Die finanzielle Situation des Sozialversicherungssystems in Deutschland hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Insbesondere die Kosten im Gesundheitswesen sind von den geseztlichen Krankenkassen kaum noch aufzubringen.
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Daher ist zu überlegen, ob das gegenwärtige Gesundheitssystem durch neue Ansätze entlastet werden kann und ob Krankenkassen die geeignete Organisationsform sind, um neue Konzepte einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Die Gesundheitswissenschaft als noch junge Disziplin in Deutschland könnte hier möglicherweise neue Impulse in die politische Diskussion bringen.
INHALTSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1 Definition Gesundheit und Krankheit
1.1 Gesundheit
1.2 Krankheit
2 Das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky
2.1 Gesundheit im salutogenetischen Modell
2.1.1 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
2.1.2 Gesundheitsfaktoren und Risikofaktoren
2.1.3 Stressoren und Spannungszustand
2.1.4 Generalisierte Widerstandsressourcen
2.1.5 Das Kohärenzgefühl
3 Gesundheitswissenschaft
3.1 Aufgaben der Gesundheitswissenschaft
3.1.1 Gestaltung des Gesundheitssystems
3.1.2 Gesundheitsförderung
3.1.3 Gesundheitsaufklärung und -beratung
4 Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
4.1 Leistungen der AOK
5 Relevanz des Konzeptes der Salutogenese für die Gesundheitswissenschaft
5.1 Potentiale der Salutogenese für das deutsche Gesundheitssystem
5.2 Problematik bei der Umsetzung
6 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang 1
Anhang 2
TABELLENVERZEICHNIS
Tab. 4.1: AOK-Ausgabenverteilung 2001 und Veränderung zum Vorjahr in %.; Gesamtausgaben ohne RSA[1] 112,335 Mrd. DM - Quelle: KV 45 BMG in AOK-Bundesverband: Zahlen und Fakten 2002, S. 5
Einleitung
Die finanzielle Situation des Sozialversicherungssystems in Deutschland hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Insbesondere die Kosten im Gesundheitswesen sind von den gesetzlichen Krankenkassen kaum noch aufzubringen. Sinkende Einnahmen einerseits sowie steigende Lebenszeit und Multimorbidität andererseits machen eine Neustrukturierung der Finanzierung im Gesundheitswesen erforderlich.
Seitens der Politik wird nach Lösungen gesucht, die die Leistungsfinanzierer nachhaltig entlasten. Gegenstand gegenwärtiger Reformbemühungen ist z.B. die Verlagerung der Kosten bei Zahnbehandlungen durch private oder staatliche Zusatzversicherungen auf die Patienten selbst und pauschale Zuzahlungen beim Arztbesuch. Damit soll kurzfristig eine finanzielle Entlastung der Krankenkassen erreicht werden sowie langfristig das Verantwortungsbewusstsein der Versicherten für die eigene Gesundheit gefördert werden.
Ob eine finanzielle Mehrbelastung als Motivationsgrundlage für ein gesundheitsförderndes Verhalten ausreicht, muss allerdings sowohl politisch als auch sozial kritisch betrachtet werden.
Daher ist zu überlegen, ob das gegenwärtige Gesundheitssystem durch neue Ansätze entlastet werden kann und ob Krankenkassen die geeignete Organisationsform sind, um neue Konzepte einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Die Gesundheitswissenschaft als noch junge Disziplin in Deutschland könnte hier möglicherweise neue Impulse in die politische Diskussion bringen.
Da in der Salutogenese Gesundheit und Krankheit und deren Interpretation von besonderer Bedeutung sind, soll zunächst beschrieben werden, welche Vorstellungen von diesen Begriffen im gegenwärtigen Gesundheitssystem bestehen. Anschließend wird Antonovskys Konzept der Salutogenese vorgestellt. Danach folgt die Auseinandersetzung mit der Gesundheitswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Differenzierung zu den Gesundheitswissenschaften.
Um die mögliche Relevanz der Salutogenese für die Gesundheitswissenschaft exemplarisch zu verdeutlichen, wird als Handlungsfeld das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung am Beispiel der AOK dargestellt.
1 Definition Gesundheit und Krankheit
Gesundheit und Krankheit sind geläufige Begriffe im alltäglichen Sprachgebrauch, die jedoch mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen belegt sein können. Es existieren Vorstellungen von Gesundheit als das Fehlen von Krankheit, aber auch Interpretationen, in denen das Wohlbefinden eine erhebliche Rolle spielt.
1.1 Gesundheit
Im Pschyrembel wird „Gesundheit“ in dreierlei Weise beschrieben:
Zunächst wird die WHO-Definition herangezogen, die sich schwerpunktmäßig auf körperliches, geistiges, seelisches und soziales Wohlbefinden bezieht. Dann folgt die Beschreibung der biomedizinischen Auffassung, die einen engeren Rahmen steckt im Sinne des Fehlens von Störungen oder Veränderungen bzw. der Nicht-Nachweisbarkeit von Krankheiten und pathologischen Veränderungen. Schließlich wird der sozialversicherungsrechtliche Sinn aufgeführt, der Gesundheit als Voraussetzung für Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit sieht (vgl. Pschyrembel 2002).
Bereits hier wird deutlich, dass sehr unterschiedliche Interpretationen von Gesundheit bestehen. Betrachtet man die in Deutschland üblichen medizinischen Behandlungsverfahren, so ist festzustellen, dass überwiegend symptom- bzw. krankheitsbezogen gearbeitet wird. Dieser biomedizinische Ansatz findet sich auch bei den Leistungsfinanzierern wieder. Insbesondere im Bereich der von den gesetzlichen Krankenversicherungen getragenen Behandlungen sind kaum Anwendungen aufgeführt, die einen ganzheitlichen Ansatz haben und nicht nur auf die „Reparatur“ eines Defektes abzielen. Erst seit einigen Jahren ist es z.B. möglich, bei einigen Krankenkassen die Kosten für eine Akupunkturbehandlung geltend zu machen. Maßnahmen derGesundheitsförderungbeziehen sich in der Regel auf die Vermeidung von Risikofaktoren, die die Entstehung von Krankheiten begünstigen.
1.2 Krankheit
Im Gegensatz zur früheren Medizin, als Leib und Seele, Materie und Bewusstsein noch in einen Zusammenhang gebracht wurden, kam es um 1900 zu einem entscheidenden Einschnitt in der europäischen Medizingeschichte und in der Deutung von Gesundheit und Krankheit, „… der Kranke wurde immer mehr zu einem Objekt, wurde auf Naturgeschichte und Krankheitsgeschichte reduziert und immer weniger als Subjekt, als Krankengeschichte wahrgenommen.“ (Engelhardt 1995, S. 24 ff.)
Der Mensch wurde wie eine Maschine verstanden, die man schlicht „reparieren“ kann, wenn ein Defekt vorliegt. Beseitigt man diesen Defekt, so ist die Krankheit geheilt.
Im Zentrum medizinischen Handelns innerhalb dieses Modells liegt also das Erkennen und Beseitigen solcher Defekte. Dabei wird der Mensch als Individuum mit seinen sozialen und psychischen Einflussfaktoren nur unvollständig wahrgenommen.
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es vermehrt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem biomedizinischen Krankheitsmodell. Nun wurden neben den somatischen Ursachen für Krankheit auch psychische und soziale Einflussfaktoren in die Untersuchung von Krankheitsentstehung einbezogen. Außerdem erforschte man nicht mehr nur krankmachende Faktoren, sondern befasste sich auch mit Ressourcen, die Krankheit vermeiden können. Verstärkt setzte man sich mit den Möglichkeiten der Prävention auseinander. Allerdings ist auch diese Denkweise noch immer stark verbunden mit dem defizitorientierten Ansatz des biomedizinischen Modells, das sich bis in die heutige Schulmedizin durchgesetzt hat.
Die BegriffeGesundheitundKrankheitwerden strikt getrennt. Entweder ist der Mensch gesund oder er zeigt körperliche oder geistige Defizite, dann ist er krank.
Antonovsky lehnt diese Dichotomie von Gesundheit und Krankheit ab und findet eine neue, zweidimensionale Beschreibung für die Beziehung zwischen beiden, auf die im nächsten Kapitel näher eingegangen werden soll.
2 Das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky
Der in Brooklyn, USA geborene amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923 - 1994) beendete nach seinem Militärdienst im zweiten Weltkrieg sein Soziologiestudium. Unter anderem war er Leiter der Forschungsarbeit des Anti-Diskriminierungsausschusses des Staates New York. Er beschäftigte sich vor allem mit schichtspezifischen Prozessen und ethnischen Beziehungen. Nach seiner Emigration nach Israel 1960 arbeitete er am Institut für angewandte Sozialforschung in Jerusalem und war dort an Forschungsprojekten im Bereich der Medizinsoziologie beteiligt. Schon früh setzte er sich mit Stress und dessen möglicher Einflussnahme auf Gesundheit auseinander.
In diesem Zusammenhang führte Antonovsky eine Untersuchung über die Auswirkungen der Wechseljahre bei Frauen verschiedener ethnischer Gruppen durch und machte überraschende Entdeckungen:
Es handelte sich um europäische Frauen, die teilweise in Konzentrationslagern eingesessen hatten. Viele der Frauen hatten gesundheitliche Beeinträchtigungen davongetragen, was unter den im Nazi-Regime erlittenen Qualen nicht verwunderlich war. Die eigentlich außergewöhnliche Feststellung, die er machte, war dabei, dass ein anderer Teil der ehemals inhaftierten Frauen sich trotz dieser Strapazen bester Gesundheit erfreute.
Genau diese Umstände riefen bei Antonovsky die Frage auf, was dazu geführt hatte, dass diese Frauen trotz der außerordentlichen Belastungen physisch und psychisch gesund geblieben waren. Damit war der Grundstein für seinen künftigen Forschungsschwerpunkt gelegt, der in das salutogenetische Modell mündete, welches er 1979 in seinem BuchHealth, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-beingveröffentlichte (Antonovsky, 1979).
Im Gegensatz zur Pathogenese, die Ursachen und Diagnosen von Krankheiten zum Inhalt hat, geht es um die Frage, warum ein Mensch gesund bleibt. Antonovsky schuf hierzu den Begriff Salutogenese (salus, lat. = Gesundheit, Wohl, Heil; genesis, lat. = Schöpfung, Entstehung). Im Zuge seiner weiteren Forschungen veröffentlichte er viele theoretische und empirische Arbeiten zu diesem von ihm entwickeltenKonzept der Salutogenese.
2.1 Gesundheit im salutogenetischen Modell
Eine eindeutige Definition der Begriffe Gesundheit und Krankheit findet sich bei Antonovsky nicht. In seinem Modell ist Gesundheit ein Zustand, der subjektiv empfunden wird. Das bedeutet, dass ein Mensch, der chronisch krank ist, sich subjektiv gesund fühlen kann. Antonovsky kritisiert, dass in der herkömmlichen medizinischen Denkweise (biomedizinisches Modell) der Mensch entweder krank oder gesund ist. Als problematisch betrachtet er hier insbesondere, dass Gesundheit lediglich als ein Zustand des Fehlens von Krankheit angenommen wird.
„Im großen und ganzen ist die gesundheitsorientierte Sicht genau wie die traditionelle krankheitsorientierte Denkrichtung der Schulmedizin auf der Annahme einer fundamentalen Dichotomie zwischen gesunden und kranken Menschen begründet. […] Beide lassen dabei außer acht, daß die von ihnen geteilte dichotome Prämisse eine weniger potente Grundannahme ist als das von mir sogenannte Gesundheits-Krankheits-Kontinuum.“ (Antonovsky, 1997, S. 22 f.)
2.1.1 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
Antonovsky lehnt die kategorische Trennung des menschlichen Befindens in entweder gesund oder krank ab. Vielmehr geht er von einem Kontinuum aus, dessen zwei äußerste Pole Gesundheit, körperliches Wohlbefinden auf der einen Seite und Krankheit, körperliches Missempfinden auf der anderen Seite sind. Während seines gesamten Lebens bewegt sich der Mensch abhängig von seinem subjektiven Befinden auf diesem Kontinuum mit mal mehr und mal weniger gesunden Anteilen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 23).
Es gibt keine absolute Trennung zwischen Gesundheit und Krankheit. Vielmehr besteht das Leben aus einer ständigen Bewegung auf der Achse zwischen Gesundheit und Krankheit. Demnach kann die Aufmerksamkeit nicht ausschließlich der Krankheit gewidmet werden (Krankheitsorientierung), aber ebenso wenig nur der Gesundheit (Gesundheitsorientierung). Von Bedeutung ist daher, herauszufinden wo auf diesem Kontinuum das Individuum sich gerade befindet. Dann können individuelle Maßnahmen gesucht werden, die eine Förderung der Gesundheit zur Folge haben.
2.1.2 Gesundheitsfaktoren und Risikofaktoren
Während im biomedizinischen Krankheitsmodell die krankheitsauslösenden Faktoren im Mittelpunkt stehen, stellt man im salutogenen Ansatz die Frage nach den Einflüssen in den Vordergrund, die innerhalb des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums eine Verschiebung in Richtung auf den gesunden Pol bewirken (vgl. Antonovsky, 1997, S. 24 f.). Diese Differenz in der Grundhaltung lässt sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen:
Wenn die herkömmliche Schulmedizin feststellt, dass x % eines bestimmten Personenkreises unter Rückenschmerzen leiden, so würde die salutogene Fragestellung sich damit befassen, warum die anderen Personen keine Rückenschmerzen haben.
Im biomedizinischen Ansatz werden Risikofaktoren als Auslöser für Krankheiten angenommen. Diese Risikofaktoren sind Reize bzw. Stressoren, die man nicht verhindern aber möglicherweise reduzieren kann.
Antonovsky bezweifelt die ausschließlich pathogenetische Wirkung von Stressoren. Er stellt die These auf, dass „…ein hohes Maß an Stressoren bei gleichzeitigem hohen Ausmaß an sozialer Unterstützung gesundheitsfördernd ist;…“ (Antonovsky, 1997, S. 26).
Dieser Ansatz findet Bestätigung in der Betrachtung von Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Eine große finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem entsteht durch hohe Fehlzeiten von Arbeitnehmern. Würde man davon ausgehen, dass die Beschäftigten mit den häufigen Ausfällen größerem Stress ausgesetzt sind, so müsste man daraus schließen, dass die Arbeitnehmer mit wenigen Fehlzeiten auch weniger Stress haben. Tatsächlich zeigt sich aber, dass die Arbeitszufriedenheit mit steigender Verantwortung höher sein kann und begleitend weniger Fehlzeiten auftreten.
[...]
[1]RSA = Risikostrukturausgleich
- Quote paper
- Elsmarie Metternich (Author), 2003, Das Gesundheitskonzept von A. Antonovsky , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17465
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