Anlegerschutzes
aa) Individueller Anlegerschutz (Anlegerinteressen/Anlegerrisiken)
bb) Institutioneller Anlegerschutz
b) Voraussetzungen für einen vernünftigen Anlegerschutz
c) Verwirklichung „vernünftigen“ Anlegerschutzes bei der AG durch zwingendes Aktienrecht
aa) § 23 Abs.5 AktG als Mittel der Einsparung von Transaktionskosten und Sicherung der Anlegerinformation
bb) Kritik an der „aktienrechtlichen Satzungsstrenge“
d) Verwirklichung des Anlegerschutzes durch den Kapitalmarkt oder Bestehen von
Informationsasymmetrie im Falle der Satzungsfreiheit
aa) Fehlende Fähigkeit des Kapitalmarktes zur Bewertung von verschiedenen Satzungsgestaltungen (ex-ante-Anlegerschutz)
bb) Verlässlichkeit der durch den Kapitalmarkt „bereitgestellten“ Information („credible commitment“)
cc) Risiken für den Anleger nach getätigter Anlage (ex-post-Anlegerschutz)
e) Grundlegende (empirische) Einwände gegen die Bewertungsfähigkeit von Satzungen durch den Kapitalmarkt
aa) Fehlende Informationseffizienz der Kapitalmärkte
aaa) „Noise Trading“
bbb) „Underpricing“
bb) Fehlende Reaktion der Kapitalmärkte auf verschiedene rechtliche Gestaltungen
f) Ergebnis
2. Weitere Aufgaben und Funktionen des § 23 Abs.5 AktG
a) Gläubigerschutz
b) Arbeitnehmerschutz
c) Sozialpolitische und volkswirtschaftliche Aufgaben
d) Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
E. Endergebnis und Schlussbemerkung
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