Die Novelle erregte bei ihrem Erscheinen großes Erstaunen. Es war wohl für unmöglich gehalten worden, eine als überkommen angesehene Form für die Darstellung eines modernen Konflikts zu verwenden. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, wenn man die Problemkreise Identitätssuche, Selbstentfremdung, Kommunikationslosigkeit, Altern, Sexualität und Ehe schlicht auf den Nenner „Krise der Lebensmitte“ oder „Midlife-Crisis“ zusammenfasste. Die Novelle kann vielmehr auch als Spiegelbild der bundesdeutschen Verhältnisse der siebziger Jahre gelten.
Die Verwendung des Bildes vom fliehenden Pferd schien nicht allen Kritikern zweifellos überzeugend. Die Frage nach seiner Bedeutung ist also angebracht und soll für die beiden Hauptprotagonisten getrennt voneinander betrachtet werden. Die Analyse soll auf den Bereich der Motivik klar begrenzt bleiben, wodurch Fragestellungen nach der Rezeption von Kierkegaard und Nietzsche nur am Rande oder gar nicht behandelt werden können. Auch auf die Entstehung der Novelle sowie auf formale, erzählerische oder sprachliche Merkmale sollen im folgenden nicht eingegangen werden.
Anhand der allgemeinen Deutungsmöglichkeiten des Pferdes soll eine Motivkette rekonstruiert werden, welche entsprechende Äußerungen der Protagonisten miteinander verknüpft. Es wird die Frage zu stellen sein, wer warum wohin flieht, und ob sich nicht vielleicht mehrere Personen auf der Flucht befinden. Aus den Analysen des Fluchtmotivs wird dann zu zeigen sein, ob und inwiefern auch die Protagonisten das Leitmotiv verkörpern.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Der Novellentitel und seine Implikationen
- 3. Abgrenzung von Leitmotiv und Dingsymbol mit Novellencharakter
- 4. Das Pferd und seine verschiedenen Symbolcharaktere
- 5. Die Motivkette
- 6. Die Flucht des Helmut Halm
- 7. Die Flucht des Klaus Buch
- 8. Helmut Halm, Klaus Buch und ihr Bezug zur Gesellschaft
- 9. Klaus Buchs als fliehender Reiter und das Rodeo auf See
- 10. Halms neue Lebenseinstellung und Buchs ´Demaskierung`
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“ (1977) unter besonderer Berücksichtigung des Leitmotivs des fliehenden Pferdes und seiner innertextuellen Bezüge. Die Analyse konzentriert sich auf die Motivik und untersucht die verschiedenen Symbolcharaktere des Pferdes sowie die Fluchtmotive der Hauptprotagonisten Helmut Halm und Klaus Buch. Es wird untersucht, wie das Leitmotiv die Handlung strukturiert und die Charaktere repräsentiert.
- Das Leitmotiv des fliehenden Pferdes als Symbol für Flucht und Lebenskrisen
- Die unterschiedlichen Fluchtstrategien von Helmut Halm und Klaus Buch
- Die Darstellung der bundesdeutschen Gesellschaft der 1970er Jahre in der Novelle
- Die symbolische Bedeutung des Pferdes im Kontext der Novelle
- Der Vergleich von Leitmotiv und Dingsymbol
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und erläutert die Bedeutung der Novelle "Ein fliehendes Pferd" im Kontext der Literatur des 20. Jahrhunderts. Sie hebt die zentrale Frage nach der Bedeutung des fliehenden Pferdes hervor und skizziert den Ansatz der Analyse, die sich auf die Motivik konzentriert und Fragestellungen nach Rezeption, Entstehung und formalen Merkmalen ausklammert. Der Fokus liegt auf der Rekonstruktion einer Motivkette, die die Äußerungen der Protagonisten miteinander verknüpft und untersucht, wer warum und wohin flieht.
2. Der Novellentitel und seine Implikationen: Der Titel „Ein fliehendes Pferd“ wird zunächst im Hinblick auf die zentrale Episode mit dem entlaufenen Pferd analysiert. Die Szene, in der Klaus Buch das Pferd bändigt, wird als Schlüsselmoment interpretiert, das die Auslegung des Titels dominiert. Der Titel impliziert jedoch mehr als nur ein einzelnes fliehendes Pferd, sondern deutet auf zwei gegensätzliche Verhaltensweisen und Fluchtmöglichkeiten der Protagonisten hin: Halms Rückzug in die Innerlichkeit und Buchs unreflektierte Aktivitäten in der Gesellschaft. Der Titel regt somit zu weiterer Deutung an.
3. Abgrenzung von Leitmotiv und Dingsymbol mit Novellencharakter: Dieses Kapitel differenziert zwischen Leitmotiv und Dingsymbol. Es definiert das Leitmotiv als einen wiederkehrenden Bild- oder Wortfolge mit verbindender Funktion. Das "Dingsymbol", nach Benno von Wiese, fasst den Sinngehalt in einem sinnträchtigen Zeichen zusammen. Die Analyse argumentiert, dass das fliehende Pferd in Walsers Novelle als Dingsymbol mit leitmotivischer Verwendung verstanden werden kann, das die Flucht vor der Realität und den Anforderungen der Gesellschaft verbildlicht. Der Novellencharakter wird im Sinne Goethes und Tiecks durch die unerhörte Begebenheit und den Wendepunkt der Handlung begründet.
4. Das Pferd und seine verschiedenen Symbolcharaktere: Dieses Kapitel untersucht die symbolische Bedeutung des Pferdes. Das Pferd wird als Sinnbild für verschiedene Aspekte interpretiert, u.a. auch in Verbindung mit dem Totenreich und als Seelenführer. Seine symbolische Vielschichtigkeit wird als zentral für das Verständnis der Novelle hervorgehoben.
Schlüsselwörter
Martin Walser, Ein fliehendes Pferd, Leitmotiv, Flucht, Dingsymbol, Symbolcharakter, Helmut Halm, Klaus Buch, Gesellschaft, 1970er Jahre, Lebenskrise, Identitätssuche.
Häufig gestellte Fragen zu Martin Walsers "Ein fliehendes Pferd"
Was ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit?
Die Arbeit analysiert Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" (1977). Der Fokus liegt auf dem Leitmotiv des fliehenden Pferdes und seinen Bezügen innerhalb des Textes. Die Analyse konzentriert sich auf die Motivik, die Symbolcharaktere des Pferdes und die Fluchtmotive der Hauptprotagonisten Helmut Halm und Klaus Buch. Untersucht wird, wie das Leitmotiv die Handlung strukturiert und die Charaktere repräsentiert.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Analyse behandelt das Leitmotiv des fliehenden Pferdes als Symbol für Flucht und Lebenskrisen, die unterschiedlichen Fluchtstrategien von Halm und Buch, die Darstellung der bundesdeutschen Gesellschaft der 1970er Jahre, die symbolische Bedeutung des Pferdes und den Vergleich von Leitmotiv und Dingsymbol.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: Einleitung, Analyse des Novellentitels, Abgrenzung von Leitmotiv und Dingsymbol, Interpretation der verschiedenen Symbolcharaktere des Pferdes, Analyse der Fluchtmotive von Halm und Buch, sowie deren Bezug zur Gesellschaft. Zusätzlich werden die Kapitel zusammengefasst und Schlüsselwörter genannt.
Welche Bedeutung hat der Novellentitel "Ein fliehendes Pferd"?
Der Titel wird zunächst im Kontext der zentralen Episode mit dem entlaufenen Pferd analysiert. Er impliziert jedoch mehr als nur ein einzelnes fliehendes Pferd, sondern deutet auf zwei gegensätzliche Verhaltensweisen und Fluchtmöglichkeiten der Protagonisten hin: Halms Rückzug in die Innerlichkeit und Buchs unreflektierte Aktivitäten in der Gesellschaft.
Wie wird das Leitmotiv des fliehenden Pferdes interpretiert?
Das fliehende Pferd wird als Dingsymbol mit leitmotivischer Verwendung interpretiert. Es verbildlicht die Flucht vor der Realität und den Anforderungen der Gesellschaft. Seine symbolische Bedeutung ist vielschichtig und wird in Verbindung mit verschiedenen Aspekten, unter anderem dem Totenreich und als Seelenführer, analysiert.
Wie werden die Fluchtmotive von Helmut Halm und Klaus Buch dargestellt?
Die Arbeit untersucht die unterschiedlichen Fluchtstrategien von Helmut Halm und Klaus Buch und deren Bezug zur Gesellschaft der 1970er Jahre. Halms Flucht wird als Rückzug in die Innerlichkeit beschrieben, während Buchs Flucht als unreflektierte Aktivität in der Gesellschaft interpretiert wird.
Was ist der Unterschied zwischen Leitmotiv und Dingsymbol in der Analyse?
Das Leitmotiv wird als wiederkehrende Bild- oder Wortfolge mit verbindender Funktion definiert, während das Dingsymbol (nach Benno von Wiese) den Sinngehalt in einem sinnträchtigen Zeichen zusammenfasst. Das fliegende Pferd wird als Dingsymbol mit leitmotivischer Funktion verstanden.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Martin Walser, Ein fliehendes Pferd, Leitmotiv, Flucht, Dingsymbol, Symbolcharakter, Helmut Halm, Klaus Buch, Gesellschaft, 1970er Jahre, Lebenskrise, Identitätssuche.
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- M.A. Saskia Dams (Author), 2003, Martin Walser "Ein fliehendes Pferd" (1977) Das Leitmotiv des Pferdes und seine Textbezüge zur Flucht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16824