Max Horkheimer definiert den Begriff der traditionellen Theorie als Inbegriff von
Sätzen, die etwas über ein spezifisches Fachgebiet aussagen und so untereinander
verknüpft sind, dass bei Vorkommnis nur einiger dieser Sätze, die übrigen von ihnen
abgeleitet werden können (Deduktion). Wobei die Qualität einer Theorie oder der Grad
an Perfektion darin erkennbar ist, wie das Verhältnis der Anzahl der höchsten
Prinzipien zu den aus diesen deduzierten Konklusionen ist. Mit den Maßstäben der
realen Gültigkeit, der Koinzidenz der abgeleiteten Sätze und den tatsächlich erfahrbaren
Ereignissen, wird der Wahrheitsgehalt einer Theorie bewertet. Wird aber deren
Inkommensurabilität evident, führt dies notwendig zur Revidierung bzw. Modifizierung
des Aussagensystems (Prinzip der Falsifikation). Die Theorie hat also, in der
Einbeziehung möglicher Widersprüche zwischen Theorie und Empirie/Erfahrung, nur
einen hypothetischen Charakter. Das Ziel der Bildung einer Theorie ist, die
Verallgemeinerung von Tatsachen, so intendiert, dass der allgemeine Nutzeffekt
gesteigert wird. Der Versuch besteht in der Annäherung an das Ideal einer einzigen
Methode, so dass – wobei vorauszusetzen ist, dass die Regeln des Deduzierens, des
Zeichenmaterials, sowie das Verfahren des Vergleichs von abgeleiteten Sätzen mit der
Empirie/Erfahrung bekannt sind – die Trennung der Einzelwissenschaften aufgehoben
werden kann.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist traditionelle Theorie?
- Definition von Wissenschaft
- Traditionelle Theorie und Empirie
- Hypothese als theoretische Erklärung
- Theorie und gesellschaftliche Prozesse
- Positivismus und Pragmatismus
- Wissenschaft und kapitalistische Produktionsweise
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht den Begriff der „traditionellen Theorie“ nach Max Horkheimer und dessen Kontextualisierung innerhalb gesellschaftlicher Prozesse. Es wird analysiert, wie dieser Theoriebegriff mit empirischen Ansätzen interagiert und welche Rolle er in verschiedenen wissenschaftlichen und philosophischen Strömungen spielt.
- Definition und Charakteristika der traditionellen Theorie
- Der Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie
- Die Rolle der Hypothese in der wissenschaftlichen Erklärung
- Der Einfluss gesellschaftlicher Strukturen auf die Wissenschaft
- Die Kritik an verselbständigten Theoriebegriffen
Zusammenfassung der Kapitel
Was ist traditionelle Theorie?: Der Text beginnt mit der Definition von „traditioneller Theorie“ nach Max Horkheimer, die als ein deduktives System von Sätzen verstanden wird, welches auf wenigen höchsten Prinzipien basiert. Die Bewertung der Theorie erfolgt anhand ihrer empirischen Gültigkeit und der Möglichkeit der Falsifizierung. Horkheimer strebt ein universales wissenschaftliches System an, in dem die Trennung der Einzelwissenschaften aufgehoben wird, durch die Rückführung auf gemeinsame Prämissen, die - je nach philosophischer Position - Induktionen, evidente Einsichten oder arbiträre Festsetzungen sein können. Der Text beleuchtet die Tendenz zur Mathematisierung der Wissenschaft und die damit verbundene Substitution empirischer Gegenstände durch mathematische Symbole.
Definition von Wissenschaft: Aufbauend auf der Definition der traditionellen Theorie wird eine mögliche Definition von Wissenschaft als widerspruchsfreies Universum theoretischer Sätze eingeführt. Die Objektivität eines solchen Systems ist an die Freiheit von dogmatischen Einflüssen gebunden. Die zunehmende Mathematisierung der Naturwissenschaften und deren Einfluss auf die Geisteswissenschaften werden diskutiert, sowie die Frage nach der Verwendbarkeit von Theorien im Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse.
Traditionelle Theorie und Empirie: Dieser Abschnitt behandelt den Konflikt zwischen traditionellen Theorien und empirischen Ansätzen. Einige Empiriker kritisieren die Schwierigkeit, angesichts der Komplexität gesellschaftlicher Probleme allgemeine Prinzipien zu formulieren und plädieren für eine induktive Methodik, beginnend mit der Beschreibung sozialer Phänomene. Die Diskussion konzentriert sich auf die Frage einer von oben entworfenen Metatheorie gegenüber empirischer Forschung und die Rolle der Induktion.
Hypothese als theoretische Erklärung: Der Text beleuchtet die Rolle der Hypothese als Verknüpfung zwischen Wahrnehmung und begrifflicher Wissensstruktur. Die Dialektik zwischen gedanklich formuliertem Wissen und konkretem Sachverhalt wird betont, wobei letzterem eine untergeordnete Rolle zukommt. Max Webers „Theorie der objektiven Möglichkeit“ wird als Beispiel herangezogen, um die Konstruktion historischer Ursachen und den Umgang mit Konditionalsätzen in den Natur- und Geschichtswissenschaften zu illustrieren.
Theorie und gesellschaftliche Prozesse: Dieser Abschnitt untersucht den Zusammenhang zwischen Theoriebildung und gesellschaftlichen Prozessen. Es wird betont, dass die Relevanz neuer Tatsachen für die Neuordnung bestehender Theorien nicht nur auf logisch-methodologische Elemente reduziert werden darf, sondern im Kontext realer gesellschaftlicher Prozesse verstanden werden muss. Der epistemologische Begriff der Zweckmäßigkeit von Definitionen wird erweitert, indem Richtung und Ziel der Forschung mit einbezogen werden. Die gegenseitige Beeinflussung von Material und Theorie wird als gesellschaftlicher Prozess dargestellt.
Positivismus und Pragmatismus: Die Verbindung von Theorie und Praxis wird anhand des Positivismus und Pragmatismus veranschaulicht. Die Verwendbarkeit und Prognosefähigkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen werden als zentrale Ziele formuliert. Die Gefahr einer zirkulären Argumentation wird aufgezeigt, da einerseits an unabhängiges Wissen und andererseits an die soziale Bedeutung der Aussagen geglaubt wird. Die Wissenschaftler selbst sind in das gesellschaftliche System eingeschlossen und tragen zur Reproduktion des Bestehenden bei.
Wissenschaft und kapitalistische Produktionsweise: Der Text schließt mit einer Betrachtung der Wissenschaft im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise. Die scheinbare Selbstständigkeit wissenschaftlicher Arbeitsprozesse wird als Ausdruck des scheinbaren Freiheitsverständnisses in der bürgerlichen Gesellschaft kritisiert. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus und dem Liberalismus veranschaulicht, wie das fälschliche Bewusstsein der bürgerlichen Akademiker zu einer Verabsolutierung des Logos und zur Hypostasierung der Vernunft führt.
Schlüsselwörter
Traditionelle Theorie, Max Horkheimer, Empirie, Hypothese, Deduktion, Induktion, Wissenschaft, Gesellschaft, Kapitalismus, Positivismus, Pragmatismus, Neukantianismus, Objektivität, Falsifizierung, Mathematisierung.
Häufig gestellte Fragen zu: Traditionelle Theorie nach Max Horkheimer
Was ist der Gegenstand des Textes?
Der Text analysiert den Begriff der „traditionellen Theorie“ nach Max Horkheimer und seine Einbettung in gesellschaftliche Prozesse. Es werden die Interaktion mit empirischen Ansätzen, die Rolle in wissenschaftlichen und philosophischen Strömungen sowie die Kritik an verselbständigten Theoriebegriffen untersucht.
Was versteht der Text unter „traditioneller Theorie“?
„Traditionelle Theorie“ wird als deduktives System von Sätzen definiert, basierend auf wenigen höchsten Prinzipien. Ihre Bewertung erfolgt anhand empirischer Gültigkeit und Falsifizierbarkeit. Horkheimer strebt ein universales wissenschaftliches System an, das die Trennung der Einzelwissenschaften durch Rückführung auf gemeinsame Prämissen (Induktionen, evidente Einsichten oder arbiträre Festsetzungen) aufhebt. Der Text beleuchtet auch die Tendenz zur Mathematisierung der Wissenschaft.
Wie definiert der Text den Begriff „Wissenschaft“?
Wissenschaft wird als widerspruchsfreies Universum theoretischer Sätze definiert, dessen Objektivität von der Freiheit dogmatischer Einflüsse abhängt. Der Text diskutiert die zunehmende Mathematisierung der Naturwissenschaften und deren Einfluss auf die Geisteswissenschaften sowie die Verwendbarkeit von Theorien im gesellschaftlichen Kontext.
Wie wird der Zusammenhang zwischen traditioneller Theorie und Empirie dargestellt?
Der Text behandelt den Konflikt zwischen traditionellen Theorien und empirischen Ansätzen. Empirische Kritik an der Schwierigkeit, angesichts komplexer gesellschaftlicher Probleme allgemeine Prinzipien zu formulieren, wird ebenso diskutiert wie die Frage einer von oben entworfenen Metatheorie gegenüber empirischer Forschung und die Rolle der Induktion.
Welche Rolle spielt die Hypothese in der wissenschaftlichen Erklärung?
Die Hypothese wird als Verbindung zwischen Wahrnehmung und begrifflicher Wissensstruktur dargestellt. Die Dialektik zwischen gedanklich formuliertem Wissen und konkretem Sachverhalt wird betont, wobei letzterem eine untergeordnete Rolle zukommt. Max Webers „Theorie der objektiven Möglichkeit“ dient als Beispiel für die Konstruktion historischer Ursachen und den Umgang mit Konditionalsätzen.
Wie werden Theorie und gesellschaftliche Prozesse in Beziehung gesetzt?
Der Text untersucht den Zusammenhang zwischen Theoriebildung und gesellschaftlichen Prozessen. Die Relevanz neuer Tatsachen für die Neuordnung bestehender Theorien wird nicht nur logisch-methodologisch, sondern im Kontext realer gesellschaftlicher Prozesse verstanden. Die gegenseitige Beeinflussung von Material und Theorie wird als gesellschaftlicher Prozess dargestellt.
Wie werden Positivismus und Pragmatismus im Kontext der Theorie betrachtet?
Positivismus und Pragmatismus veranschaulichen die Verbindung von Theorie und Praxis. Verwendbarkeit und Prognosefähigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse werden als zentrale Ziele formuliert. Die Gefahr zirkulärer Argumentation (Glaube an unabhängiges Wissen und gleichzeitig an soziale Bedeutung der Aussagen) und die Einbindung von Wissenschaftlern in das gesellschaftliche System werden aufgezeigt.
Wie wird der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und kapitalistischer Produktionsweise dargestellt?
Der Text betrachtet die Wissenschaft im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise. Die scheinbare Selbstständigkeit wissenschaftlicher Arbeitsprozesse wird als Ausdruck scheinbaren Freiheitsverständnisses in der bürgerlichen Gesellschaft kritisiert. Die kritische Auseinandersetzung mit Neukantianismus und Liberalismus veranschaulicht die Verabsolutierung des Logos und die Hypostasierung der Vernunft.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Text?
Traditionelle Theorie, Max Horkheimer, Empirie, Hypothese, Deduktion, Induktion, Wissenschaft, Gesellschaft, Kapitalismus, Positivismus, Pragmatismus, Neukantianismus, Objektivität, Falsifizierung, Mathematisierung.
- Quote paper
- Jacques Lantin (Author), 2011, Max Horkheimer - Was ist traditionelle Theorie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175443