Im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft heißt es, der Begriff "Xenie" sei "seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts" geläufig. Frieder von Ammon bestreitet dies und sagt, dass dieser Begriff exakt im September 1796 bekannt wurde – mit dem Erscheinen der Xenien Schillers und Goethes im Musen-Almanach für das Jahr 1797.
Der Literarhistoriker Franz Horn – ein Zeitzeuge – sagt rückblickend über die Reaktionen nach dem Erscheinen der Xenien:
"Ich erinnere mich jener Zeit noch sehr genau, und darf, der völligen Wahrheit gemäß, erzählen, dass vom November 1796 bis etwa Ostern 1797 das Interesse für die Xenien in den gebildeten Ständen bei Lesern und auch bei sonstigen Nichtlesern auf eine Weise herrschte, die alles andere Literarische überwältigte und verschlang."
Kurt Klinger (1982) konnte kein Ereignis ausfindig machen, "das mehr Haß, Erbitterung und nackte Wut ausgelöste hätte, als diese Sammlung von Zweizeilern."
Angesichts dieser Aussagen muss es umso mehr erstaunen, dass die Xenien heute so gut wie unbekannt sind.
Gerade in der Rezeption Goethes und Schillers als Klassiker waren die Xenien eher störend. So kann man in Emil Staigers Goethebuch lesen: "Für Goethe und Schiller aber war das nur ein unerlässliches Vorspiel für das Eigentliche, das kam, das, in der Stille gereift, ihr Gemüt als herrliche Verheißung entzückte."
Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich dies geändert. Vor allem die literaturpolitischen Aspekte der Xenien und die literarhistorische Bedeutung des Xenienstreits wurden inzwischen ausführlicher untersucht.
Der Marginalisierung des Xenions im offiziellen Kanon der deutschen Literatur und Germanistik bis in die 1980er Jahre steht jedoch die Tradition dieser Gattung, die nichtsdestotrotz lebendig blieb, gegenüber. Das Xenion hat sich durch die immer weitere Fortschreibung der Xenien Goethes und Schillers selbst kanonisiert und selbst überliefert.
In der Arbeit soll zunächst die Motivation Goethes und Schillers bei ihrem "Xenien-Unternehmen" untersucht werden, wobei insbesondere die Frage im Mittelpunkt steht, inwieweit die Xenien als beabsichtigte und wohlkalkulierte Provokation angedacht waren.
In Fortsetzung und als Anschluss daran soll es um die inhaltliche und formelle Gestaltung und Strukturierung der Xeniensammlung gehen, wobei vor allem die Grenzüberschreitungen verdeutlicht werden sollen.
Abschließend soll ein Blick auf die oben bereits angedeutete "Selbstkanonisierung" des Xenions geworfen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Umstände der Entstehung der Xenien
- Beweggründe und Triebfedern
- Beabsichtigte Provokation ?
- Form und Inhalt – Antike Anknüpfung und zeitgenössische Konfrontation
- Die quantitative Grenzüberschreitung: die Sprengung des „normalen“ Rahmens
- Die qualitative Grenzüberschreitung: Der Angriff auf die literarische Gesellschaft
- Die Komposition des Xenienzyklus
- Zwiergruppen
- Größere Gruppen von Epigrammen / Binnenzyklen
- Literarische Reaktionen
- Öffentliche und nicht-öffentliche Reaktionen auf die Xenien
- Versuch der Dekanonisierung
- Fortschreibungen / Wiederaufnahmen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Entstehung, Form und Rezeption der „Xenien“ von Goethe und Schiller. Sie beleuchtet die Beweggründe und Motive der Autoren, die beabsichtigte Provokation und die Grenzüberschreitungen in Form und Inhalt der Xenien sowie die Reaktionen der zeitgenössischen Literaten und die Folgen für die Weiterentwicklung der Xenien-Gattung.
- Motivation und Ziele der Xenien-Autoren
- Formale und inhaltliche Merkmale der Xenien
- Literarischer Kontext und gesellschaftliche Resonanz
- Rezeption und Weiterentwicklung der Xenien
- Die Rolle der Xenien in der literarischen Tradition
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Xenien ein und beleuchtet die historische Bedeutung dieser Gedichtform. Das zweite Kapitel analysiert die Umstände der Entstehung der Xenien, beleuchtet die Beweggründe und Triebfedern der Autoren sowie die Frage der beabsichtigten Provokation. Kapitel drei betrachtet Form und Inhalt der Xenien und untersucht die Grenzüberschreitungen im Verhältnis zu den antiken Vorbildern und zur zeitgenössischen literarischen Gesellschaft. Kapitel vier beschäftigt sich mit der Komposition des Xenienzyklus, untersucht die verschiedenen Formen der Gruppierung von Epigrammen und analysiert die Binnenzyklen. Kapitel fünf beleuchtet die literarischen Reaktionen auf die Xenien, sowohl öffentliche wie auch private, und untersucht die Versuche der Dekanonisierung sowie die Fortschreibungen und Wiederaufnahmen der Gattung. Die Schlussbetrachtung fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und diskutiert die Bedeutung der Xenien für die literarische Tradition.
Schlüsselwörter
Xenien, Goethe, Schiller, Epigramm, Satire, Literaturkritik, Provokation, Grenzüberschreitung, Rezeption, Kanon, literarische Tradition
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- Claudia Schmidt (Author), 2006, Die Xenien Goethes und Schillers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169127