Integration gilt, obgleich in einigen Veröffentlichungen polemisch akzentuiert noch immer als hoher Wert und angestrebtes Ziel in den Arbeitsfeldern der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Der folgende Artikel rekonstruiert Strukturen einer Integrationsdebatte am praktischen Beispiel des geplanten Umzuges einer Einrichtung der Gefährdetenhilfe. Dabei wird das Ringen um Entwicklungschancen, diffuse Erwartungsängste, xenophobe Ausgrenzungstendenzen, mithin die Tiefenstruktur zwischen Etablierten Anwohnern und den Integrationsaspiranten im Kontext professioneller Hilfen deutlich. Die Befunde stärken Ansätze der Kompetenzvermittlung, der Alltagsorientierung und wenden sich gegen eine oberflächliche, an scheinbaren Erfolgen orientierte Dienstleistungsmentalität in der Sozialen Arbeit.
Die Ausgrenzung wohnungsloser Menschen im Kontext der Integrationsdebatte
Abstract
Integration gilt, obgleich in einigen Veröffentlichungen polemisch akzentuiert gesellschaftlich als hoher Wert und angestrebtes Ziel in den Arbeitsfeldern der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Der folgende Artikel rekonstruiert die Strukturen der Integration und Ausgrenzung am praktischen Beispiel der Umzugsplanungen einer Einrichtung der Wohnungslosen- und Gefährdetenhilfe. Integration erweist sich im Ringen um künftige Entwicklungschancen, um diffuse Erwartungsängste, xeno- phoben Tendenzen in der Auseinandersetzung zwischen Etablierten und den Integrationsaspiranten als Mythos, der eher dazu beiträgt Exklusion fortzuschreiben. Die Befunde stärken die sozialpädagogischen Ansätze der Kompetenzvermittlung und der Alltagsorientierung. Sie wenden sich gegen eine oberflächliche, an scheinbaren Erfolgen orientierte Dienstleistungsmentalität in der Sozialen Arbeit.
Einleitung
Der Begriff „Integration“ stammt aus dem Lateinischen und meint die Wiederherstellung eines Ganzen. Im aktuellen Sprachgebrauch zielt Integration auf die Überwindung von Benachteiligungen durch die Angleichung an allgemein akzeptierte Wertstrukturen oder Verhaltensmuster. Im Vordergrund können ethnische, behinderungsbedingte oder andere Benachteiligungen von Individuen und Gruppen stehen, die sie für öffentliche Integrationsdebatten und professionelle Interventionen qualifizieren. Der Integrationsgrad verdeutlicht demnach einen Konsens über die Stabilität der gesellschaftlich etablierten Verhaltens und Orientierungsmuster. Durch den Rückgriff auf anerkannte Werte wird gleichermaßen eine vertikale Definition abweichenden Verhaltens und die darauf gerichteten sozialen Kontrollmechanismen gegeben. Dies lässt sich anschaulich an den Debatten um die Integration von Migranten verfolgen.[1]
Das gesellschaftliche Mandat zur Bearbeitung von sozialen Problemlagen obliegt der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik. Eine gelungene „Integration“ stellt demnach ein bedeutendes Erfolgskriterium in der Sozialen Arbeit dar. Keine Hilfeplanung kommt ohne Integrationsziele aus. Diese Ziele werden dabei durchaus generalistisch angelegt und können auf den Arbeitsmarkt, das soziale Umfeld oder noch weiter gefasst, die Gesellschaft zielen.
In der Analyse der Integrationsdebatte wird eine systemische Perspektive angelegt. Dabei werden der zeitliche Ablauf, die Kontextbedingungen, Interaktionsstrukturen und die daraus folgenden Konsequenzen der Handlungen der involvierten Akteure einbezogen:
- Welche Ressourcen fördern die Integration wohnungsloser Menschen?
- Wie lange muss sich der Integrationsaspirant zum Zweck der Erfolgsbeurteilung öffentlicher Beobachtung aussetzen?
- Wie ist es um die Partizipation und die Möglichkeiten der gemeinsamen Gestaltung des Integrationsprozesses bestellt?
- Wer beurteilt letztlich den Erfolg integrativer Bemühungen oder ruft zum pragmatischen Abbruch auf?
Diese Fragen werden am praktischen Beispiel des Umzuges einer Einrichtung der Wohnungslosen- hilfe rekonstruiert. Der Ablauf des Geschehens ist aus Datenschutzgründen anonymisiert dargestellt.
Das Haus [communico][2]zieht um Darstellung der Einrichtung und des pädagogischen Konzeptes
Bei dem in Rede stehenden Haus handelt es sich um eine Einrichtung der Gefährdetenhilfe in Trägerschaft eines kirchlichen Sozialverbandes. Den Zugang zur Einrichtung regelt ein Verfahren, welches die aktuelle Lebenssituation, biografische Bedingungen, Unterstützungsbedürfnisse, Ziele, Kompetenzen und Ressourcen des Bewerbers aufgreift und für die befristete Zeit der Zusammenarbeit in einem Hilfeplan rekombiniert. Dabei werden die individuell besondere Situation, als auch gesellschaftlich gegebene Rahmenbedingungen berücksichtigt. In diesem Haus leben Menschen, die als überschuldet gelten, denen schul- oder berufsqualifizierende Abschlüsse fehlen, die auf dem Arbeitsmarkt nie richtig Fuß fassten, die Alkohol oder auch andere Substanzen konsumieren, nicht über einen vertraglich gesicherten Wohnraum verfügen, die aus gewaltgeprägten oder anderen nachteiligen Lebensumständen um Aufnahme nachsuchten oder lange Zeit in Einrichtungen, wie dem Strafvollzug oder der stationären Psychiatrie lebten. Als hilfeauslösend gilt der Mangel an Möglichkeiten zur Selbsthilfe und fehlende Kompetenzen der hilfesuchenden Person, ihre nachteiligen Lebensumstände selbst zu verändern. Sozialrechtlich sind die Leistungen in den §§ 67-69 des SGB XII normiert. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der Hilfeberechtigten lässt folglich Besonderheiten deutlich werden, die sie aus gesellschaftlich anerkannten Mustern der Lebensführung ausgrenzen. Als erklärungsbedürftig lässt sich in dieser Hinsicht der fehlende Schulabschluss und mehrere Haftaufenthalte eines 27 Jährigen darstellen.
Im pädagogischen Konzept der Einrichtung werden diese Besonderheiten durch Normalisierungsstrategien im Alltag bearbeitet. Das bedeutet: Die Mitarbeiterinnen betrachten nicht den Schuldner oder den Wohnungslosen, sondern den Menschen, der momentan Schulden oder keine Wohnung hat. Sie verzeitlichen folglich das ausgrenzende Phänomen und initiieren im Alltag der Einrichtung konsequent auf Autonomie gerichtete Lernprozesse. Sie verfolgen die These, dass Mitarbeiter und Bewohner gemeinsam dieses Haus betreiben, je eigene Aufgabenbereiche ausfüllen und in der Zusammenarbeit gestalten! Der zentrale Ort der Aufgabenverteilung und des Austauschs sind die gemeinsamen Mahlzeiten, an denen alle im Haus befindlichen Bewohner, sowie das gesamte Personal teilnehmen können. Neben vielerlei Alltagsgesprächen, Scherzen, Zeitungslektüre kommen Tagesaufgaben in den unterschiedlichen Funktionsbereichen des Hauses zur Sprache, für deren Erledigung die Bewohner Verantwortung übernehmen und sich der Haustechnik, der Hauswirtschaft, dem Conciergebereich oder auch dem pädagogischen Dienst, sofern zu klärende Sachverhalte anstehen zuordnen. Das Haus fügt sich architektonisch nicht zu unterscheiden in einen Gründerzeitstraßenzug im Stadtteil ein.
Selbstverständlich geben die etwa 30 Bewohner ihre problematischen Verhaltensweisen nicht bei Einzug an der Türschwelle ab. Sie bewerben sich jedoch in der Regel um einen Platz und werden vor einer Aufnahmezusage mit der Situation konfrontiert, ihren Lebenslauf kurz darzustellen, Ziele zu formulieren, einmal träumen zu dürfen: Wie 'werde ich in ein-zwei-fünf Jahren leben? Wie komme ich dahin? Was brauche ich 'von 'wem, um meine Ziele zu erreichen? Das Einrichtungskonzept setzt vollständig auf die Freiwilligkeit der Entscheidung, miteinander arbeiten zu wollen. Das heißt im Umkehrschluss: Auch eine Entscheidung zur Auflösung der Vereinbarung miteinander zu arbeiten ist anjeder Stelle des Prozesses denkbar.
Für interne und externe Konflikte wurden unter Beteiligung der Bewohner Verfahren erarbeitet, die beschlussfähig allgemeinverbindliche Regeln setzen und dabei Transparenz und demokratische Bedingungen der Partizipation fördern. Dazu gehören unter anderem die Haus- oder Etagenversammlungen, in denen die Beteiligten nach Lösungen für Probleme des Miteinanders suchen.[3]Zur Aufrechterhaltung der Professionalität finden regelmäßig Supervisionen, Dienstberatungen, verpflichtende Weiterbildungen und Personalgespräche statt. Alles in allem ist diese Einrichtung ein Ort in dem gelebt wird, mit den Konflikten und Schwierigkeiten zwischen jung (ab 18 Jahren) und alt (über 70 Jahre), aber auch mit allen Entwicklungspotentialen, diejeder Aushandlungsprozess für ein gelingendes Leben in der Gemeinschaft birgt. Zahlreiche Rückmeldungen von Klienten bestätigen dies.
In einem Arbeitsbereich dieser Einrichtung leben wohnungslose Menschen, bei denen neben den sozialen Schwierigkeiten auch gesundheitliche Probleme oder Behinderungen auftreten. In diesem „Betreuten Wohnen“ geht es verstärkt um die Beheimatung und die Einbindung in ein soziales und im Alltag stabilisierendes Umfeld. Mit den Bewohnern wird eine, die inhaltliche Zusammenarbeit betreffende Betreuungsvereinbarung geschlossen,. Die Vereinbarung ist zunächst auf ein Jahr befristet, kann Wunsch des Bewohners aber verlängert werden. Dies reflektiert den systemischen Grundgedanken, dass die „hilfebedürftige“ Wirklichkeit als veränderlicher Prozess zukünftig auch autonomer, selbstbestimmter oder eigenverantwortlicher möglich sein kann! Die Integrationsziele bestehen in der Aufrechterhaltung eines hohen Maßes an Autonomie. Jedem Klienten steht ein Stundenbudget zur Verfügung, aus dem er flexibel Leistungen aus sämtlichen Arbeitsbereichen des Hauses abrufen kann. Dieses Modell wurde seit 2008 in mehrfach evaluiert und stellt insofern einen Erfolg dar, dass
- dem Klienten mietvertraglich gesicherter Wohnraum zur Verfügung steht,
- die Individualität und Autonomie des Klienten durch seine weitgehende Eigenverantwortung für seinen Wohnraum und die abgerufenen Leistungen gesichert bleibt,
- durch kurze Wege (das Personal befindet sich im Haus) die Niedrigschwelligkeit gewährleistet und meist unmittelbar persönliche Unterstützung geleistet werden kann,
- dem sozial und körperlich beeinträchtigten Klienten der Anpassungsdruck einer stationären Einrichtung der Altenhilfe und
- dem Kostenträger eine vergleichsweise teure Unterbringung in einem Altenheim solange als möglich erspart bleiben.
Für diesen Arbeitsbereich meldeten Kostenträger im Jahr 2009 den Bedarf einer Kapazitätserweiterung an. Ein vollständig barrierefreier Umbau und in diesem Zuge die Räumung des Gebäudes er- Zusammenarbeit auf eine unbefristete Zeit und die hierarchische Problembearbeitung durch das Personal ausgelegt spräche dies eher für ein Chronifizierungsmuster in einem Zirkelschluss: Solange Bewohner „X“ bei uns war trat dieses Phänomen nicht auf! Ergo: Bewohner „X“ scheint ohne die Hilfe der Mitarbeiter nicht regelkonform leben zu können. Er muss folglich langfristig betreut werden.
[...]
[1] Integration ist beispielsweise eine oft verwendete Vokabel, wenn die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Mi- grantlnnen diskutiert werden. Vgl.: Esser, H. (2006) Im Bereich der Behinderter folgen unter dem Stichwort der Integration beispielsweise die Arbeitsassistenz, Integrationsassistenz, unterstützte Beschäftigung und viele weitere. Vgl. aus einem Praxisbeispiel in Brandenburg: Giga. Christine; Hühner, Frank: Integrationsassistenz. Ein erfolgreiches Modell in Brandenburg. In: impulse Nr. 40, April 2006, Seite 27-31 Die wertorientierte Debatte um Integration wurde öffentlich besonders kritisch nach dem Werk von: Sarrazin, T. (2010) diskutiert; Vgl.: Hillmann, K.-H. (1994), S.: 377-378
[2] In [] gesetzte Auslassungen oder Hinzufügungen wurden vom Autor aus Anonymisierungsgründen oder zur besseren Lesbarkeit des Textes eingebracht
[3] Auch dies zielt auf die Autonomie und einen Zuwachs an Kompetenzen der Klientel. Wird im Gegenzug die
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