Adalbert Stifters Werke standen aufgrund ihrer äußerst detailreichen und ausgiebigen Landschaftsbeschreibungen oftmals im Feuer der Kritik. Dem Literaten wurde vorgeworfen den Figuren in seinen Erzählungen eine völlig unbedeutende Rolle inmitten der extensiven Naturschilderung zuzuteilen, da er sich angeblich auf den Menschen nicht verstand. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung Friedrich Hebbels, der einer seiner schärfsten Kritiker war: „Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken? Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht. “
Darüber hinaus wurde er als harmloser Seelentröster rezipiert, dessen Schreibweise eine biedere Moral, die mit den Richtlinien des Biedermeiergenres konform gehe, immanent sei. So titulierte beispielsweise Thomas Bernhard Stifters Schreibweise als langweilige und „unerträgliche provinzielle Zeigefingerprosa“, von „kleinbürgerlicher Sentimentalität.“
Doch wer solche Urteile über ihn fällt, hat nicht erkannt, dass Stifters Naturdarstellung keine selbstgenügsame Kulisse und auch nicht unabhängig von der Handlung ist, sondern dass sie ganz im Gegenteil den Menschen und das Geschehen in subtiler Form abbildet und durchdringt. Denn Stifter ist kein Landschaftsschilderer, sondern ein Darsteller der Menschen. In seinen Werken sind vielschichtige Verstehensgrade verborgen , welche in der Naturbeschreibung zum tragen kommen. Die Natur dient ihm als Spiegel für den Menschen und den Hergang der Dinge und erhält auf diese Weise eine metaphorische Funktion. Hinter den ausgedehnten Landschaftschilderungen verbirgt sich eine „schrecklich schöne Welt“ , und nur wer diese erkennt, versteht auch Gehalt und Bedeutung der Novelle. Stifter spricht nicht alles aus, sondern es ist Aufgabe des Lesers dies mittels sinnerfüllter Bilder zu erraten.
Dass diese Methodik in hohem Maße auch bei Stifters Novelle „Brigitta“ zu entdecken ist, möchte ich im Laufe meiner Seminararbeit verdeutlichen. Dabei soll nicht nur aufgezeigt werden, wie die Charaktere und die innere Handlung zwischen Stephan und Brigitta durch die Darstellung der Natur Bedeutung gewinnen, sondern auch, wie die gesamte Erzählung und deren verborgener Kerngedanke auf diese Weise abgebildet wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Natur als Charakterlandschaft
- Brigitta und die Wüste
- Die Augen Brigittas und ihre Entsprechung in der Natur
- Stephan Murai – zwischen Steppe und Vulkan
- Cultura Agri und Cultura Animi - die Natur als therapeutisches Programm
- Brigittas naturgebundene Selbstbearbeitung
- Stephans Kultivierung nach dem Vorbild Brigittas
- Die Gegensätze in der Natur als Reflexion der Charaktere und der Handlung
- Die Leidenschaft in Gestalt der Wölfe als Bedrohung der Idylle
- Die Erzählperspektive als Instrument der Landschaftsmetaphorik
- Die subjektive Wahrnehmung des Erzählers
- Täuschungen des Landschaftsbildes als Spiegelung von Schein und Sein
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit analysiert Adalbert Stifters Novelle „Brigitta“ unter dem Aspekt der Natur als Spiegel der Charaktere und des Geschehens. Ziel ist es, zu zeigen, wie die Landschaft die Figuren und die Handlung in ihrer Entwicklung und Dynamik widerspiegelt, und somit eine metaphorische Funktion erfüllt.
- Die ungarische Pußta als Sinnbild für Brigitta und ihre innere Entwicklung
- Die Metaphorik des Auges als Verbindungspunkt zwischen Brigitta und der Natur
- Stephan Murai und die symbolische Bedeutung des Vulkans
- Die Rolle der Natur als „therapeutisches Programm“ für Brigitta und Stephan
- Die Landschaftsbeschreibung als Instrument der Erzählperspektive
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Bedeutung der Landschaftsbeschreibung in Stifters Werk und die Kritik an seiner Schreibweise dar. Es wird argumentiert, dass die Natur in Stifters Werken nicht nur eine Kulisse darstellt, sondern eine tiefere Bedeutung für die Figuren und die Handlung besitzt.
Das Kapitel „Die Natur als Charakterlandschaft“ untersucht die Beziehung zwischen Brigitta und der ungarischen Pußta. Die öde und ursprüngliche Steppe spiegelt die Vereinsamung und Isolation Brigitta wider, während gleichzeitig eine innere Schönheit in ihr verborgen liegt. Die Metaphorik des Auges wird als weiterer Verbindungspunkt zwischen Brigitta und der Landschaft betrachtet. Stephan Murai, die männliche Hauptfigur, wird mit dem Vulkan als Sinnbild für seine chaotisch-zerstörerische Seite in Verbindung gebracht.
Das Kapitel „Cultura Agri und Cultura Animi“ betrachtet die Natur als „therapeutisches Programm“ für Brigitta und Stephan. Die Kultivierung der ungarischen Steppe steht als Metapher für die Entwicklung und Reifung der Figuren. Brigittas naturgebundene Selbstbearbeitung wird im Gegensatz zu Stephans kultivierung nach dem Vorbild Brigittas untersucht.
Das Kapitel „Die Gegensätze in der Natur als Reflexion der Charaktere und der Handlung“ betrachtet die Natur als Spiegel für die Gegensätze in den Charakteren und die Dynamik der Handlung.
Das Kapitel „Die Leidenschaft in Gestalt der Wölfe als Bedrohung der Idylle“ analysiert, wie die Wölfe als Metapher für die Leidenschaft und Bedrohung der Harmonie und Idylle in der Landschaft fungieren.
Das Kapitel „Die Erzählperspektive als Instrument der Landschaftsmetaphorik“ untersucht, wie die subjektive Wahrnehmung des Erzählers und die Täuschungen des Landschaftsbildes die Beziehung zwischen Schein und Sein reflektieren.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Naturbeschreibung, Landschaft, Metaphorik, Charakterzeichnung, Brigitta, Stephan Murai, ungarische Pußta, Vulkan, Kultur, Seele, Augen, Kultivierung, Idylle, Erzählperspektive, Schein und Sein.
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- Maja Oberhollenzer (Author), 2004, Die Natur als Spiegel der Charaktere in Adalbert Stifters „Brigitta“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176655