Kleists Prosawerk Michael Kohlhaas wurde in zwei verschiedenen Fassungen veröffentlicht, wobei nur die hier zu Grunde liegende zweite, die im Jahr 1810 erschien, das Motiv der geheimnisvollen Zigeunerin beinhaltet. Interessant macht die Person der Zigeunerin die Tatsache, dass, in die bis zu ihrem Auftauchen logisch-konsequent scheinende Handlung, durch ihre Erscheinung ein mythischer Faktor eingebaut wird. In der Sekundärliteratur wurde die „ausgeschmückte Schilderung“ mit den Prophezeiungen der mystischen Frauenfigur aber „wiederholt als störender Einschub in der sich linear entwickelnden Erzählung angesehen“. Lange Zeit haben die Rezipienten die Überwechslung in eine Welt mit magischen Praktiken sogar als Missgriff abgeurteilt. Dass es sich aber bei der Einfügung der Zigeunerin nicht um ein störendes oder gar fehlgreifendes, sondern vielmehr um ein notwendiges Moment innerhalb der Erzählung handelt, soll nun in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Demnach geht es, wie der Titel bereits angibt, um “die Rolle der Zigeunerin in Heinrich von Kleists Erzählung Michael Kohlhaas“. Dabei sollen Fragen wie: Welche besondere Aufgabe kommt der Zigeunerin in dem Prosawerk Kleists zu? und: Um wen oder was handelt es sich bei der Person der Zigeunerin eigentlich? beantwortet werden. Dazu soll die Mitwirkung der Zigeunerin am Geschehen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, so dass es im zweiten Kapitel zunächst um den Widerspruch und die Mystik rund um die Episoden mit der Zigeunerin geht. Wie wird sie in die Handlung eingefügt, durch welche verwendeten Mittel bekommen die Szenen, in denen sie auftaucht, mystischen Charakter? Danach wird eine Überprüfung der These vorgenommen, ob die Zigeunerin als Wiedergängerin, als Revenante Lisbeths bezeichnet werden könnte. Vertieft wird diese Untersuchung dann noch durch einen Exkurs über die besondere Rolle der Zahl drei, die gehäuft immer wieder in der Erzählung auftaucht und die dadurch eine Schlüsselrolle zu spielen scheint. Daran anschließend wird sich das dritte Kapitel mit der Zigeunerin in ihrer Funktion als Machtgeberin beschäftigen, um auf ihre Unverzichtbarkeit innerhalb der Erzählung aufmerksam zu machen. Dieses Nicht-fehlen-können der Zigeunerin soll auch im vierten Kapitel deutlich gemacht werden. Die Schlussbetrachtung im fünften Kapitel stellt dann abschließend eine Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse vor und wird die eingangs gestellten Fragen zu beantworten versuchen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Widerspruch und Mystik rund um die Episoden mit der Zigeunerin
- Die Zigeunerin als Wiedergängerin Lisbeths
- Lisbeth
- Zigeunerin
- Exkurs: Die mythische Zahl drei
- Die Zigeunerin als Machtgeberin
- Die Schuld des Michael Kohlhaas ausgehend von der ‚Jüterbock-Szene‘
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle der geheimnisvollen Zigeunerin in Heinrich von Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“ und analysiert ihre Einbindung in die Handlung. Es wird untersucht, wie die Zigeunerin mit dem mythischen Faktor, dem Übernatürlichen, in Verbindung steht und welche besondere Aufgabe sie im Werk Kleists übernimmt.
- Die mythische Einbindung der Zigeunerin in die Erzählung
- Die Zigeunerin als Wiedergängerin Lisbeths und ihre Verbindung zu den Hauptfiguren
- Die besondere Bedeutung der Zahl drei in der Erzählung und ihre Verbindung zu den Frauenfiguren
- Die Machtfunktion der Zigeunerin und ihr Einfluss auf die Handlung
- Die Schuldfrage des Michael Kohlhaas im Kontext der ‚Jüterbock-Szene‘
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Dieses Kapitel führt in die Thematik der Arbeit ein und beleuchtet die Besonderheiten der Person der Zigeunerin in Kleists Werk „Michael Kohlhaas“. Es stellt die zentralen Fragestellungen der Arbeit vor, die im Laufe der folgenden Kapitel beantwortet werden sollen.
- Widerspruch und Mystik rund um die Episoden mit der Zigeunerin: Dieses Kapitel befasst sich mit der mystischen Einbindung der Zigeunerin in die Handlung und beleuchtet den Widerspruch und die Mystik, die ihre Auftritte umgeben. Es untersucht die Verwendung von mystischen Vokabeln und die mysteriöse Atmosphäre in den Szenen mit der Zigeunerin. Außerdem wird die mögliche Interpretation der Zigeunerin als Wiedergängerin Lisbeths genauer beleuchtet.
- Die Zigeunerin als Machtgeberin: Dieses Kapitel analysiert die Funktion der Zigeunerin als Machtgeberin. Es wird untersucht, wie sie durch die Aushändigung des Zettels dem Kohlhaas Macht über den Kurfürsten von Sachsen verleiht und seine Rache ermöglicht. Außerdem wird die Rolle der Zigeunerin als Geheimhalterin beleuchtet, die die Schuld des Michael Kohlhaas im Verborgenen hält.
- Die Schuld des Michael Kohlhaas ausgehend von der ‚Jüterbock-Szene‘: Dieses Kapitel betrachtet die ‚Jüterbock-Szene‘ als Schlüsselstelle der Erzählung und analysiert die Schuld des Michael Kohlhaas. Es wird gezeigt, wie Kohlhaas durch seine Rachsucht die Möglichkeit zu einer friedlichen Beilegung des Streits mit dem Junker Wenzel von Tronka ignoriert. Der Fokus liegt auf Kohlhaas‘ Entscheidung für Rache statt für eine friedliche Lösung.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter dieser Arbeit beinhalten die Zigeunerin als zentrale Figur in Kleists Erzählung "Michael Kohlhaas", die Analyse ihrer mystischen Funktion, die Beziehung zur Wiedergängerin Lisbeth, die Bedeutung der Zahl drei als Symbol der Dreieinigkeit der Frauenfiguren und die Machtübertragung durch die Zigeunerin, die Kohlhaas zu seinem Rachefeldzug befähigt. Weitere wichtige Themen sind die Schuld des Michael Kohlhaas und die Hinterfragung des Rechts in Kleists Werk.
- Quote paper
- Katrin Bänsch (Author), 2009, Die Rolle der Zigeunerin in Heinrich von Kleists Erzählung 'Michael Kohlhaas', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168866