Schon im von Tim Rice abgekupferten Titel, der zu Lloyd Webber gesagt haben soll: „Ich weiß, sie [Eva Perón] ist ein Miststück, doch laß sie uns zu einem wundervollen Miststück machen.“1, sticht jene Ambivalenz hervor, die uns in diesem Musical so oft begegnet. Beina-he jede Szene, die eine ausführlicher, die andere subtiler, gibt sich unentschieden hinsicht-lich der Beurteilung Evitas.
Ihr Lebenslauf liest sich tatsächlich wie eine Aschenbrödelgeschichte, besonders fesselnd, weil real. Auf der Rückfahrt vom Kricketspielen 1973 lief im Autoradio ein Programm über Eva Perón, an dessen Ende Tim Rice sich deren Zauber ebenso verfallen sah wie einst das argentinische Volk. Dieser Superstareffekt, welcher von Evita ausging, eine Art Faszination à la „live fast and die young“, schien ihm prädestiniert für ein großes Musical zu sein.2
Klarerweise begibt man/frau sich mit einer Art musikalischer Biographie der Gattin des ar-gentinischen Diktators Juan Perón auf politisches Terrain, was in den 1970ern recht neu für ein Musical war. Aber Rice und Lloyd Webber hielten die Zeit reif dafür. Großbritannien wur-de damals von schweren Unruhen erschüttert, Inflation, Arbeitslosigkeit sowie Streiks nah-men zu. Ein Musical, das aufzeigt wie ein charismatisches Politikerehepaar die Bevölkerung scheinbar aus dem Chaos errettet, könnte als lehrhafte Parabel in Bezug auf die Zerbrech-lichkeit der Demokratie dienen. Dadurch, dass Eva Peróns Leben im Mittelpunkt steht, ist es eine sehr persönliche Geschichte, die sich vielmehr um die Menschen in der Politik, deren bewusst inszeniertem Zauber schert, als um den Faschismus als politisches Phänomen.3
Auch die Musik folgt diesem Konzept der Zwiespältigkeit, worauf die Bezeichnung „Rock- oder Pop-Oper“ recht deutlich hinweist. Als opernhaft zu bezeichnen ist schon einmal die Tatsache, dass es kein Textbuch zu Evita gibt, keine Dialoge, welche die Handlung voran-treiben. Alles wird gesungen, anstatt gesagt, sogar die beiläufigsten Bemerkungen sind mit Musik unterlegt.4 Opernhafte Strukturen lassen sich auch in der Anlage und Abfolge der Mu-siknummern erkennen, die selbst jedoch ein buntes Konglomerat aus verschiedensten Stil-richtungen sind:
"Er [Lloyd Webber] ersetzte Showmelodien mit atemberaubenden neuen Versatzstücken aus der Oper, der Operette, der zeitgenössischen, der populären und der Latinomusik, zusätzlich zu ei-nem kraftvollen Schwung Rock’n’Roll." etc.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Phantasmagorie
- 2.1. Personenkult
- 2.2. Politik als Showgeschäft
- 2.3. Pompes funèbres
- 2.4. Über Männer zum Erfolg
- 2.5. Herkunft als Bonus
- 2.6. Glamouröse Selbstinszenierung
- 2.7. Sentimentalität
- 2.8. Verschleierung von Machtinteressen
- 2.9. Todesursache
- 3. Sozialkritik
- 3.1. Sexuelle Doppelmoral
- 3.2. Klassengesellschaft
- 3.3. Sexuelle Freizügigkeit und Prostitution als Mittel zu finanzieller Freiheit
- 3.4. Blendung der Volksmassen
- 3.5. Emanzipation der Frau
- 3.6. Zwischen Kapitalismus und Kommunismus
- 3.7. Che Guevara als Idol der politischen Linken
- 4. Conclusio
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Ambivalenz der Darstellung Eva Peróns im Musical „Evita“ von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice. Sie analysiert, wie das Musical sowohl phantasmagorische Elemente als auch sozialkritische Aspekte verwendet, um das Bild der historischen Figur zu konstruieren und zu dekonstruieren. Die Arbeit beleuchtet die Inszenierung von Macht, den Personenkult um Evita und die sozialpolitischen Verhältnisse Argentiniens.
- Phantasmagorie und die Konstruktion des Evita-Mythos
- Sozialkritik und die Darstellung von Machtstrukturen
- Die Ambivalenz der Darstellung und die Rezeption des Musicals
- Die Rolle von Che Guevara als kritischer Kommentar
- Politische Inszenierung und Showgeschäft
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Ambivalenz des Musicals „Evita“ ein, die sich bereits im Titel widerspiegelt. Sie beschreibt die Entstehung des Musicals und verortet es im politischen und gesellschaftlichen Kontext der 1970er Jahre in Großbritannien. Der Fokus liegt auf der persönlichen Geschichte Eva Peróns und deren Inszenierung als charismatische politische Figur, im Gegensatz zu einer rein politischen Analyse des Faschismus. Die musikalische Gestaltung und die Abwesenheit von Dialogen werden als opernhafte Elemente beschrieben, die zur emotionalen Wirkung des Stücks beitragen. Die Einleitung betont die Zwiespältigkeit des Musicals, die sowohl eine Verherrlichung als auch eine Kritik an Eva Perón zulässt.
2. Phantasmagorie: Dieses Kapitel analysiert die phantasmagorischen Elemente des Musicals, die zum Mythos um Evita beitragen. Es wird der Personenkult um Evita untersucht, der durch die Darstellung ihres Todes und die Reaktionen des Publikums deutlich wird. Die politische Inszenierung wird als Showgeschäft dargestellt, wobei Eva Perón als eine der ersten Frauen gesehen wird, die diese Strategie massiv einsetzte. Die pompöse Gestaltung ihrer Beerdigung wird im Kontrast zu dem bescheidenen Begräbnis ihres Vaters gezeigt und als Demonstrationsbedürfnis der Bevölkerung interpretiert. Die Analyse fokussiert auf die Inszenierung von Trugbildern, die die Wirkmächtigkeit Evitas hervorheben sollen.
3. Sozialkritik: Das Kapitel widmet sich der sozialkritischen Dimension des Musicals. Es werden Themen wie sexuelle Doppelmoral, Klassengesellschaft, Prostitution als Mittel zur finanziellen Freiheit, die Blendung der Volksmassen und die Emanzipation der Frau behandelt. Der Kontext Argentiniens zwischen Kapitalismus und Kommunismus wird beleuchtet, ebenso wie die Rolle von Che Guevara als kritischer Gegenspieler Evitas. Dieses Kapitel untersucht, wie das Musical die sozialen und politischen Missstände Argentiniens unter Juan Perón aufzeigt und die Ambivalenz von Evitas Rolle in diesem System kritisch reflektiert.
Evita Musical Analyse: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert das Musical „Evita“ von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice und untersucht die ambivalente Darstellung Eva Peróns. Sie beleuchtet sowohl die phantasmagorischen Elemente, die zum Mythos um Evita beitragen, als auch die sozialkritischen Aspekte des Musicals, welche die politischen und sozialen Verhältnisse Argentiniens unter Juan Perón kritisch reflektieren.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit konzentriert sich auf die phantasmagorische Konstruktion des Evita-Mythos, die Sozialkritik im Musical, die Ambivalenz der Darstellung Evitas, die Rolle von Che Guevara als kritischer Kommentar, sowie die politische Inszenierung und das Showgeschäft als Mittel der Machtgewinnung.
Welche Kapitel umfasst die Analyse?
Die Analyse gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel über die Phantasmagorie im Musical, ein Kapitel zur Sozialkritik und eine Schlussfolgerung (Conclusio). Die Einleitung beschreibt den Kontext des Musicals und die Ambivalenz der Darstellung Eva Peróns. Das Kapitel zur Phantasmagorie analysiert den Personenkult, die politische Inszenierung als Showgeschäft und die Inszenierung von Trugbildern. Das Kapitel zur Sozialkritik behandelt Themen wie sexuelle Doppelmoral, Klassengesellschaft, Prostitution, die Blendung der Volksmassen, die Emanzipation der Frau und den argentinischen Kontext zwischen Kapitalismus und Kommunismus, sowie die Rolle Che Guevaras.
Wie wird die Phantasmagorie in „Evita“ dargestellt?
Das Kapitel zur Phantasmagorie untersucht den Personenkult um Evita, die politische Inszenierung als Showgeschäft, die pompöse Inszenierung ihrer Beerdigung im Kontrast zu ihrem bescheidenen Ursprung, sowie die gezielte Inszenierung von Trugbildern, um Evitas Macht und Einfluss zu betonen. Es wird die glamouröse Selbstinszenierung Evitas und die Verschleierung von Machtinteressen analysiert.
Welche Aspekte der Sozialkritik werden im Musical behandelt?
Das Kapitel zur Sozialkritik analysiert die sexuelle Doppelmoral, die Klassengesellschaft, die Nutzung von Prostitution als Mittel zur finanziellen Freiheit, die Blendung der Volksmassen, die Emanzipation der Frau und den Kontext Argentiniens zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Besondere Aufmerksamkeit wird der Rolle von Che Guevara als kritischer Gegenspieler Evitas gewidmet.
Welche Rolle spielt Che Guevara im Musical?
Che Guevara fungiert im Musical als kritischer Kommentar zu Evita und dem Peronismus. Er repräsentiert die politische Linke und bietet einen Gegenpol zu Evitas Macht und ihrem Einfluss auf die argentinische Gesellschaft.
Welche Zielsetzung verfolgt diese Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Ambivalenz der Darstellung Eva Peróns im Musical „Evita“ zu untersuchen und aufzuzeigen, wie das Musical phantasmagorische Elemente und sozialkritische Aspekte nutzt, um das Bild der historischen Figur zu konstruieren und zu dekonstruieren. Der Fokus liegt auf der Analyse der Inszenierung von Macht, dem Personenkult um Evita und den sozialpolitischen Verhältnissen Argentiniens.
Wie wird die Ambivalenz der Darstellung Evitas im Musical herausgearbeitet?
Die Ambivalenz wird durch die Gegenüberstellung der phantasmagorischen Elemente, die Evita verherrlichen, und der sozialkritischen Aspekte, die das System und ihre Rolle darin hinterfragen, deutlich. Das Musical lässt sowohl eine Verherrlichung als auch eine Kritik an Eva Perón zu und spiegelt so die Komplexität ihrer historischen Figur wider.
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- Sandra Folie (Author), 2011, Evita - eine Pop-Oper rund um ein wundervolles Miststück, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168171