„Seit weit mehr als tausend Jahren ist die deutsche Sprache dabei, ihren Sprachbau vom synthetischen zum analytischen Typ zu verändern, d.h. die Sprecher machen immer weniger Gebrauch von Flexion.“ (Schmitz 1990:135). Diese Veränderungen fallen aufmerksamen Sprachbeobachtern insbesondere bei der Verwendung des Genitivs auf.
In dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, ob sich im Deutschen hinsichtlich der Genitivverwendung ein sprachlicher Wandel vollzogen hat oder ob dies von vielen nur angenommen wird, letztlich aus sprachwissenschaftlicher Sicht jedoch gar nicht belegt ist. Zur Klärung dieser Frage werden zunächst konträre Positionen von Wissenschaftlern gegenübergestellt, die den Genitivschwund thematisieren. Als nächstes wird der Rückgang des Genitivs als Objektskasus näher erläutert, wobei an dieser Stelle der Theorie von Leiss besonderer Stellenwert beigemessen wird. Im Hinblick auf Veränderungen des Kasusgebrauchs in der deutschen Sprache soll anschließend der Blick auf die Verwendung des Genitivs bei unterschiedlichen Wortarten gerichtet werden. Zum Schluss dieser Arbeit wird ein Vergleich zweier Dudengrammatiken gewagt. Hier wird der Grammatikduden von 1973 dem aktuellen Exemplar von 2005 hinsichtlich der Genitivregeln gegenübergestellt.
1. Einleitung
„Seit weit mehr als tausend Jahren ist die deutsche Sprache dabei, ihren Sprachbau vom synthetischen zum analytischen Typ zu verändern, d.h. die Sprecher machen immer weniger Gebrauch von Flexion.“ (Schmitz 1990:135). Diese Veränderungen fallen aufmerksamen Sprachbeobachtern insbesondere bei der Verwendung des Genitivs auf.
In dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, ob sich im Deutschen hinsichtlich der Genitivverwendung ein sprachlicher Wandel vollzogen hat oder ob dies von vielen nur angenommen wird, letztlich aus sprachwissenschaftlicher Sicht jedoch gar nicht belegt ist. Zur Klärung dieser Frage werden zunächst konträre Positionen von Wissenschaftlern gegenübergestellt, die den Genitivschwund thematisieren. Als nächstes wird der Rückgang des Genitivs als Objektskasus näher erläutert, wobei an dieser Stelle der Theorie von Leiss besonderer Stellenwert beigemessen wird. Im Hinblick auf Veränderungen des Kasusgebrauchs in der deutschen Sprache soll anschließend der Blick auf die Verwendung des Genitivs bei unterschiedlichen Wortarten gerichtet werden. Zum Schluss dieser Arbeit wird ein Vergleich zweier Dudengrammatiken gewagt. Hier wird der Grammatikduden von 1973 dem aktuellen Exemplar von 2005 hinsichtlich der Genitivregeln gegenübergestellt.
2. Der Genitiv im Fokus der Sprachentwicklung
„Seit über tausend Jahren hat er [der Genitiv, Anm. d. Verf.] unter den deutschen Kasus am sichtbarsten und kontinuierlichsten an Formenvielfalt, Funktionen und Verwendungsfähigkeit verloren.“ (Schmitz 1990:142).
In der Literatur wird oft bemerkt, dass „in jüngerer Zeit teilweise der attributive Genitiv zugunsten einer Präpositionalkonstruktion und der Genitiv nach alten Präpositionen langsam aussterben.“ Dieses Schwinden lässt sich vor allem in der Umgangssprache und in Mundarten beobachtet. (Vgl. Schmitz 1990:142).
Glück/Sauer (1997:49) weisen im Gegensatz dazu jedoch nachdrücklich darauf hin, dass der Genitiv in der deutschen Sprache noch existiert und selbst in der gesprochenen Sprache noch verwendet wird. Sie konstatieren, dass Genitive im Gesprochenen „nicht seltener in Spitzenstellung vorkommen als in Zweitstellung.“
Ihnen zufolge finden Genitivattribute auch gegenwärtig noch häufig Anwendung. „Es gibt keine Anzeichen, dass sie generell von Präpositionalausdrücken mit von abgelöst würden.“ (Glück/Sauer 1997:49). An der Diskussion um den Genitivschwund bemängeln sie, dass in der Literatur bei diesem Thema nicht genügend differenziert wird. Die Entwicklung des Genitivs hänge im Wesentlichen von seiner syntaktischen Funktion ab.1 Die Tendenz, dass die morphologische Kennzeichnung des Genitivs in bestimmten Teilbereichen zurückzugehen scheint2, sei jedoch nicht auf seine syntaktische Funktion zurückzuführen, sondern müsse ganz unabhängig davon thematisiert und beurteilt werden.
2.1 Der Rückgang des Genitivs als Objektskasus
Trotzdem Glück/ Sauer die Diskussion um den Genitivschwund differenziert betrachten und der These eines generellen Genitivschwunds kritisch gegenüberstehen, geht ihrer Ansicht nach tatsächlich ein bestimmter Typ von Genitivkonstruktionen zurück: Der Objektsgenitiv, den eine Reihe von Verben fordert, wird gegenwärtig seltener verwendet. Die Ursache für den Genitivschwund in diesem Bereich sehen sie in der Veraltung einiger Verben. „Man hat es offenbar mit einer Sprachwandelerscheinung zu tun.“ (Glück/Sauer 1997:49). So verlieren beispielsweise Verben wie einer Sache/jds. bedürfen, sich jds. sch ä men, jds. gedenken oder sich jds. erinnern an Beliebtheit und werden kaum noch gebraucht. (Vgl. ebd.). Statt ein solches, vom Genitiv regiertes Verb, durch eines zu ersetzen, das nicht den Genitiv fordert, kommt es häufig vor, dass die Rektion missachtet wird. Dies führt daraufhin zu sprachlichen Fehlern (z.B. alles, was der Bau bedarf statt alles, was des Baus bedarf). Nach Glück/Sauer scheint der Grund für diesen Schwund gefunden, Leiss (1991:1406) hingegen sieht die Ursache für den Rückgang des Genitivs als Objektskasus bisher nicht überzeugend geklärt. Sie sieht die Schwierigkeiten, den Genitivschwund mit aussagekräftigen Argumenten zu begründen darin, dass die ursprünglichen Funktionen des Objektsgenitivs nicht rekonstruiert werden können.
„Da man nicht weiß, welche Funktionen eigentlich mit dem Genitiv verlorengegangen sind, erweist es sich naturgemäß als schwierig zu entdecken, wodurch diese ersetzt worden sind.“ (Leiss 1991:1406).
Um die „einstige Funktion des Genitivs“ somit besser bestimmen zu können, bezieht Leiss die Kategorie des Aspekts3 mit ein. Diese wurde im Deutschen bisher nicht berücksichtigt, was nach Leiss folgende Ursachen hat:
a) Erst seit den 70er Jahren wurde ausführlich auf den Zusammenhang zwischen Aspektsystem und Determination in den slawischen Sprachen hingewiesen.
b) Es wurde immer wieder kritisch hinterfragt, ob es ein Aspektsystem im Gotischen und rudimentär auch später noch im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen gegeben hat. (Vgl. Leiss 1991:1407).
Leiss weist darauf hin, dass in den germanischen Sprachen keine „Restabilisierung des Aspektsystems“ erfolgt ist. Dies hatte zur Folge, dass das gesamte Verbalsystem radikal umgebaut wurde und die wenigen restlichen intakten Aspektpaare abgebaut wurden. Sie sieht darin zwar nicht die „unmittelbare“, aber die „mittelbare“ Ursache für den Verlust des Genitivobjekts. Sie konstatiert, dass die Genitivobjekte im Gegensatz zu den Akkusativobjekten vor allem mit perfektiven Verben gebraucht wurden, die meisten der heute mit dem Genitiv gebrauchten Verben jedoch präfigierte Verben sind. (Vgl. Leiss 1991:1408).
2.2 Die Verwendung des Genitivs bei Adjektiven und Präpositionen
Neben dem Rückgang des Genitivs bei der Verwendung von Verben ist nach Glück/Sauer eine weitere Veränderung hinsichtlich des Genitivgebrauchs zu beobachten: Bei einigen prädikativen Adjektiven, die vom Genitiv regiert werden, hat sich auch ein sprachlicher Wandel vollzogen. Hierzu zählen beispielsweise die Adjektive begierig, kundig und eingedenk. Adjektive wie diese werden nur noch in seltenen Fällen verwendet. (Vgl. Glück/Sauer 1997:49).
[...]
1 Die Hauptfunktion des Genitivs liegt im Neuhochdeutschen laut Dürscheid im adnominalen Bereich. Er ist der einzige der vier Kasus, der in der Schriftsprache als Attribut auftritt. Dem Dativ kommt diese Funktion nur umgangssprachlich zu (vgl. dem Vater sein Haus). (Vgl. Dürscheid 1999:34).
2 Zu den Teilbereichen, bei denen der Genitiv häufig nicht mehr morphologisch gekennzeichnet wird, zählen beispielsweise Eigennamen und Kurzwörter.
3 Vom Aspekt kann immer dann gesprochen werden, wenn Verbpaare vorhanden sind, die sich voneinander nur durch die Merkmale der Perfektivität vs. Imperfektivität unterscheiden.
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