Mit seinem Romanfragment „Der Verschollene“ erzählt Franz Kafka den Werdegang eines jugendlichen Außenseiters, der von seinen Eltern verstoßen wird und sich in einer Umgebung zu behaupten versucht, die ihm fremd und unbegreiflich erscheint. Es ist verständlich, dass
der Autor für ein solches Vorhaben einen Schauplatz wählt, der außerhalb des vertrauten heimatlichen Umfeldes seines Protagonisten liegt. Um dieses Experiment durchzuführen, d. h. Karl Roßmann einem sich wiederholenden Wechselspiel zwischen Anpassung und Scheitern
auszusetzen, muss Kafka ihn aus seiner bisherigen räumlichen und menschlichen Umgebung herauslösen und mit einer Welt konfrontieren, in der die bisher erworbenen Normen und Verhaltensregeln nicht mehr greifen, infolgedessen keine Orientierungsmöglichkeiten bieten
und daher nutzlos geworden sind. Das Bemerkenswerte an diesem Projekt ist, dass Kafka sich nicht – wie in seinen späteren Romanen „Der Proceß“ und „Das Schloß“ – für einen ungenannten, rein fiktiven Ort entscheidet, sondern einen geografisch eindeutig
lokalisierbaren Schauplatz wählt und eine ganze Reihe von räumlich markierten empirischen Ortsangaben verwendet. Die Frage, die hier untersucht werden soll, ist daher nicht in erster Linie, warum Kafka diesen Roman geschrieben hat, sondern was ihn dazu veranlasst hat,
Amerika als Schauplatz auszusuchen und mit welchen Attributen er diesen ausstattet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Amerika als Schauplatz
- Erwerb von Amerikakenntnissen
- Literarische Verarbeitung von Amerikakenntnissen
- Bruch mit der Tradition
- Unklarheiten im Text
- Traumhafte\" Innenwelt oder reale Außenwelt?
- Die Thematik des Auswanderns und der Stellenwert Amerikas im Denken und Schreiben Franz Kafkas
- Frühe literarische Versuche
- Kleine Prosastücke
- Auswanderungspläne
- Exkurs: Kafkas Haltung gegenüber moderner Technik
- Kafkas Haltung als Erzähler
- Fortsetzung: Die Thematik des Auswanderns ...
- Phantasie\" und Realismus im „Verschollenen\"
- Kafkas Traum von New York
- Schlussfolgerungen
- Auswanderer in Kafkas Familiengeschichte
- Zwei „ausländische\" Onkel
- Die amerikanischen\" Vettern
- Die amerikanischen\" Vettern und Karl Roẞmann
- Einblicke in die Geschichte der Auswanderung in die Neue Welt:
- Ihre Darstellung in der Literatur und ihre Relevanz im „Verschollenen\"
- Stimmen der Gründerväter
- Literarische Zeugnisse
- Deutsche Juden in Amerika
- Wir sind frei und alle gleich\" - Euphorie und Ernüchterung
- Deutsche Zeitungen in New York
- Mythos und Wirklichkeit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Entstehung von Franz Kafkas Amerikabild und dessen Darstellung im Romanfragment „Der Verschollene“. Die zentrale Fragestellung ist, warum Kafka Amerika als Schauplatz für sein Werk wählte und welche Eigenschaften er diesem zuschrieb. Die Arbeit untersucht die Quellen seiner Amerikakenntnisse, seine literarische Verarbeitung dieser Kenntnisse und die Frage, ob er ein getreues oder verfremdetes Bild Amerikas schuf.
- Kafkas Amerikabild im Kontext seiner literarischen Entwicklung
- Die Rolle des Auswanderns in Kafkas Werk
- Der Einfluss von Reiseberichten, literarischen Vorlagen und Zeitzeugen auf Kafkas Amerikabild
- Die Bedeutung von „Traum\" und „Realität\" in Kafkas Darstellung
- Die Herausforderungen des „Verschollenen“ in der amerikanischen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die zentrale Fragestellung vor. Es wird die Bedeutung Amerikas als Schauplatz des Romans „Der Verschollene“ erörtert und die Relevanz der Erforschung von Kafkas Amerikabild hervorgehoben. Des Weiteren werden die Quellen seiner Amerikakenntnisse und die Art seiner literarischen Verarbeitung beleuchtet.
Die frühen literarischen Versuche Kafkas, insbesondere das Romanfragment „Abweisung“ und das Prosastück „Wunsch, Indianer zu werden“, geben einen Einblick in seine frühe Faszination für Amerika. Es wird gezeigt, wie er die Thematik des Auswanderns in seinen frühen Werken verarbeitet.
Die Auswanderungspläne Kafkas und seine Haltung gegenüber der modernen Technik werden ebenfalls beleuchtet. Das Kapitel erörtert Kafkas Verhältnis zur technischen Entwicklung und sein Engagement für die Humanisierung der Arbeitswelt.
Das Kapitel „Auswanderer in Kafkas Familiengeschichte“ analysiert den Einfluss der Auswanderungserfahrungen seiner Familie auf Kafkas Werk. Es werden die Familienmitglieder, die in die Neue Welt emigrierten, vorgestellt und deren Schicksale beleuchtet.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, Amerika, „Der Verschollene“, Romanfragment, Amerikabild, Auswanderung, Reiseberichte, literarische Vorlagen, Traum, Realität, Gesellschaftskritik, Moderne Technik, Humanisierung der Arbeitswelt, Familiengeschichte, deutsche Auswanderer, Neue Welt.
- Quote paper
- Hans-Georg Wendland (Author), 2011, Die Entstehung von Franz Kafkas Amerikabild und seine perspektivische Darstellung im Romanfragment "Der Verschollene" - Teil I, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177029