Dem aufmerksamen Fernsehzuschauer wird aufgefallen sein, dass beim
sonntäglichen Fernsehabend immer häufiger Kommissarinnen für den „Tatort“
ermitteln. Aktuell werden Folgen mit fünf verschiedenen weiblichen Ermittlern in
regelmäßigen Abständen gedreht: Lena Odenthal, Inga Lürsen, Klara Blum,
Charlotte Lindholm und Charlotte Sänger kämpfen gegen die Kriminalität. Doch
kämpfen sie auch gegen überholte Geschlechterklischees? Entspricht ihre
Darstellung dem Bild der Frau in unserer Gesellschaft? In dieser Arbeit wird die
Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen anhand von vier ausgewählten Beispielen
untersucht. An ihnen wird aufgezeigt, wie sich die Kommissarinnen entwickelt
haben, und wie gut oder schlecht sie gegen überholte Geschlechterstereotype und
Rollenklischees ankämpfen. Dabei ist die zentrale Fragestellung: Wie hat sich die
Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen von 1978 bis 2003 verändert?
Im ersten Teil (Punkt 2) wird die Darstellung von Frauen in deutschen Fernsehkrimis
bis 1978 reflektiert. Dabei steht im Mittelpunkt der Betrachtungen die Fernsehfrau
und die Merkmale ihrer Darstellung. Der nächste Teil (Punkt 3) beschäftigt sich mit
der realen Polizei: Hier werden das quantitative Auftreten der Polizistinnen und ihre
Rolle in der Männerdomäne Polizei beschrieben. In Punkt 4 folgt eine Darstellung
ausgewählter „Tatort“-Kommissarinnen. Jede ist exemplarisch für eine bestimmte
„Epoche“: In chronologischer Reihenfolge werden die Anfänge mit Marianne
Buchmüller, der Durchbruch mit Lena Odenthal, die Hochzeit mit Inga Lürsen und
die Gegenwart mit Klara Blum untersucht. Neben einer Charakterisierung der
jeweiligen Persönlichkeiten, wird auch das Verhältnis zu den Kollegen und zum
Beruf, das Privatleben, die Beziehungen zu Opfer und Täter in den Vordergrund
gerückt. Das Auftauchen von Geschlechterklischees und Rollenzuweisungen ist
dabei immer wieder ein zentraler Untersuchungsgegenstand. Eingegangen wird auch
auf die Entwicklung der Frauen vor „Tatort“–Zeiten und die Veränderungen der
Kommissarinnen untereinander. Natürlich erhebt diese Darstellung nicht den
Anspruch vollständig zu sein. Die Anzahl der Kommissarinnen und die Vielzahl der
Folgen haben nicht allesamt Beachtung gefunden. Dennoch kann diese Auswahl durchaus wichtige Veränderungen und die Entwicklung insgesamt von 1978 bis
Anfang 2003 nachzeichnen. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Darstellung von Frauen in deutschen Fernsehkrimis 1978
3. Die Realität: Polizei und Gender
4. Die „Tatort“-Kommissarinnen
4.1 Der Anfang: Marianne Buchmüller
4.2 Der Durchbruch: Lena Odenthal
4.3 Die Hochzeit: Inga Lürsen
4.4 Die Gegenwart: Klara Blum
5. Fazit
Literatur
Anhang
1. Einleitung
Dem aufmerksamen Fernsehzuschauer wird aufgefallen sein, dass beim sonntäglichen Fernsehabend immer häufiger Kommissarinnen für den „Tatort“ ermitteln. Aktuell werden Folgen mit fünf verschiedenen weiblichen Ermittlern in regelmäßigen Abständen gedreht: Lena Odenthal, Inga Lürsen, Klara Blum, Charlotte Lindholm und Charlotte Sänger kämpfen gegen die Kriminalität. Doch kämpfen sie auch gegen überholte Geschlechterklischees? Entspricht ihre Darstellung dem Bild der Frau in unserer Gesellschaft? In dieser Arbeit wird die Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen anhand von vier ausgewählten Beispielen untersucht. An ihnen wird aufgezeigt, wie sich die Kommissarinnen entwickelt haben, und wie gut oder schlecht sie gegen überholte Geschlechterstereotype und Rollenklischees ankämpfen. Dabei ist die zentrale Fragestellung: Wie hat sich die Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen von 1978 bis 2003 verändert?
Im ersten Teil (Punkt 2) wird die Darstellung von Frauen in deutschen Fernsehkrimis bis 1978 reflektiert. Dabei steht im Mittelpunkt der Betrachtungen die Fernsehfrau und die Merkmale ihrer Darstellung. Der nächste Teil (Punkt 3) beschäftigt sich mit der realen Polizei: Hier werden das quantitative Auftreten der Polizistinnen und ihre Rolle in der Männerdomäne Polizei beschrieben. In Punkt 4 folgt eine Darstellung ausgewählter „Tatort“-Kommissarinnen. Jede ist exemplarisch für eine bestimmte „Epoche“: In chronologischer Reihenfolge werden die Anfänge mit Marianne Buchmüller, der Durchbruch mit Lena Odenthal, die Hochzeit mit Inga Lürsen und die Gegenwart mit Klara Blum untersucht. Neben einer Charakterisierung der jeweiligen Persönlichkeiten, wird auch das Verhältnis zu den Kollegen und zum Beruf, das Privatleben, die Beziehungen zu Opfer und Täter in den Vordergrund gerückt. Das Auftauchen von Geschlechterklischees und Rollenzuweisungen ist dabei immer wieder ein zentraler Untersuchungsgegenstand. Eingegangen wird auch auf die Entwicklung der Frauen vor „Tatort“–Zeiten und die Veränderungen der Kommissarinnen untereinander. Natürlich erhebt diese Darstellung nicht den Anspruch vollständig zu sein. Die Anzahl der Kommissarinnen und die Vielzahl der Folgen haben nicht allesamt Beachtung gefunden. Dennoch kann diese Auswahl durchaus wichtige Veränderungen und die Entwicklung insgesamt von 1978 bis Anfang 2003 nachzeichnen. Denn von neun Kommissarinnen werden in dieser Arbeit vier untersucht, mehr als zehn Folgen werden dazu herangezogen. Am Ende der Analyse kann man feststellen, dass es keinen einheitlichen Typus einer „Tatort“-Kommissarin gibt. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass sich jedoch die traditionellen Rollenklischees und Geschlechterstereotype abgeschwächt haben.
2. Die Darstellung von Frauen in deutschen Fernsehkrimis bis 1978
Wenn man die Veränderungen in der Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen beschreiben will, kann man nicht auf die Darstellung von Frauen vor ihrem Erscheinen im „Tatort“ verzichten. Denn es ist sehr interessant zu beobachten, inwiefern und ob sich die „Tatort“-Kommissarinnen von früheren Fernsehfrauen unterscheiden. Während es vor allem in den USA viele Studien zur Weiblichkeitsdarstellung gab, sind im deutschen Sprachraum erst Ansätze zu erkennen. Dabei gibt es keine Studien, die die Darstellung von Polizistinnen oder Kommissarinnen explizit untersuchen. Obwohl das Phänomen der weiblichen Ermittler gar nicht so neu ist, denn schon 1913 gab es im deutschen Stummfilm Serien mit Privatdetektivinnen im Mittelpunkt. Auch knüpft das Fernsehen an die Literatur an, in der Frauenkrimis schon viel länger Konjunktur haben. Die Untersuchungen von Röser, Weiderer und Küchenhoff beschäftigen sich darum mit der Darstellung des Frauenbildes allgemein und verweisen nur an einigen Stellen auf Polizistinnen, Detektivinnen und Kommissarinnen. Dabei stellen sie Merkmale in der Darstellung von Frauen fest, die immer wieder auftauchen und somit für die Fernsehfrau charakteristisch sind.
Als erstes, wesentliches Merkmal kann man feststellen, dass Frauen im deutschen Fernsehen quantitativ stark unterrepräsentiert sind. Im Zeitraum „von 1953 bis 1977 waren im Durchschnitt nur drei von zehn Rollen mit einer Frau besetzt“ (Weiderer, S.34). Hinzu kommt, dass Frauen weitaus weniger handlungstragende Rollen als Männer spielen. Weiderer führt an, dass „lediglich 18% eine Hauptrolle bzw. eine wichtigere Rolle als die männlichen Darsteller“ (S.42) einnehmen. Nur in Liebes- und Familienfilmen herrscht ein quantitatives Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern (vgl. Küchenhoff, S.241). In Nachrichtensendungen beträgt der Anteil der Moderatorinnen sogar nur 9 Prozent (Röser/Kroll, S.11). So kann man von einer starken Unterrepräsentation von Frauen sprechen. Diese stimmt mit der realen Gesellschaftssituation, in der ein ausgeglichenes Verhältnis von Männer und Frauen besteht, nicht überein. Nebenbei bemerkt, zeigt auch die Rollenverteilung in den Fernsehanstalten eine vehemente Benachteiligung von Frauen. So kann man auf die Frage, wo man Frauen im deutschen Fernsehen vor 1978 sehen konnte, vor allem antworten: Vor dem TV-Schirm, als Zuschauerinnen.
Wenn Frauen auftreten, sind sie für den Handlungsablauf unwichtig: Ihre Funktion ist laut der Untersuchung von Küchenhoff folgende: „Sie sind alle schön, weiblich, attraktiv, in erster Linie jedoch stumm. Da ihr realer Beitrag zum Handlungsablauf nur äußerst geringfügig ist, werden sie reduziert auf die Funktion von Glamour und Dekor“ (S.241). So dient zum Beispiel die Frau in einem frühen deutschen Fernsehkrimi, der Verfilmung von Friedrich Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“ von 1957, als Mordmotiv und damit als Ausgangspunkt der Handlung. Für den weiteren Handlungsverlauf bleibt sie relativ unwichtig. Man kann nicht feststellen, dass in dieser Verfilmung auch nur eine wirkliche Hauptrolle mit einer Frau besetzt ist. Die aktive und die planende Rolle bleibt somit meistens den Männern vorbehalten, Frauen bleiben ein passives Accessoires. So kann man auf ein in der Praxis gültiges Muster schließen: „Männer handeln – Frauen kommen vor“ (ebd., S.242).
Es gibt zwei übergeordnete Leitbilder in der Darstellung von Frauen: „Neben dem traditionellen Leitbild der Hausfrau und Mutter steht das Leitbild der jungen, schönen und unabhängigen Frau“ (ebd., S.244). Diese beiden Frauentypen tauchen bei Francis Durbridges Mehrteiler „Das Halstuch“ von 1962 auf: Die brave und schutzbedürftige Frau wird dabei von der Ehefrau des ermittelnden Kommissars charakterisiert. Während der Kommissar ermittelt, trifft er im „Halbweltmilieu“ auf eine Prostituierte. Diese stellt eine Art „femme fatale“ dar, weil sie ihren Körper und dessen Erotik zur Durchsetzung ihrer kriminellen Ziele einsetzt. Dennoch haben beide Frauen gemeinsam, dass sie beide dem Schutz des Kommissars bedürfen. Die Schutzbedürftigkeit von Frauen ist ein Muster, dass ebenfalls charakteristisch für die Fernsehfrau ist.
Interessant an beiden Leitbildern ist weiter, dass jüngere Frauen stark überrepräsentiert sind, vorwiegend kommen Frauen unter 30 Jahren vor. Während sie dem herrschendem Schönheitsideal unterliegen, sind die Männer vergleichsweise unattraktiv und älter. Angaben über den Familienstand sind bei Frauen sehr wichtig, denn sie werden durch ihn charakterisiert. Die Familie ist beim mütterlichen Typ das Hauptwirkungsfeld. Röser und Kroll sprechen von einer starken Fixierung auf Ehe und Familie, in der die Familie das Tätigkeitsfeld ist, in denen Frauen aktiv sind und das ihnen zugeordnet wird (vgl. S.11). Darum werden „Frauen häufiger als Männer mit den Themenbereichen „‘Ehe’ und ‘Familie’ in Verbindung gebracht“ (Weiderer, S.36). Gerne, so scheint es, nehmen sie die Rolle der Hausfrau und Mutter ein. Die junge Frau ist meistens attraktiv, berufstätig und ungebunden. Allerdings ist sie an ihrem Beruf oft nur wenig interessiert, ihre Berufstätigkeit ist „lediglich die Vorstufe zur Hausfrau“ (ebd., S.45). Denn: „Bei einer Heirat wurde der Beruf immer aufgegeben“ (ebd., S.44). So wird ein Bild gezeichnet, in dem Frauen Beruf und Partnerschaft nicht in Einklang bringen können.
Ferner gibt es eine Wertung von verheirateter und unverheirateter Frau: Der Status einer Ehefrau ist höher als der einer ledigen Frau. Dies kann man beispielsweise in der Krimiserie „Stahlnetz“, die von 1958-68 ausgestrahlt wurde, beobachten: Dort wurden in der Folge „Die blaue Mütze“ von 1961 die Aussagen einer verheirateten Frau als seriös und glaubwürdig eingeschätzt, während man die Aussagen einer unverheirateten Frau nicht ernst nahm. Wenn nun aber eine Frau gezielt auf den beruflichen Erfolg hinarbeitet, geht das damit einher, dass sie auf Partnerschaft und Kinder verzichten muss. Außerdem wird sie fast ausschließlich negativ als stark karriereorientiert bewertet. Die meisten der berufstätigen Frauen wurden als unglücklich oder als unverheiratet dargestellt. In diesem Zusammenhang kann man von einer idealisierenden Zurückdrängung in familiäre Zusammenhänge sprechen.
Beide Leitbilder haben in der Darstellung einiges gemeinsam, das die typisch weibliche Fernsehfrau ausmacht: So sind Frauen meistens mit den Attributen Unsicherheit, Unselbständigkeit, Schutzbedürftigkeit, Emotionalität und Passivität belegt. Männer hingegen sind autonom und aktiv, souverän und rational. Die Eigenschaften des Mannes schließen die der Frau aus - und umgekehrt. Dadurch, dass Frauen hilflos erscheinen, eröffnet sich dem Mann ein größerer Handlungsspielraum (vgl. Röser/Kroll, S.11/ Weiderer, S.39).
Ferner besitzen Frauen Verhaltensweisen, die man grob mit Unterordnung zusammenfassen könnte: Sie bedienen andere, sie gehorchen Männern und sie verbergen die eigene Kompetenz. So wird ein patriarchalisches Gesellschaftsbild gezeichnet. Dieses zeigt sich auch in der Krimiserie „Der Kommissar“ (ab 1963). Dort gibt der Kommissar den Ton an, sein Wort zählt. Die berühmte „Bildschirmkaffeetante“ Fräulein Rehbein stellt hingegen den Typ der umsorgenden und aufopfernden Sekretärin dar, die die Kompetenz ihres männlichen Vorgesetzten nicht in Frage stellt.
Zum Klischeebild der Fernsehfrau gehört auch, dass sie naiv ist - und wenn sie jung ist, ständig nach einem Partner sucht. Alte Frauen hingegen sind oft klatsch- und streitsüchtig, aber auch angepasst, ordentlich, pflichtbewusst und fürsorglich (vgl. Weiderer, S.45). In Partnerschaften treffen die Männer die Entscheidungen, Frauen handeln oft erst, nachdem sie ihren Mann um Rat gefragt haben. Eine gleichberechtigte Partnerschaft wird nicht verwirklicht. Ein weiteres Beispiel für das patriarchalische Rollenverhältnis im frühen, deutschen Fernsehen.
Die Inszenierung von männlichen und weiblichen Körpern unterscheidet sich ebenfalls stark: Röser und Kroll sprechen von einer „sexistische[n] Inszenierung und Zur-Schau-Stellung des weiblichen Körpers“ (S.12). Durch Anspielungen und Kommentare, sogenannte „verbale Sexualisierungen[1] “ (vgl. ebd., S.13), werden Frauen immer wieder an ihren körperlichen Vorzügen gemessen. Dadurch sind sie in erster Linie sexuelle Wesen, die auf ihre Körper reduziert sind. Auch Weiderer beobachtet: „In Interaktionen mit Männern wurden Frauen als Sexobjekte behandelt, deren Aussehen einer Bewertung unterzogen wurde“ (S.38). Doch es gibt auch visuelle Sexualisierungen: Durch die Kameraführung, die den weiblichen Körper fokussiert und ihn bildlich in den Vordergrund rückt, werden Frauen zu einem Dekorationsobjekt. Eine Fokussierung von weiblichen Körpern findet meistens sogar statt, ohne dass diese für den Handlungsablauf notwendig ist (vgl. Röser/Kroll, S.13). Die Inszenierung des weiblichen Körpers erhält rein sexuelle Bedeutung. Die verbale und die visuelle Form der Sexualisierung von Frauen fehlen in fast keiner Sendung. „Von 57 gesichteten Sendungen an einem Fernsehabend kommen in 36 Sendungen Sexualisierungen außerhalb von erotischen Situationen vor“ (ebd., S.13). Vor allem in Krimiserien sind Sexualisierungen sehr häufig anzutreffen, Frauen sind dort oft leicht bekleidet oder in körperbetonter Kleidung zu sehen. Sie werden beim Ausziehen oder in Badeszenen weit häufiger nackt gezeigt als Männer. Verbale Sexualisierungen treten im Allgemeinen häufiger auf als visuelle. So kann man feststellen, dass Frauen sehr einseitig gezeigt werden. Ihr Körper wird sexistisch inszeniert, so dass ihnen immer eine sexuelle Bedeutung zur Seite steht.
Weiter kann man feststellen, dass im Fernsehen vor allem Frauen aus der Mittelschicht gezeigt werden. Frauen aus den unmittelbar in der Produktion arbeitenden Milieus kommen fast nie vor. „Unter den 233 untersuchten Frauenrollen waren nur 3 Arbeiterinnen zu finden. Diese stellen jedoch den Anteil von 35% aller erwerbstätigen Frauen in der Bundesrepublik“ (Küchenhoff, S.243/ vgl. auch Weiderer, S.43). Ebenfalls interessant ist, dass sich 35 Prozent aller dargestellten Frauen einer Schichtzuordnung vollends entziehen. Wie diese Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen, bleibt gänzlich im Unklaren.
Frauen, die einer erwerbstätigen Arbeit zugeordnet werden können, lassen sich in zwei Typen aufteilen, die gleichzeitig eine Wertung beinhalten (vgl. Küchenhoff, S.243): Der erste Typ ist eine Art „femme fatale“: Sie lebt in kriminellen Subkulturen und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Prostituierte oder Lebedame. Ein Beispiel dafür war der bereits oben erwähnte Durbridge-Mehrteiler „Das Halstuch“. Ihre zentrale Charaktereigenschaft besteht darin, dass sie ihre Sexualität für ihre Ziele ausnutzt und Gesetze überschreitet. Die andere Gruppe bilden Detektivinnen und Polizistinnen: „Diese typischen ‘Fernsehberufe’ und ihre relativ hohe Besetzung durch Frauen vermitteln auch hier wieder ein entstelltes Bild der Wirklichkeit“ (ebd.). Allgemein sind berufstätige Frauen „in typisch weiblichen, untergeordneten Berufen mit geringem Status“ (Weiderer, S.44) vertreten. Frauen fördern in erster Linie die Karriere ihres Mannes, Männer aber nicht die Karriere ihrer Partnerin. Außerdem werden sie meistens in einem typisch weiblichen Berufsfeld gezeigt.
Zudem ist für deutsche Fernsehkrimis charakteristisch, dass Probleme von Frauen nicht thematisiert werden. Dargestellte Berufstätigkeit dient dazu, Frauen einen gesellschaftlichen Status zuzuweisen. Aber: „Die Doppelbelastung durch Familie und Beruf kam nie zur Sprache“ (Weiderer, S.43). Diese Darstellung spiegelt nicht die gesellschaftliche Realität wieder, denn „Die Darstellerinnen haben sich nur wenig mit der Knappheit von Zeit und Geld auseinanderzusetzen und können scheinbar frei von allen Zwängen agieren“ (Küchenhoff, S.246). Frauen werden äußerst selten bei der Verrichtung ihrer Berufstätigkeit dargestellt. Ein weiteres Indiz dafür, dass ihr Beruf für den Handlungsablauf relativ unwichtig ist und vor allem der Statuszuweisung dient. Die Lebenssituationen von Frauen mit den zentralen Tätigkeiten vieler Frauen, wie Kinderbetreuung und Hausarbeit, werden auch nicht kritisch thematisiert. Man kann davon sprechen, dass es einen „Mangel an kritischen Analysen und Auseinandersetzungen mit der aktuellen Frauensituation gibt“ (ebd., S.248). Gerade am Nachmittag, an dem Frauen den Großteil des Publikums bilden, sind diese Themen ein Tabu. Wenn Sendungen explizite Frauenfragen besprechen, sind paradoxerweise meistens Männer diejenigen, die die Sendungen gestalten.
Küchenhoff stellt weiter fest, dass die Fernsehfrau unpolitisch ist (vgl. S.246). Weil sie sich in gesellschaftskritischen und politischen Belangen als uninformiert zeigt, wird sie in diesen Bereichen nicht aktiv. „Bei 93% der untersuchten Frauenrollen in Spielfilmen u.ä. ließen sich weder Anzeichen für politisches Interesse, noch Hinweise auf eine vage politische Informiertheit feststellen“ (ebd., S.247). So bleibt die Fernsehfrau gänzlich der Gefühlswelt und deren Irrungen und Wirrungen verhaften. Für sie spielt Politik keine Rolle, es scheint, als ob sie in einem politikfreien Raum leben. Das politische Desinteresse wird häufig „verbunden mit einer Darstellung, welche impliziert, daß die Frau nicht ernst zu nehmen ist“ (Weiderer, S.46). Fernsehfrauen machen keine Versuche, in die Männerdomäne Politik einzudringen. Politisches Desinteresse scheint ein selbstverständlicher Bestandteil von Weiblichkeit zu sein. Weiderer berichtet davon, dass „Frauen weniger intelligent und weniger gut ausgebildet“ (S.43) als Männer sind. Keine Frage ist, dass diese Fernsehwelt nicht der Wirklichkeit entspricht.
Nicht halten lässt sich hingegen die Annahme, dass Frauen häufiger als Männer die Opfer feindseligen Humors sind. Dagegen werden im Gewaltkontext Geschlechterstereotype ebenfalls fortgeschrieben (vgl. Röser/Kroll, S.16ff): Die Ausübung von Gewalt ist in erster Linie Männersache. 91 Prozent der Angreifer sind männlichen Geschlechts. Als Gewaltopfer sind Frauen stark überrepräsentiert: Sie machen 15 Prozent der Opfer aus, obwohl nur 9 Prozent der Angreifer Frauen sind. Frauen sind als Gewaltopfer oft der Ausgangspunkt der Handlung, als Beispiel dient hier wieder Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“. Der Mord an einer Frau leitet den Beginn des Krimis ein, im weiteren Verlauf wird dieser aufgeklärt.
Wenn man männliche und weibliche Gewaltopfer vergleicht, lässt sich eine weitere Besonderheit bei den Frauen feststellen: Während Männer sich aktiv wehren, versuchen Frauen mehr oder weniger zaghaft zu fliehen. Wenn der Fluchtversuch misslingt, ist ein zweiter Mann oft der Retter der Frau. Die Passivität der Frau ermöglicht ihm dabei erst, sich heldenhaft darzustellen. Gewalttäterinnen unterscheiden sich stark von männlichen Tätern: „sie handeln oft aus emotionalen, psychologischen Motiven und meist im privaten Beziehungsumfeld“ (ebd., S.17). Dabei handeln Frauen aus Angst, Verzweiflung und zur Selbstverteidigung. Auch hier wird das Private charakteristisch den Frauen zugeordnet, während Männer Gewalt im Kontext von Kriminalität und Krieg ausüben. In Szenen, in denen Frauen Zuschauer von Gewalt sind, dienen sie der Dramatik und dem Spannungsaufbau. Sie kreischen, schluchzen, schreien und weinen.
Häufig findet eine Kombination von Gewalt und Sexualisierung statt. Aufgrund ihres Geschlechts werden Frauen zum Opfer von Gewalt. Als Beispiel dient hier der Frauenmörder, der Frauen aufgrund ihres Geschlechts umbringt. Oder der Ehemann, der seine Frau aus Eifersucht schlägt. In diesem Sinne gibt es kaum eine Form der Gewalt, die nicht in direkter oder indirekter Weise Bezug auf das weibliche Geschlecht nimmt. Die Darstellung von Gewalt verfolgt ein sehr einseitiges Muster: Entweder kommen Frauen gar nicht vor, oder sie sind in der Rolle des hilflosen Opfers gefangen.
Diese Merkmale der Darstellung von Frauen vor 1978 lassen darauf schließen, dass die Fernsehanstalten traditionelles Rollenverhalten ungebrochen und unbekümmert in immer wieder neuen Varianten produzieren. Die Darstellung der Fernsehfrauen bleibt einseitigen Rollenklischees und Geschlechterstereotypen verhaften. Die oben aufgeführten Merkmale wiederholen sich immer wieder und verfestigen das Idealbild von der Frau als Hausfrau und Mutter. Abweichungen von diesem Idealbild werden negativ belegt. Frauen übernehmen im Gegensatz zu Männern nur selten handlungstragende Rollen. Stattdessen sind sie häufig Gewaltopfer und bilden so oftmals den Ausgangspunkt der Handlung von Krimisendungen. Der weibliche Körper wird häufig sexualisiert, der Charakter der Fernsehfrau kann als passiv beschrieben werden.
3. Die Realität: Polizei und Gender
Das Konzept des „Tatortes“ ist es, ein realistisches Bild der Wirklichkeit darzustellen. „ Nach dem Rezept seines Erfinders Gunther Witte sollte der Tatort glaubhafte und realistische Geschichten erzählen“ (Wenzel, S.10). So begleitet der „Tatort“ seit über 30 Jahren die „Gegenwartsgeschichte der Bundesrepublik“ und kann als „unbewusste Geschichtsschreibung“ (ebd., S.7) verstanden werden. Die Frage ist, ob es ihm in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse in der deutschen Polizei und der Rolle der Frau in der Polizei gelungen ist. In diesem Punkt wird die Realität deutscher Polizistinnen dargestellt, damit anschließend ein Vergleich zwischen der Darstellung der Kommissarinnen im „Tatort“ und den deutschen Polizistinnen gezogen werden kann.
Heute werden Frauen und Männer als gleich gut geeignet für den Polizeiberuf angesehen, und es wird behauptet, die Integration von Frauen in die Männerdomäne Polizei sei gelungen (vgl. Franzke). Die Zahlen über die Männer- und Frauenanteile in der Polizei verweisen jedoch darauf, dass es weiterhin ein Ungleichheitsverhältnis gibt: Eine allgemeine Öffnung der Schutz- und Kriminalpolizei für Frauen erfolgte in Deutschland erst in den 70er und 80er Jahren. Der Vorreiter dabei ist Berlin, hier bestand 1978 für Politessen die Möglichkeit zur Schutzpolizei umgeschult zu werden (vgl. ebd., S.66). Das letzte Bundesland, was sich zu diesem Schritt erst 1990 entschließen konnte, ist Bayern. „1993 gab es in der Bundesrepublik insgesamt 18.046 Frauen in der Schutz- und Kriminalpolizei – die neuen Bundesländer miteinbezogen (Bundesministerium des Innern, 1993). Den höchsten Frauenanteil haben Thüringen und Sachsen mit über 10 Prozent. Den geringsten Frauenanteil besitzen Bayern und Baden-Württemberg mit etwa 6, Bremen mit 5 und das Saarland mit 3 Prozent“ (ebd., S.67).
Die Tatortkommissarinnen sind in der Mordkommission tätig, doch es wurden keine Zahlen gefunden, die Auskunft darüber geben, wie viele Frauen real hier tätig sind. Jedoch ist eine interessante Entwicklung zu bemerken, die sich allerdings nur auf Nordhrein-Westfalen bezieht: „Der Frauenanteil hat sich in der Schutzpolizei kontinuierlich erhöht, während der Frauenanteil in der Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalen stagniert. Hier sind Ende des Jahres 2000 knapp 10% Frauen beschäftigt; ihr Anteil ist damit sogar wieder leicht rückläufig“ (Müller et al., S.28). Für Baden-Württemberg ist dies nicht zu bestätigen. Hier ist in der Kriminalpolizei ein leichter Anstieg des Frauenanteils zu beobachten, wenn er auch nicht mit dem starken Anstieg in der Schutzpolizei zu vergleichen ist (vgl. ebd., S.29). Der Anteil von Frauen in Führungspositionen, das heißt der Anteil von Frauen im höheren Dienst „beträgt in NRW im Bereich der Schutzpolizei 3,9%, in der Kriminalpolizei 9,4% (Stand 2000)“ (ebd., S.29).
Ein DFG-Projekt mit dem Titel „Geschlechterkonstruktionen und Organisationswandel am Beispiel Polizei“ (vgl. ebd.) untersucht derzeit Fragen in Bezug auf die Rolle der Frau in der Polizei. Sie beschäftigen sich unter anderem damit, wie Geschlechterstereotype in der Organisation Polizei wirken, und wie Frauen und Männer in der Polizei wahrgenommen werden. Das Projekt wurde noch nicht abgeschlossen, doch es liegen schon aufschlussreiche Informationen darüber vor.
Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass Frauen und Männer geeignet sind für den Polizeiberuf. Frauen sind gleichgestellt und „Zugang, Laufbahn und Tätigkeitsbereiche unterscheiden sich nicht von denen der männlichen Kollegen“ (ebd., S.35) Doch „die Wahrnehmung von Frauen und Männern scheint sich nach wie vor an den tradierten Geschlechterrollen oder auch sogenannten geschlechtstypischen Eigenschaften zu orientieren“ (ebd., S.34). Die Geschlechterstereotype bleiben bestehen. Es wird immer noch behauptet, Männer bringen die für diesen Beruf geforderten Eigenschaften „von Natur aus“ mit: körperliche Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Härte oder Rationalität. Frauen dagegen werden Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, deeskalierende oder kommunikative Kompetenzen zugeschrieben, deren Bedeutung für den Polizeiberuf als nachrangig beurteilt wird (vgl. ebd.).
„Polizistinnen, die mit ihrer Arbeit „ihren Mann“ stehen und anerkannt werden wollen, sehen sich häufig unter dem Druck, sich männlichen Normen, männlicher Sprache, männlichen Verhaltensweisen anzupassen“ (ebd.). Dabei geben Frauen ihre Weiblichkeit und damit ein Stück ihrer Identität auf. Sie geben sich asexuell und ihnen wird ein Mangel an Attraktivität zugeschrieben. „Umgekehrt besteht für die Polizistin, die ihre Weiblichkeit betont, die Gefahr, als schwach und ungeeignet für den Polizeiberuf angesehen zu werden“ (ebd.). So ist das Geschlecht im polizeilichen Alltag nach wie vor von Bedeutung.
Wenn sich die Wahrnehmung von Frauen und Männern in der Polizei an den traditionellen Geschlechterrollen orientiert, dann ist anzunehmen, dass sich dies in der Vorstellung von Kommissarinnen und Polizistinnen in den Fernsehanstalten, bei den MacherInnen der „Tatort“-Kommissarinnen und bei den TV-ZuschauerInnen fortsetzt. Auch wenn der „Tatort“ Fiktion ist, und man das bei einem Vergleich der Darstellung der „Tatort“-Kommissarinnen und realer Kommissarinnen nicht vergessen darf, wird es gewisse Parallelen geben. Schließlich recherchieren die Autoren, Produzenten etc. vor der Gestaltung einer Figur.
Im Folgenden wird untersucht, ob die „Tatort“-Kommissarinnen mit den gerade beschriebenen Geschlechterstereotypen zu kämpfen haben.
[...]
[1] Als Sexualisierung erfasste die Studie von Röser und Kroll verbale Anspielungen und Körperthematisierungen, visuelle Körperinszenierungen und die einseitige Berührung des Körpers.
- Arbeit zitieren
- Sarah Freund (Autor:in), Julia Sürken (Autor:in), 2003, Die Tatort-Kommissarinnen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16792
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