Um die Mitte des 20. Jahrhunderts setzte in der Psychiatrie verstärkt ein Umdenken ein. Immer mehr Psychiater auf der ganzen Welt waren der Meinung, dass die traditionelle Psychiatrie versagte, ja sogar schädlich sei für die Patienten, und man von völlig falschen Prämissen ausginge. Sie entwickelten alternative Konzepte. in Italien führte dies letztlich dazu, dass die "Anstalten" per Gesetz verboten wurden. Der führende Kopf dieser Bewegung war der ebenso charismatische wie umstrittene Franco Basaglia.
Diese Arbeit untersucht die historischen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter welchen diese Reformbewegung entstand, sich entwickelte und letztlich zu dieser bahnbrechenden Entwicklung führte. Es wird weiterhin untersucht, wie die praktische Umsetzung außer und welche Ergebnisse sie hervorbrachte. Weiter wird versucht, sie in den antipsychiatrischen Kontext einzuordnen sowie eine kritische Würdigung vorzunehmen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Grundlegende Vorbemerkungen
2.1. Quellen, Forschungsstand, historiographische Einordnung
2.2. Anmerkungen zur Terminologie
2.3. Psychiatrie und Geschichtswissenschaft
2.4. Konzise Darstellung der globalen Antipsychiatriebewegung
2.5. Das Problem der psychiatrischen Diagnose
3. Gesellschaft im Wandel: Italien in den 60ern und 70ern
3.1. Die politische Landschaft Italiens
3.2. Protestbewegungen der 60er und 70er: conditio sine qua non?
3.2.1. Die Arbeiterbewegung
3.2.2. Die Studentenbewegung
3.2.3. Die Dynamik der Gleichzeitigkeit
3.3. Italiens Wirtschaft
3.4. Verwaltungsreform: Die Regionalisierung
3.5. „68“ und „77“
3.6. Das Verhältnis der Italiener zum Staat
3.7. Wandel der Familienstruktur
3.8. „Anti-emarginazione“
4. Italiens Psychiatrie
4.1. Italiens Psychiatrie bis 1960
4.2. Die italienische Antipsychiatrie
4.2.1. Chronologischer Überblick
4.2.2. Theorie und Praxis
4.2.3. Die Verdienste des Franco Basaglia
4.3. Die Reform: Gesetz Nr. 180
4.3.1. Vorgeschichte
4.3.2. Die Gesetze von 1904 und 1968
4.3.3. Inhalt des Gesetzes Nr. 180
4.3.4. Bewertung, Probleme, Anfechtungen
5. Kritische Betrachtung der Resultate der Reform
6. Reaktion der traditionellen Psychiatrie
7. Schlussbetrachtung
8. Anhang: Abbildung „San Giovanni“: 1974 vs. 1980
Man wird sich seinen eigenen gesunden Menschenverstand nicht dadurch beweisen können, daßman seinen Nachbarn einsperrt.
F. Dostojewskij[1]
Wer als geisteskrank zu gelten hat, ist auch eine Frage des Geistes der Zeit.
A. Plack[2]
1. Einleitung
Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Schwachen und Hilfebedürftigen, ihren Armen und Kranken, lässt zweifellos Rückschlüsse über die Gesellschaft selbst zu. In ihm spiegeln sich Mentalität und Menschenbild, Werte und Normen der betreffenden Gesellschaft. Das 20. Jahrhundert brachte für den Bereich der Psychiatrie diverse kritische Bewegungen hervor, die eine Reformbedürftigkeit der etablierten Schulmedizin sahen. Die bekanntesten dieser Bewegungen entstanden in Italien, England, den USA sowie in der BRD. Sie werden allgemein als „Antipsychiatrie“ bezeichnet, obwohl sich die Protagonisten zumeist von diesem Terminus distanzierten. Ihnen allen ist die Unzufriedenheit mit der anerkannten Psychiatrie gemein sowie eigene, alternative Konzepte. Sie alle hatten das Bedürfnis nach einer humaneren Wissenschaft, wenngleich ihre Lösungsvorschläge teils stark divergent waren.
In der vorliegenden Arbeit soll eine dieser Bewegungen eingehender betrachtet werden: die italienische Reformbewegung um Franco Basaglia. Dabei handelt es sich um Kritik aus den Reihen der etablierten Psychiatrie selbst, formuliert von traditionell ausgebildeten Psychiatern.[3] Es sollen Theorie und Praxis dieser Bewegung deutlich und die Entstehungsbedingungen nachgezeichnet werden. Wie sich zeigen wird, handelt es sich um einen besonderen Moment in der italienischen Geschichte, der durch eine Vielzahl von Faktoren und Ereignissen eine Reform, wie sie sich in Italien vollzog, erst ermöglichte. Der kausale Nexus dieser Faktoren soll in seinen Grundzügen nachgezeichnet werden. Dazu ist es nötig, sich eingehender mit der gesellschaftlich-politischen Entwicklung der Nachkriegszeit bis etwa ins Jahr 1980 zu beschäftigen. Weiterhin soll gezeigt werden, wie die etablierte Medizin auf diesen radikalen Angriff reagierte, und welche Bedeutung der italienischen Antipsychiatrie im Rückblick zukommt. Abschließend wird der Versuch einer kritischen Würdigung unternommen.
2. Grundlegende Vorbemerkungen
2.1. Quellen, Forschungsstand, historiographische Einordnung
Die Quellen zur Antipsychiatriebewegung in Italien stellen den Historiker vor einige Probleme. Sie zeichnen häufig ein disparates Bild, je nachdem, welche Literatur herangezogen wird. Es handelt sich um eine äußerst polarisierende Bewegung. Dies schlägt sich in der Literatur nieder. Wo einige eine rühmliche und durchaus erfolgreiche Bewegung zur Korrektur fehlgeleiteter Tendenzen sehen, beobachten andere eine gescheiterte, von naivem Utopismus geprägte Alternativbewegung, die lediglich aufgrund des Zeitgeistes überhaupt ernsthaft wahrgenommen wurde. Es scheint deshalb angebracht, auf die wichtigsten Titel kurz einzugehen.
Ein Standardwerk der kritischen Psychiatrie hat der italienische Psychiater Jervis verfasst.[4] Es nimmt eine differenzierte Mittelstellung zwischen traditioneller und kritischer Psychiatrie ein. Um die Theorie und Praxis des Teams um Basaglia zu verstehen, empfiehlt sich die Lektüre seiner posthum publizierten Lebensbilanz.[5] Hartungs „Die neuen Kleider der Psychiatrie“ bietet einen lesenswerten und umfangreichen Einblick in die Praxis der vermutlich erfolgreichsten Anstaltsauflösung der italienischen Antipsychiater; obwohl er eine Zeit lang in Triest mitgearbeitet hat, bewahrt er die nötige Distanz für eine kritische Betrachtung.[6] Eine empfehlenswerte Gesamtdarstellung der Antipsychiatriebewegungen bietet Bopp.[7] In seiner Darstellung finden sich die wesentlichen Erkenntnisse, Argumente und Positionen der aktuellen Forschung zur Antipsychiatrie wieder. Für eine beinahe alle Facetten der italienischen Erfahrungen behandelnden Lektüre sei die Dissertation von Rittmeyer empfohlen, die auch nach fast 25 Jahren nicht an Wert eingebüßt hat.[8] Unverzichtbare Analysen der italienischen Gesellschaft bieten Tarrow[9], Lumley[10] und Hess.[11]
Eine Untersuchung der Psychiatrie ist naturgemäß in erster Instanz Psychiatriegeschichte. Darüber hinaus jedoch kann sie für einige weitere Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft von Interesse sein. Ob Zeit-, Mentalitäts-, Kultur-, Ideen-, Medizin-, Begriffs- oder Wissenschaftsgeschichte: Sie alle werden die Geschichte der Psychiatrie für sich fruchtbar machen können.
2.2. Anmerkungen zur Terminologie
Das Präfix „Anti-“ war zu Beginn der antipsychiatrischen Bewegung keineswegs ein Novum. Bereits 1909 wurde eine „antipsychiatrische Skizze“ veröffentlicht sowie das „antipsychiatrische Zentralorgan“ gegründet. Schott bemerkt jedoch einschränkend dazu in seinem Psychiatriehandwörterbuch, damit sei „eine nur allzu sehr berechtigte Kritik gemeint, nicht aber das, was später ‚Antipsychiatrie’ bedeutete.“ Denn Letztere sei darüber hinausgegangen und habe mit ihren Thesen den „Boden der Realität verlassen“ - eine Erklärung, inwiefern genau sich die Kritik von 1909 von der der 1960er und 1970er unterschied, bleibt er jedoch schuldig. Basaglia indes ordnet er nicht der Antipsychiatrie zu, da dieser „nicht antipsychiatrisch, sondern antiinstitutionell“ arbeite.[12] An dieser Stelle erscheint es angebracht und notwendig, einige Begrifflichkeiten zu klären.
Die Polarisierung „Antipsychiatrie“ versus „traditionelle Psychiatrie“ legt eine Dichotomie nahe, die einer kritischen Würdigung eher hinderlich ist. Unter dem Begriff der Antipsychiatrie wurden und werden oftmals recht widersprüchliche und inhomogene Bewegungen subsumiert. Bopp spricht deshalb von einem „Kampfbegriff“, der „ungenau und missverständlich“[13] sei; Jervis merkt an, es handele sich um einen Begriff, „von dem niemand genau weiß, was er bedeutet“.[14] Fälschlicherweise vermittelt der Begriff „Antipsychiatrie“ den Eindruck, es handele sich um Konzepte, die die Psychiatrie in toto negierten, somit die absolute Antithese[15] zur traditionellen Psychiatrie bildeten. Wenngleich dies im Einzelfall stimmen mag, so ist zumindest in Italien Vorsicht geboten. Wie an anderer Stelle dieser Arbeit gezeigt wird, kann die Bewegung in Italien nicht als Revolution, sondern eher als Reform bezeichnet werden, ist somit nicht ausschließlich antonym zur etablierten Psychiatrie. Man wird Jervis zustimmen müssen, für den die Antipsychiatrie eine „Extrapolation“ fortschrittlichster Tendenzen innerhalb der Psychiatrie ist.[16] Von den Vertretern, die der Antipsychiatrie zugerechnet werden, hat einzig Cooper sein Konzept explizit so genannt. Basaglia lehnte den Begriff Antipsychiatrie vehement ab; was man in Italien betreibe sei „Nicht-Psychiatrie“.[17] Antipsychiatrie ist somit vorwiegend eine Fremdzuschreibung.
In einem (traditionellen!) Psychiatriewörterbuch werden drei logische Ebenen der Antipsychiatrie identifiziert:
1. Veränderungen im konkreten Instrumentarium psychiatrischer Versorgung: In diesem Sinne bedeutet Antipsychiatrie eine Abschaffung brutaler Repressions- und Zwangsmaßnahmen der klassischen Anstaltspsychiatrie, Einrichtung neuer Versorgungsstrukturen und ist daher weitgehend bedeutungsgleich mit Sozialpsychiatrie;
2. psychiatrische Theorienbildung und geisteswissenschaftliche Diskussion: Auf dieser Ebene ist Antipsychiatrie eine Haltung, die die Existenz psychischer Störungen verneint, in Frage stellt oder als eine von vielen möglichen menschlichen Seinsweisen ansieht;
3. Protest gegen die Psychiatrie: In diesem Sinne sind Formen von Organisationen und Selbstorganisation Betroffener, Beteiligter und kritischer Bürger sowie Selbsthilfe außerhalb des psychiatrischen Versorgungssystems als antipsychiatrisch zu bezeichnen.
Demgegenüber wird die Psychiatrie definiert als „Agglomerat von architektonischen, juristischen und physischen Maßnahmen zur Einschließung und Manipulation der Körper einer Gruppe von abweichenden Personen“.[18]
Legt man die oben zitierten Kriterien als Maßstab an, so ist die italienische Reformbewegung zweifelsohne der Antipsychiatrie zuzuordnen. Die Einschätzungen darüber, ob nun die italienischen Erfahrungen tatsächlich der Antipsychiatrie zuzurechnen sind oder nicht, gehen indes weit auseinander. Die Kritiker rechnen sie üblicherweise undifferenziert hinzu, wenngleich es Ausnahmen gibt. Es sind eher die Verfechter, die stärker differenzieren und darauf hinweisen, dass es gute Gründe gibt, hier nicht von Antipsychiatrie zu sprechen. An manchen Stellen wird von der „demokratische[n] Psychiatrie“[19] gesprochen, andere sprechen von der „neue[n] Psychiatrie“,[20] wiederum andere nennen sie „antiinstitutionell“ oder „kritisch“.[21] Um der Lesbarkeit willen habe ich bewusst auf eine derartige sprachliche Differenzierung verzichtet und referiere in dieser Arbeit allgemein auf die „Antipsychiatrie“, wohl wissend um die Strittigkeit dieses Terminus. Es sei deshalb an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch ich der Meinung bin, dass man streng genommen nicht von einer antipsychiatrischen Bewegung, sondern vielmehr von einer antiinstitutionellen, kritischen, demokratischen Psychiatrie sprechen sollte. Die Gründe dafür werden im Laufe der Diskussion evident werden.
Noch kritischer wird es bei zwei anderen Sujets, die sich zwangsläufig auf Dauer nicht vermeiden lassen. Es geht zum einen um die Bezeichnung der „Patienten“ - darf man, besonders in Zeiten politischer Korrektheit, von „Irren“ sprechen, von „Geisteskranken“ und „Verrückten“? Und sind somit die großen psychiatrischen Verwahrungshäuser als „Irrenanstalten“[22] o.ä. zu bezeichnen? In der Literatur, die dieser Arbeit zu Grunde liegt, werden in der Tat hauptsächlich diese Begriffe verwendet - man darf dabei nicht vergessen, dass einige Schriftstücke beinahe ein halbes Jahrhundert alt sind. In manchen etwa wird völlig unbedacht von „Negern“ berichtet, heutzutage undenkbar. Die wenigsten Autoren reflektieren ihre Wortwahl, wie es etwa Hartung tut: „Ich benutze in diesem Buch die Worte verr ü ckt, Verr ü ckte ziemlich bedenkenlos und ohne Anführungszeichen. Das Objekt der Psychiatrie verrückt zu nennen scheint mir noch am gerechtesten, am wenigsten die Würde verletzend.“[23] Wenngleich den Ausführungen Sculls insgesamt zu widersprechen ist, so hat er an einer Stelle vollkommen recht:
The use of such terms as ‘mental illness’ invites accusations that one has thoughtlessly swallowed psychiatry's claims to rationality and disinterested benevolence, and uncritically excepts the so- called ‘medical model’ of mental disorder. Yet the selfconscious avoidance of this terminology is linguistically awkward. (…) In the absence of a vocabulary that is neutral in these respects (...) I have chosen to refer almost interchangeably to madness, mental illness, mental disturbance, and the like.[24]
Die relative Neutralität der englischen, von Scull gewählten Ausdrücke geht in der deutschen Übersetzung leider verloren. Aus eben diesen Gründen wird in dieser Arbeit mehrheitlich von „Patienten“ und „Geisteskrankheiten“ gesprochen. Von „psychiatrischen Kliniken“ zu sprechen erscheint mir mit Rücksicht auf die Zustände in Italien in den 60er und 70er Jahren unangebracht, da verharmlosend. „Irrenanstalt“, „Narrenhaus“ etc. sind umgangssprachlich und abwertend, deshalb wird hier recht allgemein von „(psychiatrischen)Anstalten“ gesprochen.
2.3. Psychiatrie und Geschichtswissenschaft
Eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung der (Anti-)Psychiatrie wie die hier vorliegende Bedarf zunächst einer näheren Bestimmung des Verhältnisses von historischer Forschung und Psychiatrie. Für Hoff ist Psychiatriegeschichte vor allem Begriffsgeschichte:
Ein wesentliches Merkmal moderner psychiatriehistorischer Forschung ist ja gerade, dass sie sich nicht als l’art pour l’art versteht und schon gar nicht als Hagiographie, sondern als Begriffsgeschichte, als ‚conceptual history’. Ihr Gegenstand ist dann wesentlich die kritische Analyse früherer und heutiger Denkfiguren.[25]
Ein gelegentlich geäußerter Vorwurf an die Geschichtswissenschaft seitens der Medizin sei, so Tanner, dass ihr „die ‚Binnensicht’ des Phänomens und das entsprechende Problemverständnis abgehe“.[26] Doch genau darin liegt die Stärke einer historischen Betrachtung. Denn sie vermag es, die Psychiatrie „in ihrer Zeitbedingtheit, in ihrer Abhängigkeit von wandelbaren Aufgabenstellungen, institutionellen settings und kognitiven Schemata zu analysieren. Sie bringt also eine Perspektive ins Spiel, die in der Psychiatrie selbst nicht vorgesehen ist.“[27] Dennoch wird man der Anmerkung von Jervis eine gewisse Validität zugestehen müssen:
Die Mehrzahl dieser Leser interessieren sich für das, was sie lesen, obwohl sie nie eine psychiatrische Klinik betreten haben. Und doch fragt man sich spontan, ob ihnen nicht die einfachsten Kenntnisse, die grundlegenden kritischen Mittel fehlen, um all das Geschriebene einzusch ä tzen. Das mag als ein zu hartes Urteil erscheinen. Aber man kann z.B. leicht feststellen, daß ein großer Teil der Leute, die diese Bücher kaufen, nicht in der Lage sind, auch nur mit einem Minimum an Klarheit den Unterschied zwischen Psychologie, Psychiatrie und Psychoanalyse zu erklären. Die Popularisierung psychologischer, psychoanalytischer und psychiatrischer Themen als Konsumgegenstand kümmert sich nicht darum, ihn klarzustellen.[28]
Wenngleich Jervis sich hier nicht auf Historiker, sondern auf den nicht-akademischen Laien als Konsument psychiatrischer Literatur bezieht, ist sein Einwand auch im Hinblick auf eine Untersuchung wie die vorliegende gerechtfertigt. Bei den Recherchen zu dieser Arbeit wurde sehr schnell deutlich, dass viele Begrifflichkeiten eine Trennschärfe innehaben, die in diesem Rahmen unmöglich erschlossen werden konnte. Die hier zu Grunde liegenden Definitionen mussten operabel sein. Ein Beispiel: „Schizophrenie“ wird von Foucault definiert als eine Störung der normalen Assoziationskohärenz - gewissermaßen eine Spaltung des Gedankenflusses - und andererseits Einbruch im emotionalen Kontakt zur Mitwelt, die Unmöglichkeit, mit dem effektiven Leben Anderer spontan in Verbindung zu treten (Autismus).[29]
Weiter wird Schizophrenie von Foucault nicht erläutert. Jervis hingegen definiert den Terminus auf 20 (!) Seiten.[30] Hinzu kommt die von Foudraine monierte Tendenz der Psychiater, bis zur Unverständlichkeit zu abstrahieren:
Psychiater schreiben sehr viel. Manche ihrer Bücher sind lesbar. Aber viele Arbeiten sind einfach unverdaulich. (...) Was der Laie wahrscheinlich nicht weiß: Psychiater können die Veröffentlichungen ihrer Kollegen ebenfalls nicht immer verstehen. (...) Die Autoren haben den unwiderstehlichen Drang zur Abstraktion, den Drang, sich von ihren konkreten Erfahrungen mit konkreten Menschen und konkreten Situationen zu entfernen. Die Folge ist, dass sie sich im Nebel verlieren mit Worten über Worte, statements über statements über statements, und so werden sie unlesbar.[31]
Die Lektüre der Beiträge Basaglias stellt eine solche Hürde dar. Sein Schreibstil sei „frankly difficult to follow“[32], er benutze „jargon which unfortunately is off-putting and difficult to understand”.[33] Dem stimme ich größtenteils zu, wenngleich man Basaglia nicht immer diesen Vorwurf machen kann.[34] Einige seiner Texte sind durchaus zugänglich; es handelt sich dabei zumeist um Berichte aus der Praxis, bei denen theoretische Überlegungen sekundär sind.
Den Abschluss dieses Kapitels sollen einige Anmerkungen zur Frage der Objektivität bilden. Huisman mahnt in seinem Aufsatz den Historiker zur gebotenen Distanz:
Because psychiatric standards tend to be subjective and very much a product of their time, we do not have any criteria in hand to measure linear development. It remains to be seen whether this represents a loss to the history of psychiatry. It is true that value judgments are part of history writing, and this especially applies to the history of psychiatry. But exactly because this is the case, a certain degree of irony and distance should be welcomed. They prevent the historian from taking the perspective and rhetorics of the historical actors he is studying at face value. A certain degree of aloofness would seem to be a precondition to understand the unintended effects of the thoughts and actions of historical actors. To put it in an exaggerated way: the historian does not want to celebrate (like psychiatrists) or to criticize (like social scientists); he wants to analyse.[35]
Ich stimme der Grundprämisse Huismans zu. Es sei jedoch, White folgend, darauf hingewiesen, dass die „Erzählweise“ immer auch eine moralisierende Komponente beinhaltet: „Where, in any account of reality, narrativity is present, we can be sure that morality or a moralizing impulse is present too. (...) Could we ever narrativize without moralizing?“[36]
2.4. Konzise Darstellung der globalen Antipsychiatriebewegung
Die italienischen Reformbestrebungen sind kein isoliertes nationales Phänomen, sondern in einem globalen Kontext zu betrachten. Sie fallen zeitlich zusammen mit ähnlichen Ideen in Europa und Nordamerika. Eine summarische Vorstellung der anderen Protagonisten der Antipsychiatrie soll die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bündig herausstellen. Als Vorreiter und theoretische Grundlage der Antipsychiatrie sind Foucault, Lacan und Marcuse zu nennen - ihre Schriften erfuhren eine häufige Rezeption innerhalb der Antipsychiatrie, wenngleich speziell Foucault nicht mit der Antipsychiatrie assoziiert werden wollte.[37] Die bekanntesten Vertreter der Antipsychiatrie waren neben Franco Basaglia vor allem David Cooper, R. D. Laing und Thomas Szasz sowie das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg (SPK) um Wolfgang Huber. Aufgrund seiner subversiven Radikalität und mangelndem fachlichen Hintergrund sowie der relativ kurzen Phase der Aktivität von gerade einmal 17 Monaten sei das SPK an dieser Stelle von der Betrachtung ausgenommen.
Cooper, ein südafrikanischer, in England tätiger Psychiater, missbilligte die Gewalt in der Psychiatrie sowie die gängigen Definitionen geistiger Gesundheit. Er suchte die Ursachen geistiger Störungen vor allem in der Familie, die er als Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse kritisierte. Seine Theorie rekurrierte stark auf Hegel und Marx. Als therapeutische Maßnahme führte er therapeutische Gruppen sowie Arbeitsgruppen ein, in denen er viel mit dem Begriff der „Entfremdung“ operierte. Bekannt ist vor allem seine „Villa 21“, deren dauerhafter Erfolg jedoch ausblieb. Er kritisierte die Mystifizierung des Arztes, forderte die Auflösung des hierarchischen Rollenverhältnisses: „Der Arzt wird mit magischen Kräften des Verständnisses und Heilens ausgestattet - manchmal stattet er sich selbst damit aus.“[38] Der politische Grundton war offensichtlich: „The political significance of madness becomes clearer if social alienation is seen as an issue of the class division of society and the relations between exploiters and exploited.“[39]
Der schottische Psychiater Laing befand, dass Geisteskrankheit eine von Menschen entwickelte Strategie sei, um in einer unerträglichen Situation (über-)leben zu können. Psychosen im Speziellen und Geisteskrankheiten im Allgemeinen definierte er als natürliche intrapersonale Reaktionen auf eine pathologische Umgebung, verkehrte somit argumentativ die bestehende Wertattribuierung ins Gegenteil. Er begutachtete demnach nicht nur das Individuum, sondern seine Gesamtsituation, und lehnte die nosologische Diagnostik ebenso wie eine Definition von Normalität kategorisch ab: „Was wir ‚normal’ nennen, ist ein Produkt von Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion, Introjektion und anderen Formen destruktiver Aktion gegen die Erfahrung.“[40] Der traditionellen Psychiatrie attestierte er repressiven Charakter: „I agree with the anti-psychiatric thesis that by and large psychiatry functions to exclude and repress those elements society wants excluded and repressed.”[41] Ebenso wie Cooper lehnte Laing die superiore Rolle des Arztes ab.
Der amerikanische Psychiater Szasz versuchte, „die Sprache der Psychiatrie wieder ethisch zu machen und zu repolitisieren“. Auch er lehnte eine Klassifizierung mittels der psychiatrischen Terminologie strikt ab: „Die Unterwerfung der menschlichen Existenz (...) begann mit der Identifizierung und Klassifizierung sogenannter Geisteskrankheiten.“ Für ihn gab es Geisteskrankheit nicht; Geisteskrankheit sei ein „Mythos“, eine leere soziale Konstruktion, die es dem Menschen erlaube, sich seinen Problemen nicht zu stellen. Ferner erkannte Szasz eine gesellschaftsformende Funktion psychiatrischer Einrichtungen sowie die ökonomische Motivation der „Psychohygiene“. Sein Lösungsvorschlag indes bleibt unbefriedigend und erstaunt angesichts des ansonsten anthropozentrischen Tones seiner Schriften: Er plädiert für eine freie, marktwirtschaftliche Psychiatrie: „The disadvantaged poor would then remain disadvantaged, not through the persecution of an Inquisition or institutional psychiatry, but as a consequence of a free market contractual psychiatry“. Itten vermisst in Szaszs Ausführungen eine Sensibilität für die Bedürfnisse der Kranken: „Nowhere do we find a deep questioning of the need for solace, for respect, for harmony, for healing, or for love - it is simply contractual, moral, and responsible”.[42] Wie seine Kollegen Cooper und Laing verurteilte auch Szasz die Hierarchie zwischen Arzt und Patient.
Die Behauptung, die unterschiedlichen Richtungen würden durch „nichts weiter als das Präfix ‚anti’“[43] zusammengehalten, ist falsch. Die Mittel mögen variiert haben, doch die Intention, das Streben nach mehr Humanität und vor allem die Eliminierung repressiver und klassifizieren der Elemente in der Psychiatrie, war allen gemein. Es lässt sich subsumierend folgender gemeinsamer Nenner allgemein bestimmen: „Ihre [die Antipsychiatrie; Anm. d. Verf.] Protagonisten lehnten, kurz gesagt, die Etikettierung psychischer Störungen als Krankheit ab. Sie definierten sie vielmehr als Folge sozialer Prozesse der Ablehnung und diskriminierenden Ausgrenzung durch die vermeintlich ‚normale’ und ‚gesunde’ Mehrheit der Gesellschaft.“[44]
2.5. Das Problem der psychiatrischen Diagnose
An dieser Stelle soll gezeigt werden, weshalb die Psychiatrie so anfällig für Kritik war, wenn es um die Frage der Zuverlässigkeit ihrer Diagnosen ging. Dabei soll für einen Moment die antipsychiatrische Perspektive ausgeklammert werden. Anhand von durchgeführten Experimenten wird schnell deutlich, wie willkürlich das psychiatrische Wissen teilweise anmutet. Zunächst sei eine kleine Anekdote aus dem Italien der Nachkriegszeit wiedergegeben. Eine kleine Provinz mit dem Namen Ancona war während des Zweiten Weltkriegs so heftigen Bombenangriffen ausgesetzt, dass die dortige Anstalt zwar nicht ganz, aber dennoch so stark zerstört wurde, dass die Mehrheit der Patienten die Flucht ergreifen konnte. Dies geschah auf dem Höhepunkt des Krieges, so dass man schlichtweg nicht die Zeit fand, sich um den Verbleib der Geflohenen zu kümmern. Basaglia erzählt:
Als man nach dem Krieg zur Normalität zurückkehrte, begannen die Menschen nach den psychisch Kranken zu fragen. Viele fand man nicht mehr. Aber schließlich entdeckte man, dass einige von ihnen ganz in der Nähe der Anstalt lebten und arbeiteten, wie alle anderen. Dies brachte einige Psychiater auf den Gedanken, dass diese psychiatrisch Kranken und Internierten auch anders zu behandeln sein müssten. Weitere Folgen hatte diese Geschichte jedoch nicht.[45]
Offenbar trugen die ehemaligen Patienten keine eindeutig identifizierbaren „Symptome“ zur Schau, die sie verraten hätten. In dieses Bild fügen sich die vom amerikanischen Wissenschaftler Rosenhan 1973 durchgeführten Experimente, die „in aller Klarheit (...) die Fragwürdigkeit der psychiatrischen ‚Diagnostik’“ aufdeckten.[46] Personen, die bis dahin keinerlei Kontakt zur Psychiatrie hatten, gingen in verschiedene Kliniken und meldeten sich dort. Bei der Untersuchung behaupteten sie, Stimmen gehört zu haben, die jedoch unverständlich gewesen sein. Abgesehen von der Vortäuschung dieser Symptome und abgeänderter Namen und Berufe präsentierten sie ihre Lebensgeschichte ansonsten so, wie sie tatsächlich war. Sie hatten die Aufgabe, sich unmittelbar nach Aufnahme wieder „normal“ zu verhalten, um so ihre Entlassung zu erwirken. Die Aufenthaltsdauer in den Kliniken variierte bei den Teilnehmern von einer Woche bis zu über 50 Tage.[47]
Obwohl die ScheinpatientInnen sich Mühe gaben, so ‚normal’ als möglich zu wirken, wurde kein einziger entlarvt. Die Entlassung-‚Diagnose’ lautete bei elf ‚Fällen’ ‚Schizophrenie in Remission’ und beim Zwölften einfach ‚Schizophrenie’.[48]
Rufer berichtet weiterhin von einem zweiten Experiment. Die Resultate des eben beschriebenen Experiments wurden von den amerikanischen Psychiatern an renommierten Universitätskliniken angezweifelt. Rosenhan kündigte daraufhin an, auch zu ihnen Scheinpatienten zu schicken:
In der betreffenden Zeit wurden 193 Neueintritte beurteilt; davon wurden 41 von mindestens einem Teammitglied (Psychiater, Schwestern, Pfleger und Psychologen waren beteiligt) mit hoher Wahrscheinlichkeit als ScheinpatientIn bezeichnet; 23 erachtete mindestens ein Psychiater als suspekt, 19 erschienenen einem Psychiater und einem weiteren Teammitglied als verdächtig. In Wirklichkeit hatte sich in dieser ganzen Zeit kein einziger Scheinpatient in der Klinik gemeldet.[49]
Es gibt weitere derartige Untersuchungen, von denen Rufer berichtet. Eine davon kam zu folgendem Ergebnis: „Bei einer Beurteilung derselben ‚PatientInnen’ durch zwei oder mehrere Psychiater lag die Übereinstimmung der ‚Diagnosen’ bei 50 %.“[50] Klaus Dörner, seines Zeichens Sozialpsychiater, resümiert: „Die gesamte Forschung, die auf den Fiktionen der psychiatrischen Diagnostik basiert, ist entweder überflüssig oder in ihrem Aussagewert erheblich eingeschränkt“.[51] Zumindest in seiner letzten Aussage wird man ihm nach den Experimenten von Rosenhan zustimmen müssen. Den vielleicht eindrucksvollsten Beweis für die Subjektivität der psychiatrischen Diagnostik liefert ein Experiment von Langer und Arbelson:
Ein auf Videoband aufgezeichnetes Gespräch mit einem jungen Mann, in dem dieser seine beruflichen Schwierigkeiten schildert, wurde Klinikern vorgespielt, von denen bekannt war, daß sie die therapeutische bzw. die traditionelle psychodynamische Richtung vertraten. Der ersten Hälfte wurde gesagt, der junge Mann sei ein Stellenbewerber, der anderen Hälfte, er sei ein Patient. Die Einschätzungen der Kliniker wurden auf einer Skala quantifiziert, die sich von 1 (schwer gestört) über einen mittleren Wert bis 10 (sehr gute soziale Anpassung) erstreckte. Diese Wörter: Stellenbewerber und Patient schufen für die traditionellen Diagnostiker ganz unterschiedliche Urteilskontexte. Je nachdem, ob das Band als therapeutisches Gespräch (X = 3,47) oder als Einstellungsgespräch (X = 6,2) präsentiert worden war, kamen sie zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen über die soziale Anpassung dieser Person. Je traditioneller die Ausrichtung der Kliniker, desto größer war der Unterschied.[52]
An den Experimenten ist, wohl kaum überraschend, Kritik seitens der traditionellen Psychiatrie geübt worden.[53] Auf diese näher einzugehen würde den Rahmen sprengen. Es sei jedoch ausdrücklich angemerkt, dass der Verfasser die geäußerten Einwände für substanzlos hält.
3. Gesellschaft im Wandel: Italien in den 60ern und 70ern
3.1. Die politische Landschaft in Italien
Um zu verstehen, welche politischen Ereignisse die Verabschiedung des Reformesetzes ermöglichten, ist es unabdingbar, sich mit der speziellen politischen Landschaft der sechziger und siebziger Jahre in Italien vertraut zu machen.
Italien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von einer Reihe von Mitte-Rechts-Regierungen regiert; ein Trend, der ab dem Jahr 1962/63 in die entgegengesetzte Richtung verläuft.[54] Diese langjährige Hegemonie der Democrazia Cristiana (kurz: DC; Christdemokraten) erklärt sich aus der Tatsache, dass die DC äußerst unterschiedliche Richtungen vereinte, „von einer gewerkschaftlichen und progressiven-katholischen Linken bis zu einer agrarischkonservativen Rechten“, wie Hess bemerkt. Dadurch wirkte man zwar innerlich entzweit, sprach aber gleichzeitig eine breite Wählerschicht mit verschiedenen Interessen an. Zwischen 1948 und 1963 regierte die DC teilweise sogar allein.[55] Einen weiteren Grund für diese Vormachtstellung der Christdemokraten sieht Hess darin,
daß ihr als Alternative nicht eine starke sozialdemokratische bzw. sozialistische Partei gegenübersteht, sondern eine kommunistische, und daß es ihr deshalb immer wieder gelingen konnte, auf der Basis eines militanten Antikommunismus einen in Demokratien üblichen, ja notwendigen Regierungswechsel auszuschließen.[56]
Den An- und Herausforderungen einer sich rapide wandelnden Gesellschaft war sie jedoch nicht gewachsen, was sich zum Teil historisch erklären lässt. Nach dem Ende des Faschismus hatte man in Italien eine schwache Exekutive installiert. Der Premierminister hatte deshalb kaum die Möglichkeit, seine Linie durchzusetzen. Dies ging zulasten der Entscheidungsfindung. Grund für diese Verfügung war weniger das Streben nach Gewaltenteilung als vielmehr die Furcht vor Autoritarismus. Die Folge war, dass Regierungen häufig wechselten und Minister selten lang genug im Amt blieben, um ihre Vorhaben in die Tat umzusetzen.[57]
Die Christdemokraten waren stets die Partei der Katholiken gewesen.[58] Unter dem Pontifikat Pius XII. war die Kirche „ein Bollwerk des staatstragenden Konservatismus und der beste Verbündete der DC“. Dies änderte sich zwar kurzzeitig mit Papst Johannes XXIII., unter dessen Führung gesellschaftliches Engagement an Bedeutung gewann, doch kurz darauf entfernte man sich unter Paul VI. wieder von dieser neugewonnenen Position. Dies führte zu einem Bruch der katholischen Gewerkschaften CSIL und ACLI mit der katholischen Kirche und der DC. Die beiden Gewerkschaften entwickelten in der Folge „radikale, antikapitalistische Haltungen“, und es formierten sich seitens der Kirche „Gruppen von Arbeiterpriestern“.[59] Auch in anderen Bereichen verlor die Kirche zunehmend ihren Einfluss. War sie zuvor eine Bastion des Antikommunismus und somit eine wichtige Stütze der Christdemokraten in einem Land traditionell folgsamer Katholiken gewesen, schwächte die einsetzende Säkularisierung zusehends die Position der Kirche und somit indirekt der DC.[60] Dies war zu keinem Zeitpunkt offensichtlicher als bei den beiden Referenden über das Abtreibungs- und Scheidungsgesetz Mitte der Siebzigerjahre, bei denen die Christdemokraten eine unerwartete, bittere politische Schlappe hinnehmen mussten, während die Kirche sich mit der Insubordination ihrer Gefolgschaft konfrontiert sah, denn sie hatte klare Direktiven ausgegeben.[61]
Die skizzierten Entwicklungen ermöglichten den letztlich erfolgten Wandel von Mitte-Rechts- Regierungen zu Mitte-Links-Regierungen, wie er in Italien erfolgt ist. Die genauen Details sind ausgesprochen kompliziert und werden in der für diese Arbeit verwendeten Literatur recht unterschiedlich dargestellt und bewertet. Trotzdem sei hier der Versuch unternommen, die wesentliche Tendenz nachzuzeichnen.
1960 hatte es seitens der Regierung den Versuch gegeben, die Nachfolger der Faschisten in die Regierung einzubinden, doch ohne Erfolg. Die italienische Bevölkerung tolerierte eine Öffnung nach rechts nicht, und so musste sich die Koalition nach links orientieren. Gründe für diese notwendige Neuorientierung waren zum einen die offensichtliche Regierungskrise[62] sowie die Sorge, eine weitere Exklusion der PSI (Partito Socialista Italiano: Sozialistische Partei Italiens) könnte diese den Kommunisten annähern. Die Bedingungen für eine Öffnung nach links waren 1963 günstiger als in den Jahren zuvor: Unter der Präsidentschaft Kennedys entspannte sich der Kalte Krieg etwas und zur gleichen Zeit erfolgte die zuvor erwähnte Lockerung der antikommunistischen Haltung in der Kirche.[63] Die so zustande gekommene Mitte-Links-Regierung mit Hilfe der Sozialisten war mit großen Erwartungen verbunden, die jedoch nicht erfüllt werden konnten:
Die Jahre der Mitte-Links-Regierung waren für die Arbeiterbewegung und für große Teile der Bevölkerung Jahre der Desillusion, die Aussicht auf die Möglichkeit, den politischen Einfluss der DC einschränken und die ‚Schaltzentrale’ der Regierung mitbeeinflußen zu können, schwand dahin.[64]
Doch auch wenn sie nicht viel erreichen konnte, hatte diese Regierung in der Retrospektive durchaus etwas Wesentliches geleistet, wenn auch anders als intendiert:
Nonetheless, the inclusion of the Socialists in the coalition placed new issues on the agenda and exposed them to public criticism in a way that made plain how divided the government was and how evenly-divided were the forces on either side of the debate. (…) With all their defects, the reforms of the Centre-Left were significant, not for what it accomplished, but for demonstrating what it could not accomplish and for revealing the extent of the cleavages in the elite.[65]
Für die Betrachtung der italienischen Psychiatriereform interessanter ist jedoch die Entwicklung in den siebziger Jahren, und hier vor allem die Kommunistische Partei Italiens (Partito Comunista Italiano, kurz PCI, im Deutschen zumeist mit KPI bezeichnet) und die Radikale Partei (Partito Radicale). Als 1963 die erste Mitte-Links-Regierung (Centro sinsitra) zustande kam, bekamen die Kommunisten etwas mehr als 25 % der Stimmen.[66] In den siebziger Jahren sollten sie dann eine wesentlich prominentere Rolle spielen. Bei den Kommunal- und Regionalwahlen 1975 kamen die Kommunisten mit 33,4 % beinahe an die Christdemokraten mit 35,3 % heran. Die Wahlen wurden als „politisches Erdbeben“ bezeichnet. Rechnet man die Sozialisten und weitere kleine linksradikale Parteien hinzu, so erhielt „die Linke“ mit 47 % beinahe jede zweite Stimme. Eine Regierung mit linker Mehrheit schien also greifbar nahe und keineswegs utopisch. Hinzu kommt, dass auf kommunaler Ebene bereits etliche Stadtverwaltungen unter kommunistischer Führung existierten.[67] In Bologna etwa waren die Kommunisten Mitte der Siebzigerjahre bereits seit drei Jahrzehnten an der Macht.[68] Die italienischen Kommunisten entsprachen dabei nicht dem Klischeebild, das üblicherweise evoziert wird. „Der Spiegel“ nannte sie wundersam gewandelte Kommunisten (...) die versprechen, was noch in keinem kommunistisch regierten Staat der Welt stattfand: Parteienpluralismus, Meinungsfreiheit, Machtverzicht bei Abwahl (...) Treueverspechen zu jener Nato, deren Sinn doch der Kampf gegen den Teufel Kommunismus ist und die deshalb vom Kommunismus bislang nur verteufelt wurde.[69]
In den turbulenten siebziger Jahren, an anderer Stelle in dieser Arbeit dargestellt, waren sie die „einzig stabile Kraft in einem Chaos“.[70] Man ging bewusst auf Distanz zu Moskau, wollte nicht den Eindruck erwecken, Anweisungen aus dem Kreml zu befolgen - der so genannte „Eurokommunismus“. Auch kritisierte man öffentlich die sowjetischen Aktionen des Prager Frühlings im Jahr 1968. Dies verschaffte der PCI Kredit bei der Bevölkerung. In Europa nahmen die italienischen Kommunisten eine Sonderrolle ein:
Überall sonst in Westeuropa sind Sozialisten oder Sozialdemokraten stärker als die Kommunisten, in Italien dagegen ist es links zu einer beispiellosen Hegemonie der KP gekommen: Ihren 33,4 Prozent Stimmen bei den Regionalwahlen stehen nur zwölf Prozent der PSI des Sozialisten de Martino und sogar nur magere 5,6 Prozent der PSDI des Sozialdemokraten Saragat gegenüber. Daß in Italien keine starke nicht-kommunistische Linkspartei entstehen konnte, verdankt das Land unbewältigter Vergangenheit.[71]
Die Kommunisten profitierten dabei von der mangelnden Durchsetzungskraft der „linken Konkurrenz“. Sowohl PSI als auch PSDI waren an den bereits erwähnten Koalitionen mit der DC ab 1963 beteiligt, ohne jedoch ein ebenbürtiger Partner für die DC zu sein, die stets dominierte. Für die Italiener, die sich Reformen wünschten, waren sie deshalb bald keine Alternative mehr. Es blieben wahlweise nur noch die Neofaschisten (Parlamentswahlen 1972: 9,2 %) und Kommunisten.[72] Letztere gehörten, anders als die Neofaschisten, zum „arco costituzionale“, dem „Bogen der verfassungstreuen Parteien“, der abgesehen von der MSI (Movimento Sociale Italiano = Neofaschisten) sämtliche Parteien umfasste. An der Ausarbeitung des Verfassungstextes waren die Kommunisten maßgeblich beteiligt. Nenning stellt fest: „Schon damals spielte die KPI die staatstragende Rolle einer echten Sozialdemokratie“.[73] Für die Gesundheitsreform war die Unterstützung der KPI von großer Bedeutung. Die Forderung nach Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes war erstmalig 1959 von der CGIL, einer sozialistisch-kommunistischen Gewerkschaft, formuliert und 1965 von der KPI der Initiativantrag im Parlament eingereicht worden. 1973 präsentierte die KPI erneut einen entsprechenden Antrag.[74] Auch nahm die KPI die konkreten Forderungen der italienischen Antipsychiater aus Görz in ihr Gesundheitsprogramm auf.[75] Insgesamt brachte die Regierungsbeteiligung der Kommunisten nur wenige Veränderungen. Dafür war ihr Einfluss auf die Gesundheitspolitik umso erheblicher:
The record of the 1976-9 governments was by no means entirely negative. A number of important and long overdue reforms passed into law, notably the consolidation of Italy's disparate health provision into a National Health Service. However, as we shall see in the next chapter, the implementation of these reforms was profoundly flawed. All in all, little had been gained from the PCI's participation in government by way of concrete reform.[76]
Wenngleich viele Mitarbeiter im reformwilligen Bereich des Psychiatriesektors Mitglieder der Kommunistischen Partei waren, so waren doch nicht alle kritischen Psychiater vom genuinen Engagement der Kommunisten überzeugt. Jervis wirft ihnen vor, „eklizistisch und opportunistisch“ zu sein. Der PCI sei im Hinblick auf die Psychiatrie „alles recht. Wenn es morgen jemand [sic!] gelingt, genügend Macht zu haben, der sagt, daß die Irren wieder eingeschlossen werden müssen, dann wird die PCI auch dazu ja sagen, auch das wird ihr recht sein.“[77] Es scheint sich dabei jedoch um eine Einzelmeinung zu handeln, die an dieser Stelle nicht geteilt wird.[78] Ein Engagement wie das des kommunistischen Bürgermeisters der Gemeinde Montesangiuste, als er 1968 „solange in den Hungerstreik [trat], bis ein Wohnhaus für ehemalige Psychiatrie-Patienten genehmigt“ wurde, dürfte jedoch auch unter den überzeugtesten Kommunisten eine Ausnahme sein.[79]
Über die Protestbewegung in Italien schreibt Fritzsche:
Eine anti-autoritäre Protestbewegung muß in einer Gesellschaft, in der es eine starke kommunistische Kultur gibt, notwendig anders verlaufen als die Protestbewegungen in den Ländern, in denen eine starke kommunistische Partei fehlt und in denen deshalb die Studentenbewegung als die kommunistische Bedrohung par excellence erscheinen muß. Kritik von links-außen in einer Gesellschaft, in der die führende Oppositionskraft von den Kommunisten gestellt wird, muß aber auch radikaler ausfallen.[80]
[74] Schönbäck, W., Grunds ä tzliche Ü berlegungen zu einer komparativen Analyse von Gesundheitssystemen am Beispiel Italiens, Großbritanniens und der Deutschen Demokratischen Republik, in: Ders. (Hg.): Gesundheit im gesellschaftlichen Konflikt. Vergleichende Analyse von Gesundheitssystemen (Medizin und Sozialwissenschaften 6), München u.a. 1980, S. 295-321, S. 328.
In Italien traf dies zweifelsohne zu. Auf der politischen Bühne tat sich nun in den siebziger Jahren die Radikale Partei hervor, deren Nähe zur Protestbewegung unübersehbar ist:
Seit 1976 ist im italienischen Parlament eine radikale Partei bürgerinitiativähnlichen Charakters vertreten, die sich von Anfang ihres Bestehens an immer wieder mit Nachdruck für die Verwirklichung dessen einsetzte, was in ihren Augen Menschenrechte darstellt (die Liberalisierung der Homosexualität, der leichten Drogen, Freigabe der Abtreibung, Scheidung und Kriegsdienstverweigerung). Von dieser Partei wurde im Frühjahr/Sommer 1977 ein großer Feldzug für acht Volksentscheide gegen Gesetze mit aus ihrer Sicht besonders repressiven Charakter, darunter auch das Irrenhausgesetz von 1904, durchgeführt. Diese Kampagne wurde von Seiten aller extraparlamentarischen Gruppen und einigen Vertretern der PCI/PSI mit solchem Einsatz unterstützt, daß zum Schluß die notwendige Anzahl von Unterschriften zusammenkam.[81]
Für die vorliegende Untersuchung sind folgende Entwicklungen festzuhalten: Eine konservative Regierung verlor aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung ihre Vormachtstellung und war gezwungen, sich nach links zu öffnen. Die Schwäche der sozialistischen Koalitionspartner stärkte aber die Kommunisten, die wiederum mit der Antipsychiatriebewegung eng verbunden waren. Aufgrund dieser in Europa ungewöhnlichen Situation musste sich Kritik von links radikal, sozusagen „ultralinks“, positionieren. Diese Konstellation ermöglichte diverse Referenden, von denen eines den Erlass des Gesetzes Nr. 180 bewirkte, was wiederum nur dadurch möglich war, dass die Bevölkerung den Glauben an die Reformwilligkeit und -fähigkeit der großen Volkspartei DC verloren hatte. Basaglia spricht nicht umsonst vom „besondere[n] historische[n] Moment, der dies ermöglicht hat“.[82]
3.2. Protestbewegungen der 60er und 70er: conditio sine qua non?
„Jede Analyse der Neuen Psychiatrie in Italien, die sie nicht in engem Bezug mit der politischen und kulturellen Entwicklung von ‚68’ sieht, geht an ihrem Verständnis vorbei,“ schreibt Weber-Unger.[83] Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. An dieser Stelle soll deshalb eine genauere Betrachtung der italienischen Gesellschaft während der „68er“[84] erfolgen -doch nicht nur das.
[...]
[1] Zit. nach Foucault, M., Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (Suhrkamp Wissenschaft 39), Frankfurt am Main 2007, S. 7.
[2] Zit. nach Kisker, K., Dialogik der Verr ü cktheit. Ein Versuch an den Grenzen der Anthropologie, Den Haag 1970, S. 16.
[3] Der vorgegebene Rahmen dieser Arbeit nötigt zwangsläufig zu Einschränkungen. Eine solche stellt die Konzentration auf die Bewegung um Basaglia dar. Er war beileibe nicht der einzige Psychiater, dessen Kritik an der Schulmedizin eine nähere Betrachtung verdient. Sein Name jedoch ist praktisch synonym mit den italienischen Erfahrungen. Viele der anderen Psychiater, die andernorts in Italien ähnliche Reformexperimente durchführten, waren früher Mitarbeiter und Kollegen Basaglias. Wenngleich sich ihre Theorien punktuell unterscheiden, sind sie doch in wesentlichen Aspekten deckungsgleich. Die vorgenommene Reduktion ist diesem Umstand geschuldet. Wo es wichtig erscheint, wird auf entsprechende Parallelen und Differenzen zwischen den einzelnen Vertretern der italienischen Antipsychiatrie verwiesen.
[4] Jervis, G., Kritisches Handbuch der Psychiatrie, Frankfurt am Main 1978.
[5] Basaglia, F., Die Entscheidung des Psychiaters. Bilanz eines Lebenswerks, Bonn 2002. Wer sich vor allem für die Theorie der Antipsychiatrie als solcher interessiert, dem sei der Sammelband eines Autorenkollektivs empfohlen, das sich wie ein „who-is-who“ der internationalen Antipsychiatriebewegung liest, mit Beiträgen u.a. von Basaglia, Foucault, Castel, Laing, Goffman, Szasz u.a.: Basaglia, F., Basaglia-Ongaro, F., Befriedungsverbrechen, in: Basaglia, F. u.a. (Hgg.), Befriedigungsverbrechen. Ü ber die Dienstbarkeit der Intellektuellen, Frankfurt am Main 1980.
[6] Hartung, K., Die neuen Kleider der Psychiatrie. Vom antiinstitutionellen Kampf zum Kleinkrieg gegen die Misere - Berichte aus Triest, Berlin 1980.
[7] Bopp, J., Antipsychiatrie. Theorien, Therapien, Politik, Frankfurt am Main 1982.
[8] Rittmeyer, C., Zur “ Antiemarginationsbewegung “ Italiens im Zeitraum von 1961-1986. Darstellung und Diskussion alternativer Ans ä tze der Arbeit mit psychisch Kranken und Menschen mit anderen Formen der Behinderung, Köln 1986, zugl. Köln, Univ. Köln, Diss. 1987.
[9] Tarrow, S ., Democracy and disorder. Protest and politics in Italy 1965-1975, Oxford 1989.
[10] Lumley, R., States of emergency. Cultures of revolt in Italy from 1968 to 1978, London u.a. 1990.
[11] Hess, H., Italien. Die ambivalente Revolte, in: Ders. u.a. (Hgg.), Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus Bd. 2, Frankfurt 1988, S. 9-166.
[12] Schott, H., Tölle, R. (Hgg.), Geschichte der Psychiatrie. Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen, München 2006, S. 207, 211, 309.
[13] Bopp, J., Antipsychiatrie. Eine verdr ä ngte Herausforderung, in: MMG 6 (1981), S. 59-64, hier: S. 61.
[14] Jervis, G., Der Mythos der Antipsychiatrie, in: Ders., Rella, F., Cooper, D., Der Mythos der Antipsychiatrie (Internationale marxistische Diskussion 74), Berlin 1978, S. 35.
[15] „Anti“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „gegen, gegenüber, entgegen“. Das Präfix bezeichnet zwar in aller Regel „einen ausschließenden Gegensatz“, allerdings, und dies wird häufig außer acht gelassen, ebenso „einen komplementären Gegensatz“. In letzterem Sinne wird hier von Antipsychiatrie gesprochen. Kraif, U. (Hg.), Duden. Das Fremdwörterbuch (der Duden in 12 Bänden; Bd. 5), Mannheim u.a. 2005, S. 73.
[16] Bopp, Herausforderung, S. 61.
[17] Jervis Comba, L., „ C “ -Frauen. Die letzte geschlossene Abteilung, in: Basaglia, F. (Hg.), Die negierte Institution oder die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, ein Experiment der psychiatrischen Klinik in Görz, Frankfurt am Main 1971, S. 228-273, hier: S. 268.
[18] Wienand, U., s.v. Antipsychiatrie, in: Rexilius, G. (Hg.), Handbuch psychologischer Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 77-81, hier: 76.
[19] Crepet, P., Antipsychiatrie. 10 Jahre verr ü ckte Anomalie, Köln 1989, S. 8. Diese Idee heißt im Sprachgebrauch der deutschen Psychiatrie übrigens „offene Psychiatrie“. Vgl. ebd.
[20] Jervis, G., Risso, M., Wienand, U., Gespr ä ch ü ber Psychotherapie, in: Psychologie und Gesellschaftskritik 3 (1979), S. 56-67, hier: S. 56.
[21] Bopp, Herausforderung, S. 61.
[22] Zur Etymologie des Adjektivs/Adverbs „irre“ und des intransitiven Verbs „irren“ vgl. Kobbé, U .: Zwischen gef ä hrlichem Irresein und gefahrvollem Irrtum. Determinanten, (Kon)Texte, Praxis des Entscheidungsverhaltens im reformierten Maßregelvollzug - eine theoretisch-textkritische Analyse und empirisch-explorative Untersuchung, Berlin u.a. 1996, zugl. Diss. Univ. Bielefeld 1996, S. 50f.
[23] Hartung, Kleider, S. 29. Hervorhebung im Original.
[24] Scull, A., Deinstitutionalization. Cycles of despair, in: The Journal of Mind and Behaviour 11 (1990), S. 301- 312, hier: S. 306. Hervorhebung des Verfassers.
[25] Hoff, P., Autonomie und psychiatrische Krankheitsmodelle. Die historische und aktuelle Perspektive, in: Ders., Rössler, W. (Hgg.), Psychiatrie zwischen Autonomie und Zwang, Berlin 2004, S. 7-25, hier: S. 24.
[26] Tanner, J., Der „ fremde Blick “ . Möglichkeiten und Grenzen der historischen Beschreibung einer psychiatrischen Anstalt, in: Hoff, Psychiatrie, S. 45-66, hier: S. 47.
[27] Ebd., S. 48. Hervorhebung im Original.
[28] Jervis, Handbuch, S. 24. Hervorhebung im Original.
[29] Foucault, M., Psychologie und Geisteskrankheit (Edition Suhrkamp 272), Frankfurt am Main 1991, S. 15.
[30] Jervis, Handbuch, S. 387-407.
[31] Foudraine, J., Wer ist aus Holz? Neue Wege der Psychiatrie, München 1981, S. 9f.
[32] Jones, K., Poletti, A., Understanding the Italian Experience, in: British Journal of Psychiatry 146 (1985), S. 341-347, hier: S. 342.
[33] Cohen, Roots, S. 160.
[34] Dem Leser wird auffallen, dass in der Arbeit häufig in der 1. Ps. Sg. gesprochen wird. Es handelt sich dabei um einen bewussten Bruch mit der besonders in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung gängigen Praxis, auf sich selbst in der dritten Person zu referieren. Es gibt dafür m.E. keinen überzeugenden Grund. Vgl. Crane: „Generations of historians have been trained to resist any impulse toward getting personal. (...) A historian may choose to say ‘I think,’ or she may choose to do rather than say, to demonstrate in the third person. It is a stylistic choice. (...) Although the research can be presented without reference to the researcher, there is no compelling reason why it must be.” Crane, S., Historical Subjectivity. A Review Essay, in: The Journal of Modern History 78 (2006), S. 434-456, hier: S. 437, 455 f.
[35] Huisman, F., From Exploration to Synthesis. Making New Sense of Psychiatry and Mental Health Care in the Twentieth Century, in: Gijswijt-Hofstra, M. u.a. (Hgg.), Psychiatric Cultures Compared. Psychiatry and Mental Health Care in the Twentieth Century, Amsterdam 2006, S. 405-423, hier: S. 418.
[36] White, H., The Value of Narrativity in the Representation of Reality, in: Ders., The Content of The Form, Baltimore 1987, S. 1-25, hier: S. 24f.
[37] „Episode ist geblieben, dass Wahnsinn und Gesellschaft nach 1968 eine neuerliche Rezeption seitens der so genannten Antipsychiatrie erfuhr, zu der Foucault nie gehören wollte.“ Schneider, U., Michel Foucault, Darmstadt 2004, S. 43.
[38] Cooper, D., Psychiatrie und Anti-Psychiatrie (Edition Suhrkamp 497), Frankfurt am Main 1975, S. 27, 34, 38, 43, 48, 51, 53, 104. Vgl. Fischer, T., “ Gesund ist, wer andere zermalmt “ . Heinar Kipphardts "M ä rz" im Kontext der Antipsychiatrie-Debatte, Bielefeld 1999, S. 105.
[39] Zit. nach Spandler, H., To make an Army out of Illness. A History of the Socialist Patients' Collective Heidelberg 1970-1972, in: Asylum 6 (1992), S. 3-16, hier: S. 11.
[40] Zitiert nach Hartung, K.,Wolff, R., Psychische Verelendung und die Politik der Psychiatrie, in: Enzensberger, H.M. (Hg.), Kursbuch 28. Das Elend mit der Psyche I (1972), S. 1-107, hier: S. 83.
[41] Itten, T., Roberts, R., Laing and Szasz. Anti-psychiatry, Capitalism and Therapy, in: The psychoanalytic Review 93-5 (2006), S. 781-799, hier: S. 781.
[42] Itten, Laing, S. 793.
[43] Weinholz, G., Wider das Klassifizieren von Menschen durch die traditionellen Experten. Ü ber Anti Psychiatrie, Anti-Psychologie und eine andere politische Philosophie in der Medizin ü berhaupt (Reihe Psychologie Bd. 4), Pfaffenweiler 1984, S. X.
[44] Kersting, F. W., Psychiatriereform und ’ 68, in: Westfälische Forschungen 48 (1998), S. 283-295, hier: S. 291.
[45] Basaglia, Entscheidung, S. 119.
[46] Rufer, M ., Irrsinn Psychiatrie. Psychisches Leiden ist keine Krankheit - die Medizinalisierung abweichenden Verhaltens, ein Irrweg, Bern 1988, S. 34.
[47] Ebd., S. 34f.
[48] Ebd., S. 35.
[49] Ebd., S. 39. Hervorhebung im Original.
[50] Ebd., S. 40.
[51] Zit. nach ebd.
[52] Zit. nach Rittmeyer, Antiemarginationsbewegung, S. 130.
[53] Vgl. ebd., S. 130f.
[54] Reinhardt, V., Geschichte Italiens. Von der Sp ä tantike bis zur Gegenwart, München 2003, S. 302.
[55] Hess, Revolte, S. 17.
[56] Ebd., S. 90.
[57] Tarrow, Democracy, S. 42f.
[58] Dies ist nach Einschätzung von Tarrow auch der wesentliche Grund dafür, dass die Christdemokraten über lange Jahre nicht für ihre Politik zur Verantwortung gezogen worden. Vgl. ebd., S. 42.
[59] Hess, Revolte, S. 43.
[60] Partridge, H., Italian politics today, Manchester u.a. 1998, S. 91.
[61] Hess, Revolte, S. 90f. Zur Verdeutlichung: Beim Referendum über das Scheidungsgesetz erhielten die Christdemokraten gemeinsam mit den Neofaschisten 40,7 % der Stimmen, gegenüber den 59,3 % der linksliberalen Kräfte. Vgl. ebd.
[62] Weber-Unger, 30.
[63] Partridge, 94.
[64] Weber-Unger, S., Wahnsinn und Politik. Zur Neuen Psychiatrie in Italien (Campus: Forschung 412), Frankfurt am Main u.a. 1984, S. 31. Vgl. Partridge, Politics, S. 94, Hess, Revolte, S. 18 und Tarrow, Democracy, S. 55.
[65] Ebd., S. 56. Hervorhebung im Original.
[66] Hess, Revolte, S. 18.
[67] Fritzsche, P., Die politische Kultur Italiens, Frankfurt am Main 1987, zugl. Braunschweig, Techn. Univ., Habil.-Schrift, 1987, S. 146.
[68] o.A., Italien: Weg ohne Umkehr?, in: Der Spiegel (Nr. 22/30. Jahrgang), 24. Mai 1976, S. 116-137, hier: S. 121.
[69] Ebd., S. 116f.
[70] Ebd., S. 117.
[71] Ebd., S. 119f. Es half der PSI ungemein, dass ihre Führung sich als gemäßigte und lernfähige Partei präsentierte. Dazu Schlitter: „Den Beweis für ihr politisches Geschick haben die Kommunisten schon längst erbracht. Sie haben schon lange ihrer Jugendsünde abgeschworen, das Paradies auf Erden in kurzer Zeit realisieren zu wollen.“ Vgl. Schlitter, H., Italien. Industriestaat und Entwicklungsland, Hannover 1977, S. 118. Auch Hess sieht in dem eher pragmatisch-realistischen Vorgehen der italienischen Kommunisten eine ihrer Stärken: „Kommunisten und Sozialisten waren ein Volksfrontbündnis eingegangen, strebten jedoch keine sozialistische Verfassung an, sondern nur eine sogenannte ‚fortschrittliche Demokratie’“. Vgl. Hess, Revolte, S. 16. Genau diese Haltung sollte später den „Historischen Kompromiss“ ermöglichen, der zwar allgemein als gescheitert betrachtet wird, aber dennoch einen einzigartigen historischen Moment markiert.
[72] Spiegel, Italien, S. 120f.
[73] Nenning, G., Weimar in Italien. Arbeitslose als Voraussetzung des neuen Faschismus, in: Neues Forum 285, S. 13-16, S. 14. Nennings Artikel wurde, das muss einschränkend bemerkt werden, in einem linksorientierten Magazin veröffentlicht; seine Einschätzung der italienischen Kommunisten scheint jedoch im Großen und Ganzen stimmig zu sein.
[75] Bopp, Theorien, S. 73.
[76] Partridge, Politics, S. 101.
[77] Jervis, Gespr ä ch, S. 59.
[78] Zehentbauer zufolge wird die Rolle der Kommunisten in der BRD überbewertet: „An dieser Stelle muß ein in der BRD weitverbreiteter Irrtum korrigiert werden: Oft heißt es nämlich, die Neue Psychiatrie verdanke ihre Existenz der KPI, und das ist nicht richtig. Es wäre wahrscheinlich auch ohne KPI eine alternative psychiatrische Versorgung aufgebaut worden, langsamer vielleicht, womöglich auf andere Art und Weise.“ Vgl. Zehentbauer, J., Die Auflösung der Irrenh ä user oder: Die Neue Psychiatrie in Italien, Frankfurt am Main 1990, S. 105. In seiner Einschätzung wird man ihm vermutlich zustimmen müssen.
[79] Vgl. ebd., S. 78.
[80] Fritzsche, Kultur, S. 131.
[81] Rittmeyer, Antiemarginationsbewegung, S. 116f. Vgl. Mosher, L., Italy's revolutionary mental health law. An assessment, in: American Journal of Psychiatry 139 (1982), S. 199-203, hier: S. 201.
[82] Basaglia, Entscheidung, S. 79.
[83] Weber-Unger, Wahnsinn, S. 15.
[84] „Anders als in vergleichbaren europäischen Ländern markiert das Jahr 1968 nicht nur den Niedergang derjenigen Bewegung, der diese Jahreszeit ihre symbolische Kraft verdankt, sondern vielmehr den Beginn einer neuen Phase der italienischen Geschichte: ‚gli anni ’68’, die 68er Jahre begannen.“ Kurz, J., Die italienische Studentenbewegung 1966-1968, in: Gilcher-Holtey, I. (Hg.), 1968. Vom Ereignis zum Mythos, Frankfurt am Main 2008, S. 85-107, hier: S: 106. Die Bezeichnung „68er“ist somit Sammelbegriff für eine ganze Dekade, die auf den Namensgeber folgte. Vergleiche die Einteilung der 60er und 70er Jahre bei Jansen: Jansen teilt die sechziger und siebziger Jahre in drei Phasen: „Fortschrittsglauben, Aufbruchstimmung und Reformelan“ Anfang der Sechziger, „eine heftige revolutionäre Welle unter Studierenden und Arbeitern“ im Jahrzehnt nach 1968 sowie seit den späten siebziger Jahren eine politische und wirtschaftliche Krise, „die [erst] im Umbruch von 1993/94 kulminierte“. Vgl. Jansen, C., Italien seit 1945 (Europäische Zeitgeschichte 3), Göttingen 2007, S. 149.
- Quote paper
- Peter Gelhorn (Author), 2010, Antipsychiatrische Reformbewegungen im zeithistorischen Kontext am Beispiel Italien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177128
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