Die nachfolgende Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik des Expertenwissens im Gesundheitswesen und möchte analysieren in wieweit daraus Chancen und Barrieren bei der Etablierung von Managementtechniken resultieren können. Im ersten Teil wird die Ausgangslage des Gesundheitswesens beschrieben. Dabeiwird davon ausgegangen, dass es sich bei Gesundheitsunternehmen,wiezumBeispieldas Krankenhaus,um eine Expertenorganisation handelt, die durch unterschiedliche Kulturen und unterschiedliches Expertenwissen der einzelnen Berufsgruppen (Verwaltung, Ärzte, Mitarbeiter der Pflege und Patienten) in der Organisation,geprägt ist. Der zweite Teil setzt sich mit der unterschiedlichen Sozialisation der einzelnen Berufsgruppen auseinander und versucht hier Erklärungsansätze für Etablierungshindernisse zu finden.Imdritten Teil werden exemplarisch vier Managementkonzepte bezüglich ihrer Inhalte und Etablierungsgrundsätze analysiert. Des Weiteren wird versucht zu ergründen wo die Etablierungsbarrieren liegen und wie diese umgangen werden können. Die Auseinandersetzung mit Führungskonzepten (Leadership) rundet das Kapitel ab.
Gliederung
1. Einführung in die Thematik
1.1 Gesundheitswesen heute
1.2 Zukunft des Gesundheitswesens
2. Expertenwissen / Expertenkultur
2.1 Grundlagen
2.2 Sozialisation und Persönlichkeitsstrukturen von Mitarbeitern der unterschiedlichen Berufsgruppen
2.2.1 Ärzte
2.2.2 Pflege
2.2.3 Verwaltung
3. Managementtechniken im Gesundheitswesen, Ziele, Etablierungsgrundsätze und Umsetzungsbarrieren
3.1 Medizincontrolling
3.1.1 Kennzahlen
3.2 Balanced Scorecard
3.2.1 Probleme bei der Umsetzung im Krankenhaus
3.3 Qualitätsmanagement
3.4 Benchmarking
3.5 Leadership
4. Fazit
5. Literatur
1. Einfuhrung
Die nachfolgende Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik des Expertenwissens im Gesundheitswesen und möchte analysieren in wie weit daraus Chancen und Barrieren bei der Etablierung von Managementtechniken resultieren können. Im ersten Teil wird die Ausgangslage des Gesundheitswesens beschrieben. Dabei wird davon ausgegangen, dass es sich bei Gesundheitsunternehmen, wie zum Beispiel das Krankenhaus, um eine Expertenorganisation handelt, die durch unterschiedliche Kulturen und unterschiedliches Expertenwissen der einzelnen Berufsgruppen (Verwaltung, Ärzte, Mitarbeiter der Pflege und Patienten) in der Organisation, geprägt ist.
Der zweite Teil setzt sich mit der unterschiedlichen Sozialisation der einzelnen Berufsgruppen auseinander und versucht hier Erklärungsansätze für Etablierungshindernisse zu finden. Im dritten Teil werden exemplarisch vier Managementkonzepte bezüglich ihrer Inhalte und Etablierungsgrundsätze analysiert. Des Weiteren wird versucht zu ergründen wo die Etablierungsbarrieren liegen und wie diese umgangen werden können. Die Auseinandersetzung mit Führungskonzepten (Leadership) rundet das Kapitel ab.
1.1 Gesundheitswesen heute
Die Gesundheitsunternehmen gelten als eine der letzten Unternehmen, die sich mit der Ökonomisierung auseinander setzen müssen. Dass der Krankenhaussektor binnen kurzer Zeit wesentliche Veränderungen im Management und im betriebswirtschaftlichen Bereich erfahren wird, um überlebensfähig zu bleiben, ist kein Geheimnis. Alle Krankenhäuser stehen derzeit vor großen strukturellen Veränderungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gilt die Leistungserbringung effizient und effektiv zu gestalten, sowie Organisationsstrukturen zu schaffen, ohne die besonderen ethischen Anforderungen aus den Augen zu verlieren. Dies ist nur möglich, wenn leitende Ärzte und Pflegekräfte noch mehr Management- und Führungsverantwortung übernehmen wollen und dieses auch können. Erfahrungen mit Unternehmensberatungen, die Veränderungen in Kliniken initiieren wollten, waren in der Vergangenheit wenig erfolgreich und Umsetzungsversuche scheiterten häufig kläglich. Meist wird davon ausgegangen, dass ein Gesundheitsunternehmen binnen Sekunden in ein Dienstleistungsunternehmen transformiert werden kann. Nicht ausreichend beachtet wird, dass die Mitarbeiter und Führungskräfte aller Ebenen in diesem neuen Dienstleistungsunternehmen über wenig Basiswissen im betriebswirtschaftlichen Bereich verfügen. Hinzu kommt, dass die Dienstleistung vom Patienten beurteilt wird und sie in einem großen Umfang von seiner Unterstützung abhängig ist. So ist nicht verwunderlich, dass die Reformen im Gesundheitswesen einen engen Schulterschluss zweier Disziplinen, nämlich der Medizin und der Betriebswirtschaft, und der Gesellschaft erfordern. Erschwert bzw. beeinträchtigt wird diese Zusammenarbeit dadurch, dass beide eine gänzlich unterschiedliche Zugangsweise zur Thematik Krankenversorgung haben. Für die Medizin ist Krankenversorgung die Versorgung eines Menschen mit gesundheitlichen Problemen und für die Betriebswirtschaft der Fall, der Kosten verursacht und Erlöse generiert. So kämpfen beide Partner mehr oder weniger um das Überleben. Der Patient aus gesundheitlichen Gründen und das Krankenhaus aus ökonomischen Gründen.
Gemeinsam ist allen Partner in einer Einrichtung, dass sie durch ihr spezifisches Wissen mit mehr oder weniger großen Schnittmengen eine hohe Deckungsübereinstimmung in zukünftigem Handeln erreichen müssen. Erschert wird dies durch unterschiedliche berufsgruppenbedingte Kommunikationsstile, Auffassungen von Delegation, Berufsverständnis, ethischen Grundsätzen sowie Primär und Sekundärsozialisation. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Etablierung von Managementtechniken eher einem Hindernislauf gleicht.
1.2 Zukunft des Gesundheitswesens
Vom Ende des Krankenkassensystems und der Kassenärztlichen Vereinigungen ist die Rede sowie von den ausufernden Kosten des Gesundheitswesens. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Gesund- heitsversorgung wird prognostiziert, obwohl sie schon längst etabliert ist. Ferner wird die Aufkündigung der Solidargemeinschaft befürchtet. Man könnte fast sagen, dass das Gesundheitssystem sich nicht nur in einer schweren Krise befindet, sondern dass es schwer erkrankt und angeschlagen ist. Nicht ausschließlich die folgenden Rahmenbedingungen sind das Krankmachende, sondern auch das Hinterherhinken in Sachen Management im Gesundheitswesen scheint ein wesentlicher Faktor zu sein. Zunächst ein Blick auf die Rahmenbedingungen:
1. Der demographische Wandel hat in Deutschland den Anteil der Bevölkerung in der Altersgruppe über 60 Jahre ständig zunehmen und damit den Gesundheitsbedarf stark steigen lassen. Gleichzeitig nehmen die Geburten ab und die Gesamtbevölkerungszahl reduziert sich weiter, wenn nicht Einwanderungen entgegen steuern (a) Zeitgleich steigt die Lebenserwartung bei hoher Lebensqualität, kontinuierlich an.
2. Es ist davon auszugehen, dass die zunehmende weltweite und teilweise unkritisch genutzte Mobilität der Bevölkerung zur Wiederausbreitung von epidemischen Erkrankungen führen wird. Es wird Krankheiten aus fernen Ländern geben, die die Medizin vor erneute Fragen stellen wird z.B. Vogelgrippe, Tuberkulose und Tollwut
(b)
(a) Form Demographischer Wandel des Bundespräsidenten www.forum-demographie.de
(b) www.euro.who.in
3. Die Technisierung und die zukünftige Entwicklung der High-Tech- Medizin werden die Therapiekosten weiter dramatisch ansteigen lassen, gleichzeitig aber auch bedeutende Investitionsanreize für die Industrie schaffen. Natürlich werden davon dann auch die Patienten und die behandelnden Ärzte profitieren. Alles Machbare wird zum Greifen nahe und eine Auseinandersetzung mit dem Lebensende wird weiter hinausgeschoben oder teilweise abgelehnt.
4. Die Internationalisierung und Globalisierung des Gesundheitswesens schreiten weiter fort. Die Infrastruktur hierzu leisten die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Telemedizin. Unterschiede in Qualität, Wartezeiten und Kosten nationaler Gesundheitsmärkte schaffen grenzüberschreitende regionale, europäische und internationale Patientenströme. Für leistungsfähige Kliniken stellt sich zunehmend die Frage, ob der ausländische Patient ein Potenzial darstellt, um die eigene Infrastruktur und Leistungsfähigkeit und die Attraktivität gegenüber anderen Krankenhäusern zu steigern. Gerade auch unter zunehmenden Problemen bei der Finanzierbarkeit des deutschen Krankhauswesens. Hinweise finden sich nicht nur im Report von PricewaterhouseCoopers (21).
5. Wettbewerbsintensivierung und Markenbildung steht im engen Zusammenhang mit Vertrauen, Glaubwürdigkeit, einer konstant hohen bzw. stetig steigenden Leistungsqualität, sowie einem einzigartigen Nutzenversprechen. Die Etablierung von Marken ist als vertrauensbildende Maßnahme zu verstehen, die zur Stabilisierung und Ausweitung von Kunden- bzw. Patientenbeziehungen führt.
(21) PwC (2005): Health Case 2020, Gesundheit zukunftsfähig gestalten
Eine Etablierung von Krankenhausmarken ist sozusagen die aktive Beeinflussung der Auswahlentscheidung von Patienten, Einweisern und Kostenträgern auf die in Zukunft kein Anbieter mehr verzichten wird können.
6. War for Talents im akademischen und nichtakademischen Bereich, ist bereits heute spürbar, denn schon jetzt fehlen qualifizierte Ärzte und dies nicht nur in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Das Ausland, allen voran die USA, Kanada, Großbritannien, Niederlande, Schweden, Australien und Neuseeland locken mit all den Bedingungen, die in Deutschland Mangelware sind: leistungsgerechte Vergütung, Forschung auf hohem Niveau, Entlastung von administrativen Tätigkeiten, Freizeit und attraktives Umfeld. Hier genügt ein Blick in das monatlich erscheinende Deutsche Ärzteblatt und Daten der Europäischen Union (c) dokumentieren die berufliche Mobilität von Ärzten und Pflegekräften im europäischen Raum. Schon heute rekrutieren Großbritannien und die Schweiz zwischen 35 % und 50 % ihrer medizinischen Mitarbeiter (Ärzte und Pflegekräfte), die in der Regel nicht zurück wollen, da sie schneller in verantwortliche Positionen gelangen und selbständiger arbeiten dürfen als in Deutschland.
Unter diesen Vorzeichen spielen Strukturen, Führung und Personalmanagement eine entscheidende Rolle im Gesundheitswesen. Aber was geschieht zurzeit in den Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäusern?
(c) http://europa.eu.int/comm/health
Insgesamt richtet sich der Fokus aller Diskussionen bislang primär auf Kosteneinsparungen, Effizienz- und Produktivitätssteigerung, sowie Leistungsverbesserung im Sinne von Qualitätsverbesserung. Durch Neu- und Umstrukturierung soll eine sprunghafte Steigerung der Leistungseffizienz angestrebt werden. Defizitorientiert mit fehlendem Gefühl für den Mehrwert einer medizinischen Organisation, fast panisch wie das Kaninchen vor den Augen einer Schlange, wird versucht Managementtechniken um jeden Preis zu etablieren, mit dem Ziel die erfolgreichen Konzepte aus der Industrie mit automatisch erhofftem gleichen Erfolg in Kliniken zu transferieren. Die Praxis zeigt aber leider häufig das Gegenteil. Enttäuscht wird dann eine Bilanz gegen Ökonomie und Management gezogen, obwohl eigentlich der wirkliche Grund des Scheiterns gar nicht identifiziert wurde. Meist beginnt dann der Machtkampf zwischen Medizin und Ökonomie, welcher von den Medizinern häufig als feindliche Übernahme empfunden und bewertet wird.
Gemeinsam ist allen, dass sowohl in der Industrie, als auch in öffentlichen Organisationen, unabhängig ob es sich um eine Profitorganisation oder eine Non-Profitorganisation handelt, sie ziel- und ergebnisorientiert zusammenarbeiten müssen. Exzellentes Führen spielt hier eine maßgebliche Rolle. Mitarbeiter müssen dazu gebracht werden, dass sie nicht nur den aus ihrer Stellenbeschreibung erwarteten Einsatz leisten, sondern freiwillig und möglichst begeistert, das Beste für ihre Einrichtung geben, verbunden mit einem hohen Maß an Identifikation und Verantwortungsbewusstsein, sowie Handlungsspielraum, der fordert aber nicht überfordert. In der Regel gelingt das dadurch, dass die Mitarbeiter auf konkrete Ziele fokussiert und verpflichtet werden. In der Industrie wird hier mit Zielvereinbarungen gearbeitet, einem Führungsinstrument, welches im Klinikalltag noch eher wenig Anwendung und Akzeptanz gefunden hat.
Auch herrscht in vielen Bereichen der Führung von Gesundheitseinrichtungen immer noch der Irrglaube, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter vernachlässigbar seien und nur der Patient, Klient oder Kunde im Mittelpunkt stehe. Einzelinteressen und Abteilungsdenken stehen dem gemeinsamen Erfolgsinteresse der Einrichtung oder gar ihrer Patienten häufig wahrnehmbar entgegen.
Entscheidend in diesem Veränderungsprozess ist Glaubwürdigkeit, Vorgesetzte müssen in jeder Hinsicht vorleben, was sie von ihren Mitarbeitern verlangen, sowie weitgehende Informationsgleichheit herstellen. Mitarbeiter, denen keine wichtigen Informationen vorenthalten werden, sehen sich ernst genommen, können mitdenken und besser verstehen, warum bestimmte Entscheidungen so und nicht anders getroffen werden. Nicht nur die Aufgabe des Einzelnen muss klar sein, auch das Feedback, wie erfolgreich diese erfüllt wurde. Die Forderung und Förderung von Ehrlichkeit, Delegation mit systematischem Gestaltungsspielraum der Mitarbeiter, verschafft Auswahlmöglichkeiten und Alternativen. Durch gelebte gegenseitige Achtung und Wertschätzung wird die Erneuerungsfähigkeit der Organisation gesichert. Ein Dilemma aus dem Gesundheitsunternehmen mit Hilfe von Managementtechniken und Leadership-Konzepten herauskommen können.
2. Expertenwissen / Expertenkultur
Einer begrifflichen Abgrenzung folgt die Auseinandersetzung mit der unterschiedlichen Sozialisation der einzelnen Berufsgruppen, woraus versucht wird Erklärungsansätze für die Etablierungshindernisse zu identifizieren.
2.1 Grundlagen
Experten zeichnen sich durch ein hohes Spezialwissen in einem Fachbereich aus. Dieses resultiert aus der Tatsache, dass sie sich in einem längeren Zeitraum überdurchschnittlich intensiv mit einer Thematik beschäftigt haben. In diesem Sinne ist ein Experte, wer einen Gegenstand im Vergleich mit anderen Personen überdurchschnittlich gut beherrscht, und wer über sein Fachgebiet außerordentlich viel weiß. Die Expertise desjenigen bezeichnet die bereichs- und aufgabenspezifische Problemlösefähigkeit einer Person.
Expertenwissen stellt letztendlich etwas Positives und Nutzbringendes da und trotzdem ist die Glaubwürdigkeit von Experten und Wissenschaft in eine tiefe Krise geraten. Mediziner als besondere Experten bilden hier keine Ausnahme. Ursächlich für diese Glaubwürdigkeitskrise ist nach Carl Friedrich Gethmann (10) eine zunehmende wissenschaftliche Inkompetenz unserer Gesellschaft. Er meint damit, die Unfähigkeit der Gesellschaft wissenschaftliches Wissen - Expertenwissen - prozessbezogen nachzuvollziehen. Des Weiteren bescheinigt er der Gesellschaft eine weitergehende Endsymbolisierung der Wissenschaft, die keine emanzipatorischen Fortschritte, wohl aber einen erheblichen Verlust an standesethischem Bewusstsein bewirkt hat.
(10) Gethmann, CF (1999) Die Krise des Wissenschaftsethos - Wissenschaftsethische
Überlegungen, in Max-Planck-Gesellschaft (Ed) Ethos der Forschung / Ethics of Research (Ringberg Symposium, S. 25-41) München 1999
Wettbewerbsdruck und zunehmende Ökonomisierung sind die ergänzenden Faktoren, die die Glaubwürdigkeitskrise von Wissenschaft und Experten vollends besiegeln. Beigetragen hat dazu sicherlich auch die zunehmende Schließung der Kluft zwischen Experten und Laien im Zuge der Bildungsreform, sowie Expertenmeinung, die heute zur gesellschaftlichen Normalität gehören. Die wachsende Skepsis der Laien gegenüber den Experten ist zum Teil auch das Resultat der Enttäuschung der Gesellschaft über eine ausbleibende Einlösung aller Heilversprechen nicht nur im Gesundheitswesen (vgl. Wichter (25)). Zusammenfassend können somit vier unterschiedliche Kulturmuster im Gesundheitssystem identifiziert und einer weiteren Analyse unterzogen werden. Die Verwaltung agiert in primär formalistisch geprägtem Kulturmuster, die Ärzte besitzen eher eine Spezialisten/Experten-Kultur, die Pflege kann tendenziell einem generalistischen Kulturmuster zugeordnet werden und die Patienten leben in der Kundenkultur. Jede Berufsgruppe beherbergt Experten, deren Expertenwissen durch die berufsgruppenspezifische Kultur geprägt ist. Der Experte aus der Verwaltung agiert und propagiert eher formalistisch, der Mediziner aus dem Blickfeld der Spezialisten, der Experte aus der Pflege wird bei all seinen Aktivitäten und Anliegen eher generalistisch orientiert sein und der Patienten wird die Kundenhaltung übernehmen. So hat das Gesundheitsunternehmen Krankenhaus vier verschiedene Expertenhaltungen und Expertenkulturen, die in einer funktionierenden Expertenorganisation zusammengefügt werden müssen, gemeinsame Visionen, Strategien und Ziele entwickeln sollen und deren Handeln geprägt sein soll durch hohe Unternehmensidentifikation, Transparenz und Kommunikation.
(25) Wichter, Sigurt: Wissenstransfer zwischen Experten und Laien, Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaft, Frankfurt 2001
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Partner, Kulturen und Erwartungen im Gesundheitswesen
2.2 Sozialisation und Personlichkeitsstrukturen von Mitarbei tern der unterschiedlichen Berufsgruppen
An der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit sind neben dem Arzt, der Pflege und der Verwaltung nicht unwesendlich der Patienten als Empfänger und Unterstützer der Behandlung beteiligt. Er hat damit eine Doppelfunktion oder Doppelrolle, die er einnimmt. Einerseits ist er Empfänger, also Kunde einer Dienstleistung, anderseits beurteilt er diese Leistung und beeinflusst sie maßgeblich durch seine Compliance.
Im immer noch hierarchiegeprägten Gesundheitswesen treffen Spezialisten/Experten (Mediziner), Generalisten (Pflege) und Formalisten (Verwaltung) aufeinander. Alle drei Berufsgruppen sprechen eine unterschiedliche Sprache mit teilweise gleichen Termini jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung. Des Weiteren vollzieht sich medizinisches Handeln innerhalb ihrer Gesellschaft und wird von dieser maßgeblich bestimmt und beeinflusst. Hier gab es in den letzten Jahren eine erhebliche Veränderung. Der Patient entwickelte sich zum kritischen Kunden, der eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, von der er keine genaue Kenntnis und Vorstellung hat was sie kostet, die er nicht direkt bezahlt und dessen Nutzen er nur begrenzt im Vorfeld abschätzen kann. Mediziner werden immer spezialisierter und die Pflege befindet sich mitten im Spagat zwischen Verwissenschaftlichung und vorwissenschaftlichen Verhaltensweisen, die durch Traditionen, Intuitionen und Assoziationen gekennzeichnet ist. Ein loslassen fällt den Einzelnen nicht leicht. Dem allen steht die Verwaltung mit eher formalistischen Strukturen gegenüber, da ist für den besonderen Fall wenig Platz, da muss eine vorgangsgerechte Zuordnung erfolgen und diese soll sich in Zahlen widerspiegeln bzw. abbilden lassen. Das stößt auf wenig Verständnis bei den Spezialisten, weil der besondere Fall eine besondere Bedeutung hat. Wen wundert es, dass es dort einer erhöhten Anstrengung bedarf, die individuellen Denkmuster zu umschiffen und eine Kompatibilität herzustellen. Nun zu den einzelnen Berufsgruppen im Detail.
2.2.1 Arzte
Bezüglich der Sozialisation der einzelnen Berufsgruppen gab es hier, bedingt durch die Veränderungen im Bildungswesen (Bildungsreform), eine Zugangsveränderung für Spezialisten. Wurden vor 100 Jahren Mediziner noch in Medizinerhaushalten sozialisiert, so spielt dieses heute nur noch eine nachgeordnete Rolle. Das bezieht die geschlechtsspezifische Berufswahl mit ein, denn Medizinerinnen waren im Gegensatz zu heute, eher eine Seltenheit.
Zum Mediziner wird heute derjenige bzw. diejenige, der/die nach dem Leistungsprinzip der Besten, den Numerus Clausus erreicht hat, unabhängig von Eignung und Neigung zu diesem Beruf (vgl. Raven (22)) Medizin wird studiert aus der Verlegenheit durch die gute Abitursnote und Bestenregelung (mehr Frauen als Männer), aus dem klaren Bedürfnis vom, nach wie vor, hohen Sozialprestige des Arztes (bei Männern höher als bei Frauen) und dem vermeintlich erhofftem hohen Einkommen zu profitieren. So hat auch heute wahrscheinlich noch die Aussage von Frau Noelle - Neumann aus dem Allensbacher Institut für Umfragen anlässlich des Internisten - Kongress 1999 Gültigkeit: "Trotz eines dramatischen Normenwandels in allen gesellschaftlichen Bereichen, ist das Ansehen des Arztes unbeirrt wie eine Insel in den St ü rmen des Ozeans ü ber die Jahre unver ä ndert geblieben, er genie ß t immer noch das h ö chste Sozialprestige aller Berufe. Leider f ü hrt das konstante Vertrauen in die Ä rzteschaft auch dazu, dass die Mediziner immun gegen massive Kritik und unflexibel f ü r Ver ä nderungen sind."
Die Ernüchterung kommt spätesten beim Absolvieren des Praktischen Jahres. Es folgt in der Regel die Promotion, die nach wie vor der höchste Bildungsabschluss ist und als Merkmal der Zugehörigkeit gilt. Für eine wissenschaftliche Laufbahn ist sie unverzichtbar und bei der Vergabe von Führungspositionen im Gesundheitswesen stellt sie eine Eintrittsvoraussetzung dar. Bei der Berufsgruppe der Ärzte/Innen handelt es sich um eine Kultur der Experten oder Spezialisten, die davon ausgehen, dass sie ihren Bereich weitestgehend beherrschen. Expertise und Spezialisierung findet ihren Ausdruck in wissenschaftlichem Arbeiten, die dazu dient eine Differenzierung untereinander zu ermöglichen.
(22) Raven, U. (1989): Professionelle Sozialisation und Moralentwicklung, Zum Berufsethos von Medizinern, Deutscher Universitätsverlag GmbH, Wiesbaden Ein weiteres wesentliches Merkmal ist die Abgrenzung der Expertenwelt gegenüber anderen Gruppen. Diese Abgrenzung erfolgt in der Regel durch eine eigene Sprache und Sprachhindernisse. Zusätzlich sind Autonomiestreben und Eliteempfindung auch heute noch bei Medizinern weit verbreitet (vgl. Münch (18)). Die berufliche Sozialisation von Medizinern/In als Experten/In ist geprägt durch ein individuelles Entwickeln und Bearbeiten von Theorien, Hypothese und Forschungsergebnissen. Der Austausch erfolgt im Kreise Gleicher und lässt generalistische Ansätze eher nicht zu. Genauso wie in anderen Disziplinen ist die wissenschaftliche Arbeit von der Interaktion mit Fachkollegen/In geprägt und abhängig von guter fachlicher Kommunikation, etwa im Zuge von Diskussionen auf Kongressen. Ein weiteres tragendes Element der modernen Wissenschaft und der Medizin ist das Peer-Review-System, welches bedeutet, dass Kollegen/In (peers) anonym Projektanträge und Publikationsentwürfe begutachten und mit ihrem Urteil entscheidend mitbestimmen, ob ein Projekt finanziert oder ein Manuskript angenommen wird oder nicht. So soll ein hohes Niveau internationaler Forschung aufrechterhalten werden (vgl. Krems (17)). Gute Journale lehnen 50-90% der eingereichten Manuskripte ab und versuchen so Qualitätsstandards zu setzen. So ist gut nachvollziehbar, wenn Steffani Engler (8) in ihrer Habilitationsschrift untermauert, dass wissenschaftliche Persönlichkeiten durch Zuschreibung und Anerkennung im sozialen Umfeld entstehen und nicht von Anfang an mit besonderen Gaben ausgestattet sind, die sie nur zur Wissenschaft prediszinieren. Aus ihrer Sicht ist die Persönlichkeit keine psychologische Größe, sondern eine soziale, die geprägt ist durch die Rollenzuschreibung und Lösung von Rollenkonflikten.
(8) Engler, Steffani (2001): In Einsamkeit und Freiheit, Zur Konstruktion der wissenschaftlichen Persönlichkeit auf dem Weg zur Professur, Habilitationsschrift Zürich
(17) Krems, Josef F.: Wissensbasierte Urteilsbildung, Hans Huber Verlag, Bern 1994
(18) Münch, R. (2006): Die akademische Elite, edition suhrkamp , Suhrkamp Verlag Frankfurt
Zusätzlich fordert und fördert die Gesundheitspolitik eine immer weiter fortschreitenden Spezialisierung durch die Mindestmengendefinition (d) für einzelne Prozeduren und Behandlungsfälle. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ärzte die Leistungs- und Imageträger des Krankenhauses sind. Ihre Ausbildung findet bis zum Physikum in einem erweiterten Schulbetrieb statt. Noten, Lerndisziplin, Konkurrenzverhalten und Leistungsdruck dominieren in dieser Zeit. Nach dem Physikum beginnt die Ausbildung im Krankenhaus. Hier sind dem Studenten klare Karrierewege in der ärztlichen Hierarchie vorgezeichnet: vom Arzt im praktischen Jahr bis zur Position des Chefarztes. Um Karriere im Krankenhaus zu machen sind fachliches Können, Dienstalter, Durchsetzungsvermögen, an Universitätskliniken zusätzlich die Lehrbefähigung, die Fähigkeit Drittmittel für die Forschung zu erhalten und ein gutes internationales Image die wichtigsten Kriterien, die ein Fortkommen garantieren. Teamfähigkeit und Führungseigenschaften sind nicht unbedingt erforderlich. Es ist schwer für die Mediziner diese Fähigkeiten zu entwickeln, da sie sich einerseits ständig als einzelne Person gegen die Kollegen durchsetzen müssen und andererseits ihr Handlungsspielraum durch die Macht und Autorität des Chefarztes deutlich eingeschränkt wird. So wird noch immer von vielen Ärzten während der Fachausbildung beklagt, dass die Zuteilung von Operation und Prozeduren von der Stellung des Einzelnen bei seinem direkten Vorgesetzten oder dem Chef abhängt. So werden die Spielregel der Macht, der Autorität und des Individualismus konsequent erfahren und konstitutionalisiert, um wissenschaftlichen und finanziellen Erfolg zu erlangen.
(d) Gutachten: Evidenz zur Ableitung von Mindestmengen in der Medizin (2006) abzurufen unter: www.bundesaerztekammer.
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- Quote paper
- Martina Oldhafer (Author), 2007, Expertenwissen im Gesundheitswesen - Chancen und Barrieren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169407
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