Im Jahr 2004 erprobten wir erstmalig ein neues Modell interkultureller ethnologischer Lehrforschung: Sechzehn Studierende des Instituts für Völkerkunde der Universität Freiburg führten sechs Wochen lang ethnologische Feldforschung in Indonesien durch, und zwar jeweils im Tandem gemeinsam mit Kommilitonen und Kommilitoninnen des ethnologischen Instituts (jurusan antropologi) der Gadjah Mada Universität, Yogyakarta. Indonesische und deutsche Studierende lernten in der konkreten, täglichen Zusammenarbeit, die bestehenden Differenzen zu überwinden und produktiv umzusetzen, um Synergieeffekte zu erzielen. Diese kamen ihren Forschungsergebnissen ebenso zu Gute wie ihren interkulturellen Kompetenzen und persönlichen Verbindungen. Dank der Unterstützung durch die Stiftung Mercator konnten wir dann im folgenden Jahr die indonesischen Ethnologie-Studierenden nach Deutschland einladen, um - wiederum gemeinsam mit deutschen Tandempartnern - Aspekte deutscher Kultur zu erforschen. Damit ist ein Schritt zu einer auf Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung beruhenden Forschung getan, und zugleich wurden durch den „doppelten Blick“ die inhaltlichen Ergebnisse wesentlich erweitert.
Die Arbeit von Dominique Buchmann ist aus diesem Projekt hervor gegangen.
Sie verbindet in gekonnter Weise zweierlei Ziele: Zum einen behandelt sie die Frage, welche Rolle eine angewandte Ethnologie hinsichtlich nachhaltiger Tourismusentwicklung zu leisten imstande ist, zum anderen untersucht sie ein konkretes ethnographisches Beispiel. Die empirische Fallstudie weist einen interessanten und innovativen Fokus auf, indem sie in erster Linie auf den Binnentourismus gerichtet ist, das heißt auf indonesische Touristen in der Umgebung des Vulkans Merapi. Damit unterscheidet sie sich von der Mehrzahl der bisherigen Untersuchungen, welche sich entweder auf internationale Touristen beziehen oder auf die Bedeutungen des Tourismus für Lokalbevölkerungen. „Einheimische“ in den Ländern des Südens als Touristen und gar deren (mangelnde) Kommunikation mit internationalen Besuchern ist ein neues und – nicht zuletzt aufgrund der beträchtlichen Zunahme des Binnentourismus - überaus wichtiges Untersuchungsfeld. Dazu kommt im gewählten Fallbeispiel noch eine weitere, wesentliche Komponente, nämlich die Frage nach der Beziehung zwischen Tourismus und Umwelt(politik).
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
Teil 1: Begegnungen: Tourismus und Ethnologie
2. Tourismus: Entstehung, Entwicklung, nationale und internationale Touristen, Tourismuskritik
2.1. Entstehungsgeschichte und Entwicklung
2.2. Internationale Touristen
2.3. Die „vergessenen“ Touristen - Nationale Binnentouristen in den Ländern des Südens
2.4. Tourismuskritik
3. Begriffsbestimmungen und „Begriffsverwirrungen“
3.1. Sanfter Tourismus und verwandte Konzepte
3.2. Ecoiourism
3.3. Naturtourismus
3.4. Weitere Begriffe und Entwicklungen
4. Nachhaltiger Tourismus
4.1. Nachhaltige Entwicklung
4.2. Nachhaltigkeitskriterien im Tourismus
4.2.1. Sozioökonomische Aspekte
4.2.2. Ökologische Aspekte
4.2.2.1. Nationalparks
4.2.2.2. Umweltbildung
4.2.3. Soziokulturelle Aspekte
4.2.З.1. Community Based Tourism
5. Beiträge der Ethnologie
5.1. Ethnologische Tourismusforschung
5.1.1. Auswirkungen auf die Zielregionen
5.1.2. Auf den Spuren der Touristen
5.1.3. Begegnung und Interaktion von Touristen und Einheimischen
5.2. Konkrete Berufs- und Handlungsfelder
5.2.1. Vermittler, Berater und Forscher in der Zielregion
5.2.2. Aufklärung, Bildung und Sensibilisierung für Touristen
5.2.3. Culture Brokers
5.3. Defizite und Probleme der Ethnologie
Teil 2: Naturtourismus am Vulkan Merapi
6. Reflexion des Feldforschungsprozesses
7. Naturtourismus in der Gemeinde Kaliurang
7.1. Varianten von Refreshing - Nationale Naturtouristen
7.2. Andere Touristengruppen
7.2.1. Lernen und Gemeinschaft - Nationale Wochenendtouristen
7.2.2. Zweisamkeit - Zimmer für Liebespaare
7.2.3. Wanderlust - Internationale Touristen
7.3. Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung
8. Natur und Kultur - Dorftourismus in Sambi
9. Merapi: Stellungnahmen zum Projekt Nationalpark
9.1. Naturschutzbehörde
9.2. Nichtregierungsorganisationen
9.3. Lokale Bevölkerung
9.4. Touristen
10. Ethnologische Analyse der Nachhaltigkeit
10.1. Tourismus in Kaliurang
10.2. Dorftourismus in Sambi
10.3. Projekt Nationalpark
10.4. Tätigkeitsbereiche fur Ethnologen
11. Zusammenfassung und Ausblick
12. Bibliographie
13. Anhang
13.1. Verzeichnis der Interviews
13.1.1. Transkribierte Interviews
13.1.2. Nichttranskribierte Interviews
13.2. Sonstiges
Verzeichnis der Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verzeichnis der Fotografien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto 1: Der Vulkan Merapi. Blick von Kaliurang
Foto 2: Hauptplatz des Tlogoputri - Areals.
Foto 3: Ein Blick hinter die Kulissen der warungs im Tlogoputri - Areal. 82 Foto 4: Hinweisschild die Natur sauber zu halten.
Foto 5: Rave Party am frühen Abend.
Vorwort
Im Jahr 2004 erprobten wir erstmalig ein neues Modell interkultureller ethnologischer Lehrforschung: Sechzehn Studierende des Instituts für
Völkerkunde der Universität Freiburg führten sechs Wochen lang ethnologische Feldforschung in Indonesien durch, und zwar jeweils im Tandem gemeinsam mit Kommilitonen und Kommilitoninnen des ethnologischen Instituts (jurusan antropologi) der Gadjah Mada Universität, Yogyakarta. Indonesische und deutsche Studierende lernten in der konkreten, täglichen Zusammenarbeit, die bestehenden Differenzen zu überwinden und produktiv umzusetzen, um Synergieeffekte zu erzielen. Diese kamen ihren Forschungsergebnissen ebenso zu Gute wie ihren interkulturellen Kompetenzen und persönlichen Verbindungen. Dank der Unterstützung durch die Stiftung Mercator konnten wir dann im folgenden Jahr die indonesischen Ethnologie-Studierenden nach Deutschland einladen, um - wiederum gemeinsam mit deutschen Tandempartnern - Aspekte deutscher Kultur zu erforschen. Damit ist ein Schritt zu einer auf Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung beruhenden Forschung getan, und zugleich wurden durch den „doppelten Blick“ die inhaltlichen Ergebnisse wesentlich erweitert.
Die Arbeit von Dominique Buchmann ist aus diesem Projekt hervor gegangen. Sie verbindet in gekonnter Weise zweierlei Ziele: Zum einen behandelt sie die Frage, welche Rolle eine angewandte Ethnologie hinsichtlich nachhaltiger Tourismusentwicklung zu leisten imstande ist, zum anderen untersucht sie ein konkretes ethnographisches Beispiel. Die empirische Fallstudie weist einen interessanten und innovativen Fokus auf, indem sie in erster Linie auf den Binnentourismus gerichtet ist, das heißt auf indonesische Touristen in der Umgebung des Vulkans Merapi. Damit unterscheidet sie sich von der Mehrzahl der bisherigen Untersuchungen, welche sich entweder auf internationale Touristen beziehen oder auf die Bedeutungen des Tourismus für Lokalbevölkerungen. „Einheimische“ in den Ländern des Südens als Touristen und gar deren (mangelnde) Kommunikation mit internationalen Besuchern ist ein neues und - nicht zuletzt aufgrund der beträchtlichen Zunahme des Binnentourismus - überaus wichtiges Untersuchungsfeld. Dazu kommt im gewählten Fallbeispiel noch eine weitere, wesentliche Komponente, nämlich die Frage nach der Beziehung zwischen Tourismus und Umwelt(politik). Zum Zeitpunkt der Feldforschung war die Debatte um die Etablierung eines Nationalparks in der Umgebung des Vulkans Merapi in vollem Gange, und der Autor nutzte gemeinsam mit seinem Tandempartner Setyo Utomo die Gelegenheit, die Ansichten von Behörden, Nichtregierungsorganisationen, Lokalbevölkerung und Touristen zu erkunden.
Wir hoffen, dass durch die Publikation dieser Arbeit das Potenzial innovativer Ansätze in ethnologischer Forschung und Praxis für eine Erweiterung des Nachhaltigkeitsbegriffes in der Tourismusentwicklung deutlich wird.
Yogyakarta, März 2006
Prof. Dr. Judith Schlehe; Direktorin des Instituts für Völkerkunde der Albert- Ludwigs Universität, Freiburg
Pande Made Kutanegara; Direktor der Abteilung für Kulturanthropologie der Gadjah Mada Universität, Yogyakarta
1. Einleitung
Tourismus ist inzwischen zum weltweit bedeutendsten Wirtschaftsektor aufgestiegen. Eine rasante Zunahme des Tourismus ist in vielen Regionen der Erde zu beobachten. In jüngerer Zeit ist insbesondere der Binnentourismus in den so genannten „Schwellenländern“ stark angewachsen. Dies hat Chancen eröffnet aber auch Probleme verursacht. Es wird immer deutlicher, dass eine touristische Entwicklung in einen ganzheitlichen Ansatz integriert werden muss. Theoretische Konzepte, wie das der nachhaltigen Entwicklung, lassen sich auf den Tourismus übertragen, um negative Auswirkungen zu minimieren und positive Effekte zu fördern.
Seit einigen Jahrzehnten hat sich Tourismus auf die klassischen Forschungsregionen der Ethnologie ausgeweitet. Die tourismusbedingte Entwicklung und inter- bzw. intrakulturelle Interaktionen haben weitreichende Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung in den touristischen Zielregionen sowie auf die Touristen[1] selbst. Veränderungen im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Menschen in außereuropäischen Kulturen und inzwischen auch in der eigenen Gesellschaft sind wichtige Themen der Ethnologie. Akkulturationsprozesse und interkulturelle Begegnungen, die durch den Tourismus zwangsläufig intensiviert werden, stellen die Verbindung zwischen alten und neuen Forschungsregionen dar und sind als Themen aktueller denn je.
Obwohl die thematischen und regionalen Überschneidungen zwischen Ethnologie und Tourismus offensichtlich sind, hat sich die Ethnologie dem Tourismus erst spät und verhalten gewidmet. Inzwischen hat sich die Tourismusforschung innerhalb der Ethnologie etablieren können, aber es gibt noch zahlreiche offene Fragen und erheblichen Forschungsbedarf. Auch in der Öffentlichkeit wird die Relevanz der Ethnologie für den Tourismus - insbesondere für nachhaltigen Tourismus - noch zu wenig wahrgenommen.
Welche theoretischen und praktischen Beiträge die Ethnologie zu einer nachhaltigeren Gestaltung von Tourismus leisten kann und welche Probleme und Defizite auf ihrem Weg dorthin liegen, werden in dieser Arbeit dargestellt und analysiert. Im ersten Teil theoretisch, indem themenrelevante Literatur ausgewertet wird; im zweiten Teil werden daraus resultierende Erkenntnisse auf ein konkretes Beispiel in Indonesien bezogen. Die empirischen Daten hierzu wurden im Sommer 2004 im Rahmen einer Lehrforschung gesammelt.
Der erste, auf Literatur basierende Teil dieser Arbeit (Kapitel 1-5), legt die theoretischen Grundlagen für die empirische Forschung, stellt das Konzept des nachhaltigen Tourismus vor und diskutiert die theoretischen und praktischen Beiträge, die die Ethnologie bereits geleistet hat bzw. leisten kann.
Hierfür wird zunächst in Kapitel 2 ein knapper Überblick über die Entstehung des Tourismus gegeben, die interessante Parallelen zur Entwicklung des Binnentourismus in südlichen Ländern aufweist. Danach werden internationale Touristen und nationale Touristen in den Ländern des Südens getrennt voneinander untersucht. Hierbei werden die unterschiedlichen Formen, Motivationen und Trends herausgearbeitet. Die kontinuierlich anwachsende Gruppe der nationalen Touristen bietet Chancen aber auch Risiken für eine nachhaltige Entwicklung. Fundierte Kenntnisse über ihre Bedürfnisse und Motivationen sind notwendig, um die von ihnen praktizierten Tourismusformen nachhaltig zu gestalten. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Überblick über die Tourismuskritik, die, indem sie auf die negativen Auswirkungen aufmerksam gemacht hat, die Entstehung alternativer Konzepte gefördert hat.
Das 3. Kapitel befasst sich mit den verschiedenen, für diese Arbeit relevanten Begrifflichkeiten. Dabei werden die Vorläufer des nachhaltigen Tourismus (z.B. sanfter Tourismus), das sich parallel entwickelnde Konzept des ecotourism und der Naturtourismus behandelt, auf den sich die empirische Untersuchung bezieht. Dieses Kapitel will auch auf die unterschiedlichen Verwendungen der Begriffe aufmerksam machen, die es ohne vorherige Definition schwer machen, sie international zu verwenden. Einzig der Begriff des nachhaltigen Tourismus ist unstrittig und wird einheitlich verwendet. Daher wird sein Konzept dieser Arbeit zugrunde gelegt.
Die drei Kernbereiche des nachhaltigen Tourismus - Soziokultur, Ökologie und Sozioökonomie - werden in Kapitel 4 ausführlich behandelt. Diese sind gleichberechtigt zu berücksichtigen, insbesondere auch ihre Wechselwirkungen. Das komplexe Konzept lässt sich, um allen Bereichen gerecht werden zu können, nur interdisziplinär verwirklichen. Verschiedene Nachhaltigkeitskriterien werden detailliert aufgeführt. Dabei werden direkte Beiträge von Ethnologen zunächst nicht mitdiskutiert, damit im folgenden Kapitel 5 deutlich werden kann, was die Ethnologie zur Tourismusforschung bisher beigetragen hat. Darüber hinaus werden im Rahmen der ökologischen Aspekte das Konzept des Nationalparks vorgestellt und das Thema der Umweltbildung behandelt. Der spezielle Ansatz des community based tourism wird innerhalb der soziokulturellen Aspekte erläutert. In dieser Arbeit wird der Fokus der Betrachtung auf nachhaltigen Tourismus im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung ländlicher Regionen gelegt, da die zugrunde liegende empirische Untersuchung sich auf eine solche bezieht. Grundsätzlich ist nachhaltiger Tourismus ein Ideal, dem sich angenähert werden kann, das aber nie vollständig zu erreichen ist.
Was kann die Ethnologie theoretisch und praktisch zum nachhaltigen Tourismus beitragen? Mit diesem Thema befasst sich Kapitel 5. Seit Malinowski versucht die Ethnologie, Gesellschaften als Ganzes zu erfassen. Je komplexer die einzelnen Elemente einer Gesellschaft sind, umso schwieriger ist es, einem holistischen Anspruch zu genügen. Sicherlich ist es deshalb sinnvoll, sich auf einzelne Bereiche zu konzentrieren, wie es die meisten Wissenschaften tun, ohne jedoch das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Die Ethnologie nimmt für sich in Anspruch, „Kultur“ erklären und verstehen zu können. Zum Verstehen spielt die Innensicht eine zentrale Rolle, denn Kulturen können nur aus sich selbst heraus - durch ihr eigenes Bezugssystem - verstanden werden. Eine Vermittlung zwischen Kulturen erfordert ein Hineindenken und -fühlen. Die holistische Herangehensweise und die emische Perspektive der Ethnologie gehören zu ihren methodischen Stärken, die zunehmend auch von anderen Wissenschaften erkannt werden. Durch ihre breite regionale Verortung, die Vielfalt ihrer Themen und ihre qualitativen Methoden ist die Ethnologie prädestiniert, ein so vielfältiges Konzept wie nachhaltigen Tourismus fester zu etablieren und weiterzuentwickeln. Trotz dieser Legitimationen und der offensichtlichen Überschneidungen mit touristischen Themen wird die Ethnologie noch wenig wahrgenommen. Antweiler schreibt in Anlehnung an Ahmed/ Shore: „Es ist ein Paradox, dass Ethnologie international in der Gefahr steht, immer irrelevanter zu werden, während ihre Themen angesichts globaler Realitäten, [...] immerbedeutender werden.“ (Antweiler 1998: 220). Erteilt ihre Auffassung, dass die Krise der Ethnologie weniger eine Krise der Repräsentation als eine Krise der Relevanz war bzw. ist. Hierin liegt die Ursache, warum die Ethnologie nicht nur im Tourismus, sondern auch in anderen Bereichen so wenig miteinbezogen wird. Der Tourismuswissenschaftler Opaschowski fordert: „Vor allem die Ethnologie muss sich in Zukunft stärker zu Wort melden.“ (Opaschowski 2001: 31). Die Ethnologie muss deutlicher zeigen, was sie konkret beisteuern kann. Welche Beiträge sie zur Nachhaltigkeit im Tourismus leisten kann, wird in diesem Kapitel erarbeitet. Dafür werden zunächst die Themen der ethnologischen Tourismusforschung nachgezeichnet; anschließend werden konkrete Handlungsfelder aus diesen Themen entwickelt. Indem gezeigt wird, was die Ethnologie theoretisch und auch praktisch beitragen kann, wird ihre Relevanz für eine nachhaltigere Gestaltung des Tourismus untermauert. Abschließend wird auf Defizite und Probleme der Ethnologie hingewiesen. Dadurch wird deutlich, dass sich die Ethnologie weiterentwickeln muss, um ihr volles Potential zu entfalten.
Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 6-11) wird die eigene empirische Forschung dargestellt und analysiert. Diese wurde, zusammen mit meinem indonesischen Partner Setyo Utomo, im Sommer 2004 im Rahmen einer Lehrforschung durchgeführt. Ziel der Forschung war unter anderem die Untersuchung verschiedener Tourismusformen am Vulkan Merapi in Zentraljava.
Zu Anfang, in Kapitel 6, werden die Vorbereitung, der Feldforschungsprozess und die methodische Vorgehensweise reflektiert. In den folgenden Kapiteln 7, 8 und 9 werden die Ansichten der Befragten zu verschiedenen Themen wiedergegeben. Analytische und wertende Überlegungen werden erst in Kapitel 10 angestellt.
Die verschiedenen Touristengruppen, ihre Motivationen und Bedürfnisse und die lokale Bevölkerung mit ihrer Einstellung zum Tourismus in der Gemeinde Kaliurang sind Thema von Kapitel 7. Im Mittelpunkt stehen dabei die nationalen Naturtouristen und die Sichtweise der Einheimischen.
Kapitel 8 behandelt die Vorteile, Probleme und Konflikte, die aus der Öffnung eines landwirtschaftlichen Dorfes für den Tourismus resultieren.
Auch die Planung eines Nationalparks um den Vulkan Merapi hat Interessenskonflikte und Proteste ausgelöst. Die Stimmen der Betroffenen werden in Kapitel 9 wiedergegeben. Vor allem lokale Nichtregierungsorganisationen und die von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung versuchen, den Nationalpark zu verhindern. Worin die Ablehnung begründet ist und welche Argumente von Touristen und der verantwortlichen Behörde für die Einrichtung eines Nationalparks sprechen, werden hier dargelegt.
Kapitel 10, die Analyse der empirischen Forschung, wertet und reflektiert die unterschiedlichen Aussagen und Ansichten und setzt sie in Bezug zum theoretischen ersten Teil dieser Arbeit. Fragen, inwiefern die praktizierten Tourismusformen nachhaltig sind und was die Ethnologie beisteuern kann, um die Nachhaltigkeit zu erhöhen, werden beantwortet. Aus der Analyse werden dann konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt.
Im abschließenden Kapitel 11 werden die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammengefasst und ein Ausblick für die Zukunft gegeben.
Die Idee dieser Arbeit entstand während der Planung der Lehrforschung im Sommer 2003. Durch die intensive Auseinandersetzung mit Indonesien, der umfassenden Vorbereitung auf die Feldforschung sowie durch die inhaltlichen Aufbereitungen für verschiedene Zwecke (Ausstellung, Forschungsbericht) wurde die Basis für den empirischen Teil dieser Arbeit fundiert angelegt. Parallel dazu und danach wurde relevante Literatur gesichtet und ausgewertet. Zum Thema Tourismus generell ist die Zahl der Publikationen immens. Allerdings bezieht sich der Großteil der Literatur auf den europäischen Kontext und wesentlich weniger auf den internationalen Tourismus. Zu speziellen Themen, wie z.B. nationaler Tourismus in den Ländern des Südens, sind dagegen auffallend wenige Veröffentlichungen erschienen. Meist handelt es sich dabei um Aufsätze, die lokal begrenzte Untersuchungen analysieren. Durch intensive Recherche konnte die theoretische Basis dieser Arbeit jedoch insgesamt auf ein breites Fundament gestellt werden. Die komplexen Themen, in denen immer wieder auch chronologische Entwicklungen (Entstehungsgeschichte, Entwicklung der theoretischen Konzepte, Tourismuskritik, ethnologische Tourismus-forschung, etc.) behandelt werden, sinnvoll zu strukturieren, war nicht einfach. Insbesondere allen Aspekten des nachhaltigen Tourismus gerecht zu werden und die verschiedenen Subkategorien mit ihren möglichen Wechselwirkungen untereinander darzustellen, war eine Herausforderung. Die regelmäßige Begleitung durch ein Kolloquium und die Unterstützung der wissenschaftlichen Betreuerin Prof. Dr. J. Schlehe haben geholfen, diese Schwierigkeiten zu meistern.
Nationale Touristen in südlichen Ländern unterscheiden sich von internationalen Touristen. Was sind die Besonderheiten dieser Touristen? Welche Motivationen und Bedürfnisse haben sie? Finden interkulturelle Begegnungen mit internationalen Touristen statt?
Nachhaltiger Tourismus bietet Chancen und Möglichkeiten, die Lebensqualität aller Betroffenen zu verbessern und die Umwelt zu erhalten. Kann auch die Ethnologie dazu beitragen, Tourismus nachhaltiger zu gestalten? Wie können konkrete Handlungsfelder aussehen? Welche Hürden gilt es zu überwinden, um ihre Relevanz im touristischen Bereich unter Beweis zu stellen?
Welche Formen von Tourismus existieren am Merapi? Sind diese nachhaltig? Wenn nicht, welche Möglichkeiten bieten sich, den Tourismus nachhaltiger zu gestalten und können Ethnologen hierzu beitragen?
Mit der Beantwortung dieser Fragen will diese Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Ethnologie als „gesellschaftlich relevante Humanwissenschaft“ (Antweiler 1998) weiterentwickelt.
Teil 1: Begegnungen: Tourismus und Ethnologie
Durch die Gegenüberstellung der Probleme und Herausforderungen des nachhaltigen Tourismus mit den Themen und Stärken der Ethnologie, können die theoretischen und praktischen ethnologischen Beiträge herausgearbeitet werden.
2. Tourismus: Entstehung-Entwicklung, nationale und internationale Touristen/Tourismuskritik
Der Tourismus hat seit einigen Jahren die Automobilindustrie als größten Wirtschaftszweig abgelöst. Er ist die vielfältigste Industrie, der in fast jedem Land eine Rolle spielt. Durch die große Zahl an Arbeitskräften, die in den verschiedenen Bereichen (Gastronomie, Hotellerie, Verkehr, Landwirtschaft, Baugewerbe, Dienstleistungen, Freizeiteinrichtungen, etc.) benötigt werden, schafft Tourismus die meisten Arbeitsplätze weltweit. Massentourismus wurde im Laufe seiner jungen Geschichte polarisierend entweder als universeller Heilsbringer oder als Verelendungsfaktor betrachtet. Er ist aber weder das eine noch das andere. Tourismus hat immer positive und negative Auswirkungen, welche dabei dominieren, hängt in großem Maße von der Art des Tourismus ab und inwieweit er nach nachhaltigen Kriterien gestaltet wird.
Das in den letzten Jahrzehnten entwickelte Konzept des nachhaltigen Tourismus bietet für alle Tourismusformen Möglichkeiten, negative Folgewirkungen zu minimieren und positive zu verstärken oder zu entwickeln.[2] Tourismus expandiert immer weiter, auch in Zeiten wirtschaftlicher Rezession. Für Opaschowski ist Tourismus „...'die' Zukunftsindustrie des 21. Jahrhunderts.“ (Opaschowski 2001: 26). Erholung bzw. Urlaub ist inzwischen in den Industrieländern fast schon zum Grundbedürfnis geworden. Um das komplexe Phänomen Tourismus verstehen zu können, muss man einen Blick auf seine Entstehung und seine aktuelle Situation werfen. In dieser Arbeit werden nationale und internationale Touristen getrennt behandelt, um die Unterschiede deutlich zu machen (vgl. unter anderem Fischer 1984, Opaschowski 1996 und 2001, Becker 1995).
Eine umfassende Definition[3] von Tourismus, die alle anderen mit einschließt, lautet: „Tourismus ist die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher und dauerhafter Wohn- noch Arbeitsort ist.“ (Kaspar in Baumgartner 1998: 9).
2.1. Entstehungsgeschichte und Entwicklung
Tourismus ist ein verhältnismäßig junges Phänomen. Im Altertum und im Mittelalter wurden Reisen unternommen, um Handel zu treiben, aus politischen Gründen, um diplomatische Beziehungen zu pflegen, um Krieg zu führen oder aus religiösen Motiven wie z.B. einer Pilgerreise. In der Renaissance gewann die Bildungsreise, die Grand Tour, unter vor allem jugendlichen Adeligen an Popularität. Die Rückbesinnung auf die Antike und eine veränderte Wahrnehmung der Natur, vom bedrohlichen zum ästhetischen Raum, initiiert durch Dichter und Denker, löste den Trend zum Reisen in die Natur aus. Ludwig schreibt: „...Jean - Jaques Rousseau sorgte mit seinen Werken für eine neue Haltung gegenüber der Natur - die Grundvoraussetzung für eine positive Neubeurteilung des Reisens.“ (Ludwig 1990: 33). Der Begriff Tourismus ist seit 1841 in England bekannt. Mit der Gründung der ersten Reisebüros nahmen Reisen aus Erholungs-, Bildungs- oder Prestigegründen zu. Diese Reisen waren aber nach wie vor den gehobenen Schichten vorbehalten. Ziele waren die Alpen, um dort dem populär gewordenen Skilaufen nachzugehen oder Städte, vorzugsweise mit einer Spielbank, um dort einen Badeurlaub zu verbringen. Die industrielle Revolution hatte einigen Reichtum beschert; für die Arbeiter, die bis Ende des 19. Jahrhunderts selten Urlaub[4] bekamen, bedeutete sie dagegen eine verstärkte Reglementierung des Lebens. Aus der Arbeiterschaft gründeten sich Bewegungen wie die Naturfreunde oder die Wandervögel, die zumindest an den Wochenenden aus ihren Ghettos kommen wollten, um die Natur zu erleben. „In der Natur suchten sie die Schönheit und Ursprünglichkeit des Lebens, die sie in den Städten längst verlorengegangen sahen.“ (Ludwig 1990: 37). Auch die Nationalsozialisten erkannten die soziale Dimension des Reisens und nutzten Natur und Erholung, um Kräfte zu mobilisieren und sich die Unterstützung der Arbeiterschaft zu sichern. Ihre Organisation „Kraft durch Freude“ und der gewährte Jahresurlaub ermöglichte das Reisen erstmals für große Massen. Die Anreise erfolgte meist mit dem Zug.
Die Reisewelle der letzten Jahrzehnte ist eine Folge des Wirtschaftswunders. Die „Demokratisierung des Reisens“, ein Werbeslogan aus den 60er Jahren, setzte konsequent auf die Masse und läutete damit die Zeit des Massentourismus ein. Vom Zweiten Weltkrieg bis 1984 vervierfachten sich der Anspruch auf Urlaub und das Einkommen, wodurch diese Entwicklung möglich wurde. Die zunehmende Verstädterung, das anstrengende Arbeitsleben, das oft mit einer mangelnden Identifikation desselben einherging, erhöhten das Bedürfnis nach Regeneration und Erholung: Urlaub als Gegenentwurf zum Alltag. Weitere wichtige Voraussetzungen tur Tourismus als Massenbewegung waren die Reduzierung der Arbeitszeit und die Verbreitung von Automobilen.[5]
Seitdem der Tourismus in den Industrieländern und zunehmend auch in den so genannten „Schwellenländern“ zum Massenphänomen geworden ist, haben sich unterschiedliche Formen, Motivationen und Trends im Tourismus herausgebildet. Diese sollen im Folgenden in Bezug auf internationale Touristen und nationale Touristen in den Ländern des Südens diskutiert werden.
2.2. Internationale Touristen
Unterscheiden lässt sich Tourismus durch die Art (z.B. Pauschal-, Individual-, Binnen- Ferntourismus, etc.), die Dauer (z.B. Ausflug, Kurzreise, Urlaub, etc.), die Aktivitäten (z.B. Natur-, Sport-, Erholungs-, Bildungs-, Event-, Kongress-, Prostitutionstourismus, etc.) und die Auswirkungen (z.B. sanfter -, harter -, nachhaltiger-, Ökotourismus, etc.).
In den 60er und 70er Jahren wurde Tourismus in „Entwicklungsländer“ von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit stark gefördert. Tourismus, als arbeitsintensive Industrie, die mit relativ geringen Investitionen auskommt, wurde als Mittel für die Regionalentwicklung eingesetzt. Arbeitskräfte waren ausreichend vorhanden und die notwendigen Qualifizierungsansprüche einfach zu erfüllen. Intakte Natur und angenehmes Klima, Hauptvoraussetzungen, um die Wünsche der Kunden zu befriedigen, waren in den neuen Zielregionen ausreichend vorhanden. Für viele industriell schwach entwickelte Länder ist Tourismus mittlerweile zu einem wichtigen Einkommenszweig angewachsen. Die Hoffnungen auf hohe Einnahmen für die Länder haben sich aber inzwischen teilweise zerschlagen, da die Gewinne zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von den global operierenden Konzernen und Investoren erwirtschaftet werden und damit in die Herkunftsländer der Touristen zurückfließen. Bei speziellen Tourismusformen, wie dem Pauschal-, All-Inclusive-, oder Kreuzfahrttourismus, sogar der überwiegende Teil (vgl. Stronza 2001, Suchaneck 2001, Baumgartner 1998).
Der Tourismus lebt von der Konstruktion positiver Wunschbilder der Ferne, er ist unter anderem ein Gegenentwurf zum Alltag. Zugleich wird Reisen selbst immer mehr zum Alltag. Vermarktungsfähige Vorstellungen der Fremde, die Suche nach Neuem, Exotischem und der Wunsch, etwas zu erleben ziehen die Touristen in andere Länder. Verschiedene Motivationen stehen hinter den
Reisen: Erholung, Ruhe und Entspannung, das Bedürfnis nach Abwechslung, die Befreiung von Verpflichtungen, der Wunsch etwas zu erleben und Interessen nachzugehen, die Natur, Bewegung und Sport, Bildung etc. Der Alltag in einem meist urbanen Umfeld, die anstrengende Arbeit, die Attraktivität der touristischen Produkte sowie das soziale Prestige einer Reise fördern den Tourismus. Der gestiegene Wohlstand und die infrastrukturelle touristische Erschließung vieler Regionen ermöglichen Reisen in die ganze Welt.[6]
Reisen wird zwar generell immer sicherer, aber der internationale Terrorismus, wie z.B. in Ägypten oder auf Bali beeinflusst die Touristenströme. Andere Entscheidungsfaktoren, die bestimmte Zielregionen oder Reisen an sich ausschließen, können z.B. politische Unruhen, Umwelt- und Naturkatastrophen oder wirtschaftliche Rezessionen in den Herkunftsländern sein. Für Regionen, die einseitig auf den Tourismus ausgerichtet sind, bedeutet das Ausbleiben der Touristen eine wirtschaftliche Katastrophe, da die oft einzige Einnahmequelle ausbleibt.[7] Für die meisten Touristen sind die Zielregionen letztlich austauschbar.
Das Analysieren von touristischen Trends lässt Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen in Bezug auf Zielregionen, Produktplanung und Marketing zu. Es gibt eine Vielzahl touristischer Trends, die teilweise konträren Entwicklungen folgen. Zu nennen wären der Erlebnistourismus auf der Suche nach Abenteuer und Wildnis oder der Risikotourismus, der Katastophen- und Kriegsgebiete zum touristischen Zielgebiet erklärt. Konträr dazu stehen ,,Mc Tourism“ - Angebote (Wöhler 1999), z.B. All - Inclusive oder Pauschalreisen, die alles im vorgefertigten Paket liefern, im Grunde standortunabhängig sind, lokale Kulturen auflösen und die Erlebnisse planbar machen. Das Interesse nach unberührter, intakter Natur oder nach authentischer Kultur bis hin zum „Steinzeitmenschen - Zoo“ (Kirksey/ Dumatubur 1998) wächst. Dieser Trend wird unter anderem als Ökotourismus[8] bezeichnet. Der gegenläufige Trend ist der hin zu künstlichen Ferienwelten, wie Freizeitparks oder Mails, die alles auf engstem Raum verdichten und das Authentische nur kopieren.
Auch Bildungs- und Studienreisen, die dazu dienen sollen, neue Erfahrungen zu sammeln und den eigenen Horizont zu erweitern, sowie Sporttourismus erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Der Cluburlaub der Reichen als Gegenbewegung zum Massentourismus der Unter- und Mittelschicht ist ein weiterer Trend, genau wie die Suche nach Events wie Konzerte, Ausstellungen oder Sportveranstaltungen: „Der Urlaubsgast ist unerbittlich, er verlangt nach immer neuen Attraktionen.“ (Opaschowski 2001: 84). Vor allem für jüngere, männliche und Besserverdienende gelten Events als Statussymbole, die man erlebt haben muss. Das Einmalige, Einzigartige mit Augenblickscharakter, das den Besuchern ein neues „Wir - Gefühl“ vermittelt und die Lust an der Masse Mensch macht 'Konsumerlebnisse zunehmend wichtiger als Konsumier. Auch die Tourismusqualität spielt eine immer größere Rolle. Die fünf S Schönheit, Sauberkeit, Sicherheit, Sehenswürdigkeiten und Schutz vor Belästigungen spiegeln diesen Trend wider.
Die Attraktivität einer Region hängt wesentlich davon ab, welche Atmosphäre den Gästen vermittelt wird. Freundlichkeit und Service spielen dabei eine Rolle. In einer europaweiten Umfrage hinsichtlich der wichtigsten Kriterien für die Wahl der Urlaubsregion, rangierten Landschaft, Atmosphäre und Sauberkeit auf den ersten drei Plätzen. Das zeigt das Interesse an nachhaltigen Tourismusprodukten, die danach streben, die Natur zu erhalten und durch eine Lebensqualitätsverbesserung der Einheimischen eine positive Einstellung der lokalen Bevölkerung gegenüber den Touristen herzustellen und damit einen qualitativ hochwertigeren Tourismus anzubieten.
Zusammenfassend kann man bei den Trends im internationalen Tourismus Prozesse der Eventisierung, der Kulturalisierung, der Naturalisierung, der Disneyfizierung und der „Sustainibilisierung“ erkennen. Trends lassen sich nicht nur in der Art, sondern auch in der Dauer und den Zielregionen erkennen. Das aktuelle Motto lautet: Öfter, weiter, kürzer. Viele dieser Trends können sich überschneiden oder ergänzen, wie z.B. Sport- und Naturtourismus.[9]
2.3. Die „vergessenen“ Touristen - Nationale Binnentouristen in den Ländern des Südens
In der fast unüberschaubar gewordenen Menge an Literatur über Tourismus hat die immer größer werdende Gruppe der nationalen Binnentouristen in Ländern des Südens bisher kaum Beachtung gefunden: „Little knowledge exists on southern tourists.“ (Ghimire 2001: 2). In neuerer Zeit haben verschiedene Autoren (z.B. Schlehe 2003, Antweiler 2004, Ghimire 2001) auf dieses Phänomen hingewiesen. Zwar gibt es innerhalb einzelner Staaten Untersuchungen und Analysen, doch internationale oder vergleichende Studien (z.B. Ghimire 2001) sind bisher nur wenige vorhanden. Die Länder mit ausgeprägtem Binnentourismus, gehören fast alle zur Gruppe der so genannten „Schwellenländer“ (z.B. Mexiko, China, Indien, Indonesien, Brasilien, Thailand, Südafrika etc.).[10] Ursache für ein rapides Anwachsen der Binnentouristen ist ein Industrialisierungs- und Modernisierungsprozess und damit verbunden die Entstehung einer Mittelschicht. Der Rückgang der Beschäftigten im landwirtschaftlichen Sektor, zunehmende Mobilisierung, Ausbau der Verkehrswege, Ausweitung der Arbeiterrechte wie z.B. die Einführung von Jahresurlaub, Verstädterung, Zugang zu Informationen, Errichtung von Reisebüros und -veranstaltern und gestiegene Einkommen sind die Voraussetzungen für diese Entwicklung. Hier werden deutliche Parallelen zur Entwicklung des Massentourismus der Europäer sichtbar. Die WTO schreibt dazu:
„Domestic tourism has been overshadowed by the interest in international tourism, for it was thought initially to have little or no international impact, and statistics on the subject were felt to be a country’s own business. It has become clear, however, that international and domestic tourism do relate to each other. Travellers' choice change depending on circumstances and domestic tourism can be substituted for international tourism and vice versa under the influence of external factors, such as relative growth in real incomes, price differences between countries, and international political conditions. Over the past few decades, in many Western countries domestic holidays were largely replaced by outbound holidays, influenced in the rise in living standards and discretionary incomes, while developing countries have seen a sharp increase in domestic tourism.” (Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999: 7).
Die Zahl der Binnentouristen übersteigt die Zahl der internationalen Touristen bei weitem und wird weiter rapide anwachsen. Trotzdem haben die Regierungen der betroffenen Länder bisher wenig für die Entwicklung von entsprechenden Konzepten getan, da man sich von den internationalen Touristen mit ihrer größeren Kaufkraft und höheren Ansprüchen mehr Einnahmen erhoffte. „In almost all developing countries, domestic tourism development is generally taking place without any systematic government planning.” (Ghimire 2001: 2). Setzt man das zahlenmäßige Vorkommen der Touristen in Beziehung dazu, scheint die Annahme, dass internationale Touristen mehr wirtschaftliches Wachstum schaffen, fraglich. Nach Schätzungen der WTO (Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999) lag die Zahl der internationalen Touristen 1995 bei 567 Millionen, die der Binnentouristen dagegen mit 5,6 Milliarden etwa 10-mal so hoch. Die WTO geht davon aus, dass sich diese Zahl innerhalb der nächsten 15 Jahre verdoppeln wird.[11]
Dieses riesige Potential wird zwar zunehmend erkannt, aber Entwicklungsleitlinien, sofern sie überhaupt erarbeitet werden, sickern selten bis zur lokalen Ebene durch. Regierungen versuchen durch die Förderung des Binnentourismus die Abwanderung des Kapitals in andere Länder zu unterbinden; im Fall von Indonesien z.B. durch die Erhebung einer hohen Ausreisesteuer. Außerdem soll durch inländischen Tourismus der nation building Prozess weitergeführt werden. Durch das Kennenlernen des Landes, den Besuch von historischen Monumenten, Museen oder Nationalparks wird die Bildung einer ,,imagined community “ (vgl. Anderson 1983) gefördert. Die „Rückeroberung“ von touristischen Zentren, die von den Kolonialherren gegründet worden sind[12], stärkt das Nationalgefühl (vgl. Pretes 2004, Ghimire 2001, Pearce 1989).
Die geographische Lage ist ein weiterer wichtiger Faktor für das Ansteigen des Binnentourismus. Große Länder mit vielseitiger Flora und Fauna, sowie einem touristisch angenehmen Klima steigern die Motivation, im eigenen Land zu bleiben. Im Falle Indonesiens spielt auch die Insellage eine Rolle, da es keine direkten Nachbarn gibt, die man, ohne ein Schiff oder Flugzeug zu besteigen, erreichen kann (vgl. Pearce 1989, Ghimire 2001).
Stadt- und Landbevölkerung wählen unterschiedliche Ziele. Die weitaus größere Gruppe kommt aus einem urbanen Umfeld. Ghimire schreibt hierzu, eine ihrer Hauptmotivationen sei: „... to enjoy the greenery, fresh air and 'simple' village life.” (Ghimire 2001: 15). Er sieht in dieser Gruppe einen großen Bezug zur Natur: „In all these countries studied, nature - related activities seem to be growing in importance. Especially among the young, natural scenery is top of the list in terms of preference and motivation for travel.“ (Ghimire 2001: 17). Die ländliche Bevölkerung, die auf Reisen geht, besucht dagegen eher Städte oder historische Monumente.
Es lassen sich verschiedene Faktoren, die entweder eine push- oderpullwirkung ausüben, erkennen. Als Folge der Urbanisierung kommt es zu einer Stadtflucht, angetrieben durch Lärm, Müll, Luftverschmutzung und urbaner Enge. In den betroffenen, meist tropischen oder subtropischen Ländern, zieht es die Bewohner, ähnlich wie bei dem europäischen Phänomen der „Sommerfrische“, in höher gelegene Regionen mit frischer, kühler Luft. Dabei werden teilweise die von den Kolonialmächten geschaffenen Hill Stations genutzt. Die Natur, vorhandene touristische Infrastruktur, Sehenswürdigkeiten und das unter anderem durch die Beeinflussung westlicher Lebensstile entstandene Bedürfnis nach Konsum und neuen Formen der Freizeitgestaltung ziehen die potentiellen Touristen an.
Vorläufer erkennt, dass: „...der inländische Fremdenverkehr oft ein gänzlich anderes Raummuster als der internationale Tourismus aufweist, [und dass] beide Fremdenverkehrsarten häufig nicht in einem Konkurrenzverhältnis stehen.“ (Vorlaufer 1996: 53). Die Gründe hierfür liegen in den verschiedenartigen Motivationen, einem unterschiedlichen Preis- bzw. Anspruchsniveau sowie in der sprachlichen Barriere. Internationale Touristen, die das Authentische, Unberührte suchen, werden die westlich beeinflussten nationalen Touristen und deren Urlaubs- und Erholungsorte eher meiden. Beim Erholungs- und Freizeittourismus kann es aber zu einer Besetzung gleicher Räume durch die beiden Gruppen kommen. Da nationale und internationale Touristen in der Regel andere Hauptreisezeiten haben, kann sich das saisonale Geschäft ergänzen, was zu einer konstanteren Auslastung und damit kontinuierlicherem Einkommen führt. Wenn beide Gruppen zur gleichen Zeit reisen, ist das Hauptgeschäft nur saisonal.[13]
Nationale Binnentouristen in den Ländern des Südens unterscheiden sich aufgrund ihrer Motivationen und ihres Verhaltens von den internationalen. Neben Erholung und Freizeit spielen der Besuch von Verwandten und Freunden, Business, Shopping, gesundheitliche und religiöse Gründe eine Rolle. Meist sind in einer Reise verschiedene Motivationen kombiniert. Dabei werden praktische und finanzielle Gründe berücksichtigt. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren die Reisen zugenommen haben, für die Erholung und Freizeit die maßgebliche Motivation war.
Nkambwe (1985) weist in einer Untersuchung über nigerianischen Binnentourismus darauf hin, dass sich ein touristisches Bewusstsein erst entwickeln muss. Manche der Befragten zeigten sich überrascht von der Idee, Geld auszugeben, um einen Ort zu bereisen, ohne dort jemanden zu kennen. Bernklau (1991) unterstützt diese These, indem er in seiner vergleichenden Untersuchung über nationalen und internationalen Touristen auf den Philippinen feststellt, dass in Ländern, die sich in einem Übergangsstadium zwischen Agrar- und Industriegesellschaft befinden, eher von Erholungs- als von Freizeittourismus gesprochen werden kann. Auch Vorlaufer (1996) hat ein Stufenmodell[14] entwickelt, das Tourismusmotivationen und ein damit verbundenes touristisches Bewusstsein in Bezug zur gesellschaftlichen Entwicklung in den Nationalstaaten setzt. Blickt man auf die Entstehung des Tourismus in Europa zurück, kann man diese Entwicklung von Reisen mit mehreren Motivationen (Verwandtenbesuche, Pilgerreisen, Erholung, etc.) zu rein touristischen Reisen ebenfalls erkennen. Diese pauschalisierenden Kategorien sind jedoch nur eingeschränkt übertragbar, da weder die Gesellschaften an sich homogen sind, noch eine klare Einteilung in Gesellschaftsschichten möglich ist. In den betroffenen Ländern existieren „moderne“ und „traditionelle“ Lebensstile nebeneinander, so dass ein Vergleich mit der Entwicklung in Europa problematisch ist. Solche Stufenmodelle der Entwicklung sind ebenfalls kritisch zu betrachten, da sie ethnozentristische und ahistorische Tendenzen aufweisen. Des Weiteren sind in jedem Land oder in jeder Region spezifische Bedingungen gegeben, die zu berücksichtigen sind. Trotz dieser Einwände lassen sich aber Grundmuster und Tendenzen erkennen, die aufschlussreich sein können.[15]
Ghimire sieht den Anstieg des Erholungs- und Freizeittourismus im wachsenden Einfluss „westlicher“ Lebensstile begründet, die durch Globalisierungseffekte - hervorgerufen unter anderem durch Medien und interkulturelle Kontakte - entstehen:
„.. .many of these aspects are commonly discernible in most developing countries. In particular, the concept of leisure seems to be tied intimately with the increased acceptance of Western - style liberal thinking on democracy, education, market economy and the cultural processes of globalisation. This has helped on the whole to produce a highly favourable perception on recreational travel, thereby creating an urge to travel even among the lower income population groups (especially in urban areas).” ( Ghimire 2001: 11).
Nationale Touristen treten oft in größeren Gruppen als internationale Touristen auf. Ursachen hierfür könnten die größeren Familien, eine stärkere Gruppenbindung oder auch die Organisationsform der Reise (Firmengruppen, Nachbarschaftsgruppen, Großfamilie) sein. Mercados schreibt: “Happiness for the Filipino is being with his group.” (in Bernklau 1991: 66).
Das starke Anwachsen der Binnentouristen in den Ländern des Südens wird von den meisten Autoren kaum wahrgenommen. Dieser Anstieg hat aber weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf die lokale Bevölkerung der betroffenen Regionen, sondern auch sowohl auf die internationalen Touristen, die diese Länder bereisen, als auch auf das globale Ökosystem. Touristische Reisen werden in den Ländern des Südens zunehmend populär, sie liegen im Trend. Aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse und Motivationen sowie der Fremdheit zwischen nationalen und internationalen Touristen lässt sich auch der Trend zur räumlichen Trennung der beiden Gruppen erkennen. Dies verhindert eine interkulturelle Begegnung, für die die zwangslose touristische Rahmensituation potentiell hervorragend geeignet wäre.[16]
Durch die große Masse an Binnentouristen sind die Auswirkungen in den Zielregionen beträchtlich. Ökologische Belastungen wie Müll, Verkehrsemmissionen und Überschreitungen der Tragfähigkeit nehmen mit der Zahl der Touristen zu. Müllentsorgungssysteme sind oft überlastet. Nationale Touristen in den Ländern des Südens übernachten meist in „einfacheren“ Hotels. Dies hat zwar einen geringem Energieverbrauch zur Folge, aber diese Hotels sind auch seltener an Kläranlagen oder an das offizielle Müllsystem angeschlossen. Hinzu kommt, dass sie an andere Standards gewöhnt sind und Abfallverbrennung oder kleinere Müllhaufen als weniger störend empfunden werden. Die Benutzung von Mülleimern ist bei vielen noch nicht so internalisiert wie bei den meisten internationalen Touristen, so dass unter Umständen größere Müllmengen in der besuchten Region „verstreut“ werden.
Die Investoren sind bei der Entwicklung des nationalen Tourismus zwar meist von gleicher Nationalität, kommen aber auch oft von außerhalb der betroffenen Gemeinden, so dass weder die Partizipation noch eine Profitverteilung garantiert sind. Ghimire kritisiert dies: „The role of different actors, such as the local communities, business people and the authorities is never defined. There is a total lack of proper policies on income distribution;” (Ghimire 2001: 22). Allerdings ist die lokale Partizipation in der Regel größer, da nationale Touristen kleinere Hotels und Restaurants ähnlich wie die lokale Bevölkerung besuchen. Auch die kulturellen Einflüsse sind naturgemäß geringer. Ghimire schreibt hierzu: „Culturally, the tension between the host community and the tourists could be better assimilated.” (Ghimire 2001: 25). Die Chance auf interregionale bzw. interkulturelle Begegnung ist aufgrund der gleichen Sprache und Kenntnis kultureller Normen wesentlich höher als bei internationalen Touristen. Nationaler Binnentourismus kann auch als Ausgleich regionaler Disparitäten die Wohlstandsunterschiede angleichen. Es lassen sich hier auch Gegenbeispiele finden, z.B. dass Regionalismus und ethnischer Rassismus vor allem in sehr großen Ländern verstärkt werden können, oder dass die Profite in die Zentren zurückfließen. Eine nachhaltige Planung, Entwicklung und Betreuung sind auch hier entscheidend für erfolgreichen Tourismus.
Es existieren bisher nur sehr wenige Untersuchungen, die zwischen nationalen und internationalen Touristen unterscheiden oder sich nur auf nationale, deren Verhalten, Motivationen und die Auswirkungen, konzentrieren. Ghimire merkt hierzu an:
„...nations of South - East Asia, lack reliable statistics on the number of people involved, let alone on tourist behaviours, impacts and possible remedies. [...] few studies focus systematically on the different social groups that interact in the context of Southern national and regional tourism [...]. Tourism studies rarely separate the respective impacts of national and international tourism.” (Ghimire 2001:2f).
Ein weiterer Vorteil des Binnentourismus ist, dass er weniger anfällig fur politische Krisen und internationale Trends ist und daher fur ein konstanteres Einkommen der vom Tourismus lebenden Bevölkerung sorgt.[17]
Die verschiedenen Tourismusformen haben schon immer auch negative Auswirkungen in den Zielregionen mit sich gebracht. Deshalb ist Kritik am Tourismus fast so alt wie der Tourismus selbst. Die Kritik ist in der Regel den Zeichen der Zeit gefolgt, so dass sich die Inhalte immer wieder verschoben haben.
2.4. Tourismuskritik
Die Kritik am Tourismus begann in den 50er Jahren als der Tourismus zum Massenphänomen avancierte. Zunächst war es eine Kritik der Privilegierten, die sich nicht damit abfinden wollten, dass eine immer größer werdende Zahl an Menschen dieses Privileg genießen konnte. Die zweite Phase der Tourismuskritik, der prominente Vertreter wie Enzensberger, Habermas und Adorno angehörten, war im Grunde eine Gesellschaftskritik, die Tourismus als eine Flucht vor der Fremdbestimmung des Alltags und Kompensation derselben verstand. Sie sahen im Tourismus eine Bewegung „weg von“, vergaßen aber, dass er zugleich auch eine Bewegung „hin zu“ ist (vgl. Opaschowski 2001, Backes/ Goethe 2003).
In den 60er Jahren galt Tourismus als erfolgreiche Form der Entwicklungszusammenarbeit und wurde von verschiedensten Trägern gefördert. Durch die Verbreitung des internationalen Tourismus in den 70er Jahren in die „Dritte Welt“ wurde die dritte Phase, die Kritik der „Dritten Welt“, eingeläutet. Kritisiert wurde, dass mit der Entstehung von touristischen Zentren die lokale Bevölkerung verdrängt oder vertrieben wurde, die Prostitution anstieg und die Kultur folklorisiert wurde. Durch diese vielfältigen negativen Auswirkungen, kam der Tourismus als Entwicklungsinstrument immer mehr in Verruf, so dass z.B. Ende der 70er Jahre die Weltbank ihre Förderungen einstellte. Schließlich meldeten sich die Bereisten in den 80er Jahren selbst zu Wort; sie wollten nicht um jeden Preis mitspielen. Sie sahen ihr Recht auf Privatsphäre gefährdet und erkannten zunehmend die „landschaftsfressenden“ (Krippendorf 1975) Auswirkungen des Tourismus. Die internationale Ökologiebewegung kam als verstärkender Faktor der Tourismuskritik noch hinzu (vgl. Opaschowski 2001, Backes/Goethe 2003).
Eine sehr extreme Position vertritt Heller (1990), der aufgrund der negativen Auswirkungen des Tourismus, der Ignoranz vieler Touristen und des Trends zum „Mc Tourism“ (Wöhler 1999) die These aufstellte: „Der Einfall touristischer Horden führt zur Ausrottung des Schönen.“ (Heller 1990: 160). Halb ironisch plädiert er für die Einrichtung einer riesigen künstlichen Ferienwelt, die alle touristischen Wünsche befriedigen und den Rest der Welt damit vor Tourismus und Touristen verschonen soll. Er unterschlägt dabei aber die vielfältigen positiven Effekte, die Tourismus den betroffenen Regionen bieten kann.
Opaschowski (1996) fordert ein neues Denken, von der Tourismusverdrossenheit hin zu einem positiven Tourismusbewusstsein. Er sieht eine qualitative Wende der Tourismuskritik. Aus der überwiegend ökologischen Kritik sei eine praktisch orientierte Tourismuspolitik geworden. Eine „...Tourismusethik, die mehr die Bereisten als die Reisenden im Blick hat.“ (Opaschowski 2001: 80). Weiterhin proklamiert er: „Die ideologische Tourismuskritik ist am Ende, die sozial und kulturwissenschaftliche Reflexion fängt erst an.“ (Opaschowski 1996: 61). Backes (o. J.) plädiert, trotz Konzepte wie dem nachhaltigen Tourismus, für die Weiterführung der Tourismuskritik, um auch weiterhin strukturpolitischen Druck ausüben zu können. Lutz (1992) merkt dazu an, dass die Tourismuskritik im Grunde eine Gesellschaftskritik der Entsendeländer ist, die zwar die negativen Auswirkungen aufzeigt, es aber letztendlich unklar bleibt, was Tourismus tatsächlich bewirkt.
Die Kritik am Tourismus bezieht sich fast ausschließlich auf internationale Touristen oder auf Tourismus in „westlichen“ Ländern. Auch die Kritiker haben in ihrer Reflexion die Binnentouristen in den Ländern des Südens „vergessen“. Allein ihre große Masse hat teilweise erhebliche Auswirkungen. Inwiefern sich z.B. ihr Verhalten und die damit verbundenen Auswirkungen von denen der internationalen Touristen unterscheiden, ist noch wenig erforscht. Frenzel merkt hierzu an: „Tatsache bleibt, dass ein Teil der Kritik des internationalen Ferntourismus vor dem Hintergrund der Dominanz des Binnentourismus in den meisten Ländern relativiert werden müsste.“ ( Frenzel 1999: 22).
Die durch die Kritik bekannt gewordenen negativen Auswirkungen des Tourismus haben eine Vielzahl an neuen touristischen Formen und Begriffen hervorgebracht. Dabei haben die Pluralität und die teilweise unterschiedliche Verwendung der Begriffe zu einem „Begriffswirrwarr“ geführt.
3. Begriffsbestimmungen und „Begriffsverwirrungen“
In diesem Kapitel werden verschiedene ihr diese Arbeit relevante Begriffe und deren unterschiedliche Bedeutungen erläutert. Konkret sind dies Vorläufer oder parallel verwendete Konzepte des nachhaltigen Tourismus (z.B. sanfter Tourismus, ecotourism), die ihr diese Arbeit besonders wichtige Form des Naturtourismus und weitere Begrifilichkeiten, die die Vielfalt und „Verwirrungen“ anschaulich machen. Das zentrale Konzept dieser Arbeit, der nachhaltige Tourismus, wird im nachfolgenden Kapitel 4 ausführlich dargestellt.
3.1. Sanfter Tourismus und verwandte Konzepte
Bei den ersten Konzepten, Tourismus nachhaltiger zu gestalten, wurde zunächst der ökologischen Komponente das Hauptgewicht beigemessen. Da Tourismus Landschaft und Umwelt zerstörte, vernichtete er auch seine eigene Grundlage. Krippendorf (1975) war einer der deutschsprachigen Vorreiter bei der Entwicklung alternativer Konzepte. Er entwarf eine Tourismusethik, die einen „neuen“ Touristen schaffen sollte, mit folgenden Eigenschaften: einsichtig, konsumkritisch, genügsam, anpassungswillig, rücksichtsvoll, innengeleitet, selbstbeschränkt, kreativ, lernbereit, etc. Einige dieser postulierten Eigenschaften führten zu einem bis heute andauernden „Begriffswirrwarr“. Etwa: Einsichtiger Tourismus, neuer Tourismus, rücksichtsvoller Tourismus, angepasster Tourismus, etc.
Im deutschsprachigen Raum war lange Zeit der Begriff des sanften Tourismus, in Abgrenzung zum harten Tourismus, dominant.[18] (z.B. Hasse 1990, Mose 2001). Dieser weckte Hoffnungen und Illusionen (vgl. Baumgartner 1998). Es entstand ein Gegenentwurf zu dem vorherrschenden Bild des Touristen, der eine Pauschalreise bucht und ohne kulturelle und ökologische Sensibilität durch die Welt „trampelt“. Man kann diese verschiedenen Begriffe, die alle in Richtung eines umweltschonenderen, sozial- und kulturverträglicheren Tourismus gehen und als „sanft“ klassifiziert wurden, auf zwei verschiedene Weisen verstehen: Zum einen als Vorläufer des nachhaltigen Tourismus, die in ihrem Aufbau noch „keine klare theoretische Konzeption“ (Becker u. a. 1996: XI) haben, aber in die richtige Richtung weisen und zum anderen als Nischentourismus, der naturnah, landschaftschonend und nicht massengeeignet ist. Dadurch gibt es zwar weniger Probleme mit dem Konzept der Tragfähigkeit eines Raumes, das von der Ökologie auf den Tourismus übertragen wurde, aber zugleich auch weniger wirtschaftliche Profite (vgl. Elsasser u. a. 1995,
Baumgartner 1998, Backes o. J.). Der ökologisch sensible Tourist, im Sinne des sanften Nischentourismus, ist meist ein finanziell leistungsstarker Kunde aus „westlichen“ Industrieländern mit einem Bedürfnis nach Exklusivität. Die Zielregionen liegen oft in tropischen Ländern, so dass große Distanzen überwunden werden müssen. Inwiefern eine energieintensive Anreise mit dem Flugzeug ökologisch nachhaltig sein kann, auch wenn relativ viel Geld für Übernachtung und Gebühren in den besuchten Schutzgebieten gelassen werden, bleibt fraglich. Eine solche materielle Aufrechnung von immateriellen und ökologischen Schäden wirft ethische Probleme auf.
3.2. Ecotourism
Der Begriff ecotourism wurde bereits 1965 geprägt und hat sich seitdem weltweit verbreitet. Die deutsche Übersetzung Ökotourismus konkurriert im deutschsprachigen Raum mit den vielen anderen Begriffen. Strasdas (2001) versteht unter Ökotourismus nachhaltigen Naturtourismus. Unter ecotourism wurde ursprünglich sozial- und umweltverträglicher Tourismus verstanden. Der Verträglichkeitsaspekt stand - unabhängig von Aktivitäten und Zielregionen - im Vordergrund und weist damit Parallelen zum nachhaltigen Tourismus auf. Durch das veränderte Gesellschaftsbewusstsein in den industrialisierten Ländern wurde der Terminus als Vermarktungsstrategie erkannt und weltweit dafür instrumentalisiert. Die heute gängigen Verwendungen des Begriffs ecotourism können sich auf die Art der Zielgebiete (relativ unberührte Natur), die Art der Aktivitäten (in der Natur), die Auswirkungen auf die Umwelt (möglichst wenige) oder auf nachhaltigen Naturtourismus beziehen. Wissenschaftler verstehen darunter meist einen nachhaltigen Tourismus in der Natur.[19]
West/ Carrier (2004) sehen im ecotourism den sich am schnellsten entwickelnden Bereich innerhalb des Tourismus; wie viele Touristen in diese Kategorie gehören, hängt von seiner jeweiligen Definition ab. Die Bedeutung und Verbreitung des Begriffes spiegeln sich in der Gründung von Zeitschriften wie das „Journal of Ecotourism“, von Gesellschaften wie der „International Ecotourism Society“ oder dem, von den Vereinten Nationen 2002 ausgerufenen „International Year of Ecotourism“ wider.
Wirtschaftliche Unternehmen, wie z.B. Touroperators, etc. verwenden den Begriff oft, um seine Zugkraft bei den Kunden zu nutzen und um die Illusion zu wecken, dass man durch seine touristischen Aktivitäten der Umwelt nicht schadet. Opaschowski schreibt: „'Öko' Reisen werden zunehmend als bloße Werbegags entlarvt.“ (Opaschowski 2001: 47). Oft werden alle Reisen oder Aktivitäten, die in Beziehung zur Natur stehen, unabhängig davon ob sie negative Auswirkungen haben, mit dem Label ecotourism geschmückt. Obwohl es keine Übereinstimmung bei den vielfältigen Verwendungen und teilweise auch bei den Definitionen von ecotourism gibt, würde die letztgenannte Bedeutung des Begriffes von den meisten Autoren als Naturtourismus bzw. add-on nature tourism kategorisiert werden.[20]
3.3. Naturtourismus
Naturtourismus soll hier eingehender untersucht werden, da er zum einen für die empirische Untersuchung dieser Arbeit relevant ist, und zum anderen die Natur als „Attraktion“ für die meisten Tourismusformen von essentieller Bedeutung ist. Insbesondere für Tourismus in ländlichen Regionen ist Natur die grundlegende Ressource: „Die Landschaft ist somit wahrlich Rohstoff, Existenzgrundlage und Wirtschaftsmotor des Tourismus.“ (Krippendorf in Schloemer 1999:15). Tourismus kann durch Nutzung bzw. Übernutzung seine Grundlage zerstören. Zersiedelung, Hotels, Parkplätze, Verkehr, etc. können das individuelle Profil einer Region verändern. Unangepasstes und umweltschädigendes Verhalten der Touristen bergen ebenso große Gefahren. Staiff/ Bushel schreiben: „To prevent tourism cannibalizing itself by destroying the very resources upon which its viability depends, there need to be greater efforts to strategically bring it, biodiversity conservation, and local communities together.” (Staiff/ Bushel 2004: 725). Gerade beim Naturtourismus sind nachhaltige Ansätze daher unerlässlich.
Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) stellt verschiedene Profile von Naturtouristen einander gegenüber (Agöt und Strasdas и. a. in: GTZ (Hg.) 1999: 29). Die für die empirische Forschung dieser Arbeit relevante Touristengruppe wird als casual nature tourists bezeichnet, die insgesamt die größte Gruppe ist und für die vor allem leichte Erreichbarkeit der Zielregion und offensichtliche Naturattraktionen wichtig sind. Intakte Natur oder Naturschutz spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In diese Kategorie gehört zum großen Teil die Gruppe der nationalen Touristen in den Ländern des Südens. Der casual nature tourist kann sensible Ökosysteme belasten, bietet aber aufgrund der Größe der Gruppe auch Chancen: „Indeed, if well managed, this type of tourism could even be a significant potential source of income for nature areas within range of holiday centres.“ (GTZ (Hg.) 1999: 29). Opaschowski sieht ein immer größer werdendes touristisches Interesse an der Natur: „Das Naturerlebnis steht immer mehr im Mittelpunkt, wobei die Natur mitunter nur das Ereignis und die Kulisse liefert.“ (Opaschowski 2001: 44). Dies deckt sich mit aktuellen Trends und bietet neben den Risiken auch Chancen fur die Erhaltung der Natur, auf die im späteren Verlauf der Arbeit genauer eingegangen wird.
Naturtouristen werden in dieser Arbeit als Menschen verstanden, die als Freizeitvergnügen in die Natur gehen. Ob ihr Verhalten positive oder negative Auswirkungen hat, wird dabei ausgeblendet.
3.4. Weitere Begriffe und Entwicklungen
Es gibt unzählige weitere Begriffe, die entweder Unter- oder Oberbegriffe von anderen sind oder sich überschneiden. Einige wie z.B. jungle tourism (Dschungeltourismus) beziehen sich auf die Zielgebiete, andere wie z.B. appropriate tourism oder intelligent tourism (angepasster- oder intelligenter Tourismus) auf die Auswirkungen, wieder andere wie adventure-, ethnic- und culture tourism (Abenteuer-, Ethno- und Kulturtourismus) auf die Aktivitäten (vgl. BMZ (Hg.)1995: 35 f).
Bis in die 90er Jahre war Umwelt eines der wichtigen internationalen Themen. Inzwischen hat es an gesellschaftlicher Bedeutung wieder verloren, dafür hat sich in der Tourismusindustrie allmählich die Erkenntnis ausgebreitet, dass durch einen schonenden Umgang mit der Umwelt die eigene Zukunft gesichert werden kann, so dass sich die Bemühungen der Industrie in diesem Bereich intensiviert haben. Hierbei spielt auch die Veränderung des Nachfrageverhaltens der Kunden eine Rolle, das lange unterschätzt wurde. Verschiedene Gütesiegel, wie die blaue Flagge und der grüne Koffer, wurden eingefuhrt. Die politischen Rahmenbedingungen, vor allem für den Umweltschutz, haben sich in einigen Ländern verbessert, allerdings kommt die Entwicklung, aufgrund der Unverbindlichkeit der politischen Vorgaben, nur schleppend voran. Eine Untersuchung von 69 großen Touristikunternehmen (Forsyth 1997) zeigt, dass die meisten die Notwendigkeit von Umweltschutzmaßnahmen verstehen, aber die Verantwortung in erster Linie bei den Gesetzgebern der einzelnen Länder sehen. Die freiwillige Verpflichtung hat sich oft als ineffektiv herausgestellt. Viele Unternehmen wünschen aber eine Regulierung, aus Angst vor nichttouristischen Unternehmen, wie z.B. Holzfirmen oder Firmen die Bodenschätze fördern, die die Natur zerstören. Die Tourismusindustrie wie auch die Regierungen verfolgen eine Politik der kleinen Schritte.[21]
Durch die Entwicklung nachhaltiger Strategien wurde die Tourismusförderung in den 90er Jahren auch fur die Entwicklungszusammenarbeit wiederentdeckt. Vor allem als Methode nachhaltiger Regionalentwicklung fur ländliche Gebiete, die auch die Verflechtung mit anderen Sektoren (Verkehr, Naturschutz, Landwirtschaft, Energie, etc.) berücksichtigt (vgl. Backes/ Goethe 2003, Backes o. J.).
Die vielen verschiedenen Begriffe und deren unterschiedliche Definitionen und Verwendungen machen es schwer, diese international zu verwenden, ohne sie jeweils definieren zu müssen. Vor allem der Begriff ecotourism umfasst eine sehr große Bandbreite an Bedeutungen und wurde zu oft missbraucht. Der Begriff des sustainable tourism (nachhaltiger Tourismus) ist dagegen relativ eindeutig und unstrittig und damit besser geeignet, das Konzept zu benennen: „Sustainability is a more powerful concept (than ecotourism) for defining an appropriate approach to tourism development.“ (Bentley in BMZ (Hg.)1995: 32). Die Vielfalt der Initiativen und Begriffe ist Ausdruck der komplexen Probleme, mit denen Tourismus konfrontiert wird.
Lag der Fokus zuerst einseitig auf wirtschaftlichen Aspekten, kamen in den 80er und 90er Jahren ökologische und teilweise auch soziokulturelle Gesichtspunkte hinzu.[22] Die Ansätze in diesen Jahrzehnten thematisierten allerdings schwerpunktmäßig die Umwelt-verträglichkeit. In den letzten Jahren ist dann zunehmend die dritte Dimension nachhaltiger touristischer Entwicklung, der soziokulturelle Aspekt, berücksichtigt worden. Im Konzept des nachhaltigen Tourismus sind die drei Aspekte der Nachhaltigkeit, zumindest formal, gleichberechtigt.
4. Nachhaltiger Tourismus
Die Entstehung des nachhaltigen Tourismusansatzes beruht auf der Übertragung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung auf den Tourismus. Die früheren Ansätze, Tourismus nachhaltiger zu gestalten, vereinfachten eine Konkretisierung, da man auf bereits gewonnene Erkenntnisse zurückgreifen konnte. Im Folgenden wird zunächst die nachhaltige Entwicklung als theoretische Grundlage erläutert, bevor die zentralen Nachhaltigkeitskriterien ausführlich dargestellt werden.
4.1. Nachhaltige Entwicklung
Das Konzept der Nachhaltigkeit wurde im 19. Jahrhundert in der Forstwissenschaft entwickelt und besagte, dass man nicht mehr Bäume fällen sollte, als im gleichen Zeitraum nachwachsen können.
Bereits 1980 wurde nachhaltige Entwicklung in einer wissenschaftsinternen Veröffentlichung diskutiert. Im Trend der Zeit lag auch hier ein Übergewicht auf ökologischen Aspekten zuungunsten einer ganzheitlicheren Betrachtung.
Durch den Bericht der Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen von 1987, besser bekannt als Brundtland - Report[23], wurde der Begriff der nachhaltigen Entwicklung[24] {sustainable development) populär. Er definierte nachhaltige Entwicklung folgendermaßen: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.” {In: Nash 1996: 125).[25] Auf der Konferenz in Rio de Janeiro {1992)[26] wurde mit der Agenda 21 Nachhaltigkeit zum globalen umweltpolitischen Leitbild erhoben, das man im Grunde auf alle Bereiche ausdehnen kann. Inzwischen ist der Begriff der Nachhaltigkeit in den Alltagssprachgebrauch eingeflossen und wird inflationär verwendet {vgl. Baumgartner 1998, Beckeru. a. 1996).
Nachhaltige Entwicklung ist ein ganzheitliches Konzept bzw. ein Prozess zur Lösung globaler Umwelt- und Verteilungsprobleme. Sie impliziert eine inter- und intragenerative, sowie auch eine Nord - Süd - Gerechtigkeit. Lokale Probleme werden in den historischen, nationalen und globalen Kontext eingebettet. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung lässt sich als Zieldreieck mit drei gleichberechtigten Zielen formulieren: Wirtschaftswachstum, Sozial- und Kultur-, sowie Umweltverträglichkeit. Das Konzept ist dabei immer zukunftsorientiert und verfolgt lang- bzw. mittelfristige Strategien.
Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzmöglichkeiten für nachhaltige Entwicklung: Erstens den top down Ansatz, der durch Gesetze, Konferenzen, etc von „oben“ wirkt. Er hat den Nachteil, dass es lange dauert bis Ergebnisse sichtbar werden, häufig nur Kompromisslösungen hervorbringt und durch den Zwang von „oben“ zu Ablehnung führen kann. Der zweite Ansatz, bottom up, betrifft die Menschen direkter, dafür bleibt er allerdings meist auf den lokalen Kontext beschränkt. Es kann sich so aber eine Vorbildfunktion für andere entwickeln, die sich dann weiter ausbreitet. Die lokale Agenda 21 versucht, diesen Ansatz zu verwirklichen. Damit nachhaltige Entwicklung erfolgreich sein kann, müssen beide Ansätze parallel wirken und interdisziplinäre Lösungsstrategien entwickelt werden (vgl. Baumgartner 1998, Schloemer 1999, Blättel - Mink 1999).
Der Begriff Entwicklung beschreibt allgemein einen Prozess von Zustandsänderungen in einem Raum. Diese können - wenn auch nur bedingt - mit ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Indikatoren, die wiederum von verschiedenen Variablen abhängen, messbar gemacht werden. Der Entwicklungsbegriff hat durch den Kontext der nachhaltigen Entwicklung eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Während früher Entwicklung fast mit wirtschaftlichem Wachstum gleichzusetzen war, kommt nun eine qualitative Bedeutung hinzu: „In short, growth is quantitative increase in physical scale, while development is qualitative improvement or unfolding of potentialities.“ (Daly in Becker u. a. 1996: 2).
Die nachhaltige Entwicklung ist, obwohl grundsätzlich alle drei Bereiche gleich gewichtet werden sollten, nach wie vor von ökologischen Aspekten dominiert. Dies liegt unter anderem an der theoretischen Entstehung des Konzeptes, das in erster Linie auf die zunehmende globale Umweltzerstörung zurückgeht. Eine andere Ursache liegt darin begründet, dass man sich mit Operationalisierungsmaßnahmen und bei der Umsetzung in die Praxis noch schwer tut, Indikatoren für den soziokulturellen und ökonomischen Bereich zu finden. Wie soziokulturelle oder ökonomische Aspekte stärker in das komplexe Konzept miteinbezogen werden können, bleibt noch zu erarbeiten. Für den soziokulturellen Bereich sind die Sozialwissenschaften, wie unter anderem die Ethnologie, gefragt (vgl. Baumgartner 1998).
Die nachhaltige Entwicklung versucht die erweiterten Grundbedürfnisse, die nicht nur Kleidung, Wohnen, Nahrung, Gesundheitsfürsorge und Fortpflanzung beinhalten, sondern auch Erholung und Bildung, zu befriedigen und langfristig zu sichern. Erholung ist ein universelles menschliches Bedürfnis. Tourismus kann dieses Bedürfnis befriedigen.
Nachhaltigkeit kann nur in einer Gesamtrechung funktionieren, da es in einem so komplexen System wie dem Tourismus zu zahlreichen Wechselwirkungen kommt. Die Region als überschaubarer Bezugsrahmen wird dabei immer wichtiger. Innerhalb einer Region sind die Wechselwirkungen leichter festzustellen, können Abläufe optimiert und negative Einwirkungen von außen minimiert werden.
Die GTZ schreibt: „Wenn man nachhaltige Entwicklung anstrebt, ist der Tourismus ins Kalkül zu ziehen. Tourismus ist ein wesentlicher Faktor bei der wirtschaftlichen Entwicklung und der Umsetzung von Armutsminderungsprogrammen.“ (GTZ 2005: o. S.). Nachhaltige (Tourismus-) Entwicklung muss ökologisch tragbar, ökonomisch machbar und soziokulturell akzeptabel sein. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Kriterien Tourismus konkret erfüllen muss, um nachhaltig zu sein.[27]
4.2. Nachhaltigkeitskriterien im Tourismus
Nachhaltiger Tourismus ist ein Konzept, das auf alle Formen touristischer Entwicklung angewendet werden kann. Hier wird der Fokus der Betrachtung auf nachhaltigen Tourismus im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung ländlicher Gebiete gelegt, da die zugrunde liegende empirische Untersuchung sich auf eine solche bezieht.
Ein großer Vorteil des nachhaltigen Tourismus gegenüber seinen Vorläufern ist seine Einbettung in ein globales, sektorenübergreifendes Konzept, das eine ganzheitliche Betrachtung zulässt und eine sinnvolle Vernetzung und Abstimmung zwischen lokalen, regionalen, nationalen und globalen Akteuren bzw. Aspekten fordert und ermöglicht. Tourismus wird dabei nicht als ein isolierter Wirtschaftszweig wahrgenommen, sondern in das gesamte wirtschaftliche, ökologische und soziokulturelle Umfeld eingebettet. Besonders bei einem so komplexen Phänomen wie dem Tourismus, das auf so vielen Ebenen Aus- und Wechselwirkungen hat - die vor allem im soziokulturellen Bereich sehr subtil wirken - ist diese Einbettung und Vernetzung von essentieller Bedeutung, um dem Ziel der Nachhaltigkeit gerecht werden zu können.
Nachhaltiger Tourismus ist nicht nur eine Entwicklung des Tourismus in einer Region, sondern auch Werkzeug für eine nachhaltige Regionalentwicklung auf verschiedenen Ebenen. Für eine nachhaltige Raumentwicklung ist Tourismus als Mittel in Betracht zu ziehen: „Insbesondere in ländlichen Räumen wird dem Tourismus eine hohe Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung zugeschrieben. Oft scheinen die wesentlichen touristischen Ressourcen Fläche und Natur unbegrenzt vorhanden und die einzigen Potentiale, die ökonomisch zu verwerten sind.“ (Becker u. a. 1996: 152). Eine andere wirtschaftliche oder militärische Nutzung kann, genau wie unter Umständen Umweltschutz, eine touristische Entwicklung stören oder nicht sinnvoll machen.
Die Tragfähigkeit eines Raumes (carrying capacity) ist ein Konzept aus der Ökologie, kann aber auf den Tourismus übertragen werden: „Die touristische Tragfähigkeit eines Raumes bestimmt die maximale touristische Nutzbarkeit, bei der keine negativen Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen, die Erholungsmöglichkeiten der Besucher sowie auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur des betreffenden Gebietes erfolgen.“ (WTO in Becker u. a. 1996: 110). Fragen nach geeigneten Orten, wie viele Besucher diese verkraften, was für Aktivitäten und Entwicklungen angebracht sind und welche touristische Infrastruktur dafür benötigt wird, sind zu stellen. Die Tragfähigkeit hängt mit dem Konzept der critical loads oder critical levels zusammen, die immer lokalspezifisch zu ermitteln sind. Indikatoren sind z.B. eine bestimmte Anzahl Fahrzeuge pro Zeiteinheit, das Verhältnis von Touristen zu Einwohnern, das Verhältnis von Besuchern zur Fläche von Schutzgebieten, die Abwasserbelastung, etc. Während Indikatoren für den ökologischen Bereich bereits relativ ausgearbeitet sind, besteht für den ökonomischen und vor allem für den soziokulturellen Bereich noch viel Forschungsbedarf, um diese zu ermitteln. Rein quantitative Indikatoren und Erfassungsmethoden können dies nicht leisten, da vor allem soziokulturelle Belastungsgrenzen viel mit individueller und kollektiver Wahrnehmung zu tun haben und regionalspezifisch stark variieren können. Es ist hierfür also notwendig, zunächst allgemeine Indikatoren zu ermitteln und diese dann dem regionalen Kontext anzupassen. Die Nichtbeachtung der Tragfähigkeit eines Raumes kann fatale Folgen haben. Durch Nutzung bzw. Übernutzung kann die touristische Grundlage und das individuelle Profil einer Region zerstört werden. Bei einer relativ häufig vorkommenden, nicht nachhaltigen, einseitigen Ausrichtung auf den Tourismus, kann dies den Verlust der wirtschaftlichen Lebensgrundlage einer Region bedeuten.
Nachhaltiger Tourismus ist eine qualitative Weiterentwicklung des touristischen Angebotes. Er fördert Einkommen, Investitionen, Ausbildung, Bildung (auch für Reisende), Unternehmertum, Arbeitsplätze, Infrastruktur, interkulturelles Verständnis und die lokale Verantwortung und Eigenständigkeit. Hierfür ist die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand (Kommunen, Planungsgemeinschaften, etc.), Privatunternehmen, Vereinen, Verbänden und Haushalten notwendig. Nachhaltiger Tourismus verbessert die touristischen Dienstleitungen, entwickelt lokale und internationale Vermarktungsmechanismen und strebt eine Verbesserung der Rahmenbedingungen mit staatlicher Hilfe an. Die Politik hat vielfältige Einflussmöglichkeiten, z.B. durch arbeitsrechtliche Bestimmungen, Mindestlöhne, Begrenzung ausländischer Investitionen und baurechtliche Beschränkungen. Das nationale Umwelt-, Gesundheits- und Bildungssystem ist ein immanenter Bestandteil der regionalen Struktur.
Nachhaltiger Tourismus muss, abgesehen von der Anbieterseite in den Zielregionen, auch die Nachfrageseite berücksichtigen. Hier ist zum einen der berechtigte Anspruch auf Erholung der Touristen zu nennen, sowie die weitreichenden Einflüsse und Auswirkungen derselben.
Durch die Einführung und Weiterentwicklung von Gütesiegeln können die Transparenz und die Qualität gesteigert werden, die dann Wettbewerbsvorteile bieten und damit auch Anreiz für andere sind, diesem Beispiel zu folgen.
20 % der Weltbevölkerung sind für 80 % der Umweltbelastungen verantwortlich. „Das heißt, die menschengemachte Umweltproblematik ist vor allem ein gesellschaftliches Problem, zu dessen Lösung es eines veränderten Naturverständnisses der Bewohner besonders der Industrieländer und innovativer sozialer Lösungsansätze bedarf.“ (Becker u. a. 1996: 4). Nachhaltiger Tourismus bietet Chancen, das Bewusstsein für globale Veränderungen im Umwelt- und Sozialbereich zu stärken.[28]
Als Grundlage für die weitere Diskussion soll an dieser Stelle nachhaltiger Tourismus definiert werden. Eine kurze, die wichtigsten Aspekte benennende, Definition lautet:
„Als nachhaltig wird Tourismus dann angesehen, wenn er einen Umgang mit allen Ressourcen in einer Art und Weise ermöglicht, dass ökonomische, soziale und ästhetische Bedürfnisse erfüllt werden können und gleichzeitig die kulturelle Integrität, essentielle ökologische Vorgänge und die Biodiversität erhalten bleibt.“ (Onlineumweltlexikon 2005).
Die WTO erkennt in den vielen Definitionen von nachhaltigem Tourismus drei wichtige Aspekte:
1. „Quality. Sustainable tourism provides a quality experience for visitors, while improving the quality of life of the host community and protecting the quality of the environment.
2. Continuity. Sustainable tourism ensures the continuity or the natural resources upon which it is based, and the continuity of the culture of the host community with satisfying experiences for the visitor.
3. Balance. Sustainable tourism balances the needs of the tourist industry, supporters of the environment, and the local community. Sustainable tourism emphasizes the mutual goals and cooperation among visitors, host community, and destination in contrast to traditional approaches to tourism, which emphasise their diverse and conflicting needs.” (Gee [World Tourism Organisation] 1999: 232 [Hervorhebungen im Original]).
Diese drei Aspekte, Qualität, Kontinuität und Ausgewogenheit, lassen sich auf die drei betroffenen Kernbereiche[29] Sozialkultur, Ökologie und Ökonomie anwenden. Dabei müssen die Wechselwirkungen zwischen den Bereichen berücksichtigt werden. Diese Vernetzung untereinander ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung des nachhaltigen Tourismuskonzepts. Die Analyse des komplexen Systems und die Berücksichtigung aller Wechselwirkungen erfordern einen ganzheitlichen Ansatz. Die drei Bereiche sind letztendlich nicht strikt zu trennen, da die Wechselwirkungen und Überschneidungen klare Zuteilungen in manchen Fällen schwierig machen. Rein ökonomische oder ökologische Aspekte, für die andere Wissenschaften als die Ethnologie bessere Beiträge liefern können, werden hier nur kurz angerissen. Die einzelnen Nachhaltigkeitsaspekte werden in den folgenden Unterkapiteln in eher aufzählender Art und Weise dargestellt, um einen Überblick über die vielfältigen Kriterien zu vermitteln.
Die meisten Autoren nennen trotz der Gleichstellung der drei Bereiche meist zuerst die Ökonomie, dann die Ökologie und als letztes die Sozialkultur. Daran lässt sich erkennen, dass sie entweder nach wie vor wirtschaftlichen und ökologischen Belangen die größte Priorität einräumen und die soziokulturellen Aspekte nur der Vollständigkeit halber anführen oder aber einfach den alten Mustern folgen. Die traditionelle Reihenfolge wird auch hier beibehalten, jedoch nur aus praktischen Gründen, da von den soziokulturellen Aspekten ausgehend die ethnologischen Beiträge im darauf folgenden Kapitel entwickelt werden. Die Bezeichnung Ökonomie ist ungenügend, da die wirtschaftlichen Bereiche immer den Menschen betreffen. Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern dient der Erhaltung der menschlichen Lebensgrundlage und hat Auswirkungen auf soziale, kulturelle und ökologische Aspekte. Deshalb wird im Folgenden die Bezeichnung sozioökonomische Aspekte verwendet.
[...]
[1] Wenn im Folgenden von Touristen, Akteuren, Besuchern, etc. die Rede ist, sind immer auch Touristinnen, Akteurinnen, Besucherinnen, etc. gemeint.
[2] Auf dieses Konzept wird in Kapitel 4 ausführlich eingegangen.
[3] Weitere Definitionen, die teilweise stark variieren in Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999: 5.
[4] Der Begriff Urlaub kommt von erlauben, gemeint ist die Erlaubnis vom Arbeitgeber nicht arbeiten zu müssen (vgl. Opaschowski 2001).
[5] Vgl. Ludwig 1990, Neuer 1990, Becker u. a. 1996, Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Opaschowski 1996.
[6] Vgl. unter anderem Krüger 1995, Hahn/ Kagelmann 1993, Wöhler 1999, Opaschowski 1996.
[7] Böhmer-Bauer (2004: 72) weist darauf hin, dass in vortouristischer Zeit die Abhängigkeit vom Bodenbau bzw. von der Viehhaltung durch Missernten (Hagel, Seuchen, Insektenplagen, etc.) oder durch Viehverluste (Rinderraub, Epidemien, Weide- Wassermangel, et.) gegeben war. Das Problem der Krisenanfälligkeit ist also nicht durch den Tourismus entstanden, sondern hat sich auf diesen verlagert.
[8] Zum Begriff Ökotourismus im Kapitel 3.2. mehr. Hier wird er als Nischentourismus verstanden. Bei der ITB (Internationale Tourismus Börse) 2005 in Berlin war Ökotourismus in der Halle 1.1.: „Trends und Events“ repräsentiert.
[9] Vgl. Mergen 1995, Baumgartner 1998, Wöhler 1999, Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Beckeru. a. 1996, Opaschowski 1996und2001.
[10] Neben dem Binnentourismus ist auch der regionale Reiseverkehr, z.B. in Südostasien, stark angewachsen. Hierbei gibt es viele Parallelen zu den Binnentouristen. In dieser Arbeit wird sich auf die Binnentouristen beschränkt.
[11] Vgl. Ghimire 2001, Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Pearce 1989, Bernklau 1991, Frenzel 1999, Vorlaufer 1996.
[12] Z.B.: Kaliurang am Merapi, Darjeeling in Indien, etc.
[13] Vgl. Ghimire 2001, Vorlaufer 1996, Frenzel 1999, Becker u. a. 1996.
[14] Siehe Anhang.
[15] Vgl. Ghimire 2001, Vorlaufer 1996, Frenzel 1999, Bernklau 1991.
[16] Vgl. Ghimire 2001, Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Bernklau 1991, Vorlaufer 1996, Frenzel 1999.
[17] Vgl. Pearce 1989, Ghimire 2001, Frenzel 1999, Vorlaufer 1996.
[18] Sanftes Reisen bedeutet, sich dem landesüblichen Lebensstil anzupassen und hartes Reisen meint, seinen eigenen Lebensstil mitzubringen (vgl. Schloemer 1999).
[19] Vgl. BMZ (Hg.) 1995, West/ Carrier 2004, Schloemer 1999, Strasdas 2001.
[20] Vgl. BMZ (Hg.) 1995: 34, GTZ (Hg.) 1999: 29.
[21] Vgl. Beckeru. a. 1996, Opaschowski 2001, Schloemer 1999, Backes o. J.
[22] Negative ökologische und soziokulturelle Auswirkungen wurden vereinzelt schon seit den 50er und 60er Jahren bemängelt.
[23] Gro Harlem Brundtland war damals norwegische Premierministerin und Vorsitzende der Kommission. Seit 1998 ist sie Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation {WHO).
[24] Eine weitere mögliche Übersetzung von sustainable ist dauerhaft.
[25] Einen Vergleich der wesentlichen Komponenten von Nachhaltigkeit in verschiedenen Definitionen bietet Bieger {2004: 281 ff).
[26] Diese Konferenz wurde ebenfalls von der Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen veranstaltet.
[27] Vgl. Albrecht u. a. 1995, Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Blättel - Mink 1999, Bütow 1995.
[28] Vgl. GTZ 2005, Becker 1995, Bütow 1995, (Gee (Hg.) [World Tourism Organisation] 1999, Schloemer 1999, Becker u. a. 1996, Feige 1995, Baumgartner 1998, Hein 2003, Dallen 1999.
[29] Übersichten und Schaubilder der drei Bereiche unter anderem in Baumgartner 1998:19, Beckeru. a. 1996: 5, Pecher 1997:55, Becker 1995: 70.
- Quote paper
- Dominque Buchmann (Author), 2006, Naturtourismus am Vulkan Merapi - Ethnologische Beiträge zur Nachhaltigkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177274
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