Das Kapitol in Washington, der St.-Peters-Dom in Rom, das Schloss Versailles und der neue Turm des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking haben etwas gemeinsam: Sie sind Bauwerke der Macht und verkörpern einen Machtanspruch. Dessen architektonische Erscheinungsform hat sich über die Jahre verändert - wo früher mächtige Schlösser gebaut wurden stehen nun moderne Monumente aus verpiegeltem Glas und Stahl und sind zu einem Ausdruck der Globalisierung geworden. Doch auch die „klassische“ Architektur der politischen Macht wird nach wie vor gebaut – bevorzugt in nicht- demokratischen Ländern, entworfen von dem who’s who der internationalen Architektenszene – so auch in Peking.
Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 fand dort eine rasante Veränderung des Stadtbildes statt und einige besonders spektakuläre Neubauten standen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihnen wird inner- und außerhalb Chinas bereits Symbolcharakter zugeschrieben. Sie wurden größtenteils von westlichen Architekten geplant und gebaut. Diese Tatsache hat in Deutschland und anderen westlichen Ländern eine Debatte über Architektur und Moral ausgelöst.
Diese Debatte im Spannungsfeld zwischen Politik, Geld und Baukunst hat dabei noch eine besonders spannende Komponente: Die chinesische Kultur erscheint dem westlichen Betrachter oftmals fremd und andersartig und so mag ihm auch die chinesische Interpretation von Architektur zuweilen erscheinen. Es werden dort andere Kriterien herangezogen als in westlichen Kulturkreisen üblich, was eine besondere Herausforderung für westliche Architekten darstellt. Die Kenntnis verschiedener Aspekte chinesischer Kultur und Gesellschaft ist daher besonders wichtig, um moderne Symbolarchitektur in China als eine Art Botschaft deuten zu können.
Diese Arbeit greift dabei auf verschiedene Disziplinen wie Politik, Stadtgeographie, Soziologie, Kulturwissenschaft und auch Kunstgeschichte zurück. Das Gebäude und die dazu gehörenden Bilder, Informationen und Medienberichte werden dabei als ein strategisches Raumbild aufgefasst, das es zu dekonstruieren gilt.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema / Fragestellung
1.2. Eingrenzung des untersuchten Gebietes
1.3. Struktur und Quellenlage
2. Architektur der Macht - Macht der Architektur
2.1. Was ist Architektur?
2.2. Architektur und Macht
2.3. Die soziologische Dimension: Architektur als Zeichen
2.4. Architektur und Politik
2.4.1. Politische Architektur
2.4.2. Architektur als Instrument der staatlichen Selbstdarstellung
2.4.3. Architektur in nicht-demokratischen Staaten
2.5. Critical Geopolitics: die Konstruktion strategischer Raumbilder
3. Imaginations of China: Wie sieht sich China, wie möchte es gesehen werden?
3.1. Die Suche nach Moderne und einer nationalen Identität
3.2. Staatliche Selbstdarstellung innerhalb Chinas
3.3. China für die Welt: public diplomacy im Reich der Mitte
3.4. Die Olympischen Spiele in Peking 2008: one world, different dreams?
4. Moderne Symbolarchitektur in Peking
4.1. Olympia-Architektur: Das „Vogelnest“ und der „Wasserwürfel“
4.1.1. Olympische Bauvorhaben: „New Beijing, Great Olympics“
4.1.2. Strategisches Raumbild: „One World, One Dream”
4.1.3. Die Gebäude und ihre Wirkung
4.1.4. Kritik an den Gebäuden
4.2. Medien-Architektur: China Central Television Headquarters
4.2.1. Strategisches Raumbild: „Chinas Fenster zur Welt“
4.2.2. Das Gebäude und seine Wirkung
4.2.3. Kritik am Gebäude
4.3. Kulturarchitektur: „The Egg“ - das National Center of the Performing Arts
4.3.1. Strategisches Raumbild: „Peking als moderne Weltstadt“
4.3.2. Das Gebäude und seine Wirkung
4.3.3. Kritik am Gebäude
5. Wenn westliche Architektur auf China trifft: Besonderheiten und Probleme
5.1. Debatte um die Vergabe der Bauprojekte in Peking an ausländische Architekten
5.2. Probleme der Architekten bei der Arbeit in China
5.3. Was westliche Architekten an ihrer Arbeit in China fasziniert
5.4. Einfluss von Symbolik und Metaphorik auf die Architektur in China
5.5. Architektur und Moral: Darf man für China bauen?
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb.1 Tourismuswerbung in Peking, die den „Wasserwürfel“ und das „Vogelnest“ zeigt
Abb.2 s. Abb.1
Abb.3 Übersichtskarte der Innenstadt von Peking
Abb.4 Werbeplakat mit dem Olympiaslogan „One World, One Dream” in Peking
Abb.5 s. Abb.4
Abb.6 Der Olympic Green mit „Wasserwürfel“ und „Vogelnest“ (Computeranimation)
Abb.7 Das „Vogelnest” bei Nacht
Abb.8 s. Abb.7
Abb.9 Das „Vogelnest“ in der Dämmerung
Abb.10 Die Baustelle auf dem Olympic Green
Abb.11 Der „Wasserwürfel” bei Nacht
Abb.12 s. Abb.11
Abb.13 Im Inneren des „Wasserwürfel“ (Computeranimation)
Abb.14 Die Konstruktion der Außenhaut
Abb.15 Neubauten CCTV und TVCC (Computeranimation)
Abb.16 Übersichtskarte CCTV Headquarters und TVCC
Abb.17 Nach der Brandkatastrophe - Verkohltes TVCC-Gebäude
Abb.18 Der neue Hauptsitz des Fernsehsenders CCTV
Abb.19 s. Abb.18
Abb.20 Detailaufnahme der Außenhaut
Abb.21 Das NCPA bei Nacht
Abb.22 Übersichtskarte NCPA und Umgebung
Abb.23 Das NCPA in seiner Umgebung (Computeranimation)
Abb.24 Das NCPA mit der Verbotenen Stadt im Vordergrund (vom Jingshan-Hügel
aus gesehen)
Abb.25 Der unterirdische Eingang und der sich darüber befindende See
Abb.26 s. Abb.25
Abb.27 Der Innenraum: Foyer
Abb.28 Der Innenraum: Opernsaal
1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema / Fragestellung
Das Kapitol in Washington, der St.-Peters-Dom in Rom, das Schloss Versailles und der neue Turm des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking haben etwas gemeinsam: Sie sind Bauwerke der Macht und erheben den Anspruch Monumente zu sein1. Zwar repräsentieren sie unterschiedliche politische Systeme und weisen keinerlei äußerliche Ähnlichkeiten auf - doch verkörpern sie alle einen Machtanspruch. Dessen architektonische Erscheinungsform hat sich über die Jahre geändert, denn „die Büroburgen der postindustriellen Informationsgesellschaft sind die Erben der Parlamentsbauten, Schlösser und Kirchen“2. Diese modernen Monumente aus verspiegeltem Glas und Stahl sind nun zu einem Ausdruck der Globalisierung geworden. Doch auch die „klassische“ Architektur der politischen Macht wird nach wie vor gebaut - bevorzugt in nicht- demokratischen Ländern, entworfen von dem who ’ s who der internationalen Architektenszene - so auch in Peking, der Hauptstadt der Volksrepublik China.
2008 war das Jahr, in dem China in besonderem Maße die internationalen Schlagzeilen und die mediale Berichterstattung beherrschte - die Olympischen Sommerspiele in Peking wurden eingerahmt von erhitzen Debatten über Moral, Menschenrechte und Chinas neue Rolle in der Welt. Der chinesischen Hauptstadt Peking wurde naturgemäß besonders viel Aufmerksamkeit zuteil. Neben dem sportlichen Ereignis und der politischen Situation in China standen vor allem die rasante Veränderung des Stadtbildes sowie einige besonders spektakuläre Neubauten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Diese Bauten sind im Vorfeld der Olympischen Spiele entstanden und es wird ihnen inner- und außerhalb Chinas bereits Symbolcharakter zugeschrieben. Sie wurden größtenteils von westlichen Architekten geplant und gebaut. Diese Tatsache hat in Deutschland und anderen westlichen Ländern eine Debatte über Architektur und Moral ausgelöst. Doch auch in China hat man empfindlich darauf reagiert, dass ausgerechnet Ausländer die neuen Nationalsymbole entwerfen sollten und die Debatte über jene Neubauten wurde auch zu einer politischen Streitfrage. Keines dieser Bauwerke hat primär eine politische Funktion: Es handelt sich um Sportstätten, eine Oper sowie den Sitz des staatlichen Fernsehsenders. Und doch sind Architektur und Politik in China auf besondere Weise verknüpft: Da das Land von einem autoritären Regime regiert wird und die Politik, auch nach einer zunehmenden Öffnung des Landes, weiterhin die meisten Bereiche der Gesellschaft bestimmt und dominiert, liegt in China ein Sonderfall vor - ohne Politik gibt es dort keine Architektur, private Bauten sind bisher ein Ausnahmefall. Diese besondere politische Situation unterscheidet China bei einer Analyse von Architekturbauten ganz klar von westlichen Demokratien.
Doch noch ein weiterer Unterschied macht diese Analyse besonders spannend: Die chinesische Kultur erscheint dem westlichen Betrachter oftmals fremd und andersartig und so mag ihm auch die chinesische Interpretation von Architektur zuweilen erscheinen. Es werden dort zum Teil ganz andere Kriterien herangezogen als in westlichen Kulturkreisen üblich, was eine besondere Herausforderung für westliche Architekten darstellt. Die Kenntnis verschiedener Aspekte chinesischer Kultur und Gesellschaft ist daher besonders wichtig, um moderne Symbolarchitektur in China als eine Art Botschaft deuten zu können.
Um die Beziehung von Architektur und Macht im besonderen Fall Peking darstellen und analysieren zu können, wird diese Arbeit auf verschiedene Disziplinen wie Politik, Stadtgeographie, Soziologie, Kulturwissenschaft und auch Kunstgeschichte zurückgreifen. Es sollen so die einzelnen Symbolbauten auf ihre Bedeutung und Funktion untersucht werden. Das Gebäude und die dazu gehörenden Bilder, Informationen und Medienberichte werden dabei als ein strategisches Raumbild aufgefasst, das es zu dekonstruieren gilt.
1.2. Eingrenzung des untersuchten Gebietes
Untersucht werden sollen die angesprochenen vier Bauwerke in Peking. Auch das neue, architektonisch interessante Terminal des Pekinger Flughafens, gebaut von Sir Norman Foster, würde sich für die Untersuchung anbieten - es findet, aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit, jedoch eine Einschränkung auf die vier erwähnten, besonders prominenten Bauwerke statt.
Die Eingrenzung auf die chinesische Hauptstadt hat mehrere Gründe: Zum einen hat Peking im Jahr 2008 durch die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit gestanden und den Bauwerken, die rund um die Spiele entstanden sind, wurde ebenso ein großes Maß an internationaler Beachtung zuteil. Sie sind damit besonders geeignete Imageträger und Symbole für das „neue China“ und ihre dahingehende Rolle soll untersucht werden. Zum anderen ist Peking das politische und kulturelle Zentrum ]Chinas und die Rolle symbolträchtiger Architektur in diesem Umfeld ist von besonderer Bedeutung für die Politik und das internationale Bild Chinas. Darüber hinaus machen die erhitzten Debatten, die sich in Peking rund um die „neuen Wahrzeichen“ entwickelt haben, die Untersuchung der dortigen Situation wesentlich interessanter als eine Analyse moderner Symbolarchitektur in Shanghai, der großen Rivalin Pekings. Auch dort wird sehr viel gebaut und teilweise muten die Bauten deutlich futuristischer und wagemutiger an als jene in Peking. Doch hat Shanghai sich schon immer moderner und aufgeschlossener gezeigt als das traditioneller geprägte Peking und moderne Architektur löst dort wesentlich weniger Kontroversen aus als in der Hauptstadt. Als kulturelles Zentrum des Landes verfügt Peking über die größte Intellektuellenszene Chinas und die zukünftigen politischen und gesellschaftlichen Richtlinien der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) kommen ebenso aus Peking. Symbolträchtige Architektur in einem solchen Spannungsfeld eignet sich daher besonders gut dazu, nicht nur die künstlerischen Aspekte der Bauten zu analysieren, sondern auch die Ambitionen und Unsicherheiten des „neuen Chinas“ zu identifizieren.
1.3. Struktur und Quellenlage
Diese Arbeit ist in vier größere Abschnitte gegliedert: Zuerst soll ein theoretischer Rahmen vorgestellt werden, der vor allem auf die wechselseitige Beziehung von Architektur und Macht eingeht und verschiedene Formen vorstellt, welche diese Beziehung annehmen kann. Für ein besseres Verständnis der Interpretation von Architektur soll außerdem auf ihre Semiotik eingegangen werden. Als Werkzeug für die spätere Gebäudeanalyse soll zudem das Konzept der strategischen Raumbilder vorgestellt werden.
Danach soll untersucht werden, wie China sich selbst sieht, welche Bilder des Landes erzeugt werden und welchen Zweck erfüllen sollen. Entscheidend für diese Analyse staatlicher Selbstdarstellung sind auch die Olympischen Spiele 2008 in Peking, auf die später explizit eingegangen werden soll. Um die interkulturelle Begegnung zwischen ausländischen Architekten und dem chinesischen Staat zu beleuchten, wird dann in einem Abschnitt auf Besonderheiten in dieser Begegnung eingegangen. Im letzten Abschnitt erfolgt dann die ausführliche Analyse der vier Symbolbauten in Peking. Hier soll zuerst das strategische Raumbild herausgearbeitet werden, um darzulegen, was mit dem Bauwerk kommuniziert werden soll. Dann erfolgt eine Analyse des Bauwerkes selbst, in der gezeigt werden soll, ob und wie das beschriebene strategische Raumbild im Bauwerk verwirklicht wurde und auch auf eventuelle Kritik des Gebäudes soll eingegangen werden.
Im theoretischen Teil soll hauptsächlich auf die Erkenntnisse von Kim Dovey (im Hinblick auf das Verhältnis von Raum und Macht), Walter Gottschall (für politische Architektur und staatliche Selbstdarstellung), Jan Melissen (in den Überlegungen zu public diplomacy) und Gear ó id Ó Tuathail (zu strategischen Raumbildern) zurückgegriffen werden. Konkret auf China bezogen hatten vor allem die Forschungsergebnisse von Ren Xuefei (zu Nationalismus und Symbolarchitektur), Anne-Marie Broudehoux (zu staatlicher Selbstdarstellung und nationaler Identität) und Jeroen de Kloet (zur Förderung des Nationalstaates durch die Olympischen Spiele) Einfluss auf diese Arbeit.
Zum besseren Verständnis der Problematik fand ein einmonatiger Aufenthalt in Peking statt. Die untersuchten Gebäude wurden, soweit möglich, besucht und fotografiert. Es wurden auch Bemühungen unternommen, Gespräche mit den beteiligten Architekturbüros zu führen - keines der Büros war dazu jedoch bereit. Vor allem im Olympia-Jahr 2008 wurden die Bauwerke in den Medien aber ausführlich diskutiert und es liegen einige Interviews mit den Architekten aus der Presse vor, die sich mit der Urheber-Motivation beschäftigen und werkimmanente Betrachtungen vornehmen. Wegen der Aktualität des Themas und der sich schnell verändernden Situation in China wurde versucht auf möglichst aktuelle Literatur sowie Presseberichte zurückzugreifen.
2. Architektur der Macht - Macht der Architektur
„ Bauen ist ein Spiegel der Ambitionen, der Unsicherheiten und Motivationen der Erbauer und deshalb auch glaubwürdig ein Spiegel von Macht, Machtstrategien, Machtverfestigung und der Auswirkung auf jene, die sie ausüben. “ 3
Deyan Sudjic
Architektur kann Macht verkörpern - Herrscher mit ausgeprägtem Machtanspruch ließen sich schon immer große Paläste und monumentale Gebäude bauen. Auch Adolf Hitler beauftragte seinen Architekten Albert Speer damit, die neue Reichskanzlei so zu planen, dass jedem Besucher, spätestens nach dem Gang durch den langen Flur, Hitlers umfassender Machtanspruch klar wurde4. Andersherum kann aber auch Architektur selbst Macht auf den Betrachter oder Nutzer ausüben: der erwähnte lange Flur in der Reichskanzlei ließ in den Besuchern ein Gefühl der Winzigkeit und Unbedeutendheit entstehen und sie am Ende des Flures etwas Größeres, Machtvolleres erwarten.
Der Zusammenhang von Architektur und Macht ist kein neues Phänomen - diesen Zusammenhang kann man feststellen, seit überhaupt gebaut wird. Und doch sind sich die Betrachter und Nutzer von Gebäuden nicht unbedingt dieses Zusammenhangs bewusst - Architektur ist ein sehr subtiles Mittel der Erlangung, Zurschaustellung und Manifestation von Macht. In den meisten Fällen wird Architektur nicht bewusst wahrgenommen; meist fallen uns nur besonders negative architektonische Werke auf. Und doch beeinflusst Architektur unser Leben und übt somit Macht darauf aus: Wände begrenzen unseren Bewegungsraum, strukturieren unser Umfeld, werfen Schatten und spiegeln das Licht. Architektur gibt unserem Leben gewissermaßen einen Rahmen5. Von Gerkan schreibt dazu: „Keine andere kulturelle Leistung der Menschheit betrifft den einzelnen so ganzheitlich wie Architektur.“6 Jeder ist ihr direkt ausgeliefert, da sie den unmittelbar gegenwärtigen Lebensraum bestimmt.
Auch Macht ist nicht leicht zu charakterisieren, obwohl und vor allem weil sie so allgegenwärtig ist. Dementsprechend vielfältig sind daher auch die Definitionen, die zum Großteil aus den Disziplinen der Politikwissenschaft und der Philosophie stammen. Seltener wird Macht im Hinblick auf Raum und Architektur definiert. Hiermit beschäftigt sich Kim Dovey ausführlich, daher wird bei der Definition vor allem auf seine Arbeit zurückgegriffen.
Um dem Ziel dieser Arbeit näherzukommen - den Zusammenhang zwischen Architektur und Macht herauszuarbeiten und verschiedene Gebäudebeispiele dahingehend zu „lesen“ - ist es sinnvoll sich zuallererst den beiden Begriffen Architektur und Macht zu nähern und diese so zu definieren, wie sie im folgenden Kontext verstanden werden.
2.1. Was ist Architektur?
Die Fülle an Definitionen des Begriffs „Architektur“ ist immens und variiert nicht zuletzt je nach Kontext, auf den die Definition zutreffen soll.
Hans Koepf schreibt über die Architektur: „Architektur ist die Kunstform des Bauens, die Baukunst. (…) Architektur beginnt dort, wo der Bauwille über Notwendigkeit und über Nützlichkeitserwägungen hinausgeht. Die absoluten Höhepunkte der Architektur erreichen allgemeinen Symbolcharakter“7. Hier wird also Architektur nicht nur als das bloße Planen und Bauen von Gebäuden definiert, sondern es werden der Architektur darüber hinaus gehende Motive unterstellt; Architektur wird als gebaute Kunst verstanden. Weiter greift die Definition des deutschen Architekten Meinhard von Gerkan, der sagt: „Architektur ist, unabhängig davon, wie profan oder anspruchsvoll der Zweck ist, dem sie dient, letztlich die Gesamtheit der durch Menschenhand veränderten Umwelt und damit eine kulturelle Leistung der Menschen“8. Seiner Meinung nach umfasst Architektur weitaus mehr als nur Gebäude: Er bezieht in den Begriff alles mit ein, was Individuen in ihrer räumlichen Umwelt herstellen und ordnen, also jegliche Art von Organisation und Gestaltung derselben9.
Aus diesen unterschiedlichen Ansätzen wird klar, dass es nicht leicht ist Architektur einzugrenzen. Lange Zeit hat man sie als „bedeutungsfreie“ Kunst gesehen, die unabhängig von der gesellschaftlichen Entwicklung einem eigenständigen Veränderungsprozess unterworfen ist und deren ästhetische Erscheinung im Mittelpunkt steht10. Die soziologische Dimension der Architektur hat erst später in die Analyse von Gebäuden Einzug gehalten. Für diese Arbeit soll Architektur daher, nach Umberto Eco, als den in seiner Dreidimensionalität veränderten Teil der räumlichen Umwelt verstanden werden, der darauf angelegt ist, mit dem gesellschaftlichen Leben verbundene Funktionen wahrzunehmen11. Die Definition von Eco ist deshalb relevant, weil sie die kommunikativen Aspekte von Architektur mit einschließt und diese Aspekte von Architektur in der späteren Gebäudeanalyse im Vordergrund stehen werden.
Allgemein lässt sich sagen, dass es drei Hauptfunktionen gibt, die Architektur erfüllen soll: erstens die Zweck- oder Nutzenfunktion bei welcher der eigentliche Nutzen, den das Gebäude stiftet, im Vordergrund steht; zweitens die Organisationsfunktion nach der die Architektur die organisatorischen Abläufe im Gebäude optimieren soll, beispielsweise durch eine effiziente und sinnvolle Anordnung der Räume, sowie drittens die Kommunikationsfunktion, durch die Architektur auch eine geistige Botschaft vermitteln soll12.
Natürlich kann Architektur in einem funktionalistischen Ansatz auch einfach als Mittel zum Zweck gesehen werden - im Nachfolgenden soll aber vor allem auf die weitergehenden, tieferliegenden und oftmals verborgenen Funktionen und die soziologische Dimension von Architektur eingegangen werden.
2.2. Architektur und Macht
„ Power is like the weather. Everyone depends on it and talks about it, but few understand it. ( … ) Power is also like love, easier to experience than to define or measure, but no less real for that. ” 13
Joseph S. Nye
Macht ist ein abstrakter Begriff und somit primär nicht sichtbar. Um sichtbar zu werden muss Macht die Form von Handlungen, Äußerungen oder Gegenständen annehmen. Dies geschieht beispielsweise in Form von Gebäuden. Architektur ist so auch immer mit Macht verbunden: der Macht über Ressourcen, die für den Bau notwendig sind14 oder auch der Macht, die Umwelt durch den Bau zu beeinflussen, indem beispielsweise eine Sichtachse versperrt wird oder ein großes Gebäude die umstehenden Häuser, im wahrsten Sinne des Wortes, in den Schatten stellt. Es ist daher wichtig, sich dem Begriff anzunähern, will man sich mit den Zusammenhängen zwischen Architektur, Politik und Gesellschaft beschäftigen. Da Macht aber ein grundlegendes und weitreichendes Konzept innerhalb sozialer Beziehungen ist, sind die Definitionen von Macht vielfältig und beziehen sich auf ganz unterschiedliche Aspekte des Begriffs.
Im Allgemeinen wird Macht als die Fähigkeit charakterisiert, auf das Denken und Verhalten von Gruppen oder Individuen einzuwirken. Joseph S. Nye beschreibt diese Auffassung von Macht und die Formen welche sie annehmen kann auf sehr einfache, aber eindrückliche Weise:
“ The basic concept of power is the ability to influence others to get them to do what you want. There are three major ways to do that: one is to threaten them with sticks; the second is to pay them with carrots; the third is to attract them or co-opt them, so that they want what you want. If you can get others to be attracted, to want what you want, it costs you much less in carrots and sticks. ” 15
Für eine genauere Charakterisierung von Macht soll nun auf die Erkenntnisse von Kim Dovey zurückgegriffen werden16. Dieser hält folgende Unterscheidung für wesentlich in einer Annäherung an den Begriff Macht: die Aufteilung in power to, also Macht als Fähigkeit etwas zu tun, und power over, als Macht über eine andere Person17. Die Fähigkeit etwas zu tun wird meist als gegeben gesehen, während uns die Macht über Andere bewusster ist und auffällt. Dovey unternimmt hier eine weitere Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Macht über Andere. Er teilt diese Art der Macht ein in force (Zwang), coercion (Nötigung), manipulation (Beeinflussung), seduction (Verführung) und authority (Machtbefugnis)18.
Force sieht Dovey als die häufigste Art der Machtdemonstration in gebauter Form: Es handelt sich um eine offene Art der Machtausübung, die keine Handlungsalternativen zulässt. Force zeigt sich in Bauten, die durch Mauern, Schlösser oder Zäune entweder ein- oder ausschließen, beispielsweise Gefängnisse oder eine Gated Community. Auch in Peking lässt sich ein Paradebeispiel für force in gebauter Form finden: die Verbotene Stadt, die Stadt des Kaisers, die der gewöhnlichen Bevölkerung den Zutritt durch hohe Mauern verwehrte.
Im Vergleich dazu wird coercion von Dovey als effektivere Art der Machtausübung charakterisiert, da sie eine gewisse Handlungsfreiheit vortäuscht. Es handelt sich hierbei nur um die Androhung von Zwang, sollte das gewünschte Handeln nicht geschehen. Im Raum kann coercion die Form von intimidation (Einschüchterung) annehmen, beispielsweise durch ein Schild mit Hinweis auf die Sicherung eines Gebäudes per Alarmanlage.
Manipulation wird auch dem Begriff coercion zugerechnet, allerdings als eine Art unsichtbare Machtausübung. Das Individuum wird unwissend gelassen und es entsteht möglicherweise sogar der Eindruck von Handlungsfreiheit. Durch diese Unkenntnis der wahren Machtverhältnisse wird die Möglichkeit des Widerstands durch das Subjekt ausgeschaltet. Ein bekanntes Beispiel ist der Film „ The Truman Show “, in dem die Hauptperson in einer komplett künstlichen und manipulierten Welt lebt und sogar Hauptdarsteller einer Fernsehserie ist, davon jedoch keinerlei Kenntnis hat und daher - zumindest anfangs - auch nicht dagegen aufbegehrt.
Als besonders raffinierte Form von Macht beschreibt Dovey die Verführung, seduction. Diese Art der Machtausübung ist wohlbekannt aus der Werbung: Es werden Wünsche und Interessen der Betroffenen manipuliert, Bedürfnisse suggeriert. Durch seduction kann auch Raum auf eine Art und Weise verändert werden, die uns natürlich und unveränderlich erscheint. Dovey sieht seduction jedoch nicht nur negativ, da letztendlich jede Form von Architektur gewisse Wünsche widerspiegelt und konstruiert. Die Frage aber, ob diese Wünsche nun echt oder manipulativ zustande gekommen sind, ist nicht sinnvoll zu beantworten und daher sollte sich die Analyse hier, seiner Meinung nach, auf die Untersuchung des Verführungspotentials von gebauten Formen begrenzen.
Als stabilste und effizienteste Art der Machtausübung wird authority beschrieben. Sie ist in institutionellen Strukturen wie dem Staat oder der Kirche verankert und ist gekennzeichnet durch das Fehlen einer Auseinandersetzung über diese Art von Macht. Ein Beispiel wäre beispielsweise der Kirchenbesuch: Möglicherweise ist man nicht mit den Inhalten der Predigt einverstanden, doch das Halten des Gottesdienstes durch einen Pfarrer wird akzeptiert und nicht angezweifelt. Authority braucht jedoch Legitimation um machtvoll agieren zu können, denn es handelt sich um ein künstliches, unsichtbares Konstrukt und der Entzug der Legitimation würde für authority kompletten Machtverlust bedeuten. Die Legitimation kann durch Symbole und Rituale gefestigt werden. So manifestiert ein Staat seinen Machtanspruch zum Beispiel durch Staatssymbole, wie eine Nationalflagge oder - hymne. Auch die Errichtung von strategischen Raumbildern, auf die im Abschnitt 2.4 genauer eingegangen wird, kann als legitimationsstärkendes Mittel gesehen werden19. In diesem Kontext soll später auch die Rolle von Symbolarchitektur in Peking als stärkendes Mittel für die bröckelnde Legitimation eines kommunistischen Regimes in einer kapitalistischen Gesellschaft untersucht werden.
Diese verschiedenen Formen von Macht sind jedoch nicht starr - Machtausübung kann ihre Form fortlaufend ändern und sich so schwer zu erkennen geben20. Genau darin liegt laut Foucault auch der paradoxe Aspekt von Macht: Um erfolgreich zu wirken, darf Macht sich nicht zu erkennen geben. Er beschreibt den Erfolg der Macht als proportional zu ihrer Fähigkeit sich selbst und ihre Funktionsmechanismen zu verbergen21. So gibt auch Architektur unserem Leben einen Rahmen, der aber selten hinterfragt wird und laut Dovey liegt genau dort der Schlüssel zur engen Beziehung von Macht und Architektur. Er schreibt:
„ The more that the structures and representations of power can be embedded in the framework of everyday life, the less questionable they become and the more effectively they can work. “ 22
Gebaute Umwelt kann also umso mächtiger sein, je unaufdringlicher sie ihre Botschaft vermittelt. Architektur der Macht wird sich daher möglichst nicht als solche präsentieren wenn sie erfolgreich ihren Einfluss ausüben will. Interessant ist, dass es sich bei den später zu analysierenden Gebäuden auch nicht um Gebäude mit primärer politischer Funktion handelt: eine Oper, Sportstätten, ein Fernsehsender. Den Annahmen Doveys und Foucaults folgend, können gerade solche Gebäude besonders subtil und erfolgreich Macht ausüben. Um die wahre Natur dieser Macht zu verschleiern und doch gleichzeitig zu repräsentieren kann auf das Stilmittel der Metapher beim Bau zurückgegriffen werden23.
2.3. Die soziologische Dimension: Architektur als Zeichen
Will man Architektur in soziologischer Hinsicht interpretieren, ist es notwendig die reine Beschreibung der äußeren bauhistorischen und künstlerischen Aspekte zu ergänzen. Ausgangspunkt hierfür ist die Ebene der räumlichen Umwelt24. Innerhalb dieser räumlichen Umwelt ist Architektur als eine Unterebene zu sehen, die zwei grundlegende Funktionen hat: die Dingfunktion und die Symbolfunktion. Diese Zweiteilung findet sich bei mehreren Autoren. Zuerst soll das Modell vorgestellt werden, wie Gottschall es skizziert hat: Er beschreibt Architektur in ihrer Dingfunktion als „Mittel zum Gebrauch“ und als „physische Erscheinung mit einem spezifischen utilitären Charakter“25. Es wird hier auf die materielle Hülle der Architektur Bezug genommen und auf ihren daraus resultierenden funktionalen Charakter. Architektur in ihrer Dingfunktion existiert als Artefakt, als vom Menschen geschaffene physisch-physikalische Erscheinung, die der Erfüllung bestimmter individueller oder kollektiver gesellschaftlicher Bedürfnisse dient26.
Dem gegenüber gestellt ist die Symbolfunktion, die sich auf das „Zeichen“ bezieht, das der Architektur „eingeschrieben“ ist. Neben der Funktionalität der Architektur wird ihr somit auch eine Rolle als Kommunikationsmedium zugeschrieben - Architektur wird also auch als eine semiotische Größe aufgefasst, die symbolische Bedürfnisse erfüllt. Es werden - in kodifizierter Form - Weltanschauungen, politische Ideologien, ästhetische Vorstellungen und andere Aspekte symbolischer Kultur durch Architektur kommuniziert27. Mehlhorn schreibt dazu: „Form, Material, Gestaltung, Stellung legen Zeugnis ab von der Absicht ihrer Erbauer Präsenz, Legitimation, soziale Stellung sowie reale oder nur angestrebte Herrschaftsansprüche zu manifestieren und der Umwelt kenntlich zu machen.“28
Jede bauliche Form drückt so in gewisser Weise die politischen, ideologischen und ästhetischen Vorstellungen und Wünsche bestimmter gesellschaftlicher Gruppen aus. Da sich diese Arbeit hauptsächlich mit der Untersuchung von Zeichen und Bilder beschäftigt, die der Architektur „eingeschrieben“ sind, spielt im Nachfolgenden vor allem die Symbolfunktion von Architektur eine wichtige Rolle.
Auch Umberto Eco hat sich im Rahmen seiner Untersuchungen zur Semiotik der Architektur zugewandt. Seine Erkenntnisse sind grundlegend für das „Lesen“ von Architektur, wie es in dieser Arbeit geschehen soll. Unter der Annahme, dass Semiotik die Wissenschaft ist, „welche alle Kulturphänomene so untersucht, als ob sie Zeichensysteme wären“, stellt die Architektur laut Umberto Eco eine besondere Herausforderung dar, da sie scheinbar nichts mitteilt, sondern nur funktioniert. Es muss also untersucht werden, inwieweit diese Funktionen auch unter dem Aspekt der Kommunikation interpretiert werden können und ob es vielleicht Funktionen gibt, die gerade erst durch eine nicht rein funktionalistische Betrachtung zu Tage treten29.
Die symbolhafte Kommunikationsfunktion der Architektur teilt Eco auf in die erste Funktion, welche die architektonische Denotation bezeichnet, und die zweite Funktion, welche für die architektonische Konnotation steht30 (eine Aufteilung, die so beispielsweise auch Walter Gottschall übernimmt31 ). Unter Denotation wird hier die codierte Mitteilung eines nutzenbezogenen Gebrauchswerts von Architektur verstanden. Als Beispiel dient die Treppe: Jeder Mensch wird aufgrund eines Jahrtausende alten Codes wissen, wie die Treppe funktioniert, dass sie zum Hinaufsteigen geeignet ist und wie sie genutzt werden muss, um oben anzukommen. Ein Fahrstuhl offenbart einem Uneingeweihten, dem der Code des Fahrstuhls nicht geläufig ist, jedoch nicht seine Funktionsweise, da das ahnungslose Subjekt nicht weiß, dass „bestimmte Formen bestimmte Funktionen bedeuten“32.
Unter Konnotation hingegen versteht man die zusätzliche Erfüllung symbolischer, von der praktischen Funktion unabhängiger Bedürfnisse in der Architektur. Ein Stuhl denotiert beispielsweise die Funktion Sitzen, ein Thron hat aber über die Funktion des Sitzens hinaus noch eine symbolische Bedeutung - er konnotiert Würde und Majestät. Diese architektonische Konnotation korrespondiert mit der zuvor beschriebenen Symbolfunktion der Architektur.
In Anlehnung an das Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver33 hat Martin Krampen34 die Faktoren, die am architektonischen Kommunikationsprozess beteiligt sind, folgendermaßen dargestellt: Sender ist der Architekt oder Bauherr, der mit Hilfe von Codes und Lexikon (den funktionalen, gesetzlichen, konstruktiven, gestalterischen und ökonomischen Regeln, nach denen ein Gebäude entworfen wird) ein Signal sendet, das aus der Gesamtheit des architektonischen Entwurfs besteht. Als Kanal hierfür dient die Baustelle, auf der das Signal in ein physisches Signal umgewandelt wird (die bauliche Realisierung des Entwurfs). Verzerrt durch ein Rauschen (in Form von Umwelteinflüssen, welche das Aussehen des Gebäudes und die Wahrnehmung hiervon verändern), gelangt die Botschaft, die aus dem gesamten architektonischen Raum besteht, schließlich zum Empfänger, der in diesem Kontext der Betrachter oder Nutzer des Gebäudes ist. Auch er ist im Besitz von spezifischen Codes und einem Lexikon (das aus den funktionalen, gesetzlichen, konstruktiven, gestalterischen und ökonomischen Erwartungen des Empfängers besteht), durch welches er die Botschaft entschlüsseln kann. Verzerrt durch ein semantisches Rauschen, das aus den Vorurteilen des Empfängers besteht, kann der Empfänger als Kollektiv (die gesamte Stadt als Kommunikationssystem) schließlich die Bedeutung der Botschaft erkennen, die aus den vom architektonischen Objekt denotierten und konnotierten Interpretationen besteht.
Ein weiterer interessanter Ansatz innerhalb der Architektursemiotik sieht Architektur als Massenmedium, neben Film/Fernsehen, Internet, Rundfunk und der Presse. Unterschwellige Botschaften können so eine besonders breite Öffentlichkeit erreichen. Architektur wird hier als ein System von Zeichen gesehen „das durch die Verwendung plastischer, räumlicher und virtueller Bilder mehrdeutige Botschaften vermittelt, die große Mengen von Adressaten erreichen und im Rahmen der Massenkultur oft nivellierende und manipulierende Wirkungen entfalten, aber auch kreative und innovative Impulse für eine aktuelle Umweltgestaltung geben können“35. Als Hauptfelder für diese Art der multimedialen Architektur identifiziert Claus Dreyer Themenarchitektur (die auf thematische Art und Weise Erlebniswelten inszeniert), Markenarchitektur (die das Image von Firmen und Institutionen mit architektonischen Mitteln zum Ausdruck bringen soll), sowie Eventarchitektur (die räumliche, szenographische Inszenierung von Großveranstaltungen)36. Die im Anschluss zu analysierenden Gebäude ließen sich allesamt in die Bereiche Markenarchitektur (CCTV Headquarters) sowie Eventarchitektur (olympische Sportstätten und Nationaltheater) einordnen. Da dieser Ansatz jedoch bisher wenig systematisch verfolgt wurde und der politischen Komponente, der ja im Fall dieser Prestigebauten in Peking eine große Rolle zukommt, dabei kaum Rechnung getragen wird, soll im Weiteren nicht explizit auf diesen Ansatz eingegangen werden.
2.4. Architektur und Politik
Architektur gilt als die politischste aller Künste - sie wird gar als „künstlerische Ausdrucksform des Staatlichen“37 bezeichnet. Denn Politik hat sich schon immer gerne der Architektur als Medium bedient, um Machtansprüche zu begründen, zu demonstrieren, zu erhalten, um bestimmte Weltbilder in Beton zu gießen oder um für sich selbst zu werben. Im Folgenden findet daher zuerst eine Annäherung an den Begriff der politischen Architektur statt. Danach wird ausführlicher auf Architektur als Mittel der staatlichen Selbstdarstellung eingegangen. Auf Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse wird schließlich noch die besondere Stellung der Architektur in nicht-demokratischen Staaten beleuchtet. Dieser Aspekt ist im Hinblick auf den Standort der Gebäudebeispiele (die nichtdemokratische Volksrepublik China) von besonderem Interesse.
2.4.1. Politische Architektur
Politische Architektur ist im Allgemeinen Ausdruck der Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft, welche die politische Herrschaftsordnung bestimmen38. Nur jene gesellschaftlichen Eliten, die genügend Macht besitzen um überhaupt zu bauen, können auch die vorherrschende Architektur beeinflussen. Gottschall führt hier das Konzept der „Umwelt-Eliten“ ein, womit jene Akteure bezeichnet werden, die für die räumliche Umwelt und ihre Veränderung entscheidend sind. Er grenzt hier strukturelle von kulturellen Umwelt- Eliten ab. Erstere sind im Besitz von machtgeladenen Gütern und können so direkt über Besitz und materielle Produktion von Architektur entscheiden, also darüber ob überhaupt Bauplatz und Budget zur Verfügung gestellt werden. Zu dieser Gruppe zählt Gottschall politische und organisatorische Eliten in einer Gesellschaft. Die zweite Gruppe verfügt über symbolische Macht, da sie an Planung, Gestaltung und Deutung der Architektur beteiligt ist und so maßgeblich zur Wirkung dieser Architektur beitragen kann. Diese Gruppe beinhaltet die ideologischen und intellektuellen Eliten einer Gesellschaft39.
Politische Architektur kann somit als „materialisierte Form der politischen Verhältnisse und Prozesse einer Gesellschaft“40 gesehen werden. Durch sie werden Machtansprüche und Weltbilder in Stein und Stahl festgehalten. Da Architektur über ihre Symbolfunktion Identitäten schaffen und prägen kann41, trägt sie so zur Legitimation der aktuellen politischen Herrschaftsordnung bei.
Ein Mittel, die Macht und Präsenz eines politischen Systems zu demonstrieren, ist unter anderem auch die symbolische Besetzung von Raum, also das Belegen bevorzugter Standorte mit Symbolkraft42. Hiermit können Macht, Überlegenheit und Reichtum des jeweiligen Erbauers veranschaulicht werden. Auch die Gruppierung und Relation zu anderen Bauten kann als Ausdruck eines Machtanspruchs der gesellschaftlichen Eliten gelten43. Beispiele hierfür sind der Bau des National Center of the Performing Arts (NCPA) direkt neben dem symbolträchtigen Tian’anmen-Platzes, der Großen Halle des Volkes und der Verbotenen Stadt oder auch die Lage des Olympic Greens direkt auf der historischen Zentralachse Pekings.
Politische Architektur hat in der Regel einen eher konservativeren Charakter was den Baustil betrifft: Baustile sind in gewisser Weise die Zeichensprache der Architektur und diese muss lesbar sein, soll die Botschaft erfolgreich übermittelt werden. Gerade staatliche Architektur ist in dieser Hinsicht stark an die tradierte Kultur gebunden und revolutionäre Architekturideen stehen meist konträr zu den Identitätsmustern der betroffenen Gesellschaft44. Einflüsse auf den Baustil können in Form von einer Kopie alter Zeichen stattfinden, durch das Aufnehmen fremder Zeichen oder durch das Schaffen völlig neuer Zeichen. Letzteres ist nach den zuvor getroffenen Annahmen bei politischer Architektur eher unwahrscheinlich. Das Aufnehmen fremder Zeichen ist gerade in den Staaten der Dritten Welt ein übliches Mittel, um damit die traditionelle Baukultur fortschrittlicher und moderner zu gestalten. Das Beispiel China ist hier insofern besonders interessant, als dass man sich zwar einer westlich orientierten, globalen Architektursprache bedient, also eigentlich fremder Zeichen. Andererseits verwendet man diese fremden Zeichen auch, um sie weiter zu entwickeln und daraus neuartige Bauwerke zu schaffen. Die Aussagen, die Gottschall über den Baustil politischer Architektur trifft, sind in diesem Beispiel daher nicht unbedingt zutreffend.
2.4.2. Architektur als Instrument der staatlichen Selbstdarstellung
Staatliche Selbstdarstellung in gebauter, materialisierter Form war früher das wichtigste Mittel um einen Staat zu repräsentieren. Der Staat trat seinen Bürgern vor allem im Raum gegenüber, da mediale Wege der Repräsentation, wie sie heute üblich sind, nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung standen. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks begannen sowohl der öffentliche Raum an sich, als folglich auch die architektonische Selbstdarstellung des Staates langsam an Wichtigkeit zu verlieren. Staatliche Repräsentation wurde zunehmend auf medialem Wege der Öffentlichkeit bewusst gemacht und auch heute bestimmen Staaten ihr Image weitgehend über den Einsatz von neuen Medien45. In demokratischen Staaten ist die schwindende Bedeutung und die zunehmende Kritik an staatlicher Architektur nicht zuletzt auch bedingt durch hohen Widerstand der Steuerzahler, fehlende öffentliche Gelder, hohe Baukosten und einen allgemeinen Legitimationsverlust des Staates46. Dass das Bedürfnis des Staates sich selbst architektonisch darzustellen jedoch nicht gänzlich verschwunden ist, lässt sich vor allem daran erkennen, dass auch hochentwickelte Demokratien in Zeiten von Krisen, erhöhter weltweiter Aufmerksamkeit (z.B. bei einer Olympiade oder Weltausstellung) oder eines Regimewechsels sehr wohl wieder auf Architektur als Verkörperung ihres Weltbildes und ihres Machtanspruches zurückgreifen47. In Schwellen- und Entwicklungsländern ist die bauliche Selbstdarstellung des Staates ohnehin ein populäres Mittel, um die nationale Zusammengehörigkeit zu demonstrieren48.
Staatliche Selbstdarstellung ist also der Versuch eines Staates, sein Image zu beeinflussen. Nicht immer kann dabei eine exakte Unterscheidung getroffen werden zwischen den Bemühungen, einerseits die Innenwirkung des Staates zu beeinflussen und andererseits die Außenwirkung in gewünschte Bahnen zu lenken49. Staatliche Selbstdarstellung wird in neuerer Zeit meist mit dem Stichwort public diplomacy beschrieben. Unter public diplomacy versteht man eine Art der Diplomatie, welche auf die allgemeine Öffentlichkeit in ausländischen Gesellschaften abzielt. In Abgrenzung zur traditionellen Diplomatie, welche sich auf die Beziehungen zwischen staatlichen Repräsentanten bezieht, sollen hier auch nicht-staatliche Organisationen, Gruppen und Individuen angesprochen werden50. Insgesamt kann diese neue Form der Diplomatie als ein zentrales Element der soft power eines Staates eingeordnet werden. Joseph S. Nye, der diesen Begriff geprägt hat, versteht darunter den Einfluss und die Attraktivität, die ein Staat erlangt, wenn seine Kultur, Wertvorstellungen und Ideale bei anderen positiv besetzt sind51. Soft power beruht also auf der Fähigkeit die Präferenzen anderer Staaten und ihrer Bewohner zu beeinflussen52 und Macht tritt hier als seduction auf , wie bei Dovey charakterisiert.
Ziel von public diplomacy ist, für ein besseres Verständnis der Ideale und Ideen, Institutionen und Kultur und der nationalen Ziele und politischen Richtlinien eines Landes zu werben53. Die Abgrenzung zu Propaganda ist umstritten - Horisberger sieht den Unterschied beispielsweise darin, dass dabei wahre Informationen offen verbreitet werden, wohingegen von Propaganda gesprochen werden kann, wenn es um „unwahre oder halb wahre Behauptungen“ geht und mit zweifelhaften Methoden im Verborgenen agiert wird54. Diese Abgrenzung führt der amerikanische Diplomat Richard Holbrooke aber beispielsweise ad absurdum, indem er verkündet: „ Call it public diplomacy, call it public affairs, psychological warfare - if you really want to be blunt - propaganda. “ 55
Architektur als explizites Instrument der staatlichen Selbstdarstellung wird in der Literatur aber bisher kaum erwähnt. Ren Xuefei bildet hier eine Ausnahme: Sie beschäftigt sich am konkreten Beispiel Chinas mit den Zusammenhängen zwischen Architektur und der Förderung des Nationalbewusstseins (nation building). Sie sieht Architektur als ein Instrument territorialer Eliten um nationale Identität zu prägen und nationale Ambitionen zum Ausdruck zu bringen56 und untersucht Architektur damit als Mittel der staatlichen Selbstdarstellung mit Innenwirkung (Prägung der nationalen Identität) und Außenwirkung (Ausdruck der nationalen Ambitionen). Die Globalisierung und ihre Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft werden von ihr dabei als entscheidende Grundlage gesehen. Dies erscheint logisch, da mit der Verbreitung der modernen Medien und ihrer globalen Vernetzung die Möglichkeiten zur weltweiten medialen Präsenz bestimmter Architekturbauten enorm erweitert wurden.
2.4.3. Architektur in nicht-demokratischen Staaten
"Noch derübelste Despot hat sein Gutes. Er hat Macht, er hat Geld, meist hat er auch den entscheidenden Willen, sich zu verewigen. Kurzum: er ist der ideale Bauherr. Ohne ihn,überhaupt ohne die Tyrannen und Diktatoren, wäre das weltkulturelle Erbe sehr bescheiden: Es gäbe kein Pyramiden, kein Kolosseum, kein Versailles. Auch die vielen neuen kühnen Bauten in China gäbe es nicht."57
Die Zeit
In den Diktaturen und totalitären Staaten dieser Welt entstehen besonders prestigeträchtige, monumentale oder ausgefallene Bauprojekte - oftmals entworfen von berühmten Architekten aus Europa oder den USA. Der Architekt Bernard Tschumi geht sogar so weit zu behaupten, dass einige der erstaunlichsten Gebäude dieser Welt gerade deshalb entstehen konnten, weil sie von einem Diktator in Auftrag gegeben wurden58. Dieser Zusammenhang ist wohlbekannt; das Beispiel von Adolf Hitler, seiner Faszination für Architektur und seinem Architekten Albert Speer wurde oft diskutiert. Doch gerade in den letzten Jahren kommt die Debatte erneut auf, da immer mehr prominente Architekten in nicht oder nur scheinbar demokratischen Ländern, wie China, Iran, Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, Architekturprojekte von teilweise monumentalen Ausmaßen planen und bauen lassen.
Der Debatte darüber, wie dies zu rechtfertigen, beziehungsweise weshalb eine solche Bautätigkeit zu verurteilen sei, ist eine andere entscheidende Frage vorgeschaltet: die Frage, welche Verantwortung ein Architekt für seine Planungen und Bauten der Gesellschaft gegenüber eigentlich hat59. Viele Architekten sehen sich selbst nur als „Dienstleister“60, als Verkäufer der Ware „Architektur“ und streiten eine darüber hinaus gehende Verantwortung für ihre Entwürfe ab. Hanno Rauterberg begegnet solchen Aussagen mit der Argumentation, dass Architektur im Grunde auch keine normale Dienstleistung sei. Zwar könne ein Despot sie, ebenso wie beispielsweise ein teures Auto, als Symbol der Macht verwenden. Die Architektur unterscheide sich aber dahingehend, dass man ihr darüber hinaus die Fähigkeit zuspreche eine „überindividuelle Bedeutung“ zu entwickeln, da sie in ihrer Funktion zwar Raum stifte, jedoch auch Bilder und Metaphern biete und zum „Fundament, zur Stütze, zur Säule des Systems“ mutieren könne.
Die Fragen, die sich nun stellen, sind also, ob man mit dem Bau eines symbolträchtigen Gebäudes für einen totalitären Staat dessen Macht weiter stärkt, quasi in Stein und Stahl manifestiert. Oder ob Architektur die Fähigkeit besitzt Politik und Ideologie zu durchdringen, so dass ein Gebäude, das mit einer demokratischen Geisteshaltung gebaut wurde, auch das Potenzial besitzt den demokratischen Wandel in besagtem Staat zu fördern61. Rauterberg spricht „guter Architektur“ diese Fähigkeit zu - sie pflege ästhetischen Eigensinn und entwickle so „Wirkungsmacht jenseits des Herrscherkalküls“, diene also der Macht und unterlaufe sie gleichzeitig62. Dieses Potenzial sehen wohl auch Architekten wie Herzog & de Meuron, deren Nationalstadion in Peking zwar einerseits einem undemokratischen Staat dient, aber andererseits ein Design besitzt, das Offenheit ausstrahlt63 und große Bereiche vorsieht, die der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen64.
Andere Argumente, mit denen Architekten ihr Engagement für totalitäre Regime zu rechtfertigen versuchen, sind beispielsweise die These, dass die Kräfte des Marktes die Ideologie über kurz oder lang ohnehin außer Kraft setzen würden. So ist Rem Koolhaas der Ansicht, dass die staatliche Kontrolle über die Medienlandschaft und die Zensur in China bei Fertigstellung seines CCTV Gebäudes (für Herbst 2009 geplant) sowieso schon Vergangenheit sein werden65. Kritiker sehen dies jedoch schlichtweg als eine Strategie, um einer Auseinandersetzung mit der moralischen Dimension von Bauen in China elegant aus dem Weg zu gehen66. Andere Architekten sehen ihre Arbeit in nicht-demokratischen Staaten auch als einen Akt der Völkerverständigung. So wird Steven Holl mit den Worten zitiert: „ ( … )my position as an architect is to work in the spirit of international civilization and cooperation. You have to make a contribution “ 67.
Bei allem Optimismus darüber, was mit Architektur in der Gesellschaft alles positiv beeinflusst werden kann, wird jedoch auch oft genug angemahnt, dass dies unrealistische Vorstellungen wären und die gewünschten Auswirkungen von Architektur auf eine Gesellschaft in den seltensten Fällen eingetreten seien68. Auch sei bei aller ästhetischer Ausdruckskraft die eigentliche Funktion des Gebäudes nicht zu vergessen, beispielsweise im Fall von Denkmälern für Diktatoren oder Gefängnissen: „Architektur ist eben nie Kunst allein, sie ist immer auch Zweck. Sie bleibt gebunden an das, was man gesellschaftliche Wirklichkeit nennt, sie kann dieser Wirklichkeit nicht entkommen. Das ist das Schreckliche an ihr und auch das Wunderbare“69, stellt Rauterberg daher fest. Architektur darf für sich also nicht beanspruchen „zweckfrei und nur dem Geiste verpflichtet zu sein“, aber sie darf auch nicht nur als „technische Klimahülle und soziale Notdurft“70 verstanden werden.
Das naheliegendste Argument, das versucht die besondere Beziehung zwischen Architekten und totalitären Regimen zu erläutern, ist gleichzeitig wohl auch das wichtigste: die Rolle des Diktators oder des totalitären Regimes als „idealer Bauherr“. In nicht- demokratischen Ländern sind die Baubedingungen, aus Sicht der Architekten, wesentlich besser als in Demokratien: Es steht im Allgemeinen eine höhere Summe an Mitteln für den Bau zur Verfügung, Bauvorschriften sind nicht vorhanden oder werden angepasst, Entscheidungswege sind kurz (bisweilen entscheidet nur eine einzige Person, im Vergleich zu Gremien, Bürgerentscheiden und dergleichen), benötigter Bauplatz kann durch die Umsiedlung der Bewohner (oftmals gegen deren Willen und ohne Entschädigung) schnell geschaffen werden und das Bauprojekt kann dank billiger Arbeitskräfte, bei denen kaum arbeitsrechtliche Bestimmungen eingehalten werden müssen, in Rekordzeit verwirklicht werden, zu einem Bruchteil der Kosten die hierfür in einem demokratischen Land anfallen würden. So ist beispielsweise das Emirat Abu Dhabi dafür bekannt, Arbeitsmigranten aus ärmeren Ländern auf den zahlreichen Baustellen chronisch auszubeuten71 und auch während des Dritten Reichs in Deutschland, um auf das berüchtigte Beispiel von Hitler und seinem Architekten Albert Speer zurückzugreifen, wurden für die gigantischen Baustellen der geplanten neuen Hauptstadt „Germania“ bewusst die Dienste von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern mit einkalkuliert72.
Geht man davon aus, dass es nicht nur für den Bauherren wichtig ist sich in Form von Gebäuden ein Denkmal zu setzen, sondern einem Architekten die Verwirklichung seiner Entwürfe ebenso ein entscheidendes Anliegen ist, erscheint dieses letzte Argument von besonderer Wichtigkeit für das enge Verhältnis von Architektur und totalitären Staaten. Dieses Element in der Psychologie eines Architekten beschreibt Meinrad von Gerkan folgendermaßen: „Der Enthusiasmus, sich zu verwirklichen, Bauzeichen zu setzen, die über die eigene Lebensspanne hinausweisen, das ist wohl in der Seele jedes Architekten auf der Welt angelegt.“73
2.5. Critical Geopolitics: die Konstruktion strategischer Raumbilder
„ Geography is about power. Although often assumed to be innocent, the geography of the world is not a product of nature but a product of histories of struggle between competing authorities over the power to organize, occupy and administer space. ” 74
Gearóid Ó Tuathail
Bei der späteren Analyse der verschiedenen Gebäude geht es vor allem um die Botschaft, welche die Erbauer durch die Architektur kommunizieren wollen und die verschiedenen Interessen, die dahinter liegen. Bei der Analyse wird ein Konzept verwendet werden, das sich in besonderer Weise mit den Zusammenhängen von Geographie, Politik und Macht beschäftigt und was an dieser Stelle theoretisch erläutert werden soll - die Konstruktion und Dekonstruktion strategischer Raumbilder. Es ist integraler Bestandteil einer modernen Variante der politischen Geographie, den critical geopolitics. Dieses Forschungsprogramm hat seine wesentlichen Impulse von Gearóid Ó Tuathail bekommen75, auf dessen Überlegungen daher im Folgenden ein besonderes Augenmerk gelegt werden soll.
Die klassische politische Geographie untersucht die wechselseitige Beziehung zwischen Politik und Geographie und geht dabei davon aus, dass alles geographische Wissen politisch ist und jede politische Praxis geographisch76. Die politische Dimension von Geographie ergibt sich aus der Annahme, dass „die Systeme politischer Repräsentanz geographische verankert sind und räumliche Umstrukturierungen die demokratische Legitimation beeinflussen“77. Zudem hat Geographie schon seit Jahrhunderten Einfluss auf politische Diskurse und politisches Handeln, wofür Kolonialismus, Imperialismus oder in neuerer Zeit auch der Konflikt zwischen Indien und Pakistan Beispiele sind.
Aristoteles war einer der ersten Vertreter der politischen Geographie, da sein Staatsmodell bereits geographische Faktoren wie Klima, Geländebeschaffenheit und Bevölkerungsdichte berücksichtigte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann auch die Außenpolitik eines Staates unter den Gesichtspunkten der politischen Geographie betrachtet, was zur Entwicklung der Geopolitik führte. Diese „beschreibt die Kontrolle des Staates über Regionen und Territorien und prägt die Außenpolitik einzelner Länder wie auch die internationalen politischen Beziehungen.“78 In dieser Richtung wurden Konzepte entwickelt, die den Staat als eine Art biologischen Organismus auffassten, der auf natürliche Art und Weise wachsen und schrumpfen konnte. Diese Konzepte waren eindeutig von den Theorien Charles Darwins beeinflusst und wurden vor allem von Friedrich Ratzel geprägt und später in Deutschland auch von Karl Haushofer aufgegriffen. Dieser „organische“ Ansatz wurde im Nationalsozialismus verwendet, um Hitlers „Lebensraumpolitik“ zu begründen79 und geriet dadurch, wie die Geopolitik im Allgemeinen, in Verruf. In neuerer Zeit legt die klassische Geopolitik jedoch wieder an Popularität zu, wie das Beispiel von Samuel Huntingtons 1996 veröffentlichtem Buch „ The Clash of Civilizations “ 80 zeigt81.
Nach wie vor ist das Wechselspiel zwischen Macht und Territorium in der politischen Geographie wichtig: Die herkömmliche oder, nach Ó Tuathail, „orthodoxe“ Geopolitik versucht die räumlichen Kriterien für Stärken und Schwächen von Nationalstaaten zu ermitteln und daraus Handlungsanleitungen zu entwickeln82. Dabei sieht sie sich jedoch selbst als ein Instrument des Wissens und der Rationalität, verfolgt einseitig auf den Westen ausgerichtete Überlegenheitsansprüche und betrachtet die bestehenden Machtstrukturen als gegeben83, ohne sie zu hinterfragen. Ó Tuathail schreibt deshalb auch „ ( … ) geopolitics is not about power politics: it is power politics! ” 84 Als entgegen gesetztes Konzept sind daher die critical geopolitics entstanden, die sich gegen eine Renaissance der klassischen Geopolitik wenden85. Sie haben es sich zum Ziel gemacht diese power politics gründlich zu beleuchten86 und das Verhältnis von Geographie, Politik und Macht zu erforschen87. Es sollen mit diesem Ansatz also nicht „bessere“ geopolitische Regionalisierungen identifiziert werden, sondern diese konstruierten geopolitischen Weltbilder als „Machtdiskurse“ enttarnt werden88.
Ó Tuathail setzt dabei folgende vier Forschungsschwerpunkte:
- formale Geopolitik, die sich auf traditionelle geopolitische Themen konzentriert;
- praktische Geopolitik, die sich mit der Alltagspraxis des Staates beschäftigt;
- populäre Geopolitik, die sich mit Kultur, Massenmedien und geographischen Vorstellungen beschäftigt, also mit nationaler Identität und der Konstruktion des ‚Anderen‘;
- strukturelle Geopolitik, deren Fokus auf die aktuellen geopolitischen Rahmenbedingungen gerichtet ist.89
Populäre Geopolitik spielt im Zusammenhang mit dieser Arbeit die größte Rolle, da die Frage der Darstellung von nationaler Identität und die Konstruktion des chinesischen Selbstbildes nach Innen und Außen für diese Arbeit zentral sind. Auch im Bereich der public diplomacy, einer Form der Diplomatie, die in Abschnitt 2.4.2 genauer beleuchtet wurde, können Verbindungen zur populären Geopolitik gefunden werden, etwa wenn es darum geht, wie der chinesische Staat das Bild eines einheitlichen Chinas in den Medien propagiert und damit gezielt auf die Wahrnehmung der Öffentlichkeit von separatistischen Bewegungen, beispielsweise in Tibet, Einfluss nimmt.
Critical geopolitics verfolgen einen konstruktivistischen Ansatz, der darauf basiert, dass Geographie „nicht eine objektive Beschreibung der Welt sein kann, sondern dass mit geographischen Beschreibungen Ordnungsvorstellungen im Sinne bestimmter Machtverhältnisse produziert und reproduziert werden (…)“. Geopolitische Erkenntnisse sind, aus Sicht der critical geopolitics, immer auch historisch und politisch bedingt und damit eine „veränderbare und verhandelbare Form der Realitätskonstruktion“90. Solche Konstruktionen sind also immer subjektiv und situiert und können nicht als objektive Wahrheit gelten. Sie entstehen aus einer subjektiven Strukturierung von Raum, der mit einer strategischen Bedeutung aufgeladen wird, die zur Verfolgung bestimmter politischer Ziele oder der Legitimation der Konstrukteure dieses Raumbildes geeignet ist.
[...]
1 Vgl. MATZIG, Gerhard: Des Teufels Architekt. In: Süddeutsche Zeitung, 01.07.2008, verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/323/447058/text/, abgerufen am 09.01.2009
2 Ebd.
3 SUDJIC, Deyan: Der Architekturkomplex: Momente der Macht. Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2006, S.355
4 Vgl. ebd., S.24
5 Vgl. DOVEY, Kim: Framing places: Mediating power in built form. 2. Aufl. London: Routledge, 2008, S.1
6 GERKAN, Meinhard von: Die Verantwortung des Architekten: Bedingungen für die gebaute Umwelt. Stuttgart: Dt. Verl.-Anstalt, 1982, S.26
7 KOEPF, Hans; BINDING, Günther: Bildwörterbuch der Architektur. 3. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1999, S.25
8 GERKAN, 1982, S.25
9 Vgl. ebd., S.25
10 Vgl. GOTTSCHALL, Walter: Politische Architektur: Begriffliche Bausteine zur soziologischen Analyse der Architektur des Staates . Bern: Lang, 1987, S.25
11 Vgl. ECO, Umberto; TRABANT, Jürgen: Einführung in die Semiotik . 9. Aufl. München: Fink, 2002, S.295
12 Vgl. SCHNEIDER, Leonie C.: Architektur als Botschaft: Die Inszenierung von Corporate Identity am Beispiel der neuen Botschaften in der Bundeshauptstadt Berlin. Diplomarbeit. Universität Passau, 2001, S.8
13 NYE, Joseph S.: Soft power: The means to success in world politics . New York: Public Affairs, 2004, S.1
14 Vgl. DOVEY, 2008, S.1
15 NYE, Joseph S.; MYERS, Joanne J.: Soft Power: The means to success in world politics. Protokoll der Sendung "Books for Breakfast" vom 13.04.2004. Carnegie Council for Ethics in International Affairs, 2004, verfügbar unter http://www.cceia.org/resources/transcripts/4466.html#3, abgerufen am 19.05.2009
16 Vgl. DOVEY, 2008, S.12ff
17 Vgl. ebd., S.11f
18 Da die deutsche Übersetzung diese Begriffe nur unzureichend wiedergibt, werden im Folgenden weiter die englischen Begriffe verwendet.
19 Vgl. ROSS, Matthias: Wenn strategische Raumbilder zu Stein werden: Die Architektur des Brüsseler Europaviertels - eine subtile Form politischer Kommunikation. Diplomarbeit. Universität Passau, 2008, S.13
20 Vgl. DOVEY, 2008, S.15
21 Vgl. FOUCAULT, Michel; GORDON, Colin: Power, knowledge: Selected interviews and other writings 1972 - 1977. New York: Pantheon Books, 1980, S.86
22 DOVEY, 2008, S.2
23 Vgl. ROSS, 2008, S.14
24 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.25
25 Vgl. ebd., S.26ff
26 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.80
27 Vgl. ebd., S.28
28 MEHLHORN, Dieter Jürgen: Funktion und Bedeutung von Sichtbeziehungen zu baulichen Dominanten im Bild der deutschen Stadt: Ein Beitrag zur politischen Ikonographie der deutschen Stadt . Frankfurt a.M.: Rita G. Fischer, 1979, S.327
29 Vgl. ECO et al., 2002, S.295f
30 Vgl. ECO et al., 2002, S.312
31 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.28
32 ECO et al., 2002, S.308
33 SHANNON, Claude; WEAVER, Warren: The Mathematical Theory of Communication. Urbana: Univ. of Illinois Press, 1949
34 Vgl. KRAMPEN, Martin: Meaning in the Urban Environment . London: Pion Ltd., 1979, S.23; zur Darstellung des Modells auch DREYER, Claus: „Semiotische Aspekte der Architekturvermittlung". In: Wolkenkuckucksheim - Internationale Zeitschrift zur Theorie der Architektur, Vol.11, Nr. 1+2/2007, verfügbar unter http://www.tu-cottbus.de/Theo/wolke/deu/Themen/061+062/Dreyer/dreyer.htm, abgerufen am 20.05.2009
35 DREYER, 2007
36 Ebd.
37 BEYME, Klaus von: "Politische Ikonologie der Architektur". In: Hipp, Hermann; Beyme, Klaus von (Hrsg.): Architektur als politische Kultur: Philosophia practica. [19-34]. Berlin: Reimer, 1996, S.22
38 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.46
39 Vgl. ebd., S.35
40 GOTTSCHALL, 1987, S.46
41 Vgl. ebd., S.43
42 Vgl. ebd., S.92; vgl. BEYME, 1996, S.23
43 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.94
44 Vgl. ebd., S.108
45 Vgl. GOTTSCHALL, 1987, S.76
46 Vgl. ebd., S.77
47 Vgl. ebd., S.78
48 Vgl. ebd., S.77
49 Vgl. KUNCZIK, Michael: Die manipulierte Meinung: Nationale Image-Politik und internationale Public Relations . Köln: Böhlau, 1990, S.51
50 Vgl. MELISSEN, Jan: "The New Public Diplomacy: Between Theory and Practice." In: Melissen, Jan (Hrsg.): The new public diplomacy: Soft power in international relations. [3-27]. New York: Palgrave Macmillan, 2007, S.13
51 Vgl. NYE, 2004, S.11
52 Ebd., S.5
53 Vgl. TUCH, Hans N.: Communicating with the world: US public diplomacy overseas . New York: St. Martin's Press, 1990, S.3
54 Vgl. HORISBERGER, Marc: "Entstehung und Gestaltung von Nationenimages". Dissertation. Universität Freiburg i.d. Schweiz, 2002, S.32
55 HOLBROOKE, Richard: “Get the Message Out". In: Washington Post, 28.10.2001, S.B07
56 Vgl. REN, Xuefei: "Architecture and Nation Building in the Age of Globalization: Construction of the National Stadium of Beijing for the 2008 Olympics". In: Journal of Urban Affairs, Vol. 30, Nr. 2/2008a, [175-190], S.176
57 RAUTERBERG, Hanno: "Wie viel Moral braucht Architektur?". In: Die Zeit, Nr.14, 27.03.2008, verfügbar unter http://www.zeit.de/2008/14/China-Architektur, abgerufen am 20.05.2009.
58 Vgl. POGREBIN, Robin: "I am the Designer. My Client's the Autocrat". In: The New York Times, 22.06.2008, verfügbar unter http://www.nytimes.com/2008/06/22/arts/design/22pogr.html, abgerufen am 20.05.2009
59 Vgl. WEILAND, Severin: “Der Speer-Faktor”. In: Spiegel Online, 29.01.2008, verfügbar unter http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,524081,00.html, abgerufen am 20.05.2009
60 Albert Speer junior: „Wir sind kleine deutsche Dienstleister, woher nehmen wir das Recht, irgendjemandem vorzuschreiben, was er soll, darf oder tun muss.“. Zitiert nach: BRIEGLEB, Till; SCHLÜTER, Ralf: „‘Als hätten wir die Moral gepachtet‘: Interview mit Albert Speer". In: art, Nr.8/2008, [34-39], S.35
61 Vgl. POGREBIN, 22.06.2008
62 RAUTERBERG, 27.03.2008
63 Vgl. POGREBIN, 22.06.2008
64 Vgl. OUROUSSOFF, Nicolai: "In Changing Face of Beijing, a Look at the New China". In: The New York Times, 13.07.2008, verfügbar unter http://www.nytimes.com/2008/07/13/arts/design/13build.html, abgerufen am 20.05.2009
65 Vgl. HEIDINGSFELDER, Markus; TESCH, Min; KOOLHAAS, Rem: Rem Koolhaas. A kind of architect. Dokumentarfilm (DVD). Berlin: Absolut Medien, 2007, 1h23min
66 Vgl. POGREBIN, 22.06.2008
67 Ebd.
68 Vgl. OUROUSSOFF, 13.07.2008
69 RAUTERBERG, 27.03.2008
70 GERKAN, 1982, S.25
71 Vgl. POGREBIN, 22.06.2008
72 Vgl. SUDJIC, 2006, S.49
73 Zitiert nach WEILAND, 29.01.2008
74 Ó TUATHAIL, Gearóid: Critical geopolitics: The politics of writing global space . London: Routledge, 1996, S.1
75 Vgl. REUBER, Paul; WOLKERSDORFER, Günter: „Geopolitische Weltbilder als diskursive Konstruktionen - Konzeptionelle Anmerkungen und Beispiele zur Verbindung von Macht, Politik und Raum". In: Gebhardt, Hans; Brodersen, Kai (Hrsg.): Weltbilder. [367-387]. Berlin: Springer, 2003, S.380
76 Vgl. KNOX, Paul L.; MARSTON, Sallie A. (Hrsg.): Humangeographie . 4. Aufl. Heidelberg: Spektrum Akad. Verl., 2008, S.442
77 Ebd., S.491
78 KNOX et al., 2008, S.443
79 Vgl. REUBER et al., 2003, S.369f
80 HUNTINGTON, Samuel P.: The clash of civilizations and the remaking of world order . New York: Simon & Schuster, 1996
81 Vgl. ROSS, 2008, S.24
82 Vgl. KNOX et al., 2008, S.446
83 Vgl. Ó TUATHAIL, Gearóid: „Understanding Critical Geopolitics: Geopolitics and Risk Society". In: Gray,
Colin S.; Sloan, Geoffrey (Hrsg.): Geopolitics, geography and strategy. [107-124]. London: Cass, 1999, S.107
84 Ebd., S.108
85 Vgl. WOLKERSDORFER, Günter: Politische Geographie und Geopolitik zwischen Moderne und Postmoderne . Heidelberger geographische Arbeiten Vol. 111. Heidelberg: Geograph. Inst. der Univ. Heidelberg, 2001, S.143
86 Vgl. Ó TUATHAIL 1999, S.108
87 Vgl. ROSS, 2008, S.24
88 Vgl. REUBER et al., 2003, S.380
89 Vgl. Ó TUATHAIL, 1999, S.111
90 KNOX et al., 2008, S.446
- Quote paper
- Karla Anger (Author), 2009, Wahrzeichen aus Glas und Stahl: Moderne Symbolarchitektur in Peking, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172892
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