Landschaft im Film ist nicht der kontextuelle Raum der Handlung, sondern ein eigenständiger
Teil des Filmes, der Bedeutung generiert und bestimmte Funktionen erfüllt. Nach André Gardies
besteht „die Rolle der Landschaft im Film darin, den Ort der Reflexion zur Verfügung zu
stellen“ (Pichler, Pollach 2006: 21). Zwei Funktionen von Gardies’ Unterteilung scheinen mir
besonders fruchtbar für die Lektüre der Landschaft in Twilight: die „paysage-drame“, wo
Landschaft eine narrative Funktion hat und „Teil der diskursiven Strategie des Films ist“
(Pichler, Pollach 2006: 21), und die „paysage-expression“, wo Landschaft als so genannte
Seelenlandschaft fungiert. Untersucht werden soll der Gegensatz zwischen der Wüstenlandschaft
um Phoenix und der üppigen, feuchtgrünen Waldlandschaft um Forks anhand Foucaults
Konzepts der Heterotopie, um festzustellen, ob die Landschaft Forks’ in der Narration
die Funktion einer Heterotopie erfüllt. Dabei wird Landschaft immer als in die Narration eingebettet
betrachtet, als „paysage-drame“, und als Ausdruck der Psyche Bellas (Kristen Stewart),
also als „paysage-expression“.
Die Landschaft Forks’ in Twilight (USA 2008) als Heterotopie
Landschaft im Film ist nicht der kontextuelle Raum der Handlung, sondern ein eigenständiger Teil des Filmes, der Bedeutung generiert und bestimmte Funktionen erfüllt. Nach André Gar- dies besteht „die Rolle der Landschaft im Film darin, den Ort der Reflexion zur Verfügung zu stellen“ (Pichler, Pollach 2006: 21). Zwei Funktionen von Gardies’ Unterteilung scheinen mir besonders fruchtbar für die Lektüre der Landschaft in Twilight: die „paysage-drame“, wo Landschaft eine narrative Funktion hat und „Teil der diskursiven Strategie des Films ist“ (Pichler, Pollach 2006: 21), und die „paysage-expression“, wo Landschaft als so genannte Seelenlandschaft fungiert. Untersucht werden soll der Gegensatz zwischen der Wüstenland- schaft um Phoenix und der üppigen, feuchtgrünen Waldlandschaft um Forks anhand Fou- caults Konzepts der Heterotopie, um festzustellen, ob die Landschaft Forks’ in der Narration die Funktion einer Heterotopie erfüllt. Dabei wird Landschaft immer als in die Narration ein- gebettet betrachtet, als „paysage-drame“, und als Ausdruck der Psyche Bellas (Kristen Ste- wart), also als „paysage-expression“.1
Foucaults Theorie der Heterotopien
Foucaults Konzept der Heterotopien besagt, dass sie
„sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager [sind], tatsächlich realisierte Utopien2, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte au ß erhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.“ (Foucault 1992: 39, Hervorhebung von A.S.)
Heterotopien gehen häufig mit Zeitschnitten, d.h. Heterochronien einher, und „die Heterotopie erreicht ihr volles Funktionieren, wenn die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit brechen“ (Foucault 1992: 43).
Forks als Heterotopie
Bella, die von Phoenix zu ihrem Vater nach Forks zieht wegen der erneuten Heirat ihrer Mut- ter, ist anders als alle andern, in Phoenix von niemandem verstanden worden und deshalb eine schüchterne Einzelgängerin. Sie meidet Gespräche und soziale Kontakte und hält die Leute, die sich für sie interessieren, auf Distanz. Als sie in Forks jedoch Edward (Robert Pattinson) kennen lernt, ändert sich dies - denn er ist wie sie grundlegend verschieden von ihren Mit- schülern.3 Forks ist damit der Ort, an dem sie sich in der Andersartigkeit ausleben kann und sich jemandem öffnet, der selbst in einer anderen Welt lebt. Dies zeigt sich (abgesehen natür- lich von der Narration) am meisten in der Landschaft . Die Landschaft von Phoenix ist wüs- tenartig, kaum bewachsen, trocken, öde und dennoch dicht besiedelt - Phoenix ist eine Gross- stadt. Die Stadt, die Zivilisation, befindet sich also in der unmenschlichen Landschaft schlechthin - der Wüste. Die Gegend um Forks hingegen ist grün, feucht, sehr dicht und ur- waldartig bewachsen und gering besiedelt. Das Dorf Forks ist klein und abgelegen, mitten in uralten Wäldern. Forks unterliegt anderen Regeln als die Bella bisher bekannte Welt, Phoe- nix. Die Natur, das Dorf selbst, die Leute und selbst Flora und Fauna sind und verhalten sich anders. Und nur durch die Andersartigkeit wird es Bella möglich, sich zu verwirklichen.
Die für die Verbildlichung der Heterotopie relevanten Stellen spielen sich in den Wäldern um Forks ab. An der Stelle, wo Bella Edward eröffnet, dass sie weiss, dass er ein Vampir ist und so der Eintritt in die Heterotopie vollzogen wird, gehen sie tief ins Dunkel des Waldes. Auch die weiteren Gespräche der beiden, die sich um die andere Welt Edwards, die Vampirwelt, drehen, finden im Wald statt, auch das Haus der Vampire befindet sich im Wald. Der Wald ist somit in Twilight die Verbildlichung vom „Ort ausserhalb aller Orte“, die Heterotopie.
Aber nicht nur der Ort und dessen Regeln sind in Forks anders, auch die Zeit ist eine andere als im modernen Phoenix, sie ist stehen geblieben. Dies ist nicht nur in den uralten Wäldern ersichtlich, sondern auch im Vampir Edward, der aus einer vergangenen Epoche stammt und nicht altert. Diese Heterochronie spricht auch für die Forks als Heterotopie. Bella findet in der „normalen“ Gesellschaft in Phoenix keine menschlichen Bindungen - sie lebt in einer unmenschlichen Umgebung, was sich in der Wüstenlandschaft zeigt. Erst im reg- nerischen und grünen Forks, speziell in der anderen Welt der Vampire, die eigentlich un- menschlich sind, findet sie wirklich fruchtbaren sozialen Kontakt - dies wird in der üppigen, fruchtbaren Waldlandschaft ersichtlich. In dieser Lesart ist die Landschaft in Twilight „paysa- ge-expression“.
Die Landschaft kann aber vor allem auch als „paysage-drame“ verstanden werden. In der Ge- gend um Forks scheint so gut wie nie die Sonne, weshalb sich nur dort Vampire während des Tages herauswagen können und so in Kontakt mit anderen treten können. Und erst das zwie- lichtige Dunkel des Waldes ermöglicht Edward und Bella den Kontakt miteinander, wo siesich nicht vor den anderen verstellen müssen.
[...]
1 Im Folgenden werde ich mich auf den Film nur noch mit Twilight beziehen.
2 „Utopien sind […] Platzierungen ohne wirklichen Ort: die Platzierungen, die mit dem wirklichen Raum der Gesellschaft ein Verhältnis unmittelbarer oder umgekehrter Analogie unterhalten. Perfektionierung der Gesell- schaft oder Kehrseite der Gesellschaft: jedenfalls sind die Utopien wesentlich unwirkliche Räume.“ (Foucault 1992: 38f.).
3 Vampire stehen oft für die Kehrseite der Gesellschaft, für Personen, die nicht in die Gesellschaft passen und wegen ihrer Andersartigkeit von ihr verstossen werden. Da sie von der Gesellschaft ausgestossen sind und deren Regeln nicht mehr auf sie zutreffen, müssen sie sich jedoch an keine Regeln halten, und leben somit in absoluter Freiheit (Vgl. Williamson 2005: 29-50; 183-190).
- Arbeit zitieren
- Allegra Schiesser (Autor:in), 2009, Die Landschaft Forks’ in Twilight (USA 2008) als Heterotopie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171900
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