Die Diskrepanz zwischen der Darstellung der Frau in der Literatur und ihrer tatsächlichen Rolle in der Wirklichkeit ist, besonders in der Literatur der Romantik, ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Während der Frau in der realen Welt ein äußerst begrenztes und marginales Wirkungsfeld zugestanden wurde („Haus und Herd als Aktionsradius“ 1 ), erhielt die „imaginierte Weiblichkeit“ 2 eine unverhältnismäßig bedeutendere Rolle. Die Frauenfigur ist aus der Literatur nicht wegzudenken; in der Geschichtsschreibung hingegen tauchen Frauen höchstens gelegentlich als kleine Randnotiz auf.
Die Geschichte der Bilder, der Entwürfe, der metaphorischen Ausgestaltung des Weiblichen ist ebenso materialreich, wie die Geschichte der realen Frauen arm an überlieferten Fakten ist. 3
Diese Beobachtung könnte zu dem Schluß verleiten, daß der Frau in der Literatur die Ästimation zuteil wurde, die ihr im realen Leben verwehrt blieb. Bei genauerer Betrachtung der Funktionen des Weiblichen in der Literatur kommt man jedoch zu dem Schluß, daß der Frau auch hier oft keine eigene Substantialität zukommt. Sie wird, reduziert auf wenige Eigenschaften, häufig nur im Hinblick auf ihre Funktion, ihren Nutzen für den Mann beschrieben und dargestellt. So fungiert die Frau in der Literatur z.B. als Projektionsfläche für männliche Sehnsüchte und dient somit dem Mann indirekt als Mittel zur Selbstverwirklichung. Die Darstellung des weiblichen Charakters basiert, im Positiven wie im Negativen, auf der Wahrnehmung der männlichen Hauptperson. D.h., die Wirkung der Frau auf den männlichen Helden prägt das Bild der Weiblichkeit entscheidend. Man könnte so-gar sagen, daß sich viele Weiblichkeitsbilder erst in ihrem Bezug auf die Männlichkeit definieren.
Auch im Werke E.T.A. Hoffmanns lassen sich solche Tendenzen erkennen. Insbesondere die Betrachtung des Geschlechterverhältnisses im Nachtstück Der Sandmann läßt Rückschlüsse auf die Funktion der Weiblichkeit in der Literatur der Romantik zu. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 THEMA UND ABGRENZUNG
2 UNTERSUCHUNG DER „FUNKTIONEN DES WEIBLICHEN“ AM BEISPIEL VON E.T.A. HOFFMANNS SANDMANN
2.1 Darstellung der Frauenfiguren
2.1.1 Allgemeines
2.1.2 Äußere Erscheinung
2.1.3 Charakter / geistige Werte
2.2 Darstellung des Geschlechterverhältnisses
2.2.1 Allgemeine Bemerkungen
2.2.2 Die Disharmonie der Geschlechter
2.2.3 Die Frau als Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte
2.3 Erzählperspektive
2.4 Stilmittel und rhetorische Figuren
2.4.1 Metaphern und Symbole
2.4.1.1 Der Sandmann
2.4.1.2 Die Automate
2.4.1.3 Die Augenmetaphorik
2.4.2 Ironie
3 SCHLUSSWORT
4 LITERATURVERZEICHNIS
4.1 Werke
4.2 Forschungsliteratur
1 THEMA UND ABGRENZUNG
Die Diskrepanz zwischen der Darstellung der Frau in der Literatur und ihrer tatsächlichen Rolle in der Wirklichkeit ist, besonders in der Literatur der Romantik, ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Während der Frau in der realen Welt ein äußerst begrenztes und marginales Wirkungsfeld zugestanden wurde („Haus und Herd als Aktionsradius“[1] ), erhielt die „imaginierte Weiblichkeit“[2] eine unverhältnismäßig bedeutendere Rolle.
Die Frauenfigur ist aus der Literatur nicht wegzudenken; in der Geschichtsschreibung hingegen tauchen Frauen höchstens gelegentlich als kleine Randnotiz auf.
Die Geschichte der Bilder, der Entwürfe, der metaphorischen Ausgestaltung des Weiblichen ist ebenso materialreich, wie die Geschichte der realen Frauen arm an überlieferten Fakten ist.[3]
Diese Beobachtung könnte zu dem Schluß verleiten, daß der Frau in der Literatur die Ästimation zuteil wurde, die ihr im realen Leben verwehrt blieb. Bei genauerer Betrachtung der Funktionen des Weiblichen in der Literatur kommt man jedoch zu dem Schluß, daß der Frau auch hier oft keine eigene Substantialität zukommt. Sie wird, reduziert auf wenige Eigenschaften, häufig nur im Hinblick auf ihre Funktion, ihren Nutzen für den Mann beschrieben und dargestellt. So fungiert die Frau in der Literatur z.B. als Projektionsfläche für männliche Sehnsüchte und dient somit dem Mann indirekt als Mittel zur Selbstverwirklichung. Die Darstellung des weiblichen Charakters basiert, im Positiven wie im Negativen, auf der Wahrnehmung der männlichen Hauptperson. D.h., die Wirkung der Frau auf den männlichen Helden prägt das Bild der Weiblichkeit entscheidend. Man könnte so-gar sagen, daß sich viele Weiblichkeitsbilder erst in ihrem Bezug auf die Männlichkeit definieren.
Auch im Werke E.T.A. Hoffmanns lassen sich solche Tendenzen erkennen.
Insbesondere die Betrachtung des Geschlechterverhältnisses im Nachtstück Der Sandmann läßt Rückschlüsse auf die Funktion der Weiblichkeit in der Literatur der Romantik zu. Die soeben beschriebene Reduzierung der Frau auf ein Objekt zur Ergänzung männlicher Eigenschaften kann in dieser Erzählung sowohl in der formalen als auch in der inhaltlichen Deutung nach-gewiesen werden. Die verschiedensten Motive, Charaktere und Metaphern können in diesem Werk herangezogen werden, um einen für das Verständnis und die Deutung der Frauenfiguren notwendigen Hintergrund zu schaffen.
Im Rahmen dieser Hausarbeit läßt es sich nicht vermeiden, einige Aspekte und Probleme nur oberflächlich zu streifen. Stützpfeiler meiner Interpretation werden daher jene Aspekte sein, die für die Deutung der Weiblichkeitsfunktionen von Bedeutung sind.
2 UNTERSUCHUNG DER „FUNKTIONEN DES WEIBLICHEN“ AM BEISPIEL VON E.T.A. HOFFMANNS SANDMANN
a) Inhaltliche Interpretation
2.1 Darstellung der Frauenfiguren
In der Art und Weise, wie Hoffmann die Frauenfiguren im Sandmann zeichnet, läßt sich eine gewisse Kontinuität und Kohärenz erkennen. Die Ähnlichkeiten der unterschiedlichen weiblichen Charaktere sind nicht zufällig. Trotz einiger Differenzen überwiegen doch die Parallelitäten zwischen den Frauenfiguren so stark, daß man schon von spezifisch weiblichen Eigenschaften sprechen könnte. Hoffmann entwirft anhand der Darstellung positiver und negativer Eindrücke der Hauptperson Nathanael langsam ein scheinbar ideales Frauenbild. Angefangen bei Nathanaels Mutter, über seine Verlobte Clara bis hin zum „weiblichen“ Androiden Olimpia, wird ein Weiblichkeitsbild entwickelt, welches einer weiblichen Selbstaufgabe gleichkommt.
Sie [d.i. die Frau] soll selbst nichts sein, damit sie für den Mann all das sein kann, was ihm fehlt und über das er sich als ganzheitliches Subjekt entwerfen kann.[4]
Dieses läßt sich sowohl an äußerlichen wie auch an charakterlichen Eigenschaften und besonders an dem Geschlechterverhältnis festmachen und belegen.
2.1.1 Allgemeines
Wie schon erwähnt, besteht zwischen den einzelnen Frauenfiguren der Erzählung eine gewisse Parallelität. Die wohl auffälligste ist die, daß alle weiblichen Figuren keinen Sinn für das Unheimliche, das Phantastische, das Irrationale zu haben scheinen. Sie sind alle auf eine bestimmte Art und Weise in der realen Welt verhaftet, äußerst pragmatisch und wirken daher auf den „Enthusiasten“[5] Nathanael hemmend, ja, sie scheinen ihn in seine Phantasien geradezu hineinzutreiben.
Diese Tendenz läßt sich schon an Nathanaels Verhältnis zur Mutter beschreiben. Sie erscheint ihm als „sanfter warmer Hauch“[6] und ist, im Vergleich zur Vaterfigur, nur von geringer Bedeutung. Ihr Verhalten innerhalb der Familie jedoch ist geradezu typisch für das von Hoffmann entwickelte Frauenbild. So ist die Mutter z.B. keineswegs einverstanden mit den abendlichen Besuchen des Coppelius. Im Gegenteil, sie „schien [...] den widerwärtigen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr heiteres unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, düstern Ernst.“[7] Dennoch erträgt sie die Besuche mit einer fast schon fatalistisch anmutenden Passivität. Aus einer Art mütterlichem Instinkt heraus versucht sie ihre Kinder von den scheinbar so bedrohlichen abendlichen Besuchen des Coppelius fernzuhalten. Dadurch regt sie Nathanaels Phantasien jedoch erst richtig an. Der Versuch, seine Neugierde mit der Hilfe von rationalen Erklärungsversuchen zu befriedigen, muß daher fehlschlagen.
Einmal war mir [d.i. Nathanael] jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? – wie sieht er denn aus?« »Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind« erwiderte die Mutter; »wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand hineingestreut.« - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindlichen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen.[8]
[...]
[1] Vgl. Grob, Hans: „Puppen, Engel, Enthusiasten“, S. 43
[2] Dieser Begriff wurde von Bovenschen, Silvia in ihrem Werk „Die imaginierte Weiblichkeit“ geprägt.
Er steht hier für die unterschiedlichsten Frauenbilder, die in der Literatur geschaffen wurden.
[3] Ebd., S. 11
[4] Bronfen, Elisabeth: Nachwort in „Die schöne Seele“, S. 374 ; künftig zitiert als „Bronfen“
[5] Dieser Begriff wurde übernommen von Grob, Hans: „Puppen, Engel, Enthusiasten“. Er bezeichnet
dort einen Menschen, der die „Normalität als ungenügend“ empfindet und der „versucht [...] dieses
Ungenügen auf verschiedenste Art und Weise zu kompensieren“. S. 21
[6] E.T.A. Hoffmann: „Der Sandmann“ , S. 9. Künftig zitiert als „Sandmann“.
[7] Ebd., S. 8
[8] Ebd., S. 4 -5
- Quote paper
- Birgit Michels (Author), 2001, Die Weiblichkeit als Projektionsfläche für das männliche Ich - Eine Betrachtung der Funktionen des Weiblichen in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17387
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