Es ist aufschlussreich, wie in diesem Kapitel der Begriff "Heimat" aufgegriffen und behandelt wird. Die Figuren befinden sich hinsichtlich dieses Begriffes in einem charakteristischen Zwischen-Raum, der Komponenten sowohl ihres Herkunftgebietes in Deutschland als auch ihrer neuen Umgebung in Südafrika umfasst. Scheinbar zufällig eingestreute Details erweisen sich als stark bedeutungsaufgeladen. Sie stehen symbolisch für zwei verschiedene Kulturen und verdeutlichen ein Heimatgefühl, das sich mit Erinnerungen aus der ursprünglichen und der konkreten Gegenständlichkeit ihrer jetzigen Umgebung vermischt. In diesem Zusammenhang verwendet die Autorin wiederholt die Wörter "Heim" und "Heil" (50, 51, 52). Sie bilden nicht nur einen scheinbar vertrauten Gleichklang, sondern mit ihnen ist ein ganzes Bündel von inhaltlichen Bezügen assoziiert. Im Hitlergruß "Heil" verbirgt sich der nationalsozialistische Blut-und Boden-Mythos, also ein
ideologisch gefärbter Heimatbegriff, der mit der Idee des Völkischen, der Familie, des Lebensraumes, mit Feindseligkeit, Abgrenzung, Diskriminierung, Verfolgung, Rassenwahn und
Völkermord assoziiert ist, eine Perversion des Heimatbegriffes, deren Entlarvung zweifellos intendiert ist, aber in der verwendeten Begrifflichkeit nur angedeutet wird.
Auf der anderen Seite des Spektrums taucht der Begriff des Paradiesischen auf, der schon im Architektenkapitel auf Seite 38 sinnbildlich als "Garten Eden" in Gestalt des in die Tür
zur Besenkammer eingearbeiteten Schnitzwerkes erwähnt wurde und sich leitmotivartig durch den ganzen Roman hindurchzieht. "Paradiesisch, sagt Hermine, die Mutter" (50), als sie die Landschaft der neuen Heimat ihres Sohnes betrachtet. Dieser Aspekt bildet einen
wichtigen Schwerpunkt dieses Kapitels und wird von der Autorin auch in ironisierter Form verwendet, wenn sie die kleine Elisabeth auf die Frage, was sie spiele, sagen lässt: "Die Vertreibung ins Paradies." (56) Aber das, was paradiesisch erscheint, hat Risse und Sprünge.
Inhaltsverzeichnis
- Der Tuchfabrikant
- Die Frau des Architekten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert zwei Kapitel aus Jenny Erpenbecks Roman "Heimsuchung": "Der Tuchfabrikant" und "Die Frau des Architekten". Ziel ist es, die komplexen Erzählstrukturen, die vielschichtigen Bezüge und die Behandlung des Heimatbegriffes zu untersuchen.
- Die komplexe Erzählstruktur und die Vermischung von Zeit- und Raumebenen
- Die Darstellung des Heimatbegriffes und die Erfahrung von Vertreibung und Neubeginn
- Das Verhältnis von dokumentarischen und fiktiven Elementen in der Erzählung
- Die Rolle der Erinnerung und der inneren Monologe
- Die Darstellung von Diskriminierung und Verfolgung im Kontext des Nationalsozialismus und anderer Systeme
Zusammenfassung der Kapitel
Der Tuchfabrikant: Dieses Kapitel schildert das Schicksal einer jüdischen Tuchfabrikantenfamilie, die zunächst in Guben lebt, dann ein Grundstück am See erwirbt und schließlich aufgrund der politischen Verhältnisse in Deutschland nach Südafrika emigriert. Der Text wechselt zwischen verschiedenen Zeitebenen und Schauplätzen, verwebt die Geschichte der Familie mit der Darstellung ihres inneren Erlebens und ihrer Anpassung an die neue Umgebung. Wichtige Themen sind der Verlust der Heimat, die Erfahrungen von Diskriminierung und Verfolgung, der Versuch, ein neues Leben aufzubauen, und der Umgang mit der Erinnerung an die Vergangenheit. Die Erzählung stellt kontrastierende Bilder gegenüber: das scheinbar idyllische Leben in Südafrika im Vergleich zu den Schrecken, die die in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder erleiden. Die Autorin verwendet subtile Andeutungen, um auf Rassismus und Diskriminierung sowohl in Deutschland als auch in Südafrika hinzuweisen. Der Begriff "Heimat" wird vielschichtig behandelt und umfasst sowohl die Erinnerung an die ursprüngliche Heimat als auch die allmähliche Identifikation mit der neuen Umgebung. Die unterschiedlichen Sprachkenntnisse der in Südafrika geborenen Kinder symbolisieren den Verlust und die Fragmentierung von Heimat.
Die Frau des Architekten: Dieses Kapitel erweitert die Perspektive auf das Geschehen um den Architekten aus dem vorherigen Kapitel, indem es die Lebensgeschichte und die inneren Gedanken seiner Frau im Mittelpunkt stellt. In einem inneren Monolog blickt sie auf ihre gemeinsame Vergangenheit mit ihrem Mann, ihre Erfahrungen im Haus am See und ihre Vorbereitung auf ein neues Leben in Westberlin nach dem Krieg. Die Erzählung springt zwischen verschiedenen Zeitpunkten hin und her, wobei die eigentliche Handlung im Jahr 1951 angesiedelt ist, als der Mann nach Westberlin flieht. Die erzählerische Technik ähnelt der des vorherigen Kapitels; es wird ein unmittelbarer Einblick in die Gedanken und Gefühle der Protagonistin gewährt, ohne explizite Wertungen oder Kommentare seitens der Erzählerin. Das Kapitel ergänzt die bisherigen Handlungsstränge und liefert weitere Einblicke in die psychologischen und emotionalen Auswirkungen der geschichtlichen Ereignisse.
Schlüsselwörter
Jenny Erpenbeck, Heimsuchung, Heimat, Vertreibung, Emigration, Erinnerung, Erzählstruktur, Zeit- und Raumebenen, Nationalsozialismus, Diskriminierung, Rassismus, Identität, Generationenkonflikt, Sprache.
Häufig gestellte Fragen zu Jenny Erpenbecks "Heimsuchung" (Kapitel: Der Tuchfabrikant & Die Frau des Architekten)
Was ist der Gegenstand dieser Analyse?
Diese Arbeit analysiert zwei Kapitel aus Jenny Erpenbecks Roman "Heimsuchung": "Der Tuchfabrikant" und "Die Frau des Architekten". Der Fokus liegt auf der komplexen Erzählstruktur, den vielschichtigen Bezügen und der Behandlung des Heimatbegriffes.
Welche Themen werden in den Kapiteln behandelt?
Die Analyse beleuchtet die komplexe Erzählstruktur und die Vermischung von Zeit- und Raumebenen, die Darstellung des Heimatbegriffes und die Erfahrung von Vertreibung und Neubeginn, das Verhältnis von dokumentarischen und fiktiven Elementen, die Rolle der Erinnerung und innerer Monologe sowie die Darstellung von Diskriminierung und Verfolgung im Kontext des Nationalsozialismus und anderer Systeme.
Was passiert im Kapitel "Der Tuchfabrikant"?
Das Kapitel erzählt die Geschichte einer jüdischen Tuchfabrikantenfamilie, die von Guben über ein Grundstück am See nach Südafrika emigriert. Es zeigt den Verlust der Heimat, Diskriminierung, den Versuch, ein neues Leben aufzubauen, und den Umgang mit der Erinnerung. Kontrastiert wird das scheinbar idyllische Leben in Südafrika mit den Schrecken in Deutschland. Subtile Andeutungen weisen auf Rassismus und Diskriminierung in beiden Ländern hin. Der Begriff "Heimat" wird vielschichtig behandelt, von der Erinnerung an die alte Heimat bis zur Identifikation mit der neuen Umgebung. Die unterschiedlichen Sprachkenntnisse der in Südafrika geborenen Kinder symbolisieren den Verlust und die Fragmentierung von Heimat.
Was ist der Inhalt des Kapitels "Die Frau des Architekten"?
Dieses Kapitel erweitert die Perspektive auf den Architekten aus dem vorherigen Kapitel, indem es die Lebensgeschichte und die inneren Gedanken seiner Frau darstellt. Ein innerer Monolog zeigt ihre Vergangenheit mit ihrem Mann, ihre Erfahrungen am See und die Vorbereitung auf ein neues Leben in Westberlin nach dem Krieg. Die Erzählung springt zwischen verschiedenen Zeitpunkten, die Haupthandlung spielt 1951. Die Erzähltechnik ähnelt dem vorherigen Kapitel: unmittelbarer Einblick in die Gedanken und Gefühle der Protagonistin ohne explizite Wertungen.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Analyse?
Schlüsselwörter sind: Jenny Erpenbeck, Heimsuchung, Heimat, Vertreibung, Emigration, Erinnerung, Erzählstruktur, Zeit- und Raumebenen, Nationalsozialismus, Diskriminierung, Rassismus, Identität, Generationenkonflikt, Sprache.
Welche Ziele verfolgt die Analyse?
Ziel der Analyse ist es, die komplexen Erzählstrukturen, die vielschichtigen Bezüge und die Behandlung des Heimatbegriffes in den ausgewählten Kapiteln von Jenny Erpenbecks "Heimsuchung" zu untersuchen.
- Arbeit zitieren
- Hans-Georg Wendland (Autor:in), 2011, Jenny Erpenbecks Roman "Heimsuchung" - Eine kritische Untersuchung -Teil II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173052