Traditionell galt der Stromsektor als ein so genanntes natürliches Monopol. Die günstigste Organisationsform war somit die Versorgung staatlich geschützter Gebietsmonopole durch jeweils ein über alle Wertschöpfungsstufen vertikal integriertes Unternehmen. Die Bereiche Erzeugung und Versorgung werden mittlerweile als wettbewerbsfähig angesehen. In den für den Transport des Stroms notwendigen Netzen ist jedoch kein Wettbewerb möglich. Sie stellen einen monopolistischen Engpass (Bottleneck) dar. Theoretisch können Netzbetreiber ihre Marktmacht über die Netzentgelte in die wettbewerblichen Bereiche übertragen und dort Kampfpreise realisieren, die die Konkurrenz ausschalten (Predatory Pricing).
Die in Deutschland nach der Liberalisierung des Marktes umgesetzten Regulierungsmethoden des verhandelten Netzzugangs, der Kosten- und Anreizregulierung werden zunächst theoretisch dargestellt und verglichen. Es folgen eine ökonomische Analyse der Entwicklungen am deutschen Elektrizitätsmarkt unter dem jeweiligen Regulierungsregime sowie eine Analyse der geplanten Form der Anreizregulierung.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Behandlung natürlicher Monopole in Theorie und Praxis
2.1 Natürliche Monopole in der Theorie
2.1.1 Definition und Effizienz
2.1.2 Traditionelle und neue Theorie
2.2 Natürliche Monopole in der Praxis
2.2.1 Verhandelter Netzzugang
2.2.2 Kostenregulierung: Rate ofReturn-Regulierung
2.2.3 Anreizregulierung: Revenue Cap
2.2.4 Exkurs Benchmarking
2.2.5 Verhandelter und regulierter Netzzugang im Vergleich
3 Bottleneck-Regulierung am Beispiel des deutschen Elektrizitätsmarktes.
3.1 Erste Phase: verhandelterNetzzugang
3.1.1 Rechtliche Vorgaben: die erste EnWG - Novelle
3.1.2 Die Verbändevereinbarungen
3.1.3 Ökonomische Analyse des verhandelten Netzzugangs
3.1.3.1 Marktstruktur und Wettbewerbsintensität
3.1.3.2 Großhandel
3.1.3.3 Netzentgelte
3.1.3.4 Exkurs Netzentgeltvergleiche
3.1.3.5 Versorgungsqualität
3.1.3.6 Investitionen
3.1.3.7 Staatslasten
3.1.4 Zusammenfassung
3.2 Zweite Phase: regulierterNetzzugang
3.2.1 Rechtliche Vorgaben: die zweite EnWG-Novelle
3.2.2 Unbundling
3.2.3 Kostenregulierung
3.2.3.1 Ökonomische Analyse: aktuellerStand
3.2.3.2 Zusammenfassung
3.2.4 Anreizregulierung
3.2.4.1 Die Revenue Cap-Formel
3.2.4.2 Kritik der Revenue Cap-Formel
4 Fazit
4.1 Zusammenfassung
4.2 Limitations
4.3 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Netzebenen zur Stromversorgung
Abbildung 2: Natürliches Monopol bei konstanten Grenzkosten
Abbildung 3: Disaggregierte Darstellung des Strommarktes
Abbildung 4: Prinzip der Anreizregulierung
Abbildung 5: Energiepolitisches Zieldreieck
Abbildung 6: Entwicklung der Endpreise für Industrie und Haushalte
Abbildung 7: Anbieter- und Vertragswechsel bei Industrie und Haushalten
Abbildung 8: Preisunterschiede etablierter Versorgerund neuer Anbieter
Abbildung 9: Grenzüberschreitender Stromhandel
Abbildung 10: EEX-Durchschnittspreis und geschätzte Grenzkosten
Abbildung 11: Einflussfaktoren des Spotmarktpreises
Abbildung 12: Entwicklung derNetzentgelte
Abbildung 13: Streubreite derNetzentgelte von Haushaltskunden
Abbildung 14: Versorgungsunterbrechungen im Mittelspannungsnetz
Abbildung 15: Anlageinvestitionen der deutschen Stromversorger
Abbildung 16: Entwicklung der Staatslasten
Abbildung 17: Haushaltsstrompreise nach Nettopreisen und Staatslasten
Abbildung 18: Industriestompreise nachNettopreisenund Staatslasten
Abbildung 19: Preisaufschläge auf die Grenzkosten
Abbildung 20: Zeitlicher Verlauf derNetzentgeltgenehmigungen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Formen des Unbundling
Tabelle 2: Das Vergleichsmarktkonzept der VV II+
Tabelle 3: Beschäftigte und Unternehmen in der Elektrizitätsversorgung
Tabelle 4: Streuung derNetzentgelte
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Strom ist zu billig“ betitelt die Bild-Zeitung vom 13.09.2007 ein Interview mit E.ON-Chef Wulf Bemotat, der die seit Jahren steigenden Strompreise mit steigenden Beschaffungskosten erklärt, mit hohen Investitionen, mit Kosten für den Klimaschutz und nicht zuletzt mit steigenden Staatsanteilen, ohne die der Strom heute immer noch günstiger wäre als 19981. Doch wenn in den Medien im Zusammenhang mit Strom von „Abzockern“ die Rede ist, sind genau solche Energiekonzerne wie E.ON oder RWE gemeint, die angeblich ihre Marktmacht missbrauchen, Milliardengewinne einfahren und so eine Kluft zu den industriellen Groß- und den fast 40 Millionen Kleinverbrauchern schaffen2. Abhilfe soll die so genannte Anreizregulierung schaffen, damit die ehemaligen Monopolisten nicht länger überhöhte Netzentgelte berechnen können. Die EU sieht die Marktmacht der großen, vertikal integrierten Energiekonzerne als das Haupthindernis für den unbefriedigenden Wettbewerb auf den Strommärkten an. Sie will die Stromkonzerne zerschlagen, um mehr Wettbewerb zu schaffen3.
Um diese Diskussion besser zu verstehen, ist zunächst eine Erklärung der spezifischen Eigenschaften des Produktes Strom und der sich daraus ergebenden strukturellen Besonderheiten des Stromsektors notwendig4. Strom ist ein homogenes Produkt, das durch Umwandlung von in der Natur verfügbaren Primärenergieträgern wie beispielsweise Kohle, Uran, Wind- und Wasserkraft entsteht. Für die Nutzung verschiedenster Güter oder Leistungen grundlegender Art ist die Verfügbarkeit von Strom unverzichtbar. Dabei bestehen nur geringe Substitutionsmöglichkeiten. Unterschieden wird in Abhängigkeit von der Nachfrage nach GrundMittel- und Spitzenlast. Typisch sind Nachfrageschwankungen im Tages-, Wochen- und Jahresablauf. Weil Strom kaum speicherbar ist, muss sich das Angebot jederzeit an die Nachfrage anpassen. Aufgrund seiner Leitungsgebundenheit erfolgt die Bereitstellung von Strom notwendigerweise über ein Netz. Abbildung 1 zeigt die Einbindung der vier Netzebenen in die Versorgung der verschiedenen Abnehmer mit Strom. Der in einem Kraftwerk erzeugte Strom wird in das Übertragungsnetz eingespeist. Die hohe Spannung ermöglicht den Transport über große Entfernungen bei geringen Verlusten. Von dort aus gelangt der Strom in die Verteilnetze, die aus drei Ebenen bestehen. Das Hochspannungsnetz leitet den Strom zu Ballungszentren und großen Industriebetrieben. Das Mittelspannungsnetz dient zur Versorgung von Stadtteilen und mittelgroßen Industrie- und Gewerbebetrieben. Durch das Niederspannungsnetz gelangt der Strom schließlich zu den Haushalten, Klein- und Landwirtschaftsbetrieben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Netzebenen zur Stromversorgung. Quelle: eigene Darstellung, ähnlich bei E.ON (2007), S. 9.
Traditionell galt der Stromsektor als ein so genanntes natürliches Monopol und daher die Versorgung durch ein Unternehmen als günstigste Möglichkeit. Wettbewerb, so hieß es, führe durch den mit einer hohen Kapitalintensität verbundenen Bau zusätzlicher bzw. kleinerer Anlagen zu höheren Kosten. Daher wurde das natürliche Monopol durch gesetzliche Regelungen vom Wettbewerb ausgenommen. Als effizient galt die Organisation des Sektors mit staatlich geschützten Gebietsmonopolen und so genannten vertikal integrierten Versorgungsunternehmen. Das bedeutet, dass diese Unternehmen auf mehreren Wertschöpfungsstufen tätig sind. Die großen Energiekonzerne, die so genannten Verbundunternehmen (VU), sind auf allen Wertschöpfungsstufen aktiv. Sie erzeugen einen Großteil des Stroms und betreiben das Übertragungs- und auch Verteilnetze. Außerdem nehmen sie am (internationalen) Stromhandel teil und beliefern Kunden. Die regionalen Versorger und die Stadtwerke sind nur in geringem Umfang an der Erzeugung beteiligt. Ihre Haupttätigkeitsbereiche sind der Betrieb der Verteilnetze und die Belieferung der Kunden in ihren Versorgungsgebieten. Die Qualität der Stromversorgung war unter diesen Voraussetzungen sehr hoch1.
Durch technischen Fortschritt ist mittlerweile auch der Betrieb kleinerer Kraftwerke rentabel, so dass Wettbewerb in diesem Bereich möglich ist. Außerdem ist der Bereich der Versorgung als wettbewerbsfähig identifiziert worden. Die traditionelle monopolistische Organisationsstruktur des Sektors ist daher nicht länger gerechtfertigt, da durch eine möglichst wettbewerbliche Organisation Effizienzpotentiale ausgeschöpft und so günstigere Preise realisiert werden können. Problematisch bleibt der Bereich der Netze. Diese werden aufgrund ihrer Lage zwischen den wettbewerblichen Bereichen als monopolistischer Bottleneck bezeichnet. Hohe Investitionen und Größenvorteile schließen einen parallelen Leitungsbau aus. Um Wettbewerb in den anderen Bereichen zu ermöglichen, ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Netzen notwendig. Die Netzbetreiber können jedoch ihre Macht über die Netze einsetzen, um sich vor Wettbewerb zu schützen. Dazu können sie Wettbewerber beim Netzzugang behindern, etwa indem deren Kraftwerke nicht an das Übertragungsnetz angeschlossen werden. Oder sie können einfach ein unrealistisch hohes Entgelt für die Netznutzung fordern2.
Welche Möglichkeiten zum Umgang mit dem monopolistischen Bottleneck bestehen, um möglichst hohe Effizienzpotentiale und damit letztendlich möglichst niedrige Preise zu realisieren? Und welche Nachteile, insbesondere im Bezug auf die Versorgungsqualität, stehen dem gegenüber? Mit diesen Fragen beschäftigt sich diese Arbeit. In Kapitel 2.1 werden die theoretischen Grundlagen erläutert. Der Begriff des natürlichen Monopols wird definiert und die wohlfahrtstheoretischen Folgen abgeleitet. Dann erfolgt eine Darstellung der unterschiedlichen Annahmen der traditionellen und neuen Theorie zur Organisation des Sektors. Insbesondere wird auf die Problematik einer Übertragung von Marktmacht auf die wettbewerbsfähigen Bereiche, die sich aus der neuen, realistischen Sichtweise ergibt, eingegangen. Gegenstand von Kapitel 2.2 sind Methoden, die in der Praxis im Umgang mit natürlichen Monopolen zur Anwendung kommen. Wegen der gebotenen Kürze können nicht alle möglichen Methoden erläutert werden, sondern es erfolgt eine Beschränkung auf die für den konkreten Anwendungsfall des dritten Kapitels relevanten Methoden.
Nachdem die EU 1997 die Öffnung der Strommärkte vorgeschrieben hatte, wurde in Deutschland mit dem verhandelten Netzzugang zunächst eine andere Organisationsform umgesetzt als in den Übrigen EU-Ländern3. Die Analyse der Auswirkungen dieses besonderen Netzzugangsmodells wurde als ein Hauptfokus der Arbeit gewählt. Kapitel 3.1 beginnt mit einer Beschreibung des gesetzlichen Rahmens des EnWG und der ausgehandelten so genannten Verbändevereinbarungen, die diesen Rahmen ausfullen. Im Anschluss werden ausgehend von den Endpreisen die relevanten Marktentwicklungen untersucht. Im Einzelnen sind das die Marktstruktur und die Wettbewerbsintensität; der Großhandel; die Netzentgelte; die Versorgungsqualität; die Investitionen und die Staatslasten. Im Jahr 2005 wird der deutsche „Sonderweg“ des verhandelten Netzzugangs durch eine weitere EU- Richtlinie beendet, die die Einrichtung einer staatlichen Regulierungsbehörde vorschreibt4.
Damit beginnt eine zweite Phase der Liberalisierung des Strommarktes. Kapitel 3.2 stellt die Ausgestaltung des regulierten Netzzugangs unter der Leitung der Bundesnetzagentur (BNA) dar. Zunächst wird der geänderte rechtliche Rahmen kurz beschrieben. Dann werden dem vorangegangenen Kapitel entsprechend die aktuellen Marktentwicklungen dargestellt. Übergangsweise wurde eine Kostenregulierung als Regulierungsmethode gewählt, mit dem Übergang zur Anreizregulierung ab 2009 steht aber bereits ein weiterer Systemwechsel fest. Deren konkrete Ausgestaltung wird im Hinblick auf die theoretisch zu erwartenden Auswirkungen auf die Höhe der Investitionen und die Realisierung von Effizienzpotentialen untersucht. In beiden Kapiteln wird auf die Auswirkungen der zur Verhinderung einer Übertragung von Marktmacht getroffenen Maßnahmen (Unbundling) eingegangen. Im vierten Kapitel wird ein abschließendes Fazit gezogen. Die wichtigsten Ergebnisse werden noch einmal zusammengefasst. Es wird auf die Grenzen der Analyse hingewiesen und ein kurzer Ausblick gegeben.
2 Behandlung natürlicher Monopole in Theorie und Praxis
2.1 Natürliche Monopole in der Theorie
2.1.1 Definition und Effizienz
Der Begriff natürliches Monopol bezieht sich nicht auf die tatsächliche Anzahl der Anbieter in einer Industrie, sondern auf den Zusammenhang zwischen Nachfrage und Technologie5 und der damit verbundenen Kostensituation: ,,a firm producing a single homogeneous product is a natural monopoly when it is less costly to produce any level of output of this product within a single firm than with two or more firms“6. Traditionell wurde das natürliche Monopol für den Einproduktfall im Zusammenhang mit Größenvorteilen (Economies of Scale) dargestellt7. Diese implizieren sinkende Durchschnittskosten, woraus sich die Existenz eines natürlichen Monopols ergibt. Notwendig - und hinreichend - istjedoch bereits eine subadditive Kostenfunktion8. Alle Unternehmen produzieren bei konstanten Inputpreisen mit der identischen konstanten Technologie und der Kostenfunktion C9. C ist subadditiv an der Stelle q, wenn C (q1 + ... + qm) < C (q1 ) + ... + C (qm) erfüllt ist und bei strikter Ungleichheit für m > 2 strikt subadditiv. Ein natürliches Monopol liegt vor, wenn die Kostenfunktion im gesamten relevanten Outputbereich strikt subadditiv ist10. Realistischer ist jedoch die Betrachtung von Mehrproduktunternehmen11. Der entscheidende Unterschied zum Einproduktmonopol liegt in den Verbundvorteilen (Economies of Scope)12. Bislang existiert noch keine notwendige und gleichzeitig hinreichende Bedingung. Die Subadditivität erfordert das gleichzeitige Auftreten abnehmender Ray Average Costs und Transray Convexity13. Dabei handelt es sich um starke Ausprägungen von Economies of Scale und Econo- mies of Scope18. Die Bestimmung von Subadditivität ist allerdings grundsätzlich mit erheblichen Problemen behaftet19.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Natürliches Monopol bei konstanten Grenzkosten. Quelle: eigene Darstellung, ähnlich bei Wild (2001), S. 37 und S. 42.
Investitionen in Stromnetze stellen in hohem Maß versunkene Kosten dar20. Die Asymmetrie entscheidungsrelevanter Kosten zwischen einem potentiellen Marktneuling und dem etablierten Unternehmen bildet eine Marktbarriere. Ein natürliches Monopol mit versunkenen Kosten ist nicht angreifbar, potentielle Konkurrenz reicht nicht zur Disziplinierung aus21. Damit ergibt sich das in Abbildung 2 dargestellte traditionelle Problem des natürlichen Monopols. Die aus wohlfahrtstheoretischer Sicht optimalen first best-Preise pw in Höhe der Grenzkosten MC können nicht realisiert werden. Die Bedingung der Kostendeckung macht den second best-Preis pAC erforderlich22. Dieser führt zu Wohlfahrtsverlusten in Höhe von CDF und zu einer Umwandlung von Konsumenten- in Produzentenrente in Höhe von ACFE23. Bei mehreren Produkten können second best-Preise durch Preisaufschläge auf die Grenzkosten der Produkte im umgekehrten Verhältnis zur Elastizität der Nachfrage theoretisch erreicht werden (Ramsey Preise)24. Praktisch ist die Bestimmung der individuellen Nachfrageelastizitäten jedoch nicht durchführbar25. Tatsächlich erfolgt die Versorgung des Marktes wegen der sinkenden Durchschnittskosten AC am günstigsten im Monopol. Aufgrund der geringen Elastizität der Nachfrage D(p)26 führt der Monopolpreis рм zwar nur zu relativ geringen Mengenänderungen. Es kommt aber zu Wohlfahrtsverlusten in der Höhe BDH (Dead-Weight-Loss) und einer Umverteilung von Konsumenten- in Produ- zententrente in Höhe von ABGH. Weitere Verzerrungen ergeben sich durch die aus fehlendem Wettbewerbsdruck resultierenden X-Ineffizienzen und aus Rent- Seeking-Aktivitäten der involvierten Interessengruppen27. Im natürlichen Monopol entsteht also ein allokativ und produktiv ineffizientes Ergebnis28.
2.1.2 Traditionelle und neue Theorie
Der Umgang mit natürlichen Monopolen hängt vom wettbewerbspolitischen Leitbild ab. Diese bewerten das notwendige Ausmaß staatlicher Einflussnahme unterschiedlich29. Neben Effizienzzielen sind auch gesellschaftspolitische Ziele relevant. In Deutschland ist die neoklassische Sichtweise vorherrschend30. In der traditionellen Theorie wird der Elektrizitätssektor als Ganzes als natürliches Monopol angesehen. Wettbewerb führt zu unnötiger Infrastruktur und somit zu vermeidbaren Kosten. Diese Situation stellt ein Marktversagen dar31. Die Versorgung von Gebietsmonopolen32 durch vertikal integrierte VU ermöglicht die Realisierung von Größen- und Verbundvorteilen33. Monopolistische Preise werden durch Regulierung des Sektors unterbunden34. Dabei wird implizit oder explizit von drei Annahmen ausgegangen: der Regulierer besitzt vollständige Information; er handelt wohlwollend ohne eigene Ziele; die Regulierungsmaßnahmen werden vollständig und kostenlos umgesetzt35. Durch Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Ta rifen und einer zweistufigen Tarifstruktur mit Grundgebühr und verbrauchsabhängiger Komponente können theoretisch first best-Preise erreicht werden14. Wegen der zugrundeliegenden unrealistischen Annahmen können die Modelle der traditionellen Theorie als Referenz verwendet werden15.
Die Annahme einer vollkommenen kostenlosen Korrektur eines Marktversagens wird von der neuen Theorie aufgegeben16. Regulierung wird als Principal AgentProblem aufgefasst. Der Regulierer (Principal) besitzt nur unvollständige Informationen über das regulierte Unternehmen (Agent) und setzt diesem Anreize, damit es sich in der gewünschten Weise verhält. Dabei wird auch die Möglichkeit der Beeinflussung des Regulierers durch die regulierten Unternehmen berücksichtigt (Regulatory Capture). Laffont und Tirole nennen drei Einschränkungen des Regulierungsprozesses. Erstens stellen politische und administrative Beschränkungen Restriktionen hinsichtlich der Wahl der Mittel des Regulierers dar. Zweitens ergeben sich Transaktionsbeschränkungen aus dem Abschluss von (langfristigen) Verträgen, in denen nicht alle Eventualitäten berücksichtigt werden können. Außerdem muss die Einhaltung überwacht und ggf. durchgesetzt werden, was Transaktionskosten verursacht. Drittens kann der Agent die Informationsbeschränkungen des Regulierers strategisch einsetzen. Dieser kann verborgene Handlungen des Agent, z.B. seine Effizienzanstrengungen (Effort), nicht beobachten (Moral Hazard). Außerdem verfügt der Agent über einen Informationsvorsprung hinsichtlich seiner tatsächlichen Effizienz (Adverse Selection). Daher ist keine optimale Regulierung möglich17. Die Kosten unvollkommener Märkte müssen nun mit den Kosten unvollkommener Regulierung verglichen werden18. Sharkey nennt als Ziele einer Regulierung die Rückgewinnung von Konsumentenrente, den Schutz vor Monopolpreisen sowie vor unerwünschten Verhaltensweisen wie z.B. Predatory Pricing (vgl. S. 10)19.
Die neue Theorie geht darüber hinaus von einer disaggregierten Betrachtung des Elektrizitätssektors aus. Die Ebenen Erzeugung und Versorgung gelten inzwischen als wettbewerbsfähig. Dazwischen befindet sich, wie in Abbildung 3 dargestellt, der Netzbereich mit den Stufen Übertragung und Verteilung als monopolistischer Bottleneck20. Durch eine möglichst wettbewerbliche Ausgestaltung des Sektors können insgesamt geringere Preise realisiert werden21.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Disaggregierte Darstellung des Strommarktes. Quelle: eigene Darstellung, ähnlich bei Brunekreeft, Keller (2003a), S. 135.
Die Netze stellen für die wettbewerbsfähigen Bereiche Erzeugung und Versorgung eine wesentliche Einrichtung (Essential Facility) dar22. Damit dort Wettbewerb entstehen kann, ist ein diskriminierungsfreier Zugang zum Bottleneck erforderlich. Die hohe vertikale Integration des Elektrizitätssektors ist zwar technisch effizient, da sie die Realisierung von Verbundvorteilen ermöglicht. Gleichzeitig besteht aber die Möglichkeit zur Übertragung von Marktmacht vertikal integrierter Netzbetreiber durch diskriminierendes Verhalten. Die Übertragung von Marktmacht ist nach der Theorie der Chicago School aber nicht zwingend eine rationale Strategie. Für den monopolistischen Netzbetreiber stellt sich der Wettbewerb in den nachgelagerten Bereichen als make-or-buy-decision dar. Durch den Markteintritt eines effizienteren Unternehmens ergeben sich keine Diskriminierungsanreize, da die in den wettbewerblichen Bereichen erzielten Gewinne auf der Ebene des Bottlenecks abgeschöpft werden können, sofern dort vollkommener Wettbewerb herrscht45. Andernfalls kann die Macht über den Bottleneckbereich mittels einer Kampfpreisstrategie (Predatory Pricing) auf die wettbewerblichen Bereiche übertragen werden46. Dabei konzentrieren sich die vertikal integrierten Unternehmen zur Realisierung ihrer Gewinne ausschließlich auf den monopolistischen Bereich. Dies führt zu höheren Kosten der Konkurrenten für die Nutzung des Bottlenecks (Raising Rivals' Costs). Gleichzeitig werden mittels einer Quersubventionierung die Margen in den wettbewerblichen Bereichen minimiert. Auf diese Weise können vertikal integrierte Unternehmen ihre Konkurrenten vom Eintritt in den Markt abhalten oder aus dem Markt drängen. Schließlich werden die Preise auf ein Niveau erhöht, das derart über den Kosten liegt, dass sich insgesamt ein Profit ergibt. Im Extremfall kommt es zum Marktverschluss (Vertrical Foreclosure)47.
Eine Regulierungsbehörde kann monopolistische Preissetzung im Bottleneck durch eine ex ante-Regulierung der Netzentgelte unterbinden. Dann wachsen die Anreize zur Diskriminierung, z.B. durch schlechte Qualität, oder, falls auch die reguliert ist, durch Nichterfüllung der Verträge (z.B. defektes Netz)48. Zur Verhinderung von Marktmachtübertragung dient die vertikale Entflechtung (Unbundling) des monopolistischen Bereichs. In Tabelle 1 sind die verschiedenen Formen des Unbundling dargestellt. Die Eingriffstiefe in das betroffene Unternehmen beim
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Formen des Unbundling. Quelle: Schiffer (2005), S. 199 und Büden- bender, Rosin (2007), S. 20.
Informatorischen und beim Accounting Unbundling ist noch gering. Lediglich Vertraulichkeit der Daten und eine Trennung bei der Rechnungslegung sind durchzuführen. Das Functional Unbundling greift bereits in die Organisationsstruktur des Unternehmens ein. Legal Unbundling erfordert die Ausgründung von Netzgesellschaften als eigenständiges Unternehmen innerhalb eines Konzerns. Beim Ownership Unbundling muss der Netzbetreiber das Eigentum über seine Netze oder mindestens die Verantwortung darüber abtreten23. Anreize zur Preisdiskriminierung bleiben für einen gewinnmaximierenden Monopolisten aber trotzdem bestehen. Weitere Probleme ergeben sich aus dem Verlust von Verbundvorteilen, aus Anreizen zu spezifischen Unterinvestitionen, aus der Gefahr doppelter Marginali- sierung und der Gefahr der strategischen Nutzung des Informationsvorsprungs durch den Netzbetreiber24.
2.2 Natürliche Monopole in der Praxis
2.2.1 Verhandelter Netzzugang
Zur Regulierung des Netzzugang ist aber nicht zwangsläufig eine staatliche Behörde erforderlich. Die Bedingungen für den Netzzugang können auch zwischen den Netzbetreibern und den Stromerzeugern, Händlern oder Versorgern ausgehandelt werden. Inhaltliche Angaben können naturgemäß erst für einen konkreten Anwendungsfall, wie in Kapitel 3.1 dargestellt, gemacht werden. Nach Bier sind mögliche Steigerungen der technischen Effizienz, die Vermeidung von Fehlentscheidungen des Regulierers und geringere Transaktionskosten Vorteile des verhandelten Netzzugangs25. Engel weist daraufhin, dass durch die Hilfe staatlicher (Über-) Regulierung auch die neuen Konkurrenten anstelle der Netzbetreiber einen unangemessenen Gewinn erhalten können. Als vorteilhaft werden außerdem die größere Sachkenntnis der Akteure bei der Ausgestaltung von Verträgen, sowie deren hohe Akzeptanz angesehen. Im Gegensatz dazu rufen entsprechende staatliche Regelungen höhere Widerstände und höhere Kosten hervor. Auch beim verhandelten Netzzugang ist mit dem Wettbewerbsrecht ein gesetzlicher Rahmen durch den Staat vorgegeben. Dessen Einhaltung wird ex post überwacht. Das Verhalten der Marktteilnehmer kann außerdem durch eine mögliche Intervention des Staates beeinflusst werden. Dieser kann die Festsetzung neuer gesetzlicher Regelungen, z.B. einer Regulierung androhen (Regulatory Threat)26.
2.2.2 Kostenregulierung: Rate of Return-Regulierung
Der traditionellen Theorie entsprechend werden Methoden der Kostenregulierung typischerweise auf den regulierten Sektor global angewandt. Möglich ist aber auch eine disaggregierte, auf den monopolistischen Bereich beschränkte Anwendung53. Weil der Regulierer in der Realität nur über unvollständige Informationen über Kosten- und Nachfragefunktion verfügt, ist zunächst eine Prüfung der Erlös- und Kostendaten des regulierten Unternehmens notwendig. Dabei werden die zulässige individuelle Kapitalbasis und die maximal zulässige Rentabilität, die eine angemessene Risikoprämie enthält, bestimmt. Ein reguliertes Unternehmen maximiert dann seinen Gewinn unter der Nebenbedingung der zulässigen Rentabilität. Ausgehend von einer Bewertung zu Anschaffungskosten54 kann die Restriktion der Rate ofReturn-Regulierung wie folgt formalisiert werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
E Gesamterlös je Periode ri Menge des Nichtkapitalinputs i q¡ Faktorpreis des Nichtkapitalinputs i d periodische Abschreibungen T Steuern K Kapitalbasis D Kumulierte Abschreibungen s Angemessene Rendite Die Erlöse werden um die Faktorkosten (nicht Kapital) und die Steuern vermindert und auf die um die kumulierten Abschreibungen verminderte Kapitalbasis umgelegt. Das Ergebnis darf höchstens der zulässigen angemessenen Rendite entsprechen. Diese Rendite ist größer als der Marktzins und kleiner als der Monopolertrag. Problematisch ist dabei, dass es sich bei der zulässigen Rendite lediglich um einen hypothetischen Referenzpunkt im Sinne eines „als-ob-Wettbewerbs“ handelt, der von der Verhandlungsmacht von Unternehmen und Regulierer abhängt. Der Ausgangspunkt ist eine zuverlässige Schätzung des risikoäquivalenten Marktzinses und des Monopolertrages, der ebenfalls hypothetisch ist, wenn Monopolverhalten des Marktes nicht bekannt ist. Außerdem führen Änderungen relevanter Parameter (Inputpreise, Mengenänderungen) zu Abweichungen der tatsäch lieh realisierten Rentabilität von der vorgegebenen. Für das Unternehmen bestehen Anreize zu überhöhten Kostenangaben. Der Hauptkritikpunkt bei der Rate of Return-Regulierung ist aber die als Avereh-Johnson-Effekt bezeiehnete Überkapitalisierung. Das regulierte Unternehmen kann die absolute Höhe seines Gewinns bei gegebener Rentabilität steigern, indem es von der kostenminimalen Faktorkombination abweieht und einen ineffizient hohen Kapitaleinsatz wählt. Für die Höhe der Investitionen ist entseheidend, dass ein Unternehmen für seine Investitionen in die Kapitalbasis ausreiehend entsehädigt wird. Ein angemessenes Investitionsniveau ist möglieh. Dynamisehe Anreize zur Produktivitätssteigerung bestehen kaum, da die Kosteneinsparungen vollständig in Form niedrigerer Netzentgelte weitergegeben werden müssen. Der Regulierer steht zwar erhebliehen Informations- und Kontrollproblemen gegenüber. Monopolistisehe Preissetzung kann aber unterbunden werden55.
2.2.3 Anreizregulierung: Revenue Cap
Dureh die Anreizregulierung wird effizienzsteigerndes bzw. kostensenkendes Verhalten gefördert. Das zugrundeliegende Prinzip ist in Abbildung 4 dargestellt. Der Regulierer gibt für eine festgelegte Regulierungsperiode eine bestimmte, anhand
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Prinzip der Anreizregulierung. Quelle: Sehaefer, Sehönefuß (2006), S. 175.
einer Formel bereehnete Obergrenze, bei einer Revenue Cap-Regulierung für die Erlöse, vor. Dureh die Entkopplung von Erlösen von den tatsäehliehen Kosten kann ein reguliertes Unternehmen Zusatzgewinne realisieren, wenn es Effizienzsteigerung umsetzt56. Neben dem Grundprinzip sind sieh aueh die Bausteine der Formeln für der verschiedenen Methoden ähnlich. Es gibt vier wesentliche Stellgrößen, die sich gegenseitig beeinflussen57. Erstens muss der Regulierer über adäquate Ausgangswerte verfügen, um angemessene Vorgaben festlegen zu können. Durch einen Vergleichsindex, der die Entwicklung der Inputkosten des regulierten Sektors möglichst gut widerspiegelt, kann der Sektor exogene Kostenschübe verarbeiten. Dies trägt dazu bei, essentielle Überlebensfähigkeit der Stromversorger sicherzustellen58. Zur Bestimmung des so genannten X-Faktor wird ein Benchmarking durchgeführt (vgl. dazu nachstehenden Exkurs). Der X-Faktor ist die eigentliche Vorgabe zum Produktivitätsfortschritt an den monopolistischen Anbieter. Wird für den regulierten Sektor ein im Vergleich zur Gesamtwirtschaft höheres Produktivitätswachstum erwartet, ist ein Wert X > 0 zu wählen, der zu strengeren, niedrigeren zulässigen Vorgaben führt. Außerdem beeinflusst der X-Faktor die Aufteilung der Gesamtwohlfahrt. Je höher c.p. der X-Faktor gewählt wird, desto höher ist die Konsumentenrente und dementsprechend geringer der verbleibende Anteil an Produzentenrente. Die Aufteilung der Effizienzgewinne zwischen Unternehmen und Konsumenten im Rahmen der Regulierung führt zu einer Verbesserung des Marktergebnisses59. Die vierte Stellgröße ist die Dauer der Regulierungsperiode bis zur nächsten regulatorischen Prüfung der relevanten Parameter (Regulatory Review). Die zeitliche Verzögerung bei der Anpassung der Vorgaben beeinflusst die Anreizwirkung (Regulatory Lag). Eine kurze Periode liefert nur geringe Anreize, da Effizienzgewinne schnell wieder an die Konsumenten weitergegeben werden. Wegen des höheren Barwerts werden Kosteneinsparungen möglichst zu Beginn einer Periode realisiert. Bei einer längeren Periode können die Unternehmen Kosteneinsparungen länger einbehalten. Mit der Länge der Regulierungsperiode steigt die produktive Effizienz. Gleichzeitig nimmt die allokative Effizienz ab, da die Kosteneinsparungen erst später an die Konsumenten weitergereicht werden60. Außerdem sinkt das Investitionsrisiko. Zu berücksichtigen ist weiterhin eine periodenübergreifende Anreizwirkung, der Ratchet-Effekt. Wenn die Unternehmen nach dem Regulatory Review auf einem (zu) niedrigen Niveau „eingerastet“ werden, werden Kostensenkungspotentiale nicht mehr ausgeschöpft oder deren Durchführung verschleiert. Verstärkt wird die Wirkung des Ratchet Effektes durch eine kurze Periodendauer. Der Regulierer muss sich im Rahmen des Regulatory Review glaubhaft verpflichten, dass Effizienzsteigerungen nicht ausschließlich an die Konsumenten weitergegeben werden61.
Im Rahmen der Revenue Cap-Regulierung werden für die Dauer einer Regulierungsperiode Obergrenzen für die Gesamterlöse des regulierten Unternehmens festgelegt. Diese werden anhand der folgenden Formel berechnet62:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Erlösobergrenze für das Jahr t EOt ergibt sich aus der Obergrenze des Vorjahres korrigiert um die Veränderung des Vergleichsindex API des Vorjahres abzüglich der festgesetzten Werte für den Produktivitätsfortschritt. Die allgemeine Vorgabe Xallg spiegelt den erwarteten Produktivitätsfortschritt effizienter Netzbetreiber wieder. Sie gilt für alle Netzbetreiber. Der individuelle X-Faktor Xind gilt nur für die als nicht effizient ermittelten Netzbetreiber. Für effiziente Netzbetreiber gilt Xind = 0. Dadurch werden Netzbetreiber, die bereits Effizienzsteigerungen vorgenommen haben, nicht benachteiligt. Der Faktor Z deckt vom Netzbetreiber nicht zu beeinflussende Kostenpositionen ab, wie etwa Konzessionsabgaben63.
Ein Vorteil der Revenue Cap-Regulierung liegt darin, dass der Regulierer keine Informationen über die einzelnen Produkte und Tarife benötigt. Allerdings entstehen dadurch Möglichkeiten zur Diskriminierung einzelner Nutzergruppen, z.B. der Haushalte. Theoretisch bestehen zwar Anreize zu Preiserhöhungen bei gleichzeitiger Mengenreduktion, aufgrund der geringen Elastizität der Nachfrage bei Strom sind diese aber nur gering. Die Einhaltung der Obergrenze kann aber erst ex post überprüft werden. Veränderungen der nachgefragten Menge führen zu einer Anpassung der Preise, um die Obergrenze möglichst genau zu erreichen. Mengensteigerungen machen Preisabsenkungen zusätzlich zur Vorgabe zum Produktivitätsfortschritt X erforderlich, um die Obergrenze nicht zu übertreffen. Mehroder Mindererlöse, die durch Abweichungen der realisierten Menge von der pro gnostizierten zustandegekommen sind, können in einem virtuellen Konto aufaddiert werden. Der Saldo fließt am Periodenende über ein hybrides Element in die Formel ein. Durch ein weiteres hybrides Element können auch Qualitätsvorgaben in die Formel aufgenommen werden. Außerdem sind Investitionen zum Netzanschluss neuer Erzeugungsanlagen oder zum Ausbau des Netzes (zur Neukundengewinnung oder Erhöhung der Versorgungsqualität), die aus dem Gesamterlös finanziert werden müssen, ebenfalls in der Formel zu berücksichtigen, da andernfalls keine entsprechenden Anreize vorhanden sind. Durch die beschriebene Entkopplung von Kosten und Erlösen entstehen Anreize, aus eigenem Interesse Effizienzsteigerungen durchzuführen. Die Beteiligung der Unternehmen am Risiko erfordert aber auch eine deutlich höhere risikoangepasste Verzinsung bei der Ermittlung der zulässigen Erlöse64.
2.2.4 Exkurs Benchmarking
Grundsätzlich kann die Sicherstellung eines nachhaltigen Netzbetriebes nur gewährleistet werden, wenn effiziente Netzbetreiber ihre Investitionen vollständig über die Netzentgelte refinanzieren können. Bei der Ausgestaltung eines Vergleichs durch Benchmarking verfügt der Regulierer über erhebliche Spielräume bei der Auswahl der Methoden und Parameter. Es ergeben sich drei grundlegende Probleme bei der Ermittlung der Netzentgelte. Die Entscheidung für eine Methode und für bestimmte Variablen und -definitionen ist nur teilweise objektiv begründbar, führt aber zu stark abweichenden Ergebnissen. Es besteht die Gefahr einer Diskriminierung von Netzbetreibern. Für die Netzbetreiber ergeben sich Anreize zu strategischem Verhalten in Form von Beeinflussung bei der Methodenwahl, Kostenmanipulation und Fusionen. Zweitens beruht die Übersetzung der Benchmarkingergebnisse in die Obergrenze zwangsläufig teilweise ebenfalls auf willkürlichen Entscheidungen. Je nach der zeitlichen Verteilung der zugestandenen Gewinne und nach der Länge des Anpassungspfades können suboptimale Anreize entstehen. Drittens ist die Kostenbasis des Benchmarking von grundlegender Bedeutung. Beispielsweise führen Neuinvestitionen zu höheren Kapital- und geringeren Betriebskosten (Instandhaltung). Die theoretisch langfristig optimale Kostenstruktur ergibt sich auf der Basis der Gesamtkosten. Für diesen Fall weisen Weber und Schober aber bei heterogenen Kapitalbeständen einen systematischen Anreiz zu Unterinvestitionen nach. Wegen des verzögerten Wirkungszusammenhangs von Investitionen und Versorgungsqualität kann möglichen Unterinvestitionen besonders in der Anfangsphase zunächst schon durch die Androhung einer Qualitätsregulierung begegnet werden. In Verbindung mit der Qualitätsregulierung können auf diese Weise Unterinvestitionen ebenso verhindert werden wie die Tendenz zur Überinvestition bei kostenorientierter Regulierung (Averch-Johnson-Effekt)65.
2.2.5 Verhandelter und regulierter Netzzugang im Vergleich
Grundsätzlich besteht bei der disaggregierten Regulierung und vertikal integrierten Unternehmen das Problem der Zurechnung der Gemeinkosten66. Beide Regulierungsmethoden tragen zur Annäherung an die allokativ effiziente Preis - Mengen - Kombination bei. Die unterschiedlichen Wege weisen verschiedene Vor- und Nachteile auf. Die Rate of Return-Regulierung führt zur Überkapitalisierung und damit zu einer ineffizienten Faktorkombination. Es bestehen keine Anreize zur Durchführung von Produktivitätssteigerungen, da diese nicht zu höheren Gewinnen führen. Daher sind die Anreize zur strategischen Nutzung des Informationsvorsprungs (Adverse Selection und Moral Hazard) und die dadurch entstehenden Informations- und Kontrollprobleme stärker als bei der Anreizregulierung. Diese stellt eine win-win-Situation für Netzbetreibern und Netznutzern her, indem beide von Effizienzsteigerungen profitieren. Die Stärke der Effizienzanreize hängt von der Ausgestaltung der Formel und ihrer Parameter ab, die wiederum maßgeblich durch das Benchmarking beeinflusst wird. Je mehr die Unternehmen profitieren können, desto stärker werden sie sich um Effizienzsteigerungen bemühen. Gleichzeitig nimmt aber der Vorteil der Nutzer ab. Ausreichende Investitionen können bei beiden Methoden durch eine entsprechende Ausgestaltung (der Parameter) der Regulierungsformel sichergestellt werden. Die mit der Regulierung verbundenen Kosten hängen vom Informationsbedarf und von der Periodendauer ab. Beim verhandelten Netzzugang fallen lediglich Transaktionskosten durch Vertragsanbahnung und -abschluss an. Der Staat behält durch das geltende Recht die Möglichkeit zur ex post-Kontrolle. Für die Auswirkungen der Verhandlungslösung sind der gesetzliche Rahmen und die Vertragsinhalte maßgeblich.
3 Bottleneck-Regulierung am Beispiel des deutschen Elektrizitätsmarktes
3.1 Erste Phase: verhandelter Netzzugang
3.1.1 Rechtliche Vorgaben: die erste EnWG - Novelle
Mit der europäischen Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt 96/92/EG von 199767 setzt sich die Auffassung, dass die vertikal integrierten Gebietsmonopole wettbewerbspolitisch nicht mehr zu rechtfertigen sind, durch68. Diese so genannte Binnenmarktrichtlinie ist der Anstoß zur Erneuerung des ursprünglich von 1935 stammenden EnWG. In der ersten EnWG - Novelle vom 24.04.1998 wird das in Abbildung 5 dargestellte energiepolitische Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit formuliert69.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Energiepolitisches Zieldreieck. Quelle: VDEW (2006a), S. 11.
Durch die EnWG - Novelle ergibt sich ein neuer Ordnungsrahmen mit folgenden Kernpunkten70: die Gebietsmonopole werden aufgehoben und der Markt vollständig geöffnet. Für die Bereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung und alle weiteren Aktivitäten71 muss getrennte Rechnungslegung (Accounting Unbundling) erfolgen. Für die VU besteht Anschlusspflicht und Versorgung zu einheitlichen Tarifen im Versorgungsgebiet72.
[...]
1 Vgl. Bild (13.09.2007).
2 Vgl. Die Zeit (20.06.2006).
3 Vgl. FAZ-Online (10.01.2007).
4 Vgl. für diesen Abschnitt Borrmann, Finsinger (1998), S. 240, Hensing, Pfaffenberger, Ströbele (1998), S. 111 - 128, Brunekreeft, Keller (2000), S. 22 und EnBw (2007).
5 Vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 275 - 277 und S. 342, Brunekreeft, Keller (2003a), S. 146 - 149 und Twelemann (2006), S. 27.
6 Vgl. Brunekreeft, Keller (2003a), S.132- 140 und Wild (2001), S. 15f.
7 Vgl. Brunekreeft, Keller (2003a), S. 144.
8 Vgl. Richtlinie 2003/54/EG, Artikel 23.
9 Vgl. Posner (1999), S. 1. Sharkey (1982), S. 12 - 28 liefert einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der Theorie des natürlichen Monopols.
10 Joskow (2005), S.8.
11 Vgl. Bräutigam (1989), S. 1292.
12 Vgl. Baumol, Panzar, Willig (1982), S. 15 - 46. Das Konzept der Subadditivität wird ausführlich dargestellt auf S.169- 191.
13 Vgl. Sharkey (1982), S. 57.
14 Vgl. Baumol, Panzar, Willig (1982), S. 17, 152, 170ff: Subadditivität kann auch nur in Teilbereichen von Kostenfunktionen auftreten. Entscheidend für die (lokale) Subadditivität an einer Stelle q* ist aber die Subadditivität im für die gesamte Nachfrage q = D(p) relevanten Outputbereich. Daher müssen globale Informationen über C(q*) für alle q*<q vorliegen.
15 Vgl. Bräutigam (1989), S. 1294. Durch die Entnahmemöglichkeit von Strom auf den verschiedenen Netzebenen werden verschiedene Produkte bereitgestellt.
16 Vgl. Berg, Tschirhart (1988), S. 35.
17 Für eine Beschreibung der verschiedenen Kostenkonzepte vgl. Baumol (1977), S. 809 - 822.
18 In der Elektrizitätsversorgung liegen sowohl Größen- als auch Verbundvorteile vor, vgl. Gro- witsch, Jamasb, Pollitt (2005), S. 29.
19 Zum Problem der Durchschnittskostenbildung schreibt Baumol (1982), S. 47: ,,we cannot construct a measure of the magnitude of multiproduct output without committing the sin of adding apples and oranges“.
20 Vgl. Brunekreeft, Keller (2003a), S. 136.
21 Vgl. Knieps (2005), S. 32 - 36.
22 Das Eigenwirtschaftlichkeitsprinzip wird gegenüber der Defizitabdeckung durch den Staat bevorzugt, vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 140 - 148.
23 Vgl. Tirole (2002), S. 67f.
24 Ramsey-Preise werfen aber Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit auf, vgl. Berg, Tschirhart (1988), S. 101.
25 Vgl. Fritsch, Wein, Ewers (2005), S. 234f.
26 Wie beschrieben ist Strom ein homogenes und kaum substituierbares Produkt.
27 Vgl. Tirole (2002), S. 67 und S. 75 - 78. Zum den Themen X-Ineffizienz und Rent-Seeking vgl. Leibenstein (1966), S. 392 - 415 und Buchanan, Tollison, Tullock (1980).
28 Vgl. Knieps (2005), S.21- 32.
29 Vgl. DIW (2006), S. 7f, sowie Schmidt (2005), S. 1-27 für einen Überblick über die verschiedenen Leitbilder.
30 Vgl. DIW (2006), S. 22 und S.31.
31 Vgl. Fritsch, Wein, Ewers (2005), S. 208.
32 Diese sind insbesondere relevant, wenn eine Subvention defizitärer Leistungen in anderen Bereichen erfolgt. Dann könnte ein Einproduktunternehmen die angebotene Leistung günstiger bereitstellen als das etablierte Mehrproduktunternehmen, vgl. Schmidt (2005), S. 37.
33 Der deutsche Elektrizitätsmarkt ist vollständig vertikal integriert, vgl. Brunekreeft, Keller (2001), S. 4.
34 Vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 101 und S. 123.
35 Vgl. Wild(2001), S. 39.
36 Vgl. Bräutigam (1989), S. 1327 - 1336. Derartige Tarifstrukturen werden in der Energiewirtschaft angewendet. Arbitragegeschäfte zwischen den Konsumenten sind praktisch nicht durchführbar, vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 217f.
37 Vgl. Wild(2001), S. 39.
38 Den Nachweis der Unmöglichkeit einer vollkommenen kostenlosen Korrektur führen Averch, Johnson (1962), S. 1052 - 1069. Die Arbeit liefert den Beweis dafür, dass eine kostenlose vollständige Korrektur eines Marktversagens im Gegensatz zur Public Interest-Theorie unmöglich ist, vgl. auch Knieps (2005), S. 81. Diskussion des Modells sowie empirischen Ergebnisse und Erweiterungen in Borrmann, Finsinger (1999), S. 353 - 355.
39 Vgl. Laffont, Tirole (1999), S.1-6 und S. 538.
40 Vgl. Joskow (2005), S. 56.
41 Vgl. Sharkey (1982), S. 147.
42 Vgl. Hunt, Shuttleworth (1996), S. 75 und Joskow, Schmalensee (1983), S. 47.
43 Vgl. Knieps (2005), S. 95f.
44 Eine wesentliche Einrichtung liegt vor, wenn der Marktzutritt zu den komplementären Märkten ohne Zugang zu dieser Einrichtung effektiv nicht möglich ist und ein Anbieter auf einem komplementären Markt diese nicht mit angemessenem Aufwand duplizieren kann und kein Substitut zur Verfügung steht, vgl. Knieps (2005), S. 103 - 105.
45 Vgl. Brunekreeft, Keller (2001), S.9- 11.
46 Vgl. Fritsch, Wein, Ewers (2005), S. 224. Zum Predatory Pricing vgl. auch Knieps (2005), S. 171 - 177.
47 Vgl. Brunekreeft, Keller (2001), S.9-11, Engel (2002) S. 5fund Knieps (2005), S. 102.
48 Vgl. Schmidtchen, Bier (2006), S. 3fund Engel (2002), S.3-5.
49 Vgl. Schiffer (2005), S. 198 - 200 und EnWG 82005), §§6- 10.
50 Vgl. Haucap, Heimeshoff (2005), S. 13f.
51 Vgl. Bier (1999), S. 18-20.
52 Vgl. Engel (2002), S.3-5,16 und S. 76 und Brunekreeft (2004), S.301.
53 Vgl. Knieps (2005), S. 83 und S. 107. Kostenregulierung ist nach dem EnWG (2005), §21 eine zulässige Regulierungsmethode.
54 Die Bewertung zu Anschaffungskosten ist die geläufigste Methode. Für weitere Ausführungen zu den verschiedenen Wertansätzen vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 343f.
55 Vgl. Borrmann, Finsinger (1999), S. 354f, Knieps (2005), S. 86 - 90, Sehaefer, Sehönefuß (2006), S. 173 und Berg, Tsehirhart (1988), S. 299 - 307.
56 Vgl. Sehäfer, Sehönefuß (2006), S. 174.
57 Vgl. Franz, Schäffner, Trage (2005), S. 90 - 98. Beim Ratchet Effekt ist nicht ein explizites Element der Formel (siehe unten), und wurde daher nicht als Stellschraube aufgefasst.
58 Vgl. Schäfer, Schönefuß (2006), S. 174.
59 Vgl. Sappington (2002), S. 227 - 236 und S. 248f.
60 Vgl. Armstrong, Cowan, Vickers (1994), S. 78f.
61 Zum Ratchet Effekt vgl. ausführlich Laffont, Tirole (1999), S. 376 - 436.
62 Vgl. Schaefer, Schönefuß (2006), S. 175.
63 Vgl. Schaefer, Schönefuß (2006), S. 177 - 182.
64 Vgl. Schaefer, Schönefuß (2006), S. 174 - 177 und Franz, Schäffner, Trage (2005), S. 93 - 98.
65 Vgl. für den diesen Abschnitt Weber, Schober (2006), S. 8 - 11 und Weber, Schober (2007), S. 3-6. Beide Quellen enthalten weiterführende Literaturhinweise.
66 Vgl. Knieps (2005), S. 105.
67 Vgl. Richtlinie 96/92/EG (1997).
68 Vgl. Monopolkommission (2004), S. 68.
69 Vgl. EnWG (1998), § 1.
70 Vgl. Schiffer (2005), S. 191.
71 Vgl. EnWG (1998), § 9 (2). Eine strikte vertikale Separierung war aus eigentumsrechtlichen Gründen nicht möglich, sodass der hohe Grad vertikaler Integration erhalten blieb, vgl. Brune- kreeft, Keller (2003a), S. 149.
72 Vgl. EnWG (1998), § 10 (1).
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