Im Jahre 314 v. Chr., dem ersten Jahr des 3. Diadochenkrieges, hielt Antigonos Monophtalmos, zu dieser Zeit mächtigster unter den Nachfolgern Alexander des Großen, vor seinem Heer eine bedeutende Rede, die er mit kalkuliertem Einfluss weit in der hellenistischen Welt verbreiten ließ. In dieser als „Proklamation von Tyros“ bekannten Rede verspricht er unter anderem allen griechischen Poleis Freiheit und Autonomie, ein Versprechen, dass für den Umgang hellenistischer Herrscher mit der griechischen Poliswelt unentbehrlich werden sollte. Außerdem beansprucht er die Übernahme der Regentschaft des Alexanderreiches, ein Anspruch, dessen Legitimation durchaus vieldeutig war.
Nach einer historischen Einordnung dieses Ereignisses möchte ich auf den Inhalt der Proklamation eingehen, anschließend ihre Wirkungen auf sowohl Makedonen als auch Griechen untersuchen und schließlich auf dieser Grundlage analysieren, wie Antigonos seine Legitimation als Vertreter des Königshauses und Regent zu begründen versucht. Des Weiteren soll die Frage interessieren, ob Antigonos mit seiner Forderung von Freiheit und Autonomie für die griechischen Poleis eine neue Form eines politischen Motivs entwickelte und ob dieses von seinen Konkurrenten und Nachfolgern aufgenommen wurde.
Inhalt
Einleitung
1. Antigonos Monophtalmos und die Lage im Jahr 314
2. Proklamation von Tyros
2.1 Inhalt
2.2 Wirkung
2.3 Beanspruchung der Regentschaft des Reiches
3. Proklamation von Freiheit und Autonomie – Genese eines Motivs der hellenistischen Politik?
3.1 Entstehungen des Motivs der Garantie von Eleuteria und Autonomia durch externe Herrscher
3.2 Perpetuierung des Motivs in der hellenistischen Geschichte
Fazit und Ausblick
Anhang:
Literatur
Einleitung
Im Jahre 314 v. Chr., dem ersten Jahr des 3. Diadochenkrieges, hielt Antigonos Monophtalmos, zu dieser Zeit mächtigster unter den Nachfolgern Alexander des Großen, vor seinem Heer eine bedeutende Rede, die er mit kalkuliertem Einfluss weit in der hellenistischen Welt verbreiten ließ. In dieser als „Proklamation von Tyros“ bekannten Rede verspricht er unter anderem allen griechischen Poleis Freiheit und Autonomie, ein Versprechen, dass für den Umgang hellenistischer Herrscher mit der griechischen Poliswelt unentbehrlich werden sollte. Außerdem beansprucht er die Übernahme der Regentschaft des Alexanderreiches, ein Anspruch, dessen Legitimation durchaus vieldeutig war.
Nach einer historischen Einordnung dieses Ereignisses möchte ich auf den Inhalt der Proklamation eingehen, anschließend ihre Wirkungen auf sowohl Makedonen als auch Griechen untersuchen und schließlich auf dieser Grundlage analysieren, wie Antigonos seine Legitimation als Vertreter des Königshauses und Regent zu begründen versucht. Des Weiteren soll die Frage interessieren, ob Antigonos mit seiner Forderung von Freiheit und Autonomie für die griechischen Poleis eine neue Form eines politischen Motivs entwickelte und ob dieses von seinen Konkurrenten und Nachfolgern aufgenommen wurde.
Als wichtigste Quelle dient dabei Diodor, der in seiner „Weltgeschichte“ der Proklamation Raum gibt (Diod. XIX 61, 1-5). Da er sich in seiner Darstellung der Diadochenzeit vor allem auf Hieronymos von Kardia stützt, der zur fraglichen Zeit im Dienste des Antigonos stand und eine sehr gute Quelle abgibt, sind auch Diodors Berichte hier sehr verlässlich. In der Bearbeitung dieser Themen verwende ich die sog. „niedrige“ Chronologie, außerdem verwende ich die griechischen Namen, also z.B. Kassandros statt Kassander. Ausnahmen bilden Alexander der Große und Philipp II., um diese von ihren Namensvettern wie z.B. Alexanders Sohn, Alexandros IV., oder Polyperchons Sohn Alexandros abzugrenzen.
1. Antigonos Monophtalmos und die Lage im Jahr 314
Antigonos (I.) Monophtalmos war derjenige unter den Diadochen, der dem Erbe Alexanders über die Reichsherrschaft am nächsten kam, mit der eventuellen Ausnahme von Seleukos in späterer Zeit.[1] Auf jeden Fall kann und muss man Antigonos als dominante Figur der antiken Geschichte der Jahre 323 – 301 sehen, wo er ereignisgeschichtlich in den ersten vier Diadochenkriegen entscheidende Rollen spielte. In der Periode der Jahre zwischen 314 und 311, die den historischen Hintergrund der Proklamation von Tyros bilden, befand sich Antigonos auf dem Höhepunkt seiner Macht. Mit Ausnahme von Ägypten und einigen Teilen Palästinas (sowie einigen verlorenen Satrapien im fernen Osten) regierte Antigonos den gesamten asiatischen Teil des Alexanderreiches. Er sah sich selbst als rechtmäßigen, durch Antipatros in Triparadeisos ernannten Strategen von Asien, auch nachdem ihm im Jahre 318 im Vorfeld des 2. Diadochenkrieges von Polyperchon dieses Amt entzogen worden war.
Militärisch und finanziell befand sich Antigonos in einer exzellenten Position: Durch den langen Kriegszug gegen Eumenes und die Eroberug der Schätze der oberen Satrapien war Antigonos in der Lage, große Geldmengen für Kriegszüge gegen seine Konkurrenten aufzuwenden.[2]
Als Reaktion auf diesen enormen Machtzuwachs sah er sich, aufgrund der Agitationen des aus Babylon vertriebenen Seleukos, allerdings einer Koalition aller anderen verbliebenen Diadochenherrscher gegenüber: Lysimachos in Thrakien, der allerdings erst wenig Kontrolle über sein Land und deshalb kaum eingreifen konnte, Ptolemaios, der Seleukos Zuflucht geboten hatte und in Ägypten eine starke Defensivposition und große Flottenmacht besaß, sowie – als vielleicht größte Bedrohung – Kassandros in Makedonien. Dieser hatte seine Machtposition nach dem Sieg über Polyperchon[3] durch städtebauerische Tätigkeit[4] und die Heirat mit Thessalonike, der Tochter Philipps II., welche ihn mit dem Argeadenhaus verband, ausgebaut.
Die enorme Bedrohung, der sich die anderen Herrscher durch Antigonos Reichtum und Erfolg gegenübersahen, führten zu dem Ultimatum von 315/314. Dort wurden Antigonos von seinen Konkurrenten finanzielle und territoriale Forderungen gestellt, bei denen vorauszusehen war, dass sie einen Krieg provozieren mussten.[5]
Antigonos lehnte diese Forderungen denn auch ab und so begann der dritte Diadochenkrieg, dessen erste bemerkenswerte Aktion die Proklamation von Tyros darstellte.
2. Proklamation von Tyros
2.1 Inhalt
Bei Diodor (Diod XIX 61, 1-5) wird der Kontext der Proklamation detailliert beschrieben. Grundlage für die Rede sind die Verhandlungen, die Antigonos´ Gefolgsmann und Freund Aristodemos von Milet auf der Peloponnes mit dem von Kassandros (und Antigonos) abgesetzten Regenten Polyperchon führte, der sich selbst immer noch als Regent gesehen haben dürfte. Dieser schickte nach einer Übereinkunft mit Aristodemos, der ihm unter anderem den Titel „General der Peloponnes“ zutrug, seinen Sohn Alexandros zu Antigonos, um ein Bündnis zu besiegeln. Nach den Verhandlungen mit Alexandros begab sich Antigonos vor das Heer und hielt eine Ansprache.
Er beginnt zunächst mir starken Anschuldigungen gegen Kassandros. So wirft er diesem aus mehreren Gründen Verrat an der Politik Alexanders und an den Argeaden vor. Er führt die Ermordung von Alexanders Mutter Olympias, die Gefangennahme von Rhoxane und dem jungen König Alexandros IV. an. Außerdem wirft er Kassandros vor, dass seine Städtebaupolitik der von Alexander und Philipp entgegensteht, da er das von Alexander zerstörte Theben wiederaufbauen und die Bürger des von Philipp zerstörten Olynth in einer neuen Stadt Kassandreia ansiedelte. Diese Gründung sei zusammen mit der Heirat mit Thessalonike, die laut Antigonos zur Heirat gezwungen worden war, ein Versuch oder zumindest die Vorbereitung einer Thronursuption. Deshalb erklärt Antigonos Kassandros im Namen der Könige, als deren Vertreter in Asien den Krieg und erhebt selbst Anspruch auf die Reichsverregentschaft, wohl in Übereinstimmung mit Polyperchon.[6]
[...]
[1] Zur herausragenden Bedeutung von Antigonos I. für die Diadochenzeit siehe z.B.: Alfred Heuss, Antigonos Monophtalmos und die Griechischen Städte, in: Hermes Vol. 73 no. 2 (1938), 133-134 [im Folgenden zitiert als Heuss, Hermes 73].
[2] Richard A. Billows, Antigonos the One-Eyed and Creation of Hellenistic State, Berkeley 1990, 106-107 [im Folgenden zitiert als Billows, Antigonos].
[3] Polyperchon war zwar noch am Leben, zu diesem Zeitpunkt aber marginalisiert auf Gebiete in der Peloponnes und Ätolien, wo er, zusammen von seinem Sohn Alexandros, nur geringen Einfluss besaß
[4] So die Wiedererrichtung von Theben – was ihm in Griechenland viel Prestige einbrachte – und den Bau des nach ihm selbst benannten Kassandreia auf dem Gebiet des ehemaligen Potideia (mit Bewohnern der von Philip II. zerstörten Stadt Olynth)
[5] So z.B: Rudolf Engel, Untersuchungen zum Machtaufstieg des Antigonos I. Monophtalmos, Kallmünz 1978, 55-57; [im Folgenden zitiert als: Engel, Untersuchungen zum Machtaufstieg des Antigonos]; Billows, Antigonos, 109-110.
[6] So Heuss, Hermes 73, 149-150; dem entgegen: R.H. Simpson, Antigonus the One-Eyed and the Greeks, in: Historia 6 (1957) 371-373, dessen Behauptung, dass Polyperchon sich nicht mehr als Regent gesehen habe, aber jeder Grundlage entbehrt.
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