Uti possidetis (lat. für „Wie ihr besitzt“) ist im Völkerrecht ein gemeinhin bekanntes Schlagwort, das meist mit der Unveränderlichkeit existierender Staatsgrenzen in Verbindung gebracht wird. Bei der genaueren Untersuchung zur Bedeutung des Begriffs ergeben sich jedoch einige Schwierigkeiten. Zum besseren Verständnis bietet das folgende Referat einen Überblick über die Entwicklung des Begriffs uti possidetis und untersucht seine völkerrechtliche Bedeutung.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1) Uti possidetis im römischen Recht und erste Anwendungen im Kriegsvölkerrecht
2) Exkurs: Entstehung völkerrechtlicher Regeln
a) Prinzip
b) Völkergewohnheitsrecht
c) Partikuläres Völkergewohnheitsrecht
3) Uti possidetis und Dekolonisation bzw. Fremdherrschaft
a) Lateinamerika
b) Afrika
c) Asien
d) NaherOsten
4) Uti possidetis in Europa nach 1989: Der Jugoslawien-Konflikt
5) Fazit
Literatur
Einleitung
Uti possidetis (lat. für „Wie ihr besitzt") ist im Völkerrecht ein gemeinhin bekanntes Schlagwort, das meist mit der Unveränderlichkeit existierender Staatsgrenzen in Verbindung gebracht wird. Bei der genaueren Untersuchung zur Bedeutung des Begriffs ergeben sich jedoch einige Schwierigkeiten. Zum besseren Verständnis bietet das folgende Referat einen Überblick über die Entwicklung des Begriffs uti possidetis und untersucht seine völkerrechtliche Bedeutung.
1) Uti possidetis im römischen Recht und erste Anwendungen im Kriegsvölkerrecht
Seinen Ursprung hat der Begriff uti possidetis nicht im Völkerrecht, sondern im Eigentumsrecht des alten Roms. Es handelt sich um eine verkürzte Form des Satzes „Uti possidetis, ita possideatis.“ (lat. „Wie ihr besitzt, so sollt ihr besitzen"). Hierbei handelt es sich um einen prätorianischen Befehl zum Schutz des Besitzes von Immobilien. Das ausführliche Edikt des Kaisers Hadrian lautet: „Uti nunc aedes, quibus de agitur, nec vi nec clam nec precario alter ab altero possidetis, quo minus ita possideatis, vim fieri vero." (Ich verbiete euch, Gewalt anzuwenden, mit dem Ziel, dass ihr nicht mehr so besitzt, wie ihr das Grundstück, um das gestritten wird nun besitzt, ohne dass der eine es vom anderen durch Gewalt, heimlich oder durch Bittleihe erlangt hat.)
Ziel dieses Interdikts war, für das Verfahren den Besitzer einer Sache festzustellen, dieser wird somit in der Herausgabeklage, der actio vindicatio, zum Beklagten, im römischen Recht die vorteilhafte Position. Allerdings klärt uti possidetis die Eigentumsfrage nicht endgültig, sondern lediglich vorläufig (bis zum Urteil) und erfordert eine spätere Entscheidung. Außerdem muss der Eigentumserwerb gewisse Bedingungen erfüllen: Keine Gewaltanwendung, keine Heimlichkeit sowie keine Bittleihe. (Vgl. Weber, 1999: S. 3)
Im frühen Kriegsvölkerrecht erfuhr uti possidetis seine erste Anwendung auf Staatsgrenzen, der Bereich, auf den es noch heute angewendet wird. Es gibt im Kriegsvölkerrecht zwei grundlegende Ansätze, mit territorialen Veränderungen durch Kriege umzugehen: Status quo ante bellum und Status quo post bellum. Erster bedeutet, zur territorialen Lage vor Kriegsbeginn zurückzukehren, zweiter bedeutet, territoriale Veränderungen im Krieg nach Friedensschluss festzuschreiben. Dieser (zweite) Ansatz wird auch als Uti possidetis bezeichnet:
„By the principle commonly called that of uti possidetis it is understood that the simple conclusion of peace, if no express stipulation accompanies it, or in so far as express stipulations do not extend, vests in the two belligerents as absolute property whatever they respectively have under their actual control in the case of territory." (Hall, 1924: S. 46)
Das uti possidetis des frühen Kriegsvölkerrechts unterscheidet sich damit bereits stark von uti possidetis im römischen Recht: Einerseits sind die Besitztitel nicht, wie in der römischen Bedeutung, vorübergehend, sondern haben endgültigen Charakter. Andererseits existieren keine Bedingungen bezüglich der Rechtmäßigkeit des Besitzerwerbs (nec vi nec clam nec precario in der römischen Form), sodass diese Form des uti possidetis eine Legitimationsquelle für unrechtmäßigen Gebietserwerb darstellt, etwa unter Gewaltanwendung.
Die allgemeine Anerkennung des Gewaltverbotes, insbesondere Art. 2 (4) der UNCharta, macht diese Form des uti possidetis gegenstandslos (Vgl. Simmler, 1999: S. 36)
2) Exkurs: EntstehungvölkerrechtlicherRegeln
In der Literatur finden sich verschiedene Bezeichnungen für uti possidetis. Die häufigsten sind Prinzip, Theorie und Doktrin. Der uneinheitliche Sprachgebrauch weist auf ein wesentliches Problem in Bezug auf uti possidetis hin: Seine völkerrechtliche Geltungskraft. Da es sich um kein klar formuliertes, positives Gesetz des Völkerrechts handelt, muss untersucht werden, auf welchen Weg ihm dennoch völkerrechtliche Geltung zukommen kann. Zu diesem Zweck sollen im folgenden kurz Möglichkeiten zur Entstehung völkerrechtlicher Regeln vorgestellt werden, die für uti possidetis in Frage kommen, um dann anhand empirischer Beispiele den Rechtscharakter von uti possidetis bestimmen zu können.
a) Prinzip
In der Literatur wird meist von einem ,,uti possidetis-Prinzip“ gesprochen. Im Gegensatz zu einer Doktrin oder einer Theorie, ebenfalls häufig verwendete Bezeichnungen für uti possidetis, besitzt ein Prinzip gewisse völkerrechtliche Bedeutung. Eine eindeutige, verbindliche Legaldefinition existiert jedoch nicht, deshalb sollen nun zwei Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie ein Prinzip rechtliche Geltungskraft erlangen kann. Einer Definition sehr nahe kommt Art. 38 I c IGH-Statut; dieser benennt „general principles of law“ als mögliche Völkerrechtsquelle neben Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht. Umstritten ist jedoch der Inhalt sowie die Rechtsqualität solch eines Prinzips. So wurde bereits zur Zeit des Statut-Entwurfs gestritten, ob der IGH sich auf Regeln beschränken muss, die dem Konsens der Staaten entspringen, oder - im Gegensatz zu diesem eher positivistischen Ansatz eine naturrechtliche Sicht, vertreten z.B. durch Baron Descamps - bereits Regeln anwenden kann, die der „objective justice“ entspringen (Vgl. Simmler, 1999: S. 37). Die bis heute herrschende Ansicht stellt einen Kompromiss zwischen diesen beiden Sichtweisen dar und bezeichnet „general principles“ als „bestimmte, allen innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsame Regeln, soweit sie auf die Beziehung zwischen Staaten anwendbar sind“ (Ebd.: S. 37f.). Das heute vorherrschende Verständnis von uti possidetis im Sinne unveränderbarer Grenzen stellt wohl kaum ein Prinzip in diesem Sinne dar, dem eine entsprechende, allen Staaten gemeinsame, nationalrechtliche Regelung zugrunde liegt.
Eine weitere Möglichkeit, einem Prinzip völkerrechtliche Geltungskraft zu verleihen, wäre als „general principle of international law“. Der Unterschied zu den oben genannten „general principles of law“ liegt hierbei darin, dass im Gegensatz zu diesen die „general principles of international law“ nicht aus nationalen Rechtsordnungen übernommen werden, sondern sich direkt aus den internationalen Beziehungen entwickeln. Hierbei muss unterschieden werden zwischen .„Rechtsprinzipien', die aus geltenden Rechtsregeln abgeleitet sind und damit deren Rechtscharakter besitzen“ und den „noch nicht zu Recht erstarkten politischen Prinzipien', die den noch unverbindlichen Absichtserklärungen zugerechnet werden können“ (ebd.: 40). Die Frage, inwieweit uti possidetis einem dieser zwei Kategorien zugeordnet werden kann und welche Rechtsqualität uti possidetis damit im jeweiligen Zusammenhang zuzuschreiben ist, wird in der Literatur nicht geklärt.
b) Völkergewohnheitsrecht
Deutlich häufiger als generelle Rechtsprinzipien wird in Bezug auf uti possidetis in der Literatur von Völkergewohnheitsrecht gesprochen. Hierbei handelt es sich neben völkerrechtlichem Vertragsrecht um die Hauptquelle von Völkerrecht. Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht existieren etliche unterschiedliche Theorien. Trotz der sehr uneinheitlichen Sichtweisen besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht zwei Elemente seitens der Völkerrechtssubjekte notwendig sind: Deren (objektive) Praxis sowie deren (subjektive) Rechtsüberzeugung.
(Staaten-)Praxis
Die Praxis umfasst jegliches Handeln oder Unterlassen der Völkerrechtssubjekte und der internationalen Organisationen: Staaten, internationale Organisationen und Gerichte bzw. Schiedsgerichte; jedoch nicht natürliche und juristische Personen des Privatrechts. (Der gemeinhin verwendete Begriff „Staatenpraxis" ist also insofern unzureichend, als er das Handeln anderer Völkerrechtssubjekte neben Staaten nicht mit einschließt.) Zur Bildung von völkergewohnheitsrecht sind nicht nur tatsächliche Handlungen der Staaten entscheidend, sondern auch Statements, diplomatische Noten, Parlamentsbeschlüsse etc., also auch ursprünglich nationales Recht, das im internationalen Kontext völkerrechtliche Bedeutung erlangt (Vgl. Bleckmann, 1982: S. 110f.). Damit die (Staaten-)Praxis eine gewisse Signifikanz aufweist, werden an sie die beiden Bedingungen Dichte und Frequenz gestellt. Diese sind jedoch nicht klar definiert, was dazu führt, dass manche Völkerrechtssätze auf nur einem einzigen Präzedenzfall beruhen. Es bedarf also jeweils juristischer Wertung bezüglich der Dichte sowie der Frequenz der (Staaten-)Praxis. Da Völkerrecht gemäß UN-Charta an Gerechtigkeit ausgerichtet werden muss, muss diese Wertung jedoch an gewisse Maßstäbe gebunden sein, die dafür Sorge tragen, dass die Praxis einzelner Staaten sich der volonté générale aller Staaten annähern,. Deshalb ist entscheidend, dass einerseits die Zahl der Staaten, die sich zu der Praxis äußern, möglichst groß ist, andererseits, dass der jeweilige Staat eine objektive Wertung des Rechtssatzes vornimmt, etwa durch Einholung juristischer Gutachten oder die Anhörung von Sachverständigen durch die UN oder das Parlament. Eine objektive Wertung ist ebenso anzunehmen, wenn ein Staat die Existenz eines Rechtssatzes anerkennt, der im konkreten fall gegen seine eigenen Interessen spricht (Vgl. ebd.: S. 114).
Rechtsüberzeugung
Neben der Praxis der Völkerrechtssubjekte ist zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht deren Rechtsüberzeugung (opinio juris) von Interesse. Diese ist in der Regel schwieriger festzustellen als die Praxis. Sie zeigt sich vergleichsweise klar, wenn Völkerrechtssubjekte die Existenz einer entsprechenden Regel behaupten, weiterhin ist sie zu finden in multilateralen Verträgen, in bilaterale Verträge mit über die bilateralen Beziehungen hinausgehenden Verpflichtungen, in Äußerungen auf internationalen Konferenzen sowie in Resolutionen internationaler Organisationen. (Ausführlicher: Ebd.: S. 119ff.).
c) Partikuläres Völkergewohnheitsrecht
Einen Sonderfall des Völkergewohnheitsrechts stellt das sogenannte partikuläre Völkergewohnheitsrecht dar (alternative Bezeichnungen sind lokales, spezielles oder regionales Völkergewohnheitsrecht)
Die Entstehung entspricht in etwa der des universellen Völkergewohnheitsrechts, jedoch sind davon nicht alle Staaten, sondern nur eine begrenzte Anzahl betroffen. Damit ein Staat in den Geltungsbereich einer partikulären Regel fällt, muss er sich dieser mindestens konkludent durch „tacit consent" angeschlossen haben. Gegebenheiten wie die regionale Zugehörigkeit eines Staates zu einer Staatengemeinschaft oder zu einem Kontinent kann jedoch nicht per se die Zugehörigkeit zu einer Regel des partikulären Völkergewohnheitsrechts nach sich ziehen (Vgl. Schachter, 1991: S. 12). Bei Wider- Sprüchen zwischen partikulärem und universellem Völkergewohnheitsrecht geht das partikuläre aufgrund der Herrschaft der Staaten über die Völkerrechtsordnung dem universellen vor. (Vgl. Simmler, 1999:S.44). Eine Ausnahme bildet ius cogens, also zwingendes Völkerrecht, das nicht verändert werden kann, wie z.B. der Kern des Gewaltverbots, das Verbot des Völkermordes sowie elementare Menschenrechte.
3) Uti possidetis und Dekolonisation bzw. Fremdherrschaft
Von großer Bedeutung war der Begriff uti possidetis bei der Erlangung der Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien. Dieser Prozess soll für die Kontinente Lateinamerika, Afrika und Asien jeweils kurz dargestellt werden und anschließend wird jeweils aufgezeigt, inwieweit uti possidetis dabei eine Rolle spielte.
a) Lateinamerika
Von uti possidetis wird in sehr vielen Fällen in Bezug auf die Dekolonisation Lateinamerikas gesprochen. Im folgenden soll diese näher betrachtet werden.
Hintergrund
Die Kolonien in Lateinamerika müssen unterschieden werden zwischen portugiesischem und spanischem Teil. Während es sich bei der portugiesischen Kolonie mit Brasilien um einen großen Staat handelte, waren die spanischen Kolonien in viele verschiedene Verwaltungseinheiten eingeteilt. Die größte hiervon stellten die vier Vizekönigreiche („Virreinatos") wie Neuspanien oder Peru dar. Zur Sicherung der militärischen Herrschaft Spaniens gab es Militärbezirke, die sogenannten capitanias generales, z.B. Chile oder Yucatan. Zur Abwicklung der Rechtsprechung richtete Spanien übergeordnete Gerichtsbezirke („Audiencias") ein, z.B. Mexiko oder Quito. Daneben existierten eine große weitere Zahl administrativer Einheiten, die zu behandeln den Rahmen dieses Referats sprengen würde.
Anfang des 19. Jahrhunderts erlangte die Mehrheit der lateinamerikanischen Kolonien die Unabhängigkeit, die meisten davon in den Jahren zwischen 1810 und 1824. Dabei wurden stets die Grenzen der bisherigen Staaten, die von den Kolonialherren gezogen worden waren, beibehalten, eine Praxis die man uti possidetis nannte. Abzugrenzen ist uti possidetis dabei von zwei anderen Begriffen: Einerseits vom Begriff der „territorialen Integrität", der ein prinzipielles und universelles Prinzip darstellt, das gemeinsam mit der Unverletzlichkeit der Grenzen die notwendige Korrelante zum Gewaltverbot darstellt. Andererseits vom Begriff der „Unveränderbarkeit und Unberührbarkeit der Grenzen", die jegliche territorialen Veränderungen gewissermaßen verhindern. (Vgl. Weber, 1999: S. 20)
Zentrale Ziele
Das Handeln nach diesem uti possidetis-Grundsatz sollte im Wesentlichen dem Erreichen zweier Ziele dienen: Einerseits wollte man durch die Beibehaltung der bereits Jahrhunderte existierenden Grenzen Streitigkeiten zwischen den neu entstandenen Staaten über den Grenzverlauf verhindern und damit verbundene Gefahren für die Stabilität der Staaten unterbinden. Andererseits diente die Beibehaltung der kolonialen Grenzen dem Schutz vor erneuten Kolonialisierungsversuchen. Indem die neu entstandenen Staaten sämtliche Gebietsansprüche der Kolonialherren übernahmen, die sich über den gesamten Kontinent erstreckten, leugneten sie die Existenz von terra nullius, von unbewohntem und vor allem unverwaltetem Land, das von europäischen Mächten okkupiert werden könnte. Diese Absicht wird beispielsweise im Schieds- spruch des Schweizer Bundesrates von 1922 zur Grenzziehung zwischen Kolumbien und Venezuela erklärt:
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