[...] Die Arbeit beleuchtet spezifische Reaktionsmuster der SED, insbesondere
der SED-Führungsspitze auf verschiedenen Politikfeldern wie Außenpolitik,
Innen- und Wirtschaftspolitik. Geklärt werden muss aber auch, ob es sich
bei der DDR um ein totalitäres oder lediglich um ein autoritäres Regime
gehandelt hat. Dies zu beantworten ist, wie die folgenden Ausführungen
zeigen werden, wissenschaftlich schwierig und keinesfalls eindeutig.
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit einem Datum, dass nicht nur auf
die politische Entwicklung in der DDR, sondern auch auf alle anderen
kommunistischen Bruderstaaten wesentlichen Einfluss genommen hat und
letztendlich zum Ende des Kalten Krieges und zur Deutschen Wiedervereinigung
führte: Der Wechsel an der sowjetischen Spitze der KPdSU von
Konstantin Tschernenko zu Michael Gorbatschow im Jahre 1985.
Zwingenderweise endet der Untersuchungszeitraum mit dem Zusammenbruch
der DDR im Herbst 1989. Die Untersuchungsperiode fällt also in den
Zeitraum, als Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender, Generalsekretär
des Zentralkomitees der SED sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates
der erste Mann im Staate der DDR war. Als Untersuchungsmaterial
dienen neben der Sekundärliteratur auch Quellen aus einschlägigen
Fachzeitschriften wie „Deutschland-Archiv“ und „Aus Politik und Zeitgeschichte“.
Unter der Sekundärliteratur haben sich besonders die 1992
verfasste Dissertationsarbeit von Hak-Sung Kim unter dem Titel „Die
Auswirkungen der Perestroika auf die DDR und die Deutsche Wiedervereinigung“
sowie der Band „Die DDR unter Honecker“ der Edition Deutschland
Archiv von Ilse Spittmann als nützlich und informativ erwiesen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die DDR als totalitärer Staat? – eine Abgrenzung
III. Die Reaktionen der SED-Führung auf die Veränderungen der äußeren und inneren Rahmenbedingungen 1985-1989
1. Außenpolitischer Reformdruck
1.1 „Neues Denken“ in der Sowjetunion
1.2 Das „Neue Denken“ der SED im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik
1.3 Wandel des Selbstverständnisses der SED unter Honecker – Katalysator für den Zerfall des Regimes?
2. Zwischenfazit
3. Innenpolitischer Reformdruck
3.1 Ideologisch motivierte Ablehnung
3.1.1 Das 6. Plenum des ZK – Plenum des Stillstands
3.1.2 Die SED und die sowjetische Geschichtsrevision
3.1.3 Zunehmende innenpolitische Repression
3.2 Wirtschaftlich motivierte Ablehnungsgründe
3.2.1 Das System der paternalistischen Wohlfahrtspolitik
3.2.2 Wirtschaftliche Realität und Reaktion der SED
3.3 Reaktionen nach dem Sturz Honeckers bis zum Rücktritt des Politbüros
IV. Zusammenfassung und Fazit
I. Einleitung
Gerade ist der Krieg gegen das Regime des Irak zu Ende gegangen. Die USA und Großbritannien führten gemeinsam eine Koalition an, die mit militärischen Mitteln das totalitäre Regime Saddam Husseins stürzten. Das erklärte Ziel hieß und heißt immer noch, dem Volk des Irak die Demokratie zu bringen. Ob es gelingt, das weiß bis heute niemand und natürlich darf über das Vorgehen der USA, insbesondere über die Hinwegsetzung über das wichtigste internationale Sicherheitsgremium, die Vereinten Nationen, politisch trefflich diskutiert werden. Dies soll und kann aber nicht das Thema dieser Arbeit sein. Vielmehr geht es um die wissenschaftlich interessante Tatsache der Überführung eines totalitären politischen Regimes in ein demokratisches System.
Anfang der 90er Jahre kam es zu einem beispiellosen Transformationspro- zess in Osteuropa. Der Kalte Krieg war zu Ende und in den ehemals von der Sowjetunion abhängigen kommunistischen Bruderstaaten (Stichwort: Breschnew-Doktrin) entwickelten sich demokratische Regierungssysteme. Auch die DDR konnte sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Der wissen- schaftliche Begriff des Dominoeffektes (vgl. Kurs „Systemtransformation“ S. 61) kommt auch beim Zusammenbruch des ehemals zweiten deutschen Staates zum tragen. Die DDR wurde ebenso wie die anderen kommunisti- schen Staaten Osteuropas von einer Welle des Zusammenbruchs erfasst, die gekennzeichnet war durch die Ablösung eines autokratischen Regimes durch ein demokratisches System. Diese Arbeit soll nun aufzeigen, wie der Transformationsprozess in der DDR abgelaufen ist. Der Schwerpunkt der Untersuchung bezieht sich auf die Rolle der ehemals führenden Staatspartei der DDR, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und knüpft an das Thema „Massen und Eliten im Systemwechsel“ des Kapitels 5 des Teiles A des Fernstudienkurses „Systemtransformation“ an. Es soll dargestellt werden, welche Rolle die SED beim Zusammenbruch des politischen Systems der DDR gespielt hat, insbesondere, ob ihr dabei die Rolle des Katalysators des Untergangs zukam, oder ob sie sich freiwillig in ihr Schicksal gefügt hat.
Die Arbeit beleuchtet spezifische Reaktionsmuster der SED, insbesondere der SED-Führungsspitze auf verschiedenen Politikfeldern wie Außenpolitik, Innen- und Wirtschaftspolitik. Geklärt werden muss aber auch, ob es sich bei der DDR um ein totalitäres oder lediglich um ein autoritäres Regime gehandelt hat. Dies zu beantworten ist, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, wissenschaftlich schwierig und keinesfalls eindeutig.
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit einem Datum, dass nicht nur auf die politische Entwicklung in der DDR, sondern auch auf alle anderen kommunistischen Bruderstaaten wesentlichen Einfluss genommen hat und letztendlich zum Ende des Kalten Krieges und zur Deutschen Wiederver- einigung führte: Der Wechsel an der sowjetischen Spitze der KPdSU von Konstantin Tschernenko zu Michael Gorbatschow im Jahre 1985. Zwingenderweise endet der Untersuchungszeitraum mit dem Zusammen- bruch der DDR im Herbst 1989. Die Untersuchungsperiode fällt also in den Zeitraum, als Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender, Generalsekretär des Zentralkomitees der SED sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidi- gungsrates der erste Mann im Staate der DDR war. Als Untersuchungsma- terial dienen neben der Sekundärliteratur auch Quellen aus einschlägigen Fachzeitschriften wie „Deutschland-Archiv“ und „Aus Politik und Zeitge- schichte“. Unter der Sekundärliteratur haben sich besonders die 1992 verfasste Dissertationsarbeit von Hak-Sung Kim unter dem Titel „Die Auswirkungen der Perestroika auf die DDR und die Deutsche Wiederver- einigung“ sowie der Band „Die DDR unter Honecker“ der Edition Deutsch- land Archiv von Ilse Spittmann als nützlich und informativ erwiesen.
II. Die DDR als totalitärer Staat? – eine Abgrenzung
Bevor es an die Untersuchung der Reaktionen auf den einzelnen Politik- felder geht, muss vorher noch eine wesentliche Frage geklärt werden: In welchen Staatstypus kann die DDR eingeordnet werden? War sie eine totalitäre Diktatur oder vielmehr nur eine autoritäre? Diese Frage zu klären ist wichtig vor dem Hintergrund der oben dargestellten Prämisse der Transformation eines autokratischen Regimes in ein demokratisches System. Der Begriff autokratisch bildet nämlich, wie im folgenden aufgezeigt wird, nur den Oberbegriff für die totalitäre oder autoritäre Form eines Staatswesens.
Wissenschaftlich unstrittig ist, dass die kommunistischen Systeme, wie sie zur Zeit des Kalten Krieges Bestand hatten (gemeint sind die kommunisti- schen Bruderstaaten einschließlich der Sowjetunion, nicht beispielsweise China oder andere Staaten, die immer noch unter kommunistischer Führung stehen), als autokratische Systeme einzustufen sind. In der Negativdefini-
tion sind dies solche Systeme, die die Merkmale von demokratischen gerade nicht erfüllen. Für Wolfgang Merkel sind dies:
- Einschränkung des Herrschaftszugangs,
- keine Gewaltenhemmung und wechselseitige Gewaltenkontrolle (Herrschaftsstruktur),
- umfassender Herrschaftsanspruch durch die Verletzung von Grund- und
Menschenrechten und die Kontrolle der Gesellschaft durch Ausdehnung
des Herrschaftsanspruches in das Privatleben der Bevölkerung,
- willkürliche, unrechtmäßige und repressive Herrschaftsweise
- Herrschaftslegitimation nicht durch Volkssouveränität, sondern durch
allgemeine Mentalitäten, z.B. Weltanschauungen[1].
Unter diese übergeordneten Merkmale fasst Merkel acht Grundtypen autokratischer Systeme, darunter auch kommunistisch-autoritäre Regime[2]. Sie treten in zwei Varianten auf: als kommunistische Parteidiktatur und als kommunistische Führerdiktatur.
Doch zurück zum Ausgangspunkt der Überlegungen. Es geht in dieser Arbeit um den Übergang eines autokratischen Regimes in ein demokratisches System. Worunter fällt nun die DDR? Merkel gibt eine Antwort: „Als autoritäre Regime kommen nur kommunistische Parteidiktaturen in Betracht, während kommunistische Führerdiktaturen unter den totalitären Typus zu fassen sind.“[3] Weiter führt er aus: „Auf der Grundlage der leninistischen Partei- und Staatstheorie fungiert die Kommunistische Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse und einziges legitimes Machtzentrum des Staates. Es gibt in der Regel keine anderen Parteien neben ihr. Existieren sie doch, dann nur in Gestalt abhängiger Satellitenparteien, wie etwa die Blockparteien in der ehemaligen DDR (...).“[4] Merkel führt als weiteres Merkmal der kommunistischen Parteidiktaturen an, dass „ein Minimum an Pluralismus akzeptiert ist und der Herrschaftsanspruch nicht alle Winkel des Alltagslebens erfasst.“[5] Soweit scheint das System der DDR als ein autoritäres definiert. Merkel erwähnt jedoch an anderer Stelle und unter der Kapitelüberschrift „Totalitäre Systeme“ (vgl. Kurs „Systemtransfor- mation“ S. 28), die DDR sei eine kommunistische Parteidiktatur mit einer totalitären Ausprägung gewesen: „Während kommunistische Parteidikta- turen je nach der Durchdringungs- und Kontrollintensität der Gesellschaft durch den kommunistischen Staatsapparat als autoritäre (...) und totalitäre Herrschaftsvarianten (Tschechoslowakei, DDR) denkbar sind (...).“[6]
Dieses Dilemma zeigt, dass in der Tat nicht eindeutig geklärt werden kann, unter welchen Staatstypus die DDR eigentlich fällt. Unstrittig ist, dass sie ein autokratisches Regime war. Doch scheinen autoritäre und totalitäre Ausprägungen im politischen System DDR gleichermaßen vorhanden gewesen zu sein. Die Lösung des Problems liegt nach wie vor in dem wissenschaftlich zu ideal gefassten Begriff des „totalitären Systems“. Den einflussreichsten Präzisierungsversuch in der Politikwissenschaft bilden immer noch die Kriterien von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski aus dem Jahre 1968.
Danach sind totalitäre Regime u.a. durch „eine ausgearbeitete Ideologie, eine einzige Massenpartei, ein Terrorsystem auf physischer und psychischer Grundlage, ein (...) nahezu vollständiges Monopol der Kontrolle aller Mittel wirksamer Massenkommunikation (...) in den Händen von Partei und Staat, ein nahezu vollständiges Monopol der wirksamen Anwendung aller Kampfwaffen und eine zentrale Überwachung und Lenkung der gesamten Wirtschaft durch die bürokratische Koordinierung (...)“[7] charakterisiert. Allerdings sieht die Wissenschaft auch dieses Modell als zu unpräzise an, um eine klare Trennlinie zwischen autoritären und totalitären Systemen zu ziehen: „Bei einer strikten Anwendung (...) auf reale politische Systeme fielen das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland bis 1938 aus der Rubrik totalitärer Systeme. Allerdings befänden sich dann die Sowjetunion der stalinistischen Hochphase (...) unter dem selben Systemtypus wie (...) die DDR Honeckers in den 80er Jahren.“[8]
Am plausibelsten erscheint noch das von Giovanni Sartori entwickelte Polsystem, in dem er das totalitäre System dem demokratischen als Gegenpol gegenüberstellt. Beide Teile bilden jeweils das Ende einer Linie (Kontinuum) und stellen den Idealtypus des jeweiligen Systems dar. Damit kann man, um es mit den Worten Sartoris zu sagen, es von keinem konkreten System erwarten, dass es rein totalitär oder rein demokratisch sei. Die politischen Systeme nähern sich in ihrer realen Ausprägung lediglich den jeweiligen polaren Idealtypen mehr oder weniger an.
Für das politische System der DDR lässt sich damit ebenso wenig wie für andere politische Systeme eine konkrete Einordnung in autoritär oder totalitär finden. Um es einfach zu sagen: Die DDR war im historischen Kontext ihres politischen Systems einmal mehr, einmal weniger autoritär bzw. totalitär.
Im folgenden werden nun die spezifischen Reaktionen der politischen Führung der DDR auf die Veränderungen der außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen Mitte der 80er Jahre dargestellt.
III. Die Reaktionen der SED-Führung auf die Veränderungen der äußeren und inneren Rahmenbedingungen 1985-1989
1. Außenpolitischer Reformdruck
1.1 „Neues Denken“ in der Sowjetunion
Die Formel des sogenannten „Neuen Denkens“ lässt sich sprichwörtlich auf Gedanken des seit März 1985 an der Spitze der KPdSU stehenden General- sekretärs Michael Gorbatschow zurückführen. Im folgenden soll kurz umrissen werden, aus welchen Komponenten sich dieses Neue Denken in der Sowjetunion zusammensetzte und welche Kernpunkte es enthielt.
Das Neue Denken wurde konkretisiert im innenpolitischen Reformprogramm Michael Gorbatschows, das zum ersten mal offiziell auf dem 27. Parteitag der KPdSU am 25. Februar 1986 Erwähnung fand. Dieses enthielt zum einen die Perestroika (russ. Umbau, Umgestaltung), die „die Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft und die schrittweise Einführung marktwirt- schaftlicher Prinzipien in das Wirtschaftssystem“[9] vorsah. Konkret bedeu- tete dies Preisreform, Abbau der Subventionen und des staatlichen Monopols an Produktionsmitteln, Umwandlung staatseigener Betriebe in Aktiengesellschaften und eine stärkere Einbeziehung der Rüstungsindustrie in die Konsumgüterproduktion[10]. Die Ergänzung zur Perestroika bildete Glasnost (russ. Öffentlichkeit) und „bezeichnete eine weitestgehend unzensierte, kritische Berichterstattung in den Medien über die Politik der sowjetischen Regierung sowie über soziale und ökonomische Missstände in der ehemaligen UdSSR.[11] Ziel war, die Bevölkerung umfassend zu infor- mieren und damit eine öffentliche Diskussion auch kontroverser Themen zuzulassen. Ein wesentliches Element von Glasnost war eine völlige Neubewertung der sowjetischen Geschichte, wobei u.a. die Korruption in Staat und Partei angeprangert wurde.
Insofern hatten beide Reformkomponenten eine vielschichtige Umgestaltung von Staat, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Sowjetunion zum Ziel. Diese weitgehenden Forderungen des großen Bruderstaates blieben natürlich nicht ohne Wirkung auf die sozialistische Staatengemeinschaft. Unweigerlich sahen sie sich in einer Situation, die einen Anlass gab, auch ihr politisches System kritisch zu hinterfragen. Bisher orientierten sich die Ostblockstaaten in ihrem politischen Handeln an der Sowjetunion, doch nun wehte plötzlich ein frischer Wind aus Moskau. Wie reagierte nun die DDR auf diesen Wind? Hat sie sich der sowjetischen Linie angepasst, stand sie ihr kritisch gegenüber oder hat sie sie vielleicht ganz abgelehnt? Im Folgenden soll darauf eine Antwort gefunden werden.
[...]
[1] Merkel, Wolfgang: Systemtransformation, Kursmaterial der Fernuniversität Hagen, S. 21ff.
[2] ebenda, S. 24
[3] Merkel: Systemtransformation, S. 24
[4] ebenda
[5] ebenda
[6] ebenda, S. 34
[7] Friedrich, Carl Joachim/Brzezinski, Zbigniew: Die allgemeinen Merkmale der totalitären
Demokratie, in: Jesse, Eckhard (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert, Baden-Baden 1999
[8] Merkel: Systemtransformation, S. 32
[9] Knaur Universallexikon, Band 11, S. 3904, München 1991
[10] ebenda
[11] Knaur Universallexikon, Band 5, S. 1878
- Arbeit zitieren
- David Wolf (Autor:in), 2003, Die Rolle der SED bei der Transformation des autokratischen DDR-Regimes in das demokratische System der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16991
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