In allen Bereichen des Lehrerhandelns egal ob bei der Unterrichtseröffnung, der
Auswahl und Anwendung didaktischer Prinzipien, Methoden und Verfahren oder dem
zwischenmenschlichen Umgang mit Schülern lassen sich Beispiele für Routinen finden.
Sie prägen wesentliche Bereiche des Raums Schule und beeinflussen bzw. bestimmen
insofern sowohl konkrete Unterrichtssituationen als auch übergeordnete, abstraktere
Schulentwicklungsprozesse.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Rolle von Routinen im schulischen Sozialisationsraum
näher zu beleuchten um so Rückschlüsse auf einen möglichst konstruktiven Umgang
mit Routinen durch den Lehrer zu ziehen.
Dazu wird in einem ersten Schritt der Routinenbegriff näher definiert, Vor- und
Nachteile von Routinen aufgezeigt, die Institutionalisierung neuer Routinen
beschrieben und eine Art Leitfaden für den Umgang mit Routinen aus Sicht des Lehrers
entwickelt. Hierfür wurde in erster Linie auf „Strukturen der Lebenswelt“ von Schütz
und Luckmann sowie auf „Theorie sozialen Handelns“ von Luckmann
zurückgegriffen.
Anschließend wird in einem zweiten Schritt der Bruch routinierten Handelns am
Beispiel einer konkreten Unterrichtssituation aufgezeigt und kritisch reflektiert um
danach Alternativen zum dem in dieser Situation beobachteten Lehrerhandeln zu
entwickeln. Des Weiteren werden sowohl diese Alternativen als auch die grundlegende
Problematik der Unterrichtssituation auf das in der Schule allgegenwärtige
„Individualisierungsparadox“1 also den Konflikt zwischen Freiheit des Schülers und der
Ausübung von Zwang durch den Lehrer zurückgeführt. Hierfür erwies sich „Freiheit
und Zwang in Erziehung und Unterricht“ von Zumkley-Münkels als äußerst
hilfreich.
In einem dritten und letzten Schritt sollen schließlich die drei Dimensionen einer
reflexiven Erziehungswissenschaft erläutert werden.
1 Helsper, Werner: Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne, S.31, in: Krüger, Heinz-Hermann/
Helsper, Werner (Hrsg.): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft,
Opladen 2002, S.15-34.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Teil
1. Routinen bzw. Routinewissen aus wissenssoziologischer und institutionstheoretischer Perspektive
2. Vor- und Nachteile von Routinen bzw. Routinewissen
3. Institutionalisierung neuer Routinen
4. Umgang mit Routinen bzw. Routinewissen im schulischen Sozialisationsraum
II. Teil
Beschreibung der Unterrichtssituation
1. Kritische Reflektion
2. Handlungsalternativen
3. Bewertung möglicher Alternativen
4. Unterricht zwischen Zwang und Freiheit:
Das „Individualisierungsparadox“
III. Teil
1. Dimensionen einer reflexiven Erziehungswissenschaft
Literaturverzeichnis
Einleitung
In allen Bereichen des Lehrerhandelns egal ob bei der Unterrichtseröffnung, der Auswahl und Anwendung didaktischer Prinzipien, Methoden und Verfahren oder dem zwischenmenschlichen Umgang mit Schülern lassen sich Beispiele für Routinen finden.
Sie prägen wesentliche Bereiche des Raums Schule und beeinflussen bzw. bestimmen insofern sowohl konkrete Unterrichtssituationen als auch übergeordnete, abstraktere Schulentwicklungsprozesse.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Rolle von Routinen im schulischen Sozialisationsraum näher zu beleuchten um so Rückschlüsse auf einen möglichst konstruktiven Umgang mit Routinen durch den Lehrer zu ziehen.
Dazu wird in einem ersten Schritt der Routinenbegriff näher definiert, Vor- und Nachteile von Routinen aufgezeigt, die Institutionalisierung neuer Routinen beschrieben und eine Art Leitfaden für den Umgang mit Routinen aus Sicht des Lehrers entwickelt. Hierfür wurde in erster Linie auf „Strukturen der Lebenswelt“ von Schütz und Luckmann sowie auf „Theorie sozialen Handelns“ von Luckmann zurückgegriffen.
Anschließend wird in einem zweiten Schritt der Bruch routinierten Handelns am Beispiel einer konkreten Unterrichtssituation aufgezeigt und kritisch reflektiert um danach Alternativen zum dem in dieser Situation beobachteten Lehrerhandeln zu entwickeln. Des Weiteren werden sowohl diese Alternativen als auch die grundlegende Problematik der Unterrichtssituation auf das in der Schule allgegenwärtige „Individualisierungsparadox“1 also den Konflikt zwischen Freiheit des Schülers und der Ausübung von Zwang durch den Lehrer zurückgeführt. Hierfür erwies sich „Freiheit und Zwang in Erziehung und Unterricht“ von Zumkley-Münkels als äußerst hilfreich.
In einem dritten und letzten Schritt sollen schließlich die drei Dimensionen einer reflexiven Erziehungswissenschaft erläutert werden.
Helsper, Werner (Hrsg.): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft,
Opladen 2002, S.15-34.
I. Teil
1. Routinen bzw. Routinewissen aus wissenssoziologischer und institutionstheoretischer Perspektive
Erfolgreich durchgeführte soziale Handelungen (z.B. Interaktion)
werden durch regelmäßige Wiederholung zur Routine.2
Routinen gehen als Fertigkeiten, Gewohnheits- und Rezeptwissen in den Wissensvorrat ein.3
Routiniertes soziales Handeln ist durch gegenseitige Erwartungen der Agierenden an das Verhalten des Gegenübers gekennzeichnet.4 (Eine bestimmte Aktion von Person A ist Auslöser für eine bestimmte Aktion von Person B und umgekehrt.)
Dieses Routinewissen wird sowohl durch individuelle Erfahrungen als auch durch gesellschaftliche Einflüsse geprägt und eingeübt.5
↓
Routiniertes soziales Handeln ist hochgradig anonym. Nicht mehr die Personen selbst sondern allein deren Verhalten sind für das Zustandekommen der Interaktion von Bedeutung.6 ←
Routinen sind endgültige Lösungen. Routinewissen wird nicht kritische reflektiert sondern in jeder Situation unterbewusst angewendet.7
2. Vor- und Nachteile von Routinen bzw. Routinewissen
Routinen sind Handlungs- und Denkmuster die sich wiederholt bei der Lösung bestimmter
Probleme bewährt haben und deshalb in ähnlichen Situationen stets wieder angewendet werden.8
Vorteile Nachteile
Routinen wirken handlungsleitend entlang der Werte und Erfahrungen die bei ihrem Zustandekommen eingeflossen sind. Sie erhöhen also die Bindung menschlichen Handelns an „erwünschte“ Werte.9
Ein Wertewandel oder gar -wechsel innerhalb des Umfelds in dem die Routine angewendet wird, kann sie problematisch werden lassen. Routinen können also auch an „unerwünschte“ Werte binden.
Routinen wirken handlungsentlastend indem sie ein bestimmtes Verhalten für bestimmte Situationen festlegen und so den Aufwand ersparen, der notwendig wäre um in jeder Situation eine neue Handlungsstrategie zu entwerfen.10
Handlungsentlastung bedeutet auch den Ausschluss alternativer von der Routine abweichender aber eventuell „besserer“ Lösungsstrategien. Dies ist immer dann besonderst nachteilig wenn äußere Bedingungen „bessere“ Lösungen erforderlich machen.
Die so freiwerdenden „Ressourcen“ können auf komplexere Problembereiche verwendet werden, für die keine routinierten Lösungswege existieren.11
3. Institutionalisierung neuer Routinen
Wenn sich eine Handlungsweise bei der Bewältigung einer bestimmten Situation erfolgreich bewährt, also im Sinne der Agierenden zum gewünschten Ziel führt, so ist davon auszugehen, dass diese Handlungsweise bei zukünftigen ähnlichen Situationen erneut angewendet und infolgedessen zur Routine wird.12 Routinen sind also nichts anderes als im Zuge eines Lernprozesses entstandene Gewohnheiten im sozialen Handeln der Betroffenen. Aus diesem Lernprozess entsteht eine Geschichtlichkeit des gemeinsamen Handels, die wiederum die sozialen Beziehungen der Handelnden prägt.13 Sie weckt gegenseitige Erwartungen an ein der Routine entsprechendes Verhalten des Gegenübers und verpflichtet auf diese Weise jeden Betroffenen der Routine zu folgen.14
Von Institutionalisierung ist immer dann zu sprechen wenn die jeweilige Routine an Generationen weitergegeben wird, die nicht an ihrem Entstehen, d.h. dem ursprünglichen Lernprozess der zu ihrer Ausbildung führte, beteiligt waren.15 Während der „Ursprungsgeneration“ der Sinn der Routine noch subjektiv bekannt war, da sie an ihrem Zustandekommen ja direkt beteiligt und ihr auch bewusst war, dass es Alternativen gegeben hätte, wird er in nachfolgende Generationen zunehmend objektiviert.16 Dadurch das die spezifischen Umstände die zur Herausbildung der Routine führten nicht mehr bekannt sind, wird sie von der subjektiv besten Lösungen der ursprünglich Betroffenen zur objektiv besten Lösung für alle.17 Damit einher geht die Erhöhung der Verbindlichkeit der hier schon halb institutionalisierten Routine.18 Ihre Objektivierung führt dazu, dass Generation für Generation immer weniger über ihre Richtigkeit nachgedacht wird, da diese in zunehmendem Maß als natürlich gegeben erscheint. Gleichzeitig wird der Zwang zur Routine aber auch weniger verspürt, denn wenn sie nicht mehr kritisch hinterfragt wird kommen auch niemandem Alternativen in den Sinn.19 Nichtsdestotrotz geht mit der Objektivierung der Routine meist auch der Aufbau eines immer umfangreicher werdenden Sanktionsapparates für
die Ahndung von Zuwiderhandlungen einher, da es je selbstverständlicher die Routine wird umso schädlicher erscheint gegen sie zu verstoßen.20 Eine Routine ist immer dann voll institutionalisiert, wenn sie absolut verpflichtend stetig an nachfolgende Generationen weitergegeben wird.21
Allerdings ist Generation in diesem Zusammenhang nicht im Sinne des klassischen auf Geburt bezogenen Generationenbegriffs zu interpretieren. In Bezug auf Schule kann auch jede neue Klasse als Generation definiert werden. Auch findet Institutionalisierung nicht unbedingt immer in der gesamten Gesellschaft statt. Eine Institution kann durchaus nur an einer Schule entstehen und nur an dieser existieren. Beispielsweise wäre es denkbar, dass sich die höchsten Klassenstufen einer Schule an der Gewalt unter Schülern ein Problem darstellt darauf einigen in den Pausen diesem Zustand vorzubeugen. Wenn sich dies bewährt, kann es zur Routine werden. Die Handlungsweise würde jedes Jahr an die jeweils nachrückende Klasse weitergegeben, bis sie schließlich von Schülern ausgeübt würde, die in der ursprünglichen Situation die Schule noch nicht besuchten. Nach und nach würde die Routine objektiviert werden ihre Anwendung wäre zunehmend fremdbestimmt. Für jede Klasse wäre es selbstverständlich diese Funktion zu erfüllen. Die Routine wäre zur Institution innerhalb der Schule geworden.
[...]
1 Helsper, Werner: Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne, S.31, in: Krüger, Heinz-Hermann/
2 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.137.
3 Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt (Bd.1), Frankfurt a.M. 1994, S.139-141.
4 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.133f.
5 Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt (Bd.1), Frankfurt a.M. 1994, S.143.
6 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.135-137.
7 Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt (Bd.1), Frankfurt a.M. 1994, S.140f.
8 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.141.
Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt (Bd.1), Frankfurt a.M. 1994, S.141.
9 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.129.
10 Vgl. ebd., S.129, 133.
11 Vgl. ebd., S.133.
Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt (Bd.1), Frankfurt a.M. 1994, S.142
12 Vgl. Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin (u.a.) 1992, S.141.
13 Vgl. ebd., S.141.
14 Vgl. ebd., S.140ff.
15 Vgl. ebd., S.144ff.
16 Vgl. ebd., S.145.
17 Vgl. ebd., S.146.
18 Vgl. ebd.
19 Vgl. ebd., S.147.
20 Vgl. ebd.
21 Vgl. ebd., S.149.
- Arbeit zitieren
- Jan Trützschler (Autor:in), 2003, Routinen im schulischen Sozialisationsraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17449
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