Zunächst erscheint es wie ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen, spezifische Rechtsvorstellun- gen in eine Gegenüberstellung zu einer Wirtschaftsdoktrin zu bringen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sich hier tatsächlich zwei Wertesysteme diametral gegenüber stehen. Für die Indigene Kultur geht es hierbei ums Überleben.
An greifbaren Beispielen (Landverteilung, Tourismus, Garnelenzucht, Biodiversität, Militärpräsenz etc.) wird ein Einblick möglich, wie sich der Konflikt in Chiapas darstellt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Historischer Hintergrund
3. Entwicklung indigener Rechte
4. Gegenüberstellung der Wertevorstellungen & Interessenslage
4.1. Wirtschaft, Staat und der Neoliberalismus
4.2. Indigene Werte und der Zapatismus
5. Beispiele sozioökonomischer Konflikte
5.1. Landverteilung
5.2. Strom- & Wasserversorgung, Staudammprojekte
5.3. Tourismus
5.4. Mangrovenwälder vs. Garnelenzucht
5.5. Biodiversität
5.6. Militärpräsenz & Polizeiauftreten
6. Lösungsperspektiven
7. Resümee
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 01.01.1994 trat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) in Kraft. In Mexiko löste dies einen Bürgerkrieg aus: Die überwiegend aus Indi- genen Mexikanern bestehende Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN, deutsch: „Zapatis- tische Armee der Nationalen Befreiung“) griff zu den Waffen und eroberte weite Teile des mexikanischen Bundesstaats Chiapas. Unter dem Druck internationaler Proteste und einer Großdemonstration in Mexiko-Stadt erklärt der damalige Präsident Zedillo nach 12 Tagen Krieg den Waffenstillstand (vgl. Libertad o. J.). Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und der ELZN führten zum Vertrag von San Andrés, der aber letztendlich von Regierungsseite nicht eingehalten wurde (vgl. Gruppe «Direkte Solidarität mit Chiapas» o. J.). Seither haben die Zapatisten eigene Strukturen aufgebaut, die auf solidarischer Basis eine gelebte Alternative zum Neoliberalismus darstellt (vgl. Kerkeling 2005).
Es werfen sich tiefgreifende Fragen auf, wenn selbst das touristische Reisetaschenbuch „Yucatán & Chiapas“ 2006 festhält:
Noch immer halten die Großgrundbesitzer, darunter viele Nachfahren deutscher Auswanderer, zusammen mit den nichtindianischen Politikern und dem Militär die Indios in einem Zustand kolonialzeitli - cher Unterdrückung. (Aubert 2006, S. 204)
Und einen faktenorientierten Einblick zu ermöglichen, wie sich die Diskriminierung ganzer Volksgruppen bis heute fortsetzen konnte, beschäftigt sich diese Hausarbeit mit dem Aspekt der Landrechte und der alltäglichen Ungleichstellung (inklusive der internationalen Abkommen hierzu) auf der einen Seite und auf der anderen Seite mit den wirtschaftlichen Interessen und internationale politisch-ökonomische Einflüssen sowie möglichen Lösungsperspektiven.
2. Historischer Hintergrund
Weltweit leben heute rund 370 Millionen Angehörige indigener Kulturen (vgl. DESA 2009). Die Region Chiapas, heute ein Bundesstaat in Mexiko, ist bereits seit Jahrtausenden besiedelt und von den Indigenen Hochkulturen der Azteken und Mayas beeinflusst worden. In Folge der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus 1492 siedelten nachhaltig viele Europäer nach Amerika aus. Viele der ersten Europäer, wie die Spanier im heutigen Chiapas, kamen als Eroberer. Die Indigenen wurden von Ihnen als unwürdig betrachtet, ausgebeutet und teils ausgerottet. Jegliche völkerrechtliche Rechtsfähigkeit und Anerkennung wurde ihnen abgesprochen (vgl. Missionszentrale der Franziskaner 2004). Bis ins 20. Jahrhundert wurden Indios offiziell als rückständig und minderwertig betrachtet.
3. Entwicklung indigener Rechte
Seit 1940 entwickelte sich der „indigenismo“, die Idee der aufoktroyierten Anpassung der Indige- nen Völker bis hin zur Assimilierung, de facto eine Ablehnung indigener Kultur (vgl. Hausotter 2010, S.178). Auch unter diesem Einfluss entwickelte sich das „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen“ der Vereinten Nationen von 1957 (vgl. Internationale Arbeitsorganisation 1989). Zwar fand sich dort eine gewisse Anerkennung der Indigenen Identität, jedoch wurden sie als von oben zu integrierende Bevölkerung angesehen. Der damit verbundene Gedanke, die Menschen von ihren traditionellen Riten und Bräuchen zu entledigen führte zum Einwand des Ethnozids („kultureller Völkermord“).
Die Kritik der Betroffenen sorgte für eine Neufassung, die stattdessen die weitreichende Selbstbestimmung ins Zentrum rückte (vgl. von Gerlach 1997). Diese trat am 5. September 1991 mit dem Titel „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ (kurz: ILO Konvention 169) in Kraft. Diese bisher von 22 Staaten unterzeichnete (vgl. International Labour Organization 2011) Vereinbarung sieht durchgängig die Partizipation der Indigenen in die Entscheidungsprozesse vor.
Die Verhandlungen nach dem zapatistischen Aufstand vom 01.01.1994 mündeten am 16.02.1996 in der Unterzeichnung des Vertrages von San Andrés durch Regierungsvertreter und die EZLN. Aufbauend auf der ILO169 sieht dieser Vertrag weitreichende Autonomierechte für die indigenen Völker vor. Der damalige Präsident Zedillo legte sein Veto hierzu ein. Erst unter dem nächsten mexikanischen Präsidenten, Vincente Fox, wurde auf Basis dieses Vertrages im April 2001 eine Verfassungsänderung verabschiedet. Die erfolgten Änderungen, wie z.B. die Herausnahme von Schadensersatzansprüchen und Partizipationsrechten, Begrenzung der territorialen Nutzungsrechte (vgl. Schulz 2002, S. 55-58), sind weit unter den Anforderungen der ILO 169.
Ein Kommentar des Historikers und Anthropologen Andrés Aubry verdeutlicht, wie man mit der Umsetzung der Indigenen Territorialrechte aus der ILO 169 umging:
Es war die ausdrückliche Absicht der Verfasser des Gesetzes, den Begriff Territorium zu vermeiden: Denn wenn die Autonomie keinen territorialen Ausdruck hat, hängt sie in der Luft. Da kein Territorium zuerkannt wurde, kann man auch nicht die natürlichen Ressourcen festlegen, deren kollektive Nutzung den Indígenas zustehen müsste. (zitiert nach Lang 2002)
Nachdem über 330 Klagen zur Gesetzesänderung beim höchsten Gericht Mexikos (SCJN) eingingen, entschied dieses mit 11 gegen 3 Stimmen, dass es auf dem Weg der Verfassungsklage keine Möglichkeit gab, einen Verfassungsänderungsprozess der Carta Magna verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.
Die ILO-Konvention 169 genießt gemäß Artikel 133 der Mexikanischen Verfassung seit Inkraftre- ten Verfassungsrang. Nach einem Grundsatzurteil des höchsten mexikanischen Gericht ist Internationales Recht im Rangverhältnis unterhalb des mexikanischen Verfassungsrechts, aber über den einfachen Gesetzen anzusiedeln (vgl. Hausotter 2010, S.184-185). Es stellt sich also die Frage, ob nach einfachen Gesetzen gehandelt werden darf, wenn diese der ILO 169 widersprechen.
Am 29 Juni 2006 wurde die Resolution 61/295: „Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker“ verabschiedet und mittlerweile von 149 Staaten unterzeichnet (vgl. UNPFII 2009). Die Hohe Zahl der Unterzeichnerstaaten ist auch darauf zurück zu führen, dass es sich - im Gegensatz zu einer Konvention - um eine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung handelt.
Der Nationale indigene Kongress (Congreso Nacional Indigena, CNI) bestätigte mit der „Declara- ción de Uweni Muyewe“ am 03.04.2010 das Fortbestehen der Diskriminierung der Indigenen sowie die Aufrechterhaltung ihrer Forderungen (Durchsetzung des Abkommens von San Andrés etc.) (vgl. CNI 2010).
4. Gegenüberstellung der Wertevorstellungen & Interessenslagen
4.1. Wirtschaft und Staat unter Neoliberalismus
Der Neoliberalismus ist eine ökonomische Doktrin, die im Wettbewerbssystem den Garanten für sozialen Fortschritt und individuelle Freiheit sieht, die Deregulierung der Arbeitsmärkte- und Arbeitsbeziehungen fordert, sowie den Abbau staatlicher Systeme der sozialen Sicherung und Öffnung zu den Weltmärkten (Freihandel) erreichen soll. Die vorrangige Aufgabe des Staates wird in der Sicherung der Geldwertstabilität gesehen (vgl. Fuchs-Heinritz u.a. 2010, S. 468/469).
Hieraus wird bereits erkennbar, dass es beim Neoliberalismus um weit mehr als „nur“ um Wirtschaft geht. Bourdieu beschreibt das Verhalten der Akteure wie folgt:
[...] also bei hohen Staatsbeamten und Politikern. Diese huldigen im Namen der ökonomischen Effizienz der Macht der Märkte, sie fordern die Aufhebung der administrativen und politischen Schranken, die die Kapitalbesitzer bei ihrem - zum Muster rationalen Verhaltens erhobenen - rein individuellen Streben nach Profitmaximierung stören könnten, sie fordern unabhängige Zentralbanken, die Unterordnung der Nationalstaaten unter die Erfordernisse der wirtschaftlichen Freiheit, bei gleichzeitiger Abschaffung aller Reglementierungen auf allen Märkten - zumal dem Arbeitsmarkt -, und sie predigen die Abschaffung von Defiziten und Inflation, die allgemeine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Reduzierung der öffentlichen und Sozialausgaben. [...] (Bourdieu 1998)
Bourdieu geht auch auf die Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik ein:
[...] Diese Politik zielt darauf, alle kollektiven Strukturen in Frage zu stellen, die der Logik der reinen Marktwirtschaft im Wege stehen: den Nationalstaat, dessen Handlungsspielraum stetig schrumpft; die Lohngruppen, etwa durch individuelle Entlohnung und Beförderung nach dem Kriterium individueller Kompetenzen und die daraus resultierende Vereinzelung der Erwerbstätigen; die Kollektivorganisationen zur Verteidigung der Arbeiterrechte wie Gewerkschaften, Berufsverbände, Genossenschaften. [...] (Bourdieu 1998)
Auch der Mexikanische Staat ist ein kollektiv, dennoch unterstützt dieser (seit der Schuldenkrise 1982 und insbesondere seit der Präsidentschaft von Carlos Salinas de Gortari (1988-1994) den Neoliberalismus (Nothegger 2004), obwohl dieser nach Bourdieu ein „Programm zur systematischen Zerstörung kollektiven Handelns “ (Bourdieu 1998) ist. Es stellt sich daher die Frage, warum die staatlichen Akteure, also die Verantwortungsträger in der Politik, sich an der Schwächung ihres eigenen Kollektivs beteiligen.
Bei der Studie „Corrupción en las Pequeñas y Medianas Empresas“ der Firma CEI Consulting & Research aus dem Jahr 2005, in der kleine und mittelständische Unternehmen zum Thema Korruption befragt wurden, gaben 43 % der Unternehmen an, regelmäßig inoffizielle Zahlungen an Staatsbedienstete zu leisten. Der Schaden für die Unternehmen wurde auf jährlich 43 Milliarden US-Dollar geschätzt (vgl. Langer 2010 & business anti-corruption portal 2010).
Der Amtseid der Politiker verpflichtet sie zum Dienst für das eigene Volk. Diese Zahlen (in der die stärker werdenden Großunternehmen nicht berücksichtigt sind) geben Anlass zur Befürchtung, dass nicht wenige Politiker in Mexiko eher dem Profitmaximierungsinteresse der Wirtschaft als der eigenen Bevölkerung dienen.
4.2. Indigene Werte mit dem Zapatismus
Indigene Wertesysteme sind vielfältig und betreffen zahlreiche Bereiche gesellschaftlichen Lebens. Das Gemeingut steht im Vordergrund. Wälder, Wasser, Wild, Bodenschätze etc. sind das gemeinsame Erbe aller (vgl. Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko 2009). Landnutzung und -rechte sind ein generelles Problem indigener Völker, in Mexiko waren diese als gemeinsame Rechte (Ejidos) von 1917-1992 durch die Verfassung geschützt.
Der Kollektivsinn umfasst in vielen indigenen Gemeinden auch die rotierende Besetzung politischer und gesellschaftlicher Ämter sowie die kollektive Landbewirtschaftung (vgl. Conrads 2007, S. 3435). Sie leben in einem symbiotischen Verhältnis zur Umwelt, geprägt von Nachhaltigkeit statt Profitorientierung als Handlungsmaxime. De facto stellen sie westliche Entwicklungsstrategien und -konzepte somit in Frage (vgl. Lang 2002).
Die Zapatisten (benannt nach dem mexikanischen Freiheitskämpfer Emilio Zapata) sind der wohl stärkste Akteur für die Rechte der Indigenen in Chiapas. Als Konsequenz aus staatlicher Vernachlässigung haben sie selbst Basisdemokratische Reformen in die Wege geleitet, über 30 autonome Landkreise mit 6 Verwaltungs- und Dienstleistungszentren, den Caracoles (deutsch: Schnecken) gebildet. In den Caracoles werden Bildung und medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Des Weiteren sitzen dort die „Räte der guten Regierung“. Sie setzen damit das Abkommen von San Andres faktisch durch (vgl. Sipaz 2010).
Trotz der starken indigenen Basis sind sie weit mehr als eine Lobbyorganisation für Arme. Der Zapatismus ist grundsätzlich für alle Menschen offen (vgl. Marcos 2007, S. 20-25) und stellt Würde, Anti-Macht, Anti-Korruption, Anti-Neoliberalismus, Kollektivität, Autonomie, Geschlechtergleichheit, Gleichberechtigung, Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit in den Vordergrund. Ihr basisdemokratisches und undogmatisches Konzept inspiriert viele Gruppierungen der globalisierungskritischen Bewegung, bis hin zur Übernahme des Mottos „Eine andere Welt ist möglich “ (vgl. Brand et. al. 2003) .
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