Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit der Vorbereitung des Ruhestandes für Menschen mit geistiger Behinderung. Im Sinne einer umfassenden Betrachtung und Annäherung an diese Thematik erfolgt im theoretischen Teil die Auseinandersetzung mit themenrelevanten Begrifflichkeiten wie Alter(n), Behinderung und Arbeit und zwar sowohl in allgemeiner Form als auch insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung für den genannten Personenkreis.
Ziel der Arbeit ist es, im praktischen Teil grundlegende Leitlinien und Handlungsempfehlungen für Maßnahmen zur Vorbereitung des Überganges und Eintritts in die Ruhestandsphase von Menschen mit geistiger Behinderung herauszuarbeiten. Diese Überlegungen fußen auf den Erkenntnissen einer in diesem Rahmen in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) durchgeführten schriftlichen Befragung.
Die erarbeiteten konzeptionellen Grundlegungen sind daher als auf die WfbM, als eine von mehreren beruflichen Rehabilitationseinrichtungen, fokussiert zu verstehen, welche jedoch zugleich einem erheblichen und womöglich dem größten Teil der Menschen mit geistiger Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht.
Inhalt
1. Einleitung
2. Begriffsannäherung Alter
2.1 Der Altersbegriff
2.2 Der Alternsbegriff
2.3 Ausgewählte Dimensionen des Alter(n)s
2.3.1 Biologisches Alter(n)
2.3.2 Psychologisches Alter(n)
2.3.3 Soziologisches Alter(n)
2.3.3.1 Altersbilder
2.3.3.2 Strukturwandel des Alters
2.3.3.3 Theorien des Alters
2.3.3.4 Zusammenfassende Betrachtung der soziologischen Dimension des Alter(n)s hinsichtlich der Auswirkungen für älter werdende Menschen mit geistiger Behinderung
2.4 Demografische Situation
2.5 Zur Bedeutung sozialer Netzwerke im Alter
2.6 Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Behinderung in der Altersphase
2.7 Ausführungen zu gesetzlichen und sozialrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich des Ruhestandes und der Altersphase
3. Begriffsannäherung geistige Behinderung
3.1 Rechtlicher Behinderungsbegriff
3.2 Behinderungsbegriff der Weltgesundheits-Organisation (WHO)
3.3 Soziologischer Behinderungsbegriff
3.4 Zusammenfassende Würdigung der dargelegten Behinderungsbegriffe
4. Vorüberlegungen
4.1 Die Begriffe Arbeit und Tätigkeit
4.2 Bedeutung von Arbeit
4.3 Funktion von Arbeit
4.4 Arbeitsort Werkstatt für behinderte Menschen
4.5 Menschen mit geistiger Behinderung im Übergang in den Ruhestand
5. Empirische Untersuchung zur Vorbereitung des Ruhestandes für Menschen mit geistiger Behinderung
5.1 Methodisches Vorgehen
5.2 Auswertung der Befragung
5.3 Interpretation der ausgewerteten Daten und Folgerungen für die Praxis
6. Konzeptionelle Grundlegungen zur Vorbereitung des Ruhestandes für älter werdende Menschen mit geistiger Behinderung in der WfbM
6.1 Vorüberlegungen
6.2 Empfehlungen für Maßnahmen zur Vorbereitung des Ruhestandes
6.2.1 Reduzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit
6.2.2 Veränderung der Arbeitsinhalte
6.2.3 Verlagerung der Tagesstruktur
6.2.4 Alternative Angebote außerhalb des Produktionsbereiches
6.2.5 Schaffung spezieller Arbeitsgruppen
6.2.6 Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und Diensten
6.2.7 Weiterbeschäftigung im Rentenalter
6.3 Vorbereitungsbedarf hinsichtlich der Begleitung älter werdender Menschen mit geistiger Behinderung in den Ruhestand
7. Gesamtzusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Das Erreichen des Rentenalters (…) [ist] für Menschen mit einer geistigen
Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland bislang kaum vorgekommen, doch nun verändert sich die Lage gravierend, da die Nachkriegsgeneration langsam das sechste Dezennium überschreitet und die Behindertenhilfe damit vor neue Herausforderungen stellt“ (Skiba 2003, S. 50). Diese zentrale Aussage gibt zum Ausdruck, dass die Betreuung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung gegenwärtig und mit zukünftig stark zunehmender Bedeutung von einer neuen, jedoch zugleich enorm wichtigen Thematik geprägt ist und geprägt sein wird: das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und der Übergang in den Ruhestand. Diese Thematik war bisher, zumindest in Deutschland, nur von randständiger Bedeutung und begrenzte sich auf eine kleine Fallzahl, da sich hierzulande „eine atypische Altersentwicklung bei Menschen mit Behinderung [vollzog]. Wegen der Ermordung von über 200.000 Menschen mit psychischer Erkrankung und seelischer oder geistiger Behinderung in der Zeit des Nationalsozialismus fehlten diese Jahrgänge in den Einrichtungen der Behindertenhilfe“ (Schelbert & Winter 2001, S. 12). Angesichts der zeitlichen Differenz zu diesen Geschehnissen sowie aufgrund der allgemein steigenden Lebenserwartung und den verbesserten Lebens- bedingungen, gleicht sich die Altersentwicklung der Menschen mit geistiger Behinderung nun jener der Gesamtbevölkerung an. Somit steht eine zunehmende Zahl von Menschen mit geistiger Behinderung vor dem Austritt aus dem Arbeitsleben und dem Erleben ihrer eigenen Altersphase.
An diese Entwicklung bzw. Feststellung knüpft diese wissenschaftliche Arbeit an. Die benannte Thematik gewinnt aus den kurz dargelegten Gründen an enormer Bedeutung, insbesondere für jene Einrichtungen, welche sich der Schaffung von Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeits- leben für Menschen mit geistiger Behinderung verpflichtet fühlen. Hier seien an vorderster Front die Werkstätten für behinderte Menschen genannt, welche einem enormen Teil des betroffenen Personenkreises eine Beschäftigung bieten. Erreicht nun eine wachsende Zahl der eigenen Beschäftigten1 die Altersgrenze, welche derzeit bei 65 Jahren liegt, so sind Konzepte für die Gestaltung des Überganges in den Ruhestand gefordert, da das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben einen entscheidenden Lebenseinschnitt darstellt und davon auszugehen ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung in der Bewältigung dessen auf Begleitung und Unterstützung angewiesen sind.
Zielstellung der vorliegenden Diplomarbeit ist es daher, konkret für den Kontext der Werkstätten für behinderte Menschen im Sinne konzeptioneller Grundlegungen einen Beitrag zur Vorbereitung des Ruhestandes und zur Gestaltung der Übergangsphase für den benannten Personenkreis zu leisten.
Die gedankliche Auseinandersetzung mit der Thematik tangiert dabei einige zu berücksichtigende Eckpunkte. Mit dem Erreichen einer Altersgrenze verbindet sich schon gewissermaßen nahezu vom Worte her das „Älterwerden“. Menschen mit geistiger Behinderung sehen sich in diesem Zusammenhang mit ihrem eigenen Älterwerden konfrontiert. Damit einher gehen körperliche und geistige Veränderungsprozesse, welche womöglich vorerst neu und fremd anmuten. Im ersten Themenbereich wird es somit darum gehen, dass Altern bzw. Älterwerden von Menschen mit geistiger Behinderung eingehend zu untersuchen und in die Tiefe gehend zu beleuchten. Einen weiteren Eckpunkt stellt der Kontext der geistigen Behinderung dar, mit dem sich die betroffenen Menschen zeit ihres Lebens konfrontiert sehen und welchen es somit zu berücksichtigen gilt.
Im letzten Themenbereich des theoretischen Teiles soll der Komplex Arbeit und Ruhestand zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden. Das Erreichen des Ruhestandes ist mit dem Zurückblicken auf eine Vielzahl verlebter Arbeitsjahre verbunden, in welchen „die Arbeit“ das eigene Leben wesentlich bestimmt und strukturiert hat. Es wird zu untersuchen sein, welche Bedeutung Arbeit und Tätigsein für Menschen mit geistiger Behinderung hat und welche Konsequenzen sich daraus für die anstehende Ruhestandsphase ergeben.
Den praktischen Teil prägt die Darstellung und Auswertung einer im Rahmen der wissenschaftlichen Erarbeitung durchgeführten schriftlichen Befragung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Ausgehend von den im ersten Teil dargestellten theoretischen Hintergründen und dem daraus gewonnenen Wissen zur Thematik sowie den Erkenntnissen aus der durchgeführten schriftlichen Befragung, sollen schließlich im letzten Teil konkrete Leitideen und Handlungsempfehlungen für die Vorbereitung des Ruhestandes sowie die Gestaltung des Überganges in denselbigen für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung erarbeitet werden.
2 Begriffsannäherung Alter
Bei der gedanklichen Annäherung an den Altersbegriff offenbaren sich unterschied- liche Dimensionen aufgrund des Sprachgebrauches. Im Wesentlichen erscheint es als wichtig, zwei Begrifflichkeiten voneinander abzugrenzen. Zum Einen der Begriff des Alters als mehr oder weniger feststehende Bezeichnung für eine Lebensphase bzw. einen Lebensabschnitt und zum Anderen der Begriff des Alterns oder Älterwerdens als Prozess (vgl. Krueger & Degen, 2006). Dieser Prozess unterliegt dabei einer individuellen Beurteilung, da das Altern auf lange Sicht betrachtet mit körperlichen und geistigen Abbauerscheinungen verbunden ist, welche von Mensch zu Mensch unterschiedlich erlebt und gedeutet werden. Desweiteren kann Altern/Älterwerden als lebensumfassend verstanden werden, da der Mensch im Grunde genommen vom Tag seiner Geburt an älter wird. Es ist festzustellen, dass beide Begrifflichkeiten einerseits nahezu synonym verwendet werden und von einer kleinlichen Differenzierung abgesehen wird. Andererseits finden sich jedoch auch wissenschaftliche Positionen, die für eine Unterscheidung plädieren. Aus dem tiefergehenden Studium der Fachliteratur heraus ergibt sich der Eindruck, dass Argumentationen, die für eine Trennung der Begrifflichkeiten sprechen, zu überwiegen scheinen. Die Begründungen erweisen sich meines Erachtens als durchaus schlüssig und praxisbezogen. Um bezüglich der weiteren Verwendung Klarheit zu schaffen, sollen daher die Begriffe Alter und Altern im Folgenden noch näher betrachtet und so der Versuch einer für den Rahmen dieser wissenschaft- lichen Arbeit notwendigen und sinnhaften Unterscheidung unternommen werden.
2.1 Der Altersbegriff
Der Mensch durchläuft im Verlauf seines Lebens verschiedene Lebensphasen. Betrachtet man diese einzelnen Lebensabschnitte, so lässt sich aus dem vergleichenden Studium der Literatur heraus dem Begriff „Alter“ das 65. bis 75. Lebensjahr zuordnen. Diese Grenzsetzung folgt einem Verständnis, welches den Beginn der Lebensphase Alter an dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben festmacht. Dies erscheint insofern als fragwürdig, da aufgrund der dynamischen Anpassung der Regelaltersgrenze sowie der nach wie vor zur Anwendung gebrachten Altersteilzeitregelungen der Eintritt ins Rentenalter auch früher oder später als mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erfolgen kann. Entsprechend der Einteilung in Lebensabschnitte, wie sie z.B. Georg Theunissen (2002, S. 15) verwendet hat, lässt sich die Lebensphase Alter um die Lebensphase des Greisenalters ergänzen, welche am 75. Lebensjahr ansetzt und nach oben hin offen bleibt. Wird innerhalb dieser beiden Lebensabschnitte von älteren und alten Menschen gesprochen, erscheint diesbezüglich eine klare Unterscheidung genauso schwierig wie die chronologische Abgrenzung verschiedener Lebensphasen. Angesichts der Möglichkeit, dass die Lebensphase Alter unter Umständen einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren einnehmen kann, nämlich dann, wenn ein früher Eintritt in den Ruhestand mit einem hohen tatsächlichen Sterbealter zusammen treffen (vgl. Clemens & Backes, 2003), erscheint es jedoch nahezu unerlässlich, diesen Lebensabschnitt zumindest gedanklich noch einmal in einzelne Altersphasen zu unterteilen. Denn es handelt sich um eine außerordentlich große Vielfalt von Menschen, die sich mit den Zuschreibungen „alt“ oder „älter“ angesprochen fühlen. Aus Sicht der Vereinten Nationen wird eine Dreiteilung bevorzugt, welche den Personenkreis älterer und alter Menschen in die Gruppen der „fast Alten“ zwischen 55 und 64 Jahren, der „jungen Alten“ zwischen 65 und 79 Jahren sowie der „ältesten Alten“ ab 80 Jahren unterscheidet (vgl. Bruckmüller 1999, zitiert in Haveman, 2007). Andere Denkmodelle legen für die Betrachtung der Altersphase und des davon betroffenen Personenkreises eine Unterteilung zugrunde, welche das Alter des Menschen in vier Kategorien zu fassen versucht. Der Gruppe der „älteren Menschen“ (60 bis 75 Jahre) folgen nach diesem Verständnis die Gruppen der „alten“ (75 bis 90 Jahre), „hochbetagten“ (über 90 Jahre) sowie „langlebigen Menschen“ (über 100 Jahre) (vgl. Rosenmayr 1988, zitiert in Theunissen 2002). Ausgehend von den Ergebnissen der „Berliner Altersstudie“ aus der Mitte der 90er Jahre plädieren Clemens & Backes (2003) dafür, die unter dem globalen Begriff Alter zusammengefassten Phasen stärker nach Kompetenzen und Fähigkeiten zu beurteilen. Demnach verfügen „Junge Alte“ über die Fähigkeit, Leistungen für Andere (welcher Art auch immer) zu erbringen. Wenn diese Fähigkeit verloren geht, aber die Fähigkeit zur Selbstkompetenz erhalten bleibt, wird von den „Alten“ gesprochen. Wenn auch die Selbstkompetenz eingeschränkt ist und fremde Hilfe (z.B. ambulante Pflege) notwendig wird, ist die Phase der „alten Alten“ erreicht. In der vierten Phase folgt dann letztlich der Verlust der Selbstkompetenz, der in die Pflegebedürftigkeit und die absolute Abhängigkeit (...) führt (S. 24).
Im Text wurde diese Einteilung mit keinen chronologischen Altersangaben versehen. Unabhängig davon erscheint eine solche Unterscheidung des mit „Alter“ bezeichneten Lebensabschnittes sinnvoll, da sie individuelle Aspekte stärker mit einbezieht und die Kategorisierung nicht nur an den Auswertungsergebnissen statistischer Erhebungen festmacht. Zugleich beinhaltet diese eher individuelle Ausrichtung jedoch auch Schwierigkeiten, da für die Beurteilung nach diesem Verständnis, das Kompetenz- und Anlageprofil des einzelnen Menschen näher zu betrachten ist. Sicher anzunehmen ist, dass eine Argumentation ausgehend von „dem Alter“ oder „dem alten Menschen“ die Komplexität und zunehmende Ausweitung dieser Lebensphase, aufgrund der sich seit Jahren bzw. Jahrzehnten wandelnden Bevölkerungsstruktur, verkennt. Die Auseinandersetzung mit dem Altersbegriff sollte daher stets unter dem Bewusstsein um diese Vielschichtigkeit geschehen.
Diese beispielhaft angeführten Überlegungen zur Unterscheidung und Differenzierung der Lebensphase Alter erscheinen aus meiner Sicht zwar notwendig, etwa hinsichtlich der Abgrenzung der Erwerbstätigkeit vom Ruhestand, können jedoch nicht losgelöst davon betrachtet werden, dass das Alter des Menschen immer von spezifisch individuellen Erfahrungen, Erlebnissen und auch Erwartungen geprägt ist. Dies übt einen Einfluss darauf aus, ab wann sich der Mensch als „alt“ fühlt. Somit stehen sich hier gleichfalls eine gesellschaftliche und eine individuelle Betrachtungsweise gegenüber. Gesellschaftlich gesehen, ist auch die Altersphase wie alle anderen Lebensphasen mit bestimmten sozialen Rollen versehen, an die sich verschiedene Erwartungen knüpfen. Demgegenüber steht das „eigene Alterserleben“, welches „weniger von der Anzahl der Jahre“ abhängt, „als vom Gesundheitszustand, der geistigen Beweglichkeit, der Wahrnehmung lebens- erfüllender Aufgaben, der Einbettung ins soziale Gefüge und nicht zuletzt von der Einstellung zum Prozeß des Alterns“ (Senckel 1994, S. 121).
Eine andere Dimension bei der Betrachtung des Altersbegriffes eröffnet sich dahingehend, dass schon alleine der Begriff an sich, unterschiedlich verwendet wird. Diesbezüglich besteht meines Erachtens jedoch sogar größere Über- einstimmung in der Fachwelt, als hinsichtlich den Versuchen bzw. dem Bestreben die Altersphase an konkreten Altersangaben festzumachen. An vielen Stellen wird dabei auf Rüberg (1991) verwiesen, welcher die Unterscheidung des Altersbegriffes in zwölf verschiedene Aspekte vorgenommen hat. Ich möchte aus diesem Katalog nachfolgend eine Auswahl an jenen Aspekten treffen, die mir als am wichtigsten im Umgang mit dem Altersbegriff erscheinen:
- chronologisches oder kalendarisches Alter: Zeit, die seit der Geburt vergangen ist
- administratives Alter: eine soziologische Kategorisierung von Menschen hin- sichtlich ihres kalendarischen Alters in bestimmte Altersgruppen, zur Verwendung in Verwaltung und Statistik, um z.B. verschiedene Geburtsjahr- gänge, sog. Geburtskohorten miteinander zu vergleichen
- biologisches Alter: der körperliche Zustand eines Menschen aufgrund biologischer Vorgänge wie Wachstum, Reifung, Abbau oder Verfall
- rechtliches Alter: die dem jeweiligen kalendarischen Alter entsprechenden Rechte, Pflichte und Mündigkeiten eines Menschen
- psychologisches Alter: das Verhältnis des Individuums zu sich selbst, die Selbstdeutung des eigenen Zustandes, sich so „alt“ fühlen und entsprechend verhalten
- soziales Alter: bezeichnet die von der Gesellschaft erwartete Übernahme altersspezifischer Rollen und Positionen (vgl. Rüberg 1991, zitiert in Haveman & Stöppler 2004, S. 16)
Als am sichersten bestimmbar erscheint das kalendarische Alter eines Menschen, da es sich ohne weiteres aus dem Geburtsjahr der Person ergibt. Die offensichtliche Existenz eines sozialen Alters deckt sich mit den vorhergehenden Überlegungen zur gesellschaftlichen Sicht des Alters. Das eigene Alterserleben bestimmt sich andererseits aus dem Zusammenwirken von psychologischem und biologischem Alter, da die innerpersonelle Verbindung zwischen seelischem Erleben und körperlichem Befinden wesentlich ausschlaggebend dafür ist, wie „alt“ sich ein Mensch fühlt. Es erscheint aus diesem Grund am trefflichsten, bei einer Arbeit mit dem Altersbegriff, die sich sowohl am Individuum orientiert als auch die soziale Verortung des Individuums nicht außen vor lässt, von dem Begriff „Alter“ auszu- gehen, welcher sich aus dem biologischen, psychologischen sowie sozialen Alter zusammensetzt. Das soziale Alter mag noch am ehesten im Sinne eines „Status quo“ zu betrachten sein, da gesellschaftliche Erwartungen und Rollenbilder zwar durchaus einem stetigen Wandel unterliegen, welcher sich jedoch über einen längeren Zeitraum vollzieht. Biologisches und psychologisches Alter dagegen sind wiederum weniger als feststehend zu betrachten, da es sich hierbei um einen Prozess handelt, dessen Beginn, Ende oder gegenwärtiger Verlaufsstand schwierig zu bestimmen ist. Daher soll auf die hier genannten drei Aspekte des Altersbegriffes nach der Betrachtung des Alternsbegriffes noch einmal näher eingegangen werden.
2.2 Der Alternsbegriff
So wie der Altersbegriff einen Zustand im Sinne einer „feststehenden“ Lebensphase oder eines jeweiligen Abschnittes auf dem Lebensweg zu beschreiben versucht und dafür eine, wie beschrieben, recht vielseitige Betrachtungsweise notwendig ist, stellt der Begriff des Alterns das mehr Prozesshafte in den Mittelpunkt. Unter Altern wird dabei eher das „Älterwerden“ als ein „Alt sein“ verstanden. Schon diese Wort- verwendung richtet den Blick nach vorne und bindet sich nicht an einen manifestierten Zustand. Da das Altern oder Älterwerden einen Verlauf bezeichnet, lässt es sich kaum mit den bekannten Aspekten des Altersbegriffes beschreiben. So ist z.B. das chronologische bzw. kalendarische Alter zur Annäherung an den Begriff ungeeignet. Unklarheiten ergeben sich weiterhin, wenn teilweise von einem Alterungsprozess die Rede ist. Hier ergibt sich ein Mal mehr das Problem der Unterscheidung beider Begrifflichkeiten. Fest steht jedoch, dass auch ein Prozess einen Anfangs- und Endpunkt beinhaltet. Umfassend betrachtet, bilden dabei die Geburt den Anfangs- und der Tod den Endpunkt. Sich mit dem Älterwerden eines Menschen zu beschäftigen bedeutet demnach, sich damit zu beschäftigen „woher er kommt“, d.h. seine Vergangenheit/Biografie vom Tag seiner Geburt zumindest gedanklich mit einzubeziehen, als auch „auf was er zugeht“, d.h. die Themen Tod und Sterben zu thematisieren. Zwischen diesen beiden Eckpunkten vollzieht sich das Altern/Älterwerden eines Menschen. Konform mit dieser Überlegung geht die Argumentation von Haveman & Stöppler (2004), welche Ältersein oder Älterwerden als einen lebenslangen Prozess bezeichnen (S. 19). Diesen Gedanken weiter vertiefend ist davon die Rede, dass „die Biografie eines jeden Menschen (...) den Alterungsprozess“ beeinflusst (ebd. S. 19). Für Graef (2007) zeigt sich Altern als „mehrdimensionaler Begriff, der von vielen Faktoren, wie Gesundheitszustand, Geschlecht, Persönlichkeit, ökologischen Aspekten und der medizinischen Entwicklung beeinflusst wird“ (S. 35). Einen wesentlichen Beitrag zur Beschreibung des Alternsbegriffes, da in vielen einschlägigen Veröffentlichungen zur Thematik zu finden (u.a. Braun 2008, S. 5; Haveman & Stöppler 2004, S. 19), leistete Kruse, der sich aus Erkenntnissen der Gerontologie2 heraus um die Gliederung des Alternsprozesses in einzelne Teilprozesse bemühte. Da diese Unterteilung die Umfänglichkeit dieses Begriffes aus meiner Sicht am trefflichsten wiederzugeben scheint, möchte ich diese meinen weiterführenden Überlegungen zugrunde legen.
Kruse nähert sich der Komplexität des Alterns bzw. Alterungsprozesses von mehreren Seiten, immer unter dem Grundverständnis der vorhandenen Prozess- haftigkeit. So zeigt sich das Altern zum Einen als dynamischer Prozess. Es finden unabhängig vom Alter des Menschen zahlreiche Entwicklungs- und Wachstums- prozesse statt, insbesondere im Bereich kognitiver Vorgänge, wie der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen oder an das Individuum gerichteter Anforderungen. Zum Anderen beinhaltet das Altern den Prozess einer zunehmenden Differenzierung. Differenzierung bezieht sich dabei auf den interpersonellen Vergleich. Der Mensch lebt auf dem Hintergrund seiner ganz eigenen biografischen Erfahrungen, welche auch individuelle Brüche beinhalten können. Aufgrund der Vielseitigkeit und Verschiedenheit dieser biografischen Bestandteile nimmt laut Kruse auch die interindividuelle Unterschiedlichkeit der Menschen im Alter zu (vgl. Haveman & Stöppler 2004, S. 19).
Ein weiterer Aspekt des Alterns zeigt sich in dessen Mehrdimensionalität. Die mit dem Altern verbundenen Prozesse vollziehen sich in verschiedenen Ebenen und Funktionsbereichen des Menschen, von denen an dieser Stelle die physische und psychische Ebene, als aus meiner Sicht übergeordnet, genannt seien. Dabei nehmen die Prozesse in eben diesen Bereichen und Ebenen verschiedene Verläufe an, sind in Ab- oder Zunahme oder Stagnation begriffen (vgl. ebd. S. 19). Dem Gedanken der Biografie folgend und diesen weiter vertiefend ist Altern als biografischer Prozess anzusehen. Neben den vorangegangenen Lebensphasen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter und den damit verbundenen Entwicklungen, Erfahrungen und Erlebnissen ist gerade auch das Altern ein Teil des Lebenslaufes, der geradezu am Stärksten durch die bis dahin durchlaufenen Lebensabschnitte geprägt ist (vgl. ebd. S. 19).
Weiterhin lässt sich das Altern des Menschen neben den angezeigten dynamisch- systemischen und individuumsorientierten Gedanken als sozial beeinflusster Prozess betrachten. Auch im Alter lebt der Mensch in Wechselwirkung und Abhängigkeit zu seinem jeweiligen sozialen Umfeld. In welcher Form, Ausprägung und Vielseitigkeit der Mensch „sein“ Alter erleben und gestalten kann, hängt nicht unwesentlich von den sozialen Bedingungen und darüber hinaus davon ab, welche Einstellung das unmittelbare Umfeld dem Altern eines Menschen entgegenbringt (vgl. ebd. S. 19).
Als abschließender Gedanke, um damit den Ausführungen nach Kruse zu folgen, ist zu nennen, dass das Altern als Prozess anzusehen ist, „der dem Einfluss zahlreicher Faktoren unterliegt, z.B. historischen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Faktoren“ (ebd., S. 19). Dieser Aspekt versteht sich gewissermaßen als Zusammenfassung der vorangegangenen. Um die Individualität des Alterns zu verstehen, spielt es eine erhebliche Rolle, nach den genannten Faktoren zu fragen. Den historischen Kontext betrachtet, unterscheiden sich z.B. die Lebensläufe nicht unerheblich zwischen Menschen, welche in den Nachkriegsjahren und Menschen, welche in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwunges der 1950er Jahre geboren und aufgewachsen sind. Eng damit verbunden ist auch das Wissen um die Unterschiedlichkeit ökonomischer Faktoren. Die Annahme liegt nahe, dass ein Mensch unter dem Eindruck der Not und der Begrenztheit von Lebensmitteln etc. der Kriegs- und Nachkriegsjahre womöglich die Bedeutung ökonomischer Faktoren anders wahrgenommen hat und im Alter wahrnehmen wird, als ein Mensch der nachfolgenden Generation, welcher diese Ereignisse nicht mehr unmittelbar erlebt hat. Hinsichtlich kultureller Faktoren ist zu erwähnen, dass z.B. Spiritualität, Brauchtums- und Traditionsverständnis sowie das Verhältnis/die Einstellung zu Musik, Theater, u.ä. prägende Komponenten für das Altern eines Menschen sein können. In Kumulierung dieser verschiedenen Aspekte bleibt festzuhalten, dass es sich beim Altern um einen vielschichtigen Vorgang handelt, der sowohl den Körper, das Erleben und Verhalten des alternden Individuums betrifft, als auch vom sozialen Umfeld beeinflusst wird (vgl. Braun 2008, S. 5).
Wie an vorheriger Stelle erwähnt, sollen nun im Folgenden die drei Dimensionen biologisches, psychologisches sowie soziales Alter bzw. Altern des Menschen vertiefend beleuchtet werden. Anzumerken ist, dass an mancher Stelle das soziale Alter(n) des Menschen auch als soziologisches Alter(n) bezeichnet wird.
2.3 Ausgewählte Dimensionen des Alter(n)s
Zu Beginn sei vorangestellt, dass jede Dimension zuerst von allgemeiner Seite her beschrieben werden soll, um im Anschluss daran auf etwaig vorhandene Ab- weichungen bei älteren bzw. älter werdenden Menschen mit geistiger Behinderung einzugehen.
Da im überwiegenden Teil der Fachliteratur hinsichtlich der Dimensionen die Begriffe Alter und Altern synonym verwendet werden, werde ich dieser Auffassung im Wesentlichen folgen. Nochmalig sei jedoch auf die Darlegung der Unterschiedlichkeiten beider Begriffe aus den beiden vorangegangenen Kapiteln verwiesen. Die Verwendung eines der beiden Begriffe soll stets auch im Verständnis um den jeweils nicht genannten Begriff erfolgen.
2.3.1 Biologisches Alter(n)
„Biologisches Altern meint die gesundheitliche Situation, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit einer Person. Altern stellt aus biologischer Sicht ein multi- faktorielles Geschehen dar“ (Haveman & Stöppler 2004, S. 25). Das biologische Altern bezieht sich demnach auf die körperliche Ebene des Menschen. Beleuchtet werden insbesondere das Vorhandensein und Auftreten von alterstypischen Erkrankungen. Häufig zu beobachten ist dabei eine zunehmende Multimorbidität, dass heißt das gleichzeitige Auftreten mehrerer Krankheiten. Schon im allgemeinen Verständnis wird Alter/Altern mit in erster Linie körperlichen Abbauerscheinungen assoziiert. Dabei handelt es sich nicht nur ausschließlich um Erkrankungen die erstmalig im Alter auftreten, sondern gemeint sind damit auch jene schon bestehenden Krankheiten, die der Mensch im Laufe seines Lebens „erworben“ hat und welche im Alter neben den typisch altersbedingt auftretenden Erkrankungen den Gesundheitszustand des Menschen zusätzlich beeinflussen. Unabhängig davon lassen sich aber durchaus diverse Erkrankungen anführen, welche als Folge des Alterungsprozesses ausbrechen oder deren Auswirkungen sich nach vorherigem Bestehen im Alter verstärken. Nachfolgend soll dabei eine Auswahl häufiger Alterserkrankungen angeführt werden.
- Erkrankungen des Herz-, Kreislauf- und Gefäßsystems (z.B. Arteriosklerose)
- Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes (z.B. Arthritis oder Osteoporose)
- Erkrankungen der Atmungsorgane (z.B. chronische Bronchitis oder Lungenentzündung)
- Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus)
- Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane (z.B. Alzheimer, Parkinson, Glaukom)
- Tumorerkrankungen (z.B. des Darms oder Magens) (vgl. Haveman & Stöppler 2004, S. 27)
Neben den körperlichen Veränderungen die mit dem Alterungsprozess einhergehen ist auch von einer Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit des Menschen auszugehen. Denn die Abnahme der Fähigkeit zur Zellregeneration betrifft auch die kognitiven und neuronalen Funktionen des Körpers. Entscheidend dafür wie rasch und intensiv diese geistigen Abbauprozesse voranschreiten ist sicherlich, in welcher Form und welchem Ausmaß sich der Mensch auch noch im Alter mit neuen Denkinhalten und Aufgaben auseinandersetzt. Ein Nachlassen der allgemeinen Anpassungsfähigkeit sowie der neuronalen Verarbeitungsgeschwindigkeit ist dabei nicht zu leugnen. Es scheinen jedoch Unterschiede erkennbar zu sein zwischen Menschen, die sich während ihres gesamten Lebens und somit auch bis ins Alter hinein vielfältig gedanklich beschäftigt haben sowie neuen Aufgaben aufge- schlossen gegenüberstehen und Menschen, die einen Großteil ihres Lebens womöglich unter reizarmen und intellektuell anspruchslosen Bedingungen verlebt haben (vgl. Senckel 1994, S. 122).
Hinsichtlich der biologischen Dimension des Alterns gilt festzuhalten, dass diese zum Einen nicht unwesentlich von äußeren Bedingungen wie z.B. kulturellen Einflüssen oder Belastungen durch Umweltgiften beeinflusst ist. Zum Anderen spielen der individuelle Lebensstil hinsichtlich Ernährungsgewohnheiten, Sucht- verhalten oder sportlicher Aktivität eine Rolle sowie die Verfügbarkeit und Annahme medizinischer Hilfen hinsichtlich präventiver, therapeutischer und rehabilitativer Art. Das Altern des Menschen verläuft nicht nur aufgrund dieser variierenden Umwelteinflüsse individuell, sondern auch aufgrund dessen, dass Altern ein im Individuum genetisch festgelegter Prozess ist, welcher umfänglich betrachtet, von der Geburt bis zum Zeitpunkt des Todes verläuft (vgl. Graef 2007, S. 36). Als abschließend hinsichtlich der biologischen Dimension des Alterns wichtig und beachtenswert gilt, dass „eine Abgrenzung normaler physiologischer Veränderungen im Alter gegenüber krankhaften Verläufen (...) schwer, meist gar unmöglich“ ist (Spaett 2008, S. 21). Es ist wohl demnach anzunehmen, dass selbst aus ärztlicher Sicht die Unterscheidung „normaler“ mit dem Alter einhergehender körperlicher Veränderungen von krankhaften Schädigungen der Organe nur begrenzt möglich ist. „Nachdrücklich ist zu betonen, dass biologisches Altern nicht mit Krankheit verwechselt werden darf. ( ) Biologisches Altern und krankhaftes Altern überlagern sich in aller Regel“ (Erlemeier 1998, zitiert in Braun 2008, S. 7).
Betrachtet man nun das biologische Altern bei Menschen mit geistiger Behinderung, so gilt festzuhalten, dass dieser Personenkreis grundsätzlich nicht anders als nicht behinderte Menschen altert. Dies bedeutet, dass die eingangs erläuterten körperlichen Alterungsprozesse auch auf Menschen mit geistiger Behinderung zutreffen und dabei genauso unterschiedlich und individuell verlaufen. Hinsichtlich des Zeitpunktes einsetzender Alterung wird erwähnt, dass das 40. bis 45. Lebens- jahr als untere Altersgrenze für einen beobachtbaren Beginn von Altersprozessen bei Menschen mit geistiger Behinderung gesehen werden kann (vgl. Ern 1992, zitiert in Komp 2006, S. 42). Dem liegt zugrunde, das insbesondere bei Menschen mit Down-Syndrom als Form geistiger Behinderung von einem früheren Einsetzen des Alterungsprozesses ausgegangen wird. Der wohl markanteste Unterschied ist, dass die von einer geistigen Behinderung beeinträchtigten Menschen neben ihrer eigentlichen Behinderung mehr oder minder zusätzlich mit den altersbedingt eintretenden physischen und psychischen Veränderungen und Erscheinungen konfrontiert sind. Dies kann aus meiner Sicht zwei Auswirkungen annehmen. Einerseits kann es keine wesentliche Verschlechterung der Lebenslage des Menschen bedeuten, jedoch immer nur dann, wenn die betroffene Person im Laufe ihres Lebens durch entsprechende Unterstützung in die Lage versetzt wurde, die mit einer Behinderung einhergehenden Einschränkungen zu akzeptieren und in das Selbstbild zu integrieren. Auf dieser Grundlage kann die Auseinandersetzung mit dem Alterungsprozess in günstiger Weise erfolgen. Andererseits kann das Altern eines geistig behinderten Menschen als wesentliche Verschlechterung der Lebens- situation erlebt werden. Dies mag dann der Fall sein, wenn eine die Lebensqualität fördernde Auseinandersetzung mit der Behinderung ein Leben lang oder in weiten Teilen des Lebenslaufes aufgrund ungünstiger Umweltbedingungen nicht oder nur eingeschränkt erfolgen konnte. Dies birgt die Gefahr, altersbedingte Veränderungen als zusätzliche Einschränkungen zu erleben. In jedem Fall haben der Schweregrad und die Ausprägung der geistigen Beeinträchtigung einen erheblichen Einfluss darauf, inwieweit das Individuum sich mit den im Alter auftretenden körperlichen und kognitiven Einschränkungen selbst auseinandersetzen kann. Daraus wird abzuleiten sein, welches Maß an Unterstützung und Hilfe der Mensch mit zunehmendem Alter benötigt. Es ist davon auszugehen, dass Menschen mit geistiger Behinderung deutlich eingeschränkter als nicht behinderte Menschen in der Lage sind, zu bewerten, was aufgrund alterstypischer Veränderungen mit ihrem Körper passiert und diese Veränderungen in einen entsprechenden Bedeutungszusammenhang zu setzen. Wesentlich verstärkt wird dieser Umstand, wenn betroffene Personen sich nicht oder nur stark eingeschränkt verständigen können. Darauf gilt es insbesondere Rücksicht zu nehmen. Für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist festzustellen, „dass sich bereits ab dem 50.sten Lebensjahr deutliche Anstiege in der Krankheitsanfälligkeit einstellen“ (Skiba 2006, S. 64). Ein außerordentliches Problem stellt der Fakt dar, dass bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht ausschließlich, aber gerade auch im Alter, bestehende Erkrankungen nicht frühzeitig erkannt werden, sei es durch seltene oder zu unregelmäßige Arztbesuche oder eingeschränkte Möglichkeiten, sich mitteilen zu können. Dies intendiert die Gefahr, dass Erkrankungen chronische Verlaufsformen annehmen können. Das Vorhandensein von Einschränkungen beim Erkennen der eigenen Gefühle sowie geringerer Problemlösungsstrategien kann bei Menschen mit geistiger Behinderung die Gefahr für psychische Störungen bzw. Anfälligkeiten erhöhen. Hinsichtlich somatischer Erkrankungen seien an dieser Stelle beispielhaft Osteoporose, Schilddrüsenerkrankungen und Sehstörungen genannt, bei welchen der Anteil erkrankter Menschen mit geistiger Behinderung zum Teil wesentlich höher als bei der allgemeinen Bevölkerung ist (vgl. Braun 2008, S. 16). Für den Bereich altersbedingter geistiger Veränderungen ist festzuhalten, dass bestehende kognitive Fähigkeiten genau dann auch mit zunehmendem Alter möglichst lange erhalten bleiben, wenn die Person Zugang zu einem Umfeld hat, welches die Möglichkeit bietet, sich weiterzubilden, vorhandenes Wissen zu erhalten und gegebenenfalls zu erweitern sowie dem Menschen unabhängig von seinem Alter Aufgaben überträgt und zu bewältigende Anforderungen an ihn stellt.
2.3.2 Psychologisches Alter(n)
„Auch aus psychologischer Sicht handelt es sich beim Altern um einen Prozess, in dessen Verlauf Erleben und Verhalten umstrukturiert und/oder verändert werden. Dazu gehören Veränderungen im Fähigkeitsbereich wie beispielsweise Lernen und Gedächtnis, Denken und Problemlösen, Intelligenz und Sinneswahrnehmungen. Diese Fähigkeiten dienen auch zur Anpassung an mit dem Alter verbundenen und sich wandelnden inneren und äusseren Anforderungen“ (Erlemeier 1998, zitiert in Braun 2008, S. 7). Altern erzeugt nicht nur auf körperlicher Ebene Veränderungen, sondern zeigt sich auch im geistigen, seelischen und emotionalen Bereich des Menschen. Dabei wirken die mit dem Alter einhergehenden körperlichen Veränderungen auch auf das psychologische Altern ein. Die im vorhergehenden Kapitel erwähnten Alterskrankheiten können bei Eintreten zur Verminderung der Belastbarkeit sowie dazu führen, dass alltägliche Verrichtungen und Aufgaben nicht mehr so schnell, nicht mehr gänzlich ohne fremde Hilfe oder nicht mehr in der Art und Weise wie bisher erledigt werden können. Dies hat nicht selten zur Folge, dass dem alternden Menschen Aufgaben abgenommen werden, was ein Gefühl des „nicht mehr Gebrauchtwerdens“ hervorrufen kann. Eintretende Krankheiten im Alter können auch dazu führen, dass der Mensch unter dem Erleben der sich vermindernden Leistungs- und Koordinationsfähigkeit sowie lebenspraktischer Einbußen seinen eigenen Körper zunehmend ablehnt oder von seinem Umfeld abgelehnt wird. Dies hat Auswirkungen auf das Selbstbild des Menschen. Neben den Reaktionen des sozialen Umfeldes auf Alter und Altern des Menschen ist es wesentlich, wie das Individuum selbst mit Verlusten, Einschränkungen körperlicher und geistiger Art, aber auch mit Trauer sowie dem Abschied von Bezugspersonen umgeht. Wie in jedem Lebensabschnitt ist es auch im Alter (womöglich sogar besonders) erforderlich, inneres Gleichgewicht und Stabilität zu gewinnen bzw. nach Verlust desselbigen, dieses wiederherzustellen. Misslingt dies, kann es zu Konflikten und Enttäuschungen kommen. Es liegt nahe, im Alter von einer besonders intensiven Verbindung zwischen Körper und Psyche zu sprechen und dass das Erleben von Einschränkungen und Erkrankungen eine erhöhte psychische Vulnerabilität (Verletzlichkeit) mit sich bringen kann. Das Wissen darum erhöht die Wichtigkeit psychischer Rahmenbedingungen und Sinnhaftigkeit des Seins sowie das Vorhandensein sinnvoller Aufgaben und intakter sozialer Beziehungen (vgl. Clemens & Backes 2003, S. 102). Aufgrund erhöhter psychischer Anfälligkeit sowie der körperlichen Erkrankungen und im Alter häufiger werdenden Veränderungen des Gehirns (z.B. Morbus Alzheimer) muss auch betrachtet werden, dass es im Alter zu psychischen Störungen, Erkrankungen bzw. allgemein zu psxchischen Veränderungen kommen kann. Dazu zählen u.a.
- Orientierungs- und Sprachstörungen
- Verwirrtheitszustände
- Niedergeschlagenheit, Verstimmung, Erstarrung, Depression, Reizbarkeit, Unruhe, emotionale Labilität, Selbstvorwürfe bis zum Suizid
- Misstrauen, Wahnideen - häufig durch motorische und sensorische Beeinträchti- gungen, insbesondere im Bereich des Sehens und Hörens und durch Isolation hervorgerufen
- Angstzustände, innere Unruhe
- hypochondrische Syndrome (die eigenen Schwächen und körperlichen Symptome verstärkt wahrnehmen) (vgl. Scheiber 1995, S. 262)
Hinsichtlich der Kognition geht das Alter(n) mit Symptomen zunehmender Vergesslichkeit und der Verlangsamung von Denkprozessen einher. In der Literatur wird eine Unterscheidung zwischen kristallinen bzw. kristallisierten und fluiden Funktionen, die sich beide vornehmlich auf die Intelligenz beziehen, vorgenommen. Mit kristallisierten Funktionen werden diejenigen kognitiven Kompetenzen bezeichnet, welche abhängig von Bildungsstand und Übungsverhalten sind, wie z.B. Wortschatz, Allgemeinbildung oder Erfahrungswissen für Lösungsstrategien. Unter fluiden Funktionen werden bildungsunabhängige, biologisch festgelegte Fertigkeiten verstanden, die das Erkennen von Zusammenhängen, abstraktes Denken und das Bilden von Schlussfolgerungen ermöglichen. Die kristallisierte Intelligenz gilt als altersunabhängig und kann durch entsprechende Übung sogar noch bis ins höhere Alter gesteigert werden. Die fluide Intelligenz hingegen nimmt durch die altersbedingte Verlangsamung der Leistungen ab, so dass die Bewältigung neuer bzw. unbekannter und zugleich komplexer Aufgaben schwieriger wird und das Kurzzeitgedächtnis abnimmt (vgl. Hippen 2005, S.18).
Für den alternden Menschen hat dies zur Konsequenz, dass die Anpassungs- fähigkeit an neue Umgebungen wie z.B. durch einen Wechsel des Lebensortes abnimmt und das Erlernen neuer Sachverhalte mehr Zeit benötigt. Das Erfahrungs- wissen, welches aus den Erlebnissen des eigenen biografischen Hintergrundes heraus resultiert, ist hingegen auch mit zunehmendem Alter noch anwendbar.
Wie auch hinsichtlich des biologischen Alterns ähneln sich die psychischen und kognitiven Veränderungen von Menschen mit Behinderungen und nicht behinderten Menschen. So können durch Übung und Training das vorhandene Wissen sowie geistige Fertigkeiten auch bei Menschen mit geistiger Behinderung erhalten bleiben. Ausnahmen zeigen sich jedoch hier bei dem Personenkreis der Menschen mit Down- Syndrom. Während bei Menschen ohne diese Einschränkung die intellek- tuellen Fähigkeiten in etwa bis zum 65. Lebensjahr stabil bleiben, zeigen sich bei Menschen mit Down- Syndrom schon ab einem Alter von etwa 45 Jahren deutliche Einschränkungen (vgl. Haveman & Stöppler 2004, S. 44). Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung oftmals auf die Einnahme einer Vielzahl von Medikamenten angewiesen sind. Aufgrund wechselseitiger Nebenwirkungen der Präparate wirken sich diese nicht nur in organischer, sondern auch in psychischer Hinsicht auf den Menschen aus. Gepaart mit einer individuellen Härtesituation wie z.B. dem Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand besteht dadurch die Gefahr des Rückzuges oder zunehmender Teilnahmslosigkeit. Hinsichtlich der Ausbildung von psychischen Störungen gelten alternde Menschen mit geistiger Behinderung als stärker gefährdet wie die jeweiligen Altersgruppen der Gesamtbevölkerung. Aus meiner Sicht mögen jedoch die Ursachen für psychische Störungen zwischen den beiden Personenkreisen grundsätzlich nicht anders geartet sein. So wie für nicht behinderte Menschen individuell problematische Lebenslagen wie ein Wechsel des Lebensortes, der Tod naher Angehöriger/des Lebenspartners oder die Diagnose einer schweren Krankheit das Risiko für psychische Instabilität in sich tragen, ist dies auch für Menschen mit geistiger Behinderung nicht anders. Sie sind jedoch oftmals in ihren Bewältigungsstrategien und Problemlösungs- mechanismen stark eingeschränkt, nicht zuletzt aufgrund eines begrenzteren sozialen Netzwerkes, welches kritische Lebenssituationen mit auffangen könnte. So benötigen sie besondere, außerordentliche Unterstützung. Menschen mit geistiger Behinderung sind auch oftmals in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, im Alter neue Rollen wahrzunehmen oder vielleicht stärker als in der Phase des Erwerbslebens am kulturellen Leben teilzunehmen. Weiterhin muss festgestellt werden, dass neue Betätigungsfelder wie z.B. das Sich-Kümmern um eigene Enkelkinder inklusive der damit verbundenen Aufgaben für Menschen mit geistiger Behinderung leider nur äußerst selten in Frage kommen. Schon in diesem Bereich ist dieser Personenkreis als erheblich benachteiligt gegenüber der Gesamtbevölkerung anzusehen. Und nicht zuletzt beinhaltet das Älterwerden auch das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dies wirkt sich in aller Regel tiefgreifend auf den Menschen aus. Das Wissen um das psychologische Aspekte des Alterns sowie die möglichen damit einhergehenden psychischen Veränderungen muss dieses einschneidende Ereignis innerhalb der Biografie des Menschen mit einbeziehen.
2.3.3 Soziologisches Alter(n)
Es muss davon ausgegangen werden, dass soziale Einflüsse den Alterungsprozess des Menschen wesentlich beeinflussen. Die Soziologie untersucht den Menschen in seinen nahweltlichen sozialen und auch abstrakteren Bezügen in der Gesellschaft. Sie kann als Wissenschaft vom Sozialverhalten des Menschen in jeweils konkret existierenden Gesellschaften, deren Strukturen und ihren Wandlungen bezeichnet werden (vgl. Skiba 2006, S. 147). Speziell die Alterssoziologie, auch als Geronto- soziologie bezeichnet, beschäftigt sich dabei thematisch u.a. insbesondere mit dem Strukturwandel des Alters, der Situation älterer Arbeitnehmer, dem Übergang in den Ruhestand sowie den gesellschaftlichen Betätigungsformen älterer Menschen (vgl. ebd. S. 149). Ich werde mich im Folgenden dem soziologischen Verständnis des Alter(n)s mittels einer dreigeteilten Betrachtungsweise nähern. Dabei auf Alters- bilder, den gesellschaftlich-strukturellen Wandel des Alters sowie Alterstheorien eingegangen werden.
2.3.3.1 Altersbilder
Der Eintritt in die Lebensphase Alter, welcher sich wie beschrieben nicht genau terminieren lässt, ist mit einem Wechsel der Rollen, Aufgaben und Funktionen verbunden. So werden etwa bisherige Rollen abgelegt oder nur noch eingeschränkt bedient, wie dies z.B. hinsichtlich der Ausübung des Berufes der Fall ist. Aus der eigenen Biografie heraus ergeben sich neue Aufgaben und Funktionen. Denkbar ist hierbei das Entlasten der eigenen Kinder bei deren Erziehungsaufgaben oder die Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit. An all diese hier beispielhaft aufgeführten Rollen und Funktionen knüpfen sich gesellschaftliche Erwartungen, die ein spezielles Bild ergeben. Demgegenüber steht die individuelle Motivation, aus welcher heraus eine Tätigkeit oder Funktion übernommen wird. So wie diverse Rollen mit gesellschaftlichen Erwartungen und Normen besetzt sind, trifft dies gleichfalls auf die verschiedenen Lebensphasen des Menschen und somit auch auf das Alter(n) zu. Es handelt sich hierbei um Bestimmungsfaktoren, welche wiederum nicht starr sondern einem stetigen Wandel unterzogen sind. Die Soziologie spricht in Bezug auf die Lebensphase Alter dabei von „Altersbildern“. Diese beinhalten Informationen, Meinungen und Vorstellungen über alternde bzw. alte Menschen. Sie beziehen sich dabei durchaus auf alle Lebensbereiche der Person. Altersbilder sind kultur- und religionsabhängig. Sie lassen sich in normative und selbstbezogene Überzeugungen unterscheiden. Normative Überzeugungen geben ein gesellschaftliches „Bild“ über den alten Menschen und die mit dem Alter einhergehenden Veränderungsprozesse wieder. Dieses bezieht sich auf geistige und körperliche Erscheinungen des Alterns wie z.B. Vergesslichkeit, Starrsinn, Abnahme der Leistungsfähigkeit etc. Dies führt zur Bildung von Altersstereotypen, das bedeutet typischen Einstellungen oder Annahmen, die mit dem Altern/Alter der Person und dessen Eigenschaften sowie Verhaltensweisen verbunden werden. Dabei werden jedoch die Selbstwahrnehmungen und Eigenbewertungen des alten Menschen oftmals nicht mit einbezogen. Dies hat zur Folge, dass das gesellschaftliche „Bild“ eines Menschen nicht selten von seinem tatsächlichen Verhalten erheblich abweicht. Desweiteren sieht sich der alternde Mensch mit diesen, offensichtlich allgemeingültigen Erwartungen, da ja seitens der Gesellschaft verkörpert, konfrontiert und wird die Diskrepanz dieses „Altersbildes“ zu seinem Eigenerleben feststellen. In diesem Verlauf entwickeln sich derartige Stereotypen zu Stigmatisierungen des Alter(n)s, da nicht nur das funktionale Alter3 sondern vielmehr auch das kalendarische Alter mit negativen Zuschreibungen versehen wird. Der alte Mensch gerät also unabhängig von seiner individuellen Leistungsfähigkeit in das Muster eines Stigmatisierungsprozesses. Derartige Stigmatisierungen, welche eine defizitäre Sichtweise des Alterns erzeugen, bestehen z.B. in pauschalisierenden Annahmen wie der generellen Abnahme der Leistungsfähigkeit und der damit einhergehenden Verringerung des gesellschaftlichen Nutzens, erhöhter Krankheitsanfälligkeit bzw. verminderter Gesundheit durch häufige bzw.
chronifizierte Krankheiten sowie psychischer Veränderungen oder „Altersskepsis“.
Den beschriebenen normativen stehen selbstbezogene Überzeugungen gegenüber. Diese beziehen sich auf die Erwartungen und Vorstellungen des Individuums an das eigene Altern. Sie werden zwar zum Teil auch von gesellschaftlichen Auffassungen bestimmt und zwar in dem Sinne, dass der alternde Mensch Erwartungen seines sozialen Umfeldes in das Selbstbild seines Alters übernimmt. Im Wesentlichen sind derartige Überzeugungen jedoch vom persönlichen Erleben geprägt. Sie sind damit abhängig vom körperlichen und geistigen Befinden der Person, aber auch von Wünschen, Plänen und Hoffnungen für die Altersphase. In Zusammenfassung lässt sich feststellen, dass Altersbilder prägenden Einfluss auf die Altersphase haben. Dabei verkörpern die selbstbezogenen Überzeugungen ein durchaus positives, da persönliches Bild, während normative Überzeugungen ein zumeist negatives Bild bis hin zur Stigmatisierung erzeugen. Da diese jedoch breitenwirksam mittels Medien und Werbung vermittelt werden, entsteht dadurch ein gewisser Druck auf den alternden Menschen (vgl. Hippen 2005, S. 19 ff.).
2.3.3.2 Strukturwandel des Alters
Der Gedanke des gesellschaftlich-strukturellen Wandels bzw. auch als Strukturwandel der Altersphase bezeichnet, vertieft die Entwicklung des Alterns aus gesellschaftlicher Sicht. Unter Bezugnahme auf Tews (1987) wird dieser Wandel mit den Phänomenen Entberuflichung, Verjüngung, Singularisierung, Feminisierung sowie Hochaltrigkeit erklärt (vgl. Skiba 2006, S. 174).
Entberuflichung bezeichnet die Senkung des Eintrittsalters in den Ruhestand. Diese Behauptung erscheint auf den ersten Blick irrsinnig, ist doch sozialpolitisch das gegenwärtige Bestreben zu beobachten, die Regelaltersgrenze dynamisch anzupassen, d.h. sukzessive zu erhöhen. Die nach wie vor in Anwendung befindlichen Altersteilzeit- und Vorruhestandsmodelle sowie Arbeitslosigkeit und verminderte Erwerbsfähigkeit rechtfertigen jedoch diese These. Angesichts dessen, sowie der steigenden Lebenserwartung, wozu an späterer Stelle noch nähere Ausführungen folgen, ist also eine zum Teil beträchtliche Verlängerung der Nacherwerbsphase zu konstatieren. Lothar Böhnisch wiederum sieht Entberuflichung nicht für alle älteren Menschen als zutreffend an. Er sieht Ansatzpunkte dafür, dass sich dieser Aspekt des Altersstrukturwandels selektiv auswirken würde. So seien insbesondere Arbeitnehmer betroffen, die über einen beruflich niedrigen Status und unzureichende fachliche Qualifikation verfügen sowie von eingeschränktem Gesundheitszustand betroffen seien (vgl. Böhnisch 2008, S. 259). Da allgemeinhin in weiten Teilen der Bevölkerung der Beginn der Altersphase oftmals mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verknüpft wird, trägt aus meiner Sicht diese Entberuflichung des Alters zu einer Ausweitung der Altersphase in Richtung des Erwachsenenalters bei. Da diese Personen sich nicht mehr oder in absehbarer Zeit nicht mehr in Arbeit befinden und sich an das Erwerbsleben „nur noch“ die Lebensphase Alter anschließt, werden sie demnach unter den, ich verweise auf vorhergehende Darlegungen, äußerst vielseitigen Begriff des „alten Menschen“ gezählt.
Als Verjüngung wird der Aspekt des Alterswandels bezeichnet, welcher aussagt, „dass alte Menschen, die heute leben, in Bezug auf Gesundheit, psychophysischen Zustand, Kompetenz und Leistungsfähigkeit „relativ jünger“ sind als die Angehörigen früherer Generationen“ (Buchka 2003, S. 34). Dies führt dazu, dass die heutigen älter werdenden und alten Menschen neben diesen „messbaren“ Faktoren wie Gesundheitszustand oder körperlich-geistige Leistungsfähigkeit nicht nur nachweislich jünger sind sondern sich auch jünger fühlen bzw. selbst einschätzen. Dieser Prozess der Verjüngung der in unserer heutigen Gesellschaft alt werdenden Menschen lässt sich begründen. So trägt u.a. der seit Jahren bzw. nunmehr seit Jahrzehnten in manchen Fachgebieten rasant voranschreitende medizinische Fortschritt zu einer immer besseren Versorgung des Menschen bei. Krankheiten lassen sich schneller und zuverlässiger diagnostizieren und somit auch besser behandeln. Ein weiterer Punkt sind präventive und rehabilitative Strategien im Gesundheitswesen, welche auf gesunde Ernährung sowie gesundheitsbewusstes Verhalten und eine eigenverantwortliche Lebensweise ausgerichtet sind und letztlich zu einer Steigerung der Lebenserwartung geführt haben und nach wie vor führen. Wenngleich diese Überlegungen seitens der Kranken- und Rentenversicherungs- träger aus Gründen der Kostenersparnis und des gesetzlichen Zwanges zu wirtschaftlicher Arbeitsweise heraus erwachsen mögen, führen sie dennoch offenkundig dazu, dass sich die durch die jeweiligen Programme angesprochenen Bevölkerungsteile mit Fragen der Ernährung, Fitness oder Gesunderhaltung des Körpers auseinandersetzen. Ein weiteres Indiz, welches die Annahme einer Verjüngung nahe legt, sind die im Vergleich zu vorhergehenden Generationen verbesserten Lebensbedingungen, zu denen sich u.a. die eben thematisierte Gesundheits-, aber auch die Trinkwasser- oder Lebensmittelversorgung zählen lässt. Auch das Fehlen oder die Verminderung gesellschaftlicher Krisensituationen wie Kriege, Lebensmittelknappheit u.Ä. mag sich auf diesen Aspekt des Altersstrukturwandels förderlich auswirken (vgl. Skiba 2006, S. 174 ff.).
Diese hier kurz angerissenen Inhalte der Verjüngung des Alters führen dazu, dass dem heute alt werdenden Menschen allgemein betrachtet ein auf den genannten Gründen beruhender längerer Lebensabschnitt in Gesundheit und Eigenständigkeit bevor steht, als den ihm vorangegangenen Generationen. Beinahe in einem Atemzug mit der Verjüngung wird daher von „aktivem oder jungem Alter“ gesprochen (Schultz, zitiert in Skiba 2006, S. 175). Diese Wortverwendung bezieht sich größtenteils auf Altersphasen zwischen dem 60. und 80. Lebensjahr (vgl. Böhnisch 2008, S. 258). Eine Verjüngung des Alters führt insgesamt betrachtet zu einer Erweiterung der Aktivitätsfelder für den Menschen, da Krankheit und körperlich-geistige Einschränkungen vergleichsweise später eintreten. Es ergeben sich also mit der Berufsaufgabe neue Freiräume, die im Sinne eines erfolgreichen persönlichen Alterns gefüllt werden müssen (vgl. Skiba 2006, S. 175).
Singularisierung bezeichnet den mit zunehmendem Alter wachsenden Anteil an alleinstehenden Menschen. Skiba (2006) führt Zahlen an, nach denen von älteren Menschen zwischen 60 und 70 Jahren etwa 20 % und von Menschen über 80 Jahren etwa 60 % alleine leben (S. 178). Gründe für diesen Aspekt des Alters- strukturwandels sind Lebenseinschnitte wie Trennung, Scheidung oder Tod des Partners (vgl. Braun 2008, S. 11). Neben diesen eher personenbezogenen Faktoren ist auch davon auszugehen, dass sich das familiäre und weitere soziale Netz des alternden Menschen verkleinert. Je nachdem wie breit familiäre Strukturen im Sinne von Geschwistern oder nahen Verwandten existieren, kann ein Drang zur Singularisierung für den Menschen entstehen. Wesentlich hierfür ist natürlich auch, sofern derartige Kontakte bestehen, ob diese auch im Alter noch gepflegt werden. Alleinleben oder Alleinsein tritt dabei jedoch unter Umständen nicht erst in Nähe zur Altersphase auf. Angesichts der gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen und der sich mit Verlauf des 20. Jahrhunderts gewandelten Lebensformen (verändertes Verständnis von Familie), kann das Alleinleben durchaus schon in der vorangegangenen Lebensphase, sei es gewollt oder ungewollt, als Lebensform gewählt worden sein. Im Falle dessen wird jedoch die Person schon zu dieser Zeit Kompetenzen entwickeln bzw. entwickelt haben, unabhängig von einem Lebenspartner soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Böhnisch (2008) spricht davon, „dass Isolation und Vereinsamung und höherer Kontaktbedarf häufiger bei Alleinlebenden anzutreffen sind“ (S. 259). Dies ist unschwer nachzuvollziehen, da das Leben in einer Partnerschaft das Risiko der Vereinsamung verringert wenn nicht sogar ausschaltet und die Wichtigkeit anderweitiger Kontakte in den meisten Fällen eher untergeordnet sein wird. Das Fehlen oder der Verlust eines Lebenspartners wird demnach sekundäre Kontaktebenen notwendig machen, insbesondere hinsichtlich des Austritts aus dem Erwerbsleben, welcher ja in der Regel mit einem Verlust an sozialen Kontakten einhergeht. Weiterhin ist zu vermuten, dass sich der Drang zur Singularisierung für diejenigen Menschen erhöht, deren soziale Kontakte sich schon vor dem Eintritt in die Altersphase im Wesentlichen auf das Arbeitsumfeld und den Partner, insofern vorhanden, beschränkten (vgl. ebd.). In diesem Fall ist schon mit dem Verlust eines dieser beiden Faktoren von einer Einschränkung der Kontaktmöglichkeiten für den Menschen auszugehen. Ein letzter, nicht zu unterschätzender Aspekt bzw. viel mehr eine Folge der Singularisierung ergibt sich hinsichtlich des Eintritts von Pflegebedürftigkeit. Anders als bei noch in Partnerschaft oder in Kreisen der Familie lebenden Menschen, werden alleinstehende alte Menschen im Falle eigener Pflegebedürftigkeit stärker auf öffentliche Dienstleister z.B. in Form von Pflegediensten angewiesen sein, da die Pflege nicht oder nicht ausreichend durch eigene Angehörige übernommen werden kann.
Der Gedanke der Feminisierung des Alters meint, dass die Gruppen der älter werdenden und alten Menschen durch einen höheren Anteil an Frauen gekennzeichnet sind und beruft sich dabei auf die höhere Lebenserwartung der Frauen. Diese liegt nach Bomsdorf (2009), unter Verweis auf Daten des Statistischen Bundesamtes, für neugeborene Jungen derzeit bei knapp 77 und für Mädchen bei etwas mehr als 82 Jahren. Das Mann-Frau-Verhältnis stellt sich in der Altersgruppe 65-75 als 1:2, in der Altersgruppe über 75 als 1:3 und in der Gruppe der über 85-Jährigen sogar als 1:4 dar (Prahl/Schroeter, zitiert in Skiba 2006, S. 179). Gründe für diese mit zunehmendem Alter wachsende Überrepräsentanz der Frauen liegen neben den unterschiedlichen Lebenserwartungen auch in den sich unterscheidenden Rollen und Lebensweisen von Männern und Frauen. Bei den heute in die Altersphase eintretenden Menschen ist noch anzunehmen, dass die Männer zum überwiegenden Teil die Rolle des Verdieners bzw. „Ernährers“ einnahmen, während die Frauen die Rolle der Hausfrau ausfüllen sowie Aufgaben der Kindeserziehung wahrgenommen haben. Insofern nicht schon im Wandel wird sich diese Rollenverteilung für die zukünftig alt werdenden Menschen (weiter) verschieben. Männer sind jedoch demnach auch stärker als Frauen von den Auswirkungen langjähriger Erwerbsarbeit betroffen, welche sich sicherlich hauptsächlich in körperlichen Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen äußern.
Ein weiterer Grund der Feminisierung für die gegenwärtig alternden Geburts jahrgänge ist auch in den Verlusten aufgrund des zweiten Weltkrieges zu suchen, welcher schon unabhängig von der höheren Sterblichkeit der Männer zu einer männlichen Unterrepräsentanz in den betroffenen Jahrgängen geführt hat (vgl. Clemens & Backes 2003, S. 44). Die Feminisierung des Alters erzwingt aber auch Überlegungen zur wirtschaftlichen Situation der Frauen im Alter. In Anbetracht der noch dominanten Ernährerrolle des Mannes ist demnach davon auszugehen, dass Frauen in der Altersphase stärker wirtschaftlich benachteiligt sind. Da Frauen in der Regel aufgrund von Schwangerschaft, Geburt und Kindeserziehung weniger zusammenhängende Erwerbszeiten aufweisen können, sind sie schon in finanzieller Hinsicht durch eine geringere Altersrente schlechter gestellt.
Als fünfter und letzter Aspekt des Altersstrukturwandels ist die Hochaltrigkeit zu nennen. Sie wird einvernehmlich als eine der gravierendsten demografischen Veränderungen gesehen und bezeichnet die zahlenmäßige Zunahme der hochaltrigen bzw. hochbetagten Menschen jenseits des 80. Lebensjahres (vgl. Skiba 2006, S. 181). Zur Veranschaulichung werden an vielerlei Textstellen Daten zu Hundertjährigen herangezogen. So wird darauf verwiesen, dass sich die Zahl der hundertjährigen Personen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im seinerzeit Deutschen Reich auf maximal zehn und vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf etwa 20 belief, während es nach Zahlen von 1996 schon bereits deutlich mehr als 3200 waren (vgl. ebd. S. 182). Nach einer etwas aktuelleren Zahl von Ende 2005 beläuft sich die Größenordnung dieser Personengruppe auf etwa 5100 (vgl. Bomsdorf 2009, S. 31). Konkret für die Gruppe der als hochbetagt oder hochaltrig zu bezeichnenden Menschen (80+) wurde ebenfalls für das Jahr 2005 eine Zahl von 3,6 Millionen angenommen, welche den Schätzungen nach bis zum Jahre 2050 auf mehr als 10 Millionen anwachsen soll (vgl. Orthmann Bless 2009, S. 19). War es noch vor etwa 100 Jahren als absoluter Ausnahmefall anzusehen, dass ein Mensch das 100. Lebensjahr vollenden konnte, so ist es anhand der genannten Zahlen gegenwärtig durchaus nicht unrealistisch das man im Arbeits-, Freundes- oder Bekanntenumfeld mit hundertjährigen Menschen in Kontakt kommt. Gleiches gilt generell für die stetig anwachsende Gruppe der hochaltrigen Menschen. Hochaltrigkeit kann einerseits als Errungenschaft gesehen werden, die mithilfe neuer medizinischer Möglichkeiten und verbesserter Lebensbedingungen erreicht wurde. Andererseits verbinden sich damit jedoch auch negative Aspekte, die sicher auch einen wesentlichen Einfluss auf die gesellschaftliche Sicht bzw. die soziale Akzeptanz des Alter(n)s ausüben. So nehmen in dieser Altersphase „Isolierung und Vereinsamung, Multimorbidität, psychische Erkrankungen und mentale Ver- schlechterungen, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit und (...) Übergänge in stationäre Einrichtungen“ deutlich zu (Frommann 1998, S. 26). Das Eintreten des Genannten erfordert ein Mehr an Unterstützung und Hilfe sowie wird hochbetagte Menschen zunehmend abhängig machen. Zugleich wird das unmittelbare soziale Netz stärker belastet, etwa wenn es bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit darum geht wie die Pflege des betroffenen Menschen abgesichert werden kann. Desweiteren muss damit gerechnet werden, dass innerhalb der Hochaltrigkeit auch die anderen, bereits abgehandelten, strukturellen Aspekte des Alters stärker ins Gewicht fallen bzw. an Bedeutung gewinnen.
2.3.3.3 Theorien des Alterns
Neben den bereits behandelten Aspekten der Altersbilder und des Altersstruktur- wandels erweist es sich bei der Auseinandersetzung mit dem soziologischen Verständnis von Alter(n) aus meiner Sicht als unerlässlich, sich mit den existierenden Theorien zu dieser Thematik auseinanderzusetzen. Dies soll im Folgenden in angemessener Form erfolgen, um im Anschluss daran, in gebündelter Form, Rückschlüsse hinsichtlich des Einflusses gesellschaftlicher Ansichten und Einstellungen auf das Altern von Menschen mit geistiger Behinderung zu ziehen.
Die Aktivitätstheorie, welche Tartler zugeschrieben wird, geht davon aus, dass durch vielfältige Aktivitäten und verschiedene Angebote bestehende Kompetenzen bis ins Alter hinein aufrecht erhalten werden können und so dem Alterungsprozess vorgebeugt sowie den damit verbundenen Abbauerscheinungen entgegengewirkt werden kann (vgl. Skiba 2006, S. 40). Grundannahme der Theorie ist, dass Menschen im Alter grundsätzlich keine anderen Bedürfnisse als Menschen in der davor liegenden Lebensphase haben. Mit jedem Lebensabschnitt wechseln die Rollen, Aufgaben und Funktionen, welche die Person wahrnimmt bzw. inne hat. Beim Eintritt in die Altersphase ist dieser Wechsel besonders ausgeprägt, aufgrund des Ausscheidens aus dem Berufsleben, möglicher Einschränkungen in der Mobilität sowie der Reduzierung sozialer Kontakte und dem Verlust nahestehender Personen (vgl. Komp 2006, S. 21). Dieser einsetzende Rollen-, Funktions- und Kontaktverlust, der natürlich individuell verschieden stark ausgeprägt ist, muss im Sinne eines erfolgreichen Alterns durch neue Kontakte und neue Aufgaben bzw. Beschäftigungen ausgeglichen werden (vgl. Frommann 1998, S. 27). Erfolgt dieser Ausgleich nicht, kommt es zu den körperlichen und geistigen Abbauerscheinungen, welche das Alter charakterisieren. Der Verlust an Rollen, Aufgaben und letztlich Kontakten sei nicht vom Individuum persönlich gewählt, sondern wird auf gesellschaftliche Gegebenheiten zurückgeführt. So kommt es z.B. erst aufgrund der Vorgaben zum Renteneintritt zu einer „Ausgliederung“ (vgl. Hippen 2005, S. 21). Kritik wird zu dieser Theorie dahingehend angebracht, dass das Erwachsenenalter nicht mit „dem“ Alter gleichgesetzt werden kann und daher Wünsche und Bedürfnisse anders geartet sein können. Desweiteren stützt sich die Erhaltung oder Förderung der Lebenszufriedenheit auf das Vorhandensein bzw. die Möglichkeit zur Knüpfung neuer sozialer Kontakte. Schlussendlich muss beachtet werden, dass möglicherweise auch nicht jeder alternde Mensch vielfältigen Beschäftigungs- angeboten gegenüber aufgeschlossen ist bzw. diese als für sich notwendig betrachtet.
Die Disengagementtheorie, 1961 von Cumming und Henry begründet, sieht sich im Gegensatz zur Aktivitätstheorie. Sie baut auf einem defizitären Verständnis des Alterns auf und wertet den Verlust an Kontakten und Aktivitäten im Alter als an sich positiv. Der Rückzug aus Rollen, Funktionen, Aufgaben und Lebensbereichen wie z.B. der Erwerbsarbeit wird als vom Individuum selbstgewählt und zugleich gesellschaftlich notwendig verstanden, da die dadurch entstehenden Lücken durch die nachrückende(n) Generation(en) kompensiert werden. Ausgehend vom defizitären Altersverständnis wird also auch das Altern als biologischer, nicht korrigierbarer und hinzunehmender Prozess verstanden, welcher zur Verminderung von geistigen, körperlichen und seelischen Kräften führt. Diese Verminderungen erforderten ein „Loslassen“, was schon durch das gesteigerte Ruhe- und Selbstentfaltungsbedürfnis des alternden Menschen notwendig und begründet sei (vgl. Haveman & Stöppler 2004, S. 51/52). Ein weiterer Gedanke ist, dass der alternde Mensch durch den Rückzug aus unterschiedlichen Lebensbereichen neue Freiräume gewinnt, um sich z.B. auf das eigene Sterben vorzubereiten oder sich mit dem Tod eigener Angehöriger auseinandersetzen zu können. Letztendlich sei die Veränderung der sozialen Kontakte nicht in erster Linie gesellschaftlich bedingt oder erzwungen, sondern entspricht den Wünschen des alt werdenden Menschen (vgl. Komp 2006, S. 22). Somit gewinnt das Individuum unter dem eigenen Bewusst- werden, dass das Alter an sich die natürliche Abnahme der eigenen Leistungsfähigkeit beinhaltet, durch das selbstgewollte Loslassen an eigener Lebenszufriedenheit hinzu, was auch nach dieser Theorie die Voraussetzung für ein erfolgreiches Altern ist.
Kritik wird an dieser Theorie dahingehend geübt, dass sie von einem generellen und vom Individuum selbstgewollten Rückgang der sozialen Aktivität ausgeht. Als Grenzfall ließe sich das Aufeinanderprallen gegensätzlicher Interessen konstruieren, wenn z.B. gesellschaftlich aufgrund des Alters der Eintritt in den Ruhestand erwartet wird und die betroffene Person jedoch gerne auch noch weiterhin aktiv bleiben möchte (vgl. Hippen 2005, S. 24). Angesichts der weiter voranschreitenden Ausweitung der Altersphase kann weiterhin das Alter auch nicht grundsätzlich nur als Restzeit in Erwartung des eigenen Todes verstanden werden, von welchem die Disengagementtheorie jedoch ausgeht.
Nach dieser unterteilten Betrachtung der soziologischen Dimension des Alter(n)s, soll diese nun auf ihre Wirkungszusammenhänge hinsichtlich des Personenkreises der Menschen mit geistiger Behinderung untersucht werden.
2.3.3.4 Zusammenfassende Betrachtung der soziologischen Dimension des Alter(n)s hinsichtlich der Auswirkungen für älter werdende Menschen mit geistiger Behinderung
Ähnlich wie bei der biologischen und psychologischen Dimension des Alters ist ebenso oder womöglich gerade bei der sozialen bzw. soziologischen Dimension davon auszugehen, dass sie für den Alterungsprozess der Menschen mit geistiger Behinderung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Die Personenkreise der nicht behinderten und der von geistiger Beeinträchtigung betroffenen Menschen unterscheiden sich dahingehend grundsätzlich nicht, da beide sowohl in das übergeordnete Netz der Gesellschaft eingebettet sind, als auch in das individuell verschiedenartig ausgestaltete nähere soziale Umfeld. Diese Einbettung kann für behinderte Menschen durchaus positive Faktoren wie Unterstützung und Förderung beinhalten, es können jedoch auch negative Faktoren wie Benachteiligung, Bevormundung, Abhängigkeit und die daraus resultierende Unselbstständigkeit wirken. Ähnlich wie nicht behinderte alternde Menschen stehen auch älter werdende Menschen mit geistiger Behinderung im Spannungsfeld gesellschaftlicher „Altersbilder“. Unabhängig von ihrer Behinderung geraten diese Menschen demnach schon alleine aufgrund ihres Alters in einen Prozess der Stereotypisierung, welcher sich wesentlich an körperlichen und geistigen Veränderungen, die mit dem Altern einhergehen, festmacht. Da diese Altersbilder ja die Meinung bzw. Einstellung einer Mehrheit und sehr viel weniger die einer Einzelperson wiedergeben, droht nicht selten die Gefahr, dass sich diese normativen Überzeugungen von Stereo- typisierungen hin zur Stigmatisierung bewegen. Es muss angenommen werden, dass Menschen mit geistiger Behinderung diesen Prozess sehr bedeutend weniger beeinflussen bzw. eigene Überzeugungen entgegensetzen können, als nicht behinderte Menschen, da sie schon dahingehend benachteiligt sind, zu erfassen was im Verlauf des Alterungsprozesses mit ihrem eigenen Körper geschieht. Älter werdende Menschen müssen sich also in aller erster Linie erst einmal selbst, mit individuell mehr oder weniger Unterstützung, auf die Suche begeben, was es bedeutet „alt“ zu sein und werden nun in dieser Situation mit den Überzeugungen ihres sozialen Umfeldes, welche wie dargelegt in der Mehrzahl eher abwertender Natur sein werden, konfrontiert. In diesen Prozess des Gewahrwerdens, dass Älterwerden mit zahlreichen Veränderungen verbunden ist, reiht sich ein weiterer Aspekt ein. „Alte Menschen mit geistiger Behinderung sind in zweifacher Hinsicht stigmatisiert. Sowohl die geistige Behinderung als auch das Alter werden sozial abgewertet und abgelehnt“ (Wieland 1991, zitiert in Haveman & Stöppler 2004, S. 50). Dies kommt für den betroffenen Personenkreis einer nahezu aussichtslosen Situation gleich. Es muss davon ausgegangen werden, dass geistig behinderte Menschen auch heutzutage nur bedingt als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen und akzeptiert werden. Zu groß sind die Vorurteile, Wissensdefizite und antiquierten Einstellungen über das Sein und Leben geistig behinderter Menschen. Wenngleich fortschrittliche Überlegungen wie die der Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion dergleichen etwas aufzuweichen vermögen und auch vermehrt in das Handeln und Wirken des Gesetzgebers Eingang finden, muss die Tatsache, dass geistige Behinderung nach wie vor einem gewissen Stigma unterliegt, als noch lange nicht überwunden angesehen werden. Für älter werdende Menschen mit geistiger Behinderung kann dies zur Folge haben, dass da, wo für einen Außenstehenden das Erscheinungsbild der Behinderung noch nicht ausreicht, um das Verhalten einer Person für sich selbst zu erklären, einfach auf bestehende stereotypische Altersbilder zurückgegriffen wird, um auch noch die alten Menschen mit geistiger Behinderung in ein vorgefertigtes Denkmuster zu pressen. Für alt werdende Menschen mit geistiger Behinderung kann es durchaus ausschlaggebend für das eigene Altern sein, wie im zu diesem Zeitpunkt zurückliegenden Leben auf die eigene Behinderung reagiert wurde. Angesichts der heute alternden Menschen, von denen ein Großteil einen erheblichen Teil ihres Lebens in Großeinrichtungen (Anstalten u.Ä.) verbracht hat, besteht jedoch Grund zur Annahme, dass sie viele Jahre ihres Lebens einer eher weniger förderlichen bzw. Anerkennung und Wertschätzung vermittelnden Umgebung ausgesetzt waren. Dies ist für diese Menschen Teil ihrer Lebenserfahrung und wirkt mittels Erinnerungen und Erlebnissen bis in die Altersphase hinein. So wenig, wie für sie mögliche ablehnende Haltungen ihrer Mitmenschen zu Behinderung nachvollziehbar sein mögen, so wenig werden sie nachvollziehen können, dass sie aufgrund ihres Alters Gegenstand gesellschaftlicher Stigmatisierung sein können.
„Soziale Abwertung wird auch durch die Verweigerung der Erwachsenenrolle für Menschen mit geistiger Behinderung erfahren. Menschen mit geistiger Behinderung werden oft als ewige Kinder gesehen und behandelt“ (ebd. S. 50). Der Eintritt in die Altersphase ist natürlicherweise mit einem Wandel der Rollen, Funktionen und Aufgaben verbunden, die der Mensch inne hat. Alte Rollen brechen weg oder verlieren an Wichtigkeit, neue kommen hinzu. Dies ist der übliche Werdegang, welcher sich mit jedem Übergang in eine neue Lebensphase verbindet. Dies stellt sich für Menschen mit geistiger Behinderung anders dar. Indem es diesem Personenkreis nach wie vor an gesellschaftlicher Akzeptanz fehlt und die soziale Integration nur bedingt oder begrenzt auf bestimmte Lebensbereiche besteht, bleibt auch der Zugang zu vielfältig ausgestalteten Rollen und Positionen eingeschränkt. An die, im Zitat erwähnte, Erwachsenenrolle knüpfen sich mehrere Aufgaben, jedoch auch Rechte sowie verschiedene Erwartungen und neue Kompetenzen, wie z.B. das Recht für sich eigenverantwortlich entscheiden zu können. Indem Menschen mit geistiger Behinderung die Erwachsenenrolle abgesprochen wird, wird ihnen auch ein Stück der Zugang zum gesellschaftlichen Leben verwehrt. Im allgemeinen Verständnis wird das Erwachsensein neben Ausbildung und Berufstätigkeit auch mit Partnerschaft bzw. zumindest Partnersuche sowie dem Gründen einer eigenen Familie verbunden. Wenn also nun einer Person die Erwachsenenrolle nicht oder nur begrenzt zugestanden wird, zieht dies zwangsläufig Auswirkungen bis in die Altersphase nach sich.
Insbesondere das Zusammenleben mit einem Partner und die Gründung einer eigenen Familie stehen in der Regel nicht zur Disposition, so dass gerade das soziale Netzwerk, in dem die Mehrzahl der Menschen im Alter neue Aufgaben und emotionalen Rückhalt findet, nicht existiert. (….) Insbesondere der Besuch der Werkstatt für Behinderte ist für die Behinderten ein ganz wesentlicher Bezugspunkt in ihrem Leben (Trost & Metzler 1995, S. 24).
Für alternde Menschen ohne geistige Behinderung kann davon ausgegangen werden, dass die bestehenden sozialen Kontakte besonderen Rückhalt beim Übergang in die Altersphase bieten. So kann möglicherweise auf den Partner oder zumindest auf die eigenen Kinder zurückgegriffen werden. Damit ergeben sich auch neue Aufgaben für die Altersphase, wie z.B. das Sich-Kümmern um die eigenen Enkel.
[...]
1 Aus stilistischen Gründen wird in diesem Verzeichnis zumeist das allgemein übliche generische Maskulinum für Personenbezeichnungen genutzt, bei denen das Geschlecht unwichtig ist. Selbstverständlich ist z.B. bei „dem Leser“ stets „die Leserin“ mit eingeschlossen. (S ä chsische Landeszentrale für politische Bildung)
2 Unter Gerontologie versteht man die Alternsforschung bzw. jene Wissenschaft, die sich mit den biologischen, somatischen, psychischen und sozialen Grundlagen des Alterns beschäftigt (vgl. Psychrembel 2007, S. 679).
3 Funktionales Alter bezeichnet die altersgemäße Funktionalität und Leistungsfähigkeit in Gesamtbetrachtung des sozialen Lebens (vgl. Haveman & Stöppler 2004, S. 16).
- Quote paper
- Tobias Weigel (Author), 2010, Übergänge - Konzeptionelle Grundlegungen zur Vorbereitung des Ruhestandes für Menschen mit geistiger Behinderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175781
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