„Das Ausmaß weißer Flecken auf einer Landkarte stellt sich oft erst dann heraus, wenn man ein neues Land tatsächlich betritt.“ Im Rahmen dieser Arbeit geht die „Reise“ in das „neue Land“ des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, wobei die „Landschaft“ der Bilanzierung latenter Steuern erkundet werden soll.
Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) stellt die umfangreichste und bedeutendste Reform des deutschen Bilanzrechts der letzten 25 Jahre dar. Ziel dieses Gesetzes ist die Verbesserung der Informationsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, um das deutsche Bilanzrecht für den Wettbewerb mit der internationalen Rechnungslegung der IFRS zu stärken. Darüber hinaus soll das deutsche Bilanzrecht eine einfachere und kostengünstigere Alternative zu den IFRS darstellen. Das BilMoG führt u.a. zu Veränderungen der Ansatz- und Bewertungsvorschriften für Rückstellungen sowie der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit. Zu den wesentlichsten Neuerungen zählt - neben den zuvor aufgeführten Änderungen - die Neufassung der §§ 274 und 306 HGB zur Abgrenzung latenter Steuern sowohl im handelsrechtlichen Einzel- als auch im Konzernabschluss. Die bilanzielle Abbildung latenter Steuern war eines der umstrittensten Themengebiete im Gesetzgebungsverfahren. Während latente Steuern im handelsrechtlichen Einzelabschluss in der Vergangenheit eher ein „Schattendasein“ fristeten, erfährt die Thematik der latenten Steuerabgrenzung im Zuge des BilMoG aufgrund der Ausdehnung der Abgrenzungskonzeption sowie der durch das BilMoG herbeigeführten zunehmenden Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz eine erhebliche Aufwertung. Die mit der Neufassung der §§ 274 und 306 HGB verbundenen Änderungen, wie bspw. die Umstellung auf das bilanzorientierte Temporary-Konzept, die Notwendigkeit der Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge bei der Berechnung aktiver latenter Steuern, der separate Ausweis latenter Steuern sowohl in der Bilanz als auch in der Gewinn- und Verlustrechnung sowie die umfangreichen Anhangangaben, haben die Komplexität der Ermittlung und Darstellung latenter Steuern deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Bilanzierung latenter Steuern nach den Vorschriften des BilMoG behandelt und die wesentlichen Neuerungen diskutiert werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob die im Rahmen des BilMoG verabschiedeten Änderungen mit den Zielsetzungen des BilMoG im Einklang ....
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2. Gang der Untersuchung
2. Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
2.1. Grundlegendes zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
2.2 Zielsetzung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
3. Theoretische Grundlagen der Steuerabgrenzung
3.1. Entstehung und Bedeutung latenter Steuern
3.2. Konzepte der Abgrenzung latenter Steuern
3.2.1. Timing-Konzept
3.2.2. Temporary-Konzept
3.2.3. Vergleich der Abgrenzungskonzepte
3.3. Methoden der Abgrenzung latenter Steuern
3.3.1. Deferred-Methode
3.3.2. Liability-Methode
3.4. Klassifizierung von Differenzen
3.4.1. Zeitlich begrenzte Differenzen
3.4.2. Quasi-permanente Differenzen
3.4.3. Permanente Differenzen
3.4.4. Erfolgsneutral entstandene Differenzen
4. Bilanzierung latenter Steuern im Einzelabschluss nach § 274 HGB
4.1. Bedeutung latenter Steuern nach BilMoG
4.2. Ansatz latenter Steuern
4.2.1. Anwenderkreis
4.2.2. Ermittlungskonzeption
4.2.3. Gesamtdifferenzbetrachtung
4.2.4. Aktivierungswahlrecht und Passivierungspflicht latenter Steuern
4.2.5. Latente Steuern auf Verlust- und Zinsvorträge sowie Steuergutschriften
4.2.6. Ansatz latenter Steuern bei bestimmten Sonderfällen
4.2.7. Erfolgswirksame oder erfolgsneutrale Bildung und Auflösung latenter Steuern
4.3. Bewertung latenter Steuern
4.3.1. Relevanter Steuersatz
4.3.2. Abzinsung
4.4. Ausweis latenter Steuern
4.4.1. Ausweis in der Bilanz
4.4.2. Ausweis in der GuV
4.4.3. Ausweis im Anhang
4.5. Ausschüttungssperre nach § 268 Abs. 8 HGB
4.6. Latente Steuern bei kleinen Kapitalgesellschaften und Nicht-Kapitalgesellschaften
4.7. Latente Steuern bei ertragsteuerlichen Organschaften
4.8. Abschließender Vergleich der Regelungen vor und nach BilMoG
5. Besonderheiten bei Personengesellschaften i.S.d. § 264a HGB
5.1. Steuerliche Besonderheiten bei Personengesellschaften
5.2. Auswirkungen der steuerlichen Besonderheiten auf die Ermittlung latenter Steuern
5.2.1. Abgrenzung latenter Steuern auf Ebene der Personengesellschaft
5.2.2. Abgrenzung latenter Steuern auf Ebene der Mitunternehmer
6. Bilanzierung latenter Steuern im Konzernabschluss nach § 306 HGB
6.1. Ansatz latenter Steuern
6.1.1. Grundlagen
6.1.2. Abgrenzung latenter Steuern aus Konsolidierungsmaßnahmen
6.1.3. Ausnahmen vom Ansatz latenter Steuern
6.2. Bewertung latenter Steuern
6.3. Ausweis latenter Steuern
6.3.1. Ausweis in der Konzernbilanz
6.3.2. Ausweis in der Konzern-GuV
6.3.3. Ausweis im Konzernanhang
7. Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Rechtsquellen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Symbolverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Berücksichtigung passiver latenter Steuern im Rahmen der Ausschüttungssperre gem. § 268 Abs. 8 HGB
Abb. 2: Latente Steuern im handelsrechtlichen Konzernabschluss
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Missverhältnis zwischen Steueraufwand und Handelsbilanzergebnis bei Nichtberücksichtigung latenter Steuern
Tab. 2: Korrektur des Missverhältnisses zwischen Steueraufwand und Handelsbilanzergebnis durch Bildung latenter Steuern
Tab. 3: Vergleich Timing-Konzept und Temporary-Konzept
Tab. 4: Handels- und Steuerbilanz der X-AG
Tab. 5: Aktive und passive latente Steuern der X-AG
Tab. 6: Berechnung des Ertragsteuersatzes einer Kapitalgesellschaft
Tab. 7: Ermittlungsschema zur Bestimmung des ausschüttungsfähigen Betrags unter Berücksichtigung der Ausschüttungssperre gem. § 268 Abs. 8 HGB
Tab. 8: Berechnungsbeispiel zur Ausschüttungssperre gem. § 268 Abs. 8 HGB
Tab. 9: Vergleich der Bilanzierung latenter Steuern vor und nach BilMoG
Tab. 10: Berechnung der latenten Steuern im Rahmen der Erstkonsolidierung
Anlagenverzeichnis
Anhang 1: Beispielhafter Aufbau der Anhangangabe gem. § 285 Nr. 29 HGB
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
„Das Ausmaß weißer Flecken auf einer Landkarte stellt sich oft erst dann heraus, wenn man ein neues Land tatsächlich betritt.“[1] Im Rahmen dieser Arbeit geht die „Reise“ in das „neue Land“ des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, wobei die „Landschaft“ der Bilanzierung latenter Steuern erkundet werden soll.
Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) stellt die umfangreichste und bedeutendste Reform des deutschen Bilanzrechts der letzten 25 Jahre dar. Ziel dieses Gesetzes ist die Verbesserung der Informationsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, um das deutsche Bilanzrecht für den Wettbewerb mit der internationalen Rechnungslegung der IFRS zu stärken. Darüber hinaus soll das deutsche Bilanzrecht eine einfachere und kostengünstigere Alternative zu den IFRS darstellen.[2] Das BilMoG führt u.a. zu Veränderungen der Ansatz- und Bewertungsvorschriften für Rückstellungen sowie der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit. Zu den wesentlichsten Neuerungen zählt - neben den zuvor aufgeführten Änderungen - die Neufassung der §§ 274 und 306 HGB zur Abgrenzung latenter Steuern sowohl im handelsrechtlichen Einzel- als auch im Konzernabschluss. Die bilanzielle Abbildung latenter Steuern war eines der umstrittensten Themengebiete im Gesetzgebungsverfahren. Während latente Steuern im handelsrechtlichen Einzelabschluss in der Vergangenheit eher ein „Schattendasein“ fristeten, erfährt die Thematik der latenten Steuerabgrenzung im Zuge des BilMoG aufgrund der Ausdehnung der Abgrenzungskonzeption sowie der durch das BilMoG herbeigeführten zunehmenden Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz eine erhebliche Aufwertung. Die mit der Neufassung der §§ 274 und 306 HGB verbundenen Änderungen, wie bspw. die Umstellung auf das bilanzorientierte Temporary-Konzept, die Notwendigkeit der Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge bei der Berechnung aktiver latenter Steuern, der separate Ausweis latenter Steuern sowohl in der Bilanz als auch in der Gewinn- und Verlustrechnung sowie die umfangreichen Anhangangaben, haben die Komplexität der Ermittlung und Darstellung latenter Steuern deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Bilanzierung latenter Steuern nach den Vorschriften des BilMoG behandelt und die wesentlichen Neuerungen diskutiert werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob die im Rahmen des BilMoG verabschiedeten Änderungen mit den Zielsetzungen des BilMoG im Einklang stehen.
1.2. Gang der Untersuchung
In Kapitel zwei werden zunächst einerseits allgemeine Grundlagen zum BilMoG, wie z. B. die Beweggründe zur Verabschiedung des Gesetzes sowie das Gesetzgebungsverfahren erläutert. Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht werden soll, ob die in Bezug auf die latente Steuerabgrenzung vorgenommenen Änderungen mit den Zielen des BilMoG korrespondieren, werden anderseits die grundlegenden Ziele des Gesetzgebers mit der Einführung des BilMoG beschrieben.
Um ein Grundverständnis für die Entstehung und Systematik der latenten Steuern zu vermitteln werden im dritten Kapitel die Grundlagen der latenten Steuerabgrenzung dargestellt und daneben ein Überblick über die verschiedenen Abgrenzungskonzepte und -methoden sowie Differenzarten gegeben.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Bilanzierung latenter Steuern im Einzelabschluss nach § 274 HGB, welche im vierten Kapitel behandelt wird. Das Kapitel stellt die in Bezug auf Ansatz, Bewertung und Ausweis latenter Steuern erfolgten Änderungen umfassend dar, wobei stets ein Vergleich zu der Regelung vor BilMoG vorgenommen wird. Die durch das BilMoG entstandenen Änderungen im Rahmen der latenten Steuerabgrenzung haben einen Bedeutungswandel in diesem Bereich hervorgerufen, wodurch eine intensive Beschäftigung mit dem Thema „Latente Steuern“ im HGB-Ein- zelabschluss unverzichtbar geworden ist. Die Gründe für diesen Wandel werden in Kapitel 4.1. aufgezeigt. Im Bereich der Ansatzvorschriften wird in Kapitel 4.2. insbesondere auf den Konzeptionswechsel vom bisher gültigen Timing-Konzept auf das international gebräuchliche Temporary-Konzept eingegangen sowie die Einführung der Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge bei der Berechnung aktiver latenter Steuern näher betrachtet. Die Bewertung latenter Steuern wird in Kapitel 4.3. behandelt. Hinsichtlich des Ausweises latenter Steuern führt der Gesetzgeber einen eigenen Sonderposten für aktive und passive latente Steuern ein und hält an dem Saldierungswahlrecht fest. In Kapitel 4.4. wird zum einen untersucht, ob der Ausweis aktiver und passiver latenter Steuern unter einem eigenen Sonderposten gerechtfertigt ist. Zum anderen werden die verschiedenen Ausweismöglichkeiten in der Bilanz aufgezeigt, die sich durch das Sal- dierungs- und Aktivierungswahlrecht ergeben. Die hieraus resultierenden bilanzpolitischen Möglichkeiten sollen veranschaulicht werden. Da § 274 HGB verpflichtend nur von mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften und entsprechenden Personengesellschaften i.S.d. § 264a HGB anzuwenden ist, wird in Kapitel 4.6. die Frage beantwortet, wie latente Steuern bei kleinen Kapitalgesellschaften und Nicht-Kapitalgesellschaften zu behandeln sind. Weiterhin werden im vierten Kapitel die neu eingeführte Ausschüttungssperre nach § 268 Abs. 8 HGB sowie die Behandlung latenter Steuern bei ertragsteuerlichen Organschaften erörtert. Abschließend erfolgt ein Vergleich der Vorschriften zur Bilanzierung von latenten Steuern vor und nach BilMoG.
Neben mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften müssen entsprechende Personengesellschaften i.S.d. § 264a HGB die Vorschriften zur latenten Steuerabgrenzung nach § 274 HGB beachten. Allerdings ergeben sich bei einer Personengesellschaft im Vergleich zu einer Kapitalgesellschaft steuerliche Besonderheiten. Diese steuerlichen Besonderheiten sowie deren Auswirkungen auf die Abgrenzung latenter Steuern sowohl auf Ebene der Personengesellschaft als auch auf Ebene der Gesellschafter werden in Kapitel fünf dargestellt.
Durch das BilMoG wurden nicht nur die Vorschriften zur Abgrenzung latenter Steuern nach § 274 HGB geändert, sondern ebenfalls die Regelungen in § 306 HGB für den Konzernabschluss. Daher wird in Kapitel sechs auf die Bilanzierung latenter Steuern im Konzernabschluss eingegangen, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Abgrenzung latenter Steuern aus Konsolidierungsmaßnahmen sowie den Ausnahmen vom Ansatz latenter Steuern gelegt wird. Darüber hinaus werden die konzernspezifischen Besonderheiten bei der Bewertung und beim Ausweis latenter Steuern aufgezeigt.
2. Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
2.1. Grundlegendes zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
Das am 29.05.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz - BilMoG) ist die umfangreichste und bedeutendste Reform des deutschen Bilanzrechts seit der Verabschiedung des Bilanzrichtliniengesetzes (BiRiLiG) im Jahre 1985[3] und soll den nationalen Unternehmen moderne und effiziente Bilanzierungsregeln bieten, ohne die bisherigen Eckpunkte der HGB-Bilanzier- ung[4], sowie die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) aufzugeben.[5] In der Vergangenheit gab es zwar zahlreiche Gesetzesänderungen, insbesondere im Konzernabschluss, die im Wesentlichen aber nur einzelne Vorschriften berührten. Das BilMoG hingegen ist eine grundlegende Reform der Rechnungslegung sowohl im Bereich des Einzel- als auch des Konzernabschlusses. Aufgrund der vielfältigen Änderungen wird in diesem Kontext häufig von einem Paradigmenwechsel der deutschen Rechnungslegung gesprochen.[6]
Die Frage nach den Beweggründen für die Verabschiedung des BilMoG kann mit der zunehmenden Internationalisierung der Rechnungslegung beantwortet werden. International wird die Rechnungslegung stark von den International Financial Reporting Standards (IFRS) geprägt. Da weltweit anerkannte und mit einem hohen Informationsgehalt ausgestattete Rechnungslegungsvorschriften eine wesentliche Voraussetzung für einen integrierten und funktionierenden Kapitalmarkt sind, besteht seit 2005 für kapitalmarktorientierte Unternehmen die Verpflichtung, ihren Konzernabschluss nach den IFRS aufzustellen. Der durch die Globalisierung bedingte Internationalisierungsprozess im Rahmen der Rechnungslegung hat zur Folge, dass nicht nur alle kapitalmarktorientierten Unternehmen die IFRS anzuwenden haben, sondern darüber hinaus de facto für alle international tätigen Unternehmen die Pflicht besteht, nach international akzeptierten Standards zu bilanzieren, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die informationsorientierten Anforderungen des internationalen Kapitalmarktes zu erfüllen. Die Bundesregierung hat sich daher zu einer Modernisierung des deutschen Bilanzrechts entschieden, um vor allem mittelständischen Unternehmen eine vollwertige Alternative zu den komplexen und kostspieligen IFRS zu bieten. Das BilMoG soll die bewährte HGB-Bi- lanzierung mit dem höheren Informationsniveau internationaler Standards vereinen.[7]
Der Weg bis zur Verabschiedung des BilMoG war langwierig und von kontroversen Diskussionen, sowohl in der Literatur als auch bei privaten Institutionen, wie bspw. dem Deutschen Standardisierungsrat (DSR) oder dem Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW), geprägt. So wurden z. B. im Bereich der Steuerabgrenzung der verpflichtende gesonderte Bruttoausweis aktiver und passiver latenter Steuern, die Ausschüttungssperre nach § 268 Abs. 8 HGB in der Fassung nach BilMoG, die Überleitungsrechnung im Anhang, die Berücksichtigung von Verlustvorträgen bei der Ermittlung latenter Steuern sowie die Bilanzierung aktiver latenter Steuern umfassend diskutiert[8]. Bereits im Jahr 2003 kündigten das Bundesministerium der Justiz (BMJ) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in einer gemeinsamen Presseerklärung die Weiterentwicklung der Bilanzregeln und die Anpassung an internationale Rechnungslegungsgrundsätze an.[9] Es dauerte über vier Jahre, bis im November 2007 vom BMJ der Referentenentwurf des BilMoG veröffentlicht wurde. Im Januar 2008 fand eine Sachverständigenanhörung statt und in der Folgezeit nahmen diverse Verbände Stellung zum Referentenentwurf, sodass Anregungen und Kritik aus Forschung und Praxis Einfluss auf den Entwurf nehmen konnten. Diese Stellungnahmen wurden in den Regierungsentwurf des BilMoG, der im Mai 2008 vorgelegt wurde, einbezogen. Im Anschluss folgten die Stellungnahme durch den Bundesrat sowie die Erwiderung durch die Bundesregierung, eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages und mehrere Lesungen des Gesetzes im Bundestag. Am 03.04.2009 stimmte der Bundesrat schließlich dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts zu, woraufhin das Gesetz am 29.05.2009 in Kraft trat. Die geplante Verabschiedung des Gesetzes für die zweite Jahreshälfte des Jahres 2008 verzögerte sich somit um mehrere Monate. Hauptursache hierfür war die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, da zum einem, bedingt durch die Krise, andere Gesetzesvorhaben in der Vordergrund rückten und zum anderen gewisse inhaltliche Neuerungen des Regierungsentwurfs vor dem Hintergrund der Krise nochmals überdacht und erneut geändert wurden.[10] Die neuen Bilanzierungsregeln sind verpflichtend ab dem 01.01.2010 anzuwenden.
2.2 Zielsetzung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
Die Bundesregierung erklärt in der Gesetzesbegründung zum BilMoG, dass die Unternehmen zur Erstellung ihrer Abschlüsse eine moderne Bilanzierungsgrundlage benötigen, die mit den internationalen Rechnungslegungsstandards konkurrenzfähig ist. Ziel des BilMoG ist daher, das deutsche Bilanzrecht im Wettbewerb mit internationalen Standards zu stärken und zu einer dauerhaften und vollwertigen, aber auch kostengünstigeren und einfacheren Methode weiterzuentwickeln. Im Rahmen des BilMoG sollen außerdem die sog. EU-Abschlussprüferrichtlinie sowie die sog. EU-Abänderungsrichtli- nie in nationales Recht umgesetzt werden.[11] Zu den wesentlichen Zielen der Reform zählen die Deregulierung und Kostensenkung sowie die Verbesserung der Aussagekraft des handelsrechtlichen Jahresabschlusses[12].
Die Entlastung der Unternehmen von vermeidbaren Bilanzierungsaufwendungen soll durch eine Deregulierung der handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten für Einzelkaufleute gewährleistet werden. Dazu werden Einzelkaufleute, die bestimmte neu definierte Schwellenwerte nicht überschreiten, von der handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungspflicht gänzlich befreit. Im Bereich der Kapitalgesellschaften (KapG) und Personenhandelsgesellschaften i.S.d. § 264a HGB sieht das BilMoG ebenfalls eine Anhebung der Schwellenwerte für die Einordnung der Gesellschaften in die verschiedenen Größenklassen vor. Dadurch können mehr Unternehmen als bisher die größenabhängigen Erleichterungen und Befreiungen in Anspruch nehmen, welche mit deutlichen Kosteneinsparungen verbunden sind[13]. Da der HGB-Abschluss nach BilMoG weiterhin als Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung und Ausschüttungsbemessung dienen soll, ist zumindest die Möglichkeit der Erstellung der sog. Einheitsbilanz gegeben, was wiederum vor allem kleinen mittelständischen Unternehmen zusätzlichen Aufwand erspart. Die Bundesregierung beziffert das Einsparungspotenzial aufgrund der Deregulierung auf ungefähr eine Milliarde Euro.[14]
Um die Informationsfunktion des HGB-Abschlusses zu stärken und eine bessere Vergleichbarkeit mit internationalen Abschlüssen zu gewährleisten, wird der rechnungslegungspolitische Gestaltungsspielraum durch die Abschaffung von überholten Ansatz- und Bewertungswahlrechten sowie von Möglichkeiten zur Bildung stiller Reserven eingeschränkt.[15] Der Gesetzgeber bezweckt in diesem Zusammenhang eine maßvolle Annäherung des HGB an die IFRS.[16] Wesentliche Veränderungen bestehen u.a. im Bereich der latenten Steuern, der Aufhebung des Aktivierungsverbotes für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände (VG) und der Rückstellungsbewertung. Daneben trägt die mit der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit verringerte Verzerrung der Handelsbilanz zur Stärkung der Informationsfunktion bei[17]. Die Einführung zusätzlicher Berichtspflichten im Anhang und Lagebericht bewirkt ferner die Verbesserung der Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Abschlüsse, ohne die Komplexität der internationalen Standards zu übernehmen. Das modernisierte HGB soll somit – besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen - eine vollwertige Alternative zu den IFRS[18] darstellen. Neben dem Einzelabschluss steht ebenfalls der Konzernabschluss im Fokus des BilMoG. Primäres Ziel im Rahmen der Konzernrechnungslegung ist die Erhöhung der Transparenz der handelsrechtlichen Konzernabschlüsse.[19]
3. Theoretische Grundlagen der Steuerabgrenzung
Da das Thema der Bilanzierung latenter Steuern sich als komplex erweist, werden in diesem Kapitel zunächst die theoretischen Grundlagen der Steuerabgrenzung dargelegt. Hierbei wird der Zweck sowie die Funktionsweise der latenten Steuern erläutert und auf die verschiedenen Ermittlungskonzepte und Abgrenzungsmethoden eingegangen.
3.1. Entstehung und Bedeutung latenter Steuern
Latente Steuern haben ihren Ursprung in der unterschiedlichen Ermittlung des handelsund steuerrechtlichen Jahresergebnisses aufgrund abweichender Gewinnermittlungsvorschriften. So führen steuerrechtlich abweichende Ansatz- und Bewertungsregeln ggü. der Handelsbilanz zu Differenzen zwischen den beiden Rechenwerken[20]. Die Folge ist, dass der in der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) ausgewiesene Steueraufwand nicht in einem sinnvollen Zusammenhang zum handelsrechtlichen Vor- Steuer-Ergebnis steht. Dem Gewinnausweis in der Handelsbilanz steht also entweder ein zu hoher oder zu niedriger Steueraufwand, in Relation zum Steuersatz, gegenüber. Ist der Steueraufwand aus handelsrechtlicher Perspektive zunächst zu hoch und bei Umkehrung der Differenz zu niedrig, wird dies durch die erfolgswirksame Bildung eines aktiven latenten Steuerpostens ausgeglichen. Per Saldo wird dadurch in der GuV ein geringerer Steueraufwand, bestehend aus tatsächlichen und latenten Steuern, ausgewiesen [21]. Für den umgekehrten Fall, dass der aus der Steuerbilanz übernommene Steueraufwand aus handelsrechtlicher Perspektive zu niedrig ist, ist eine passive latente Steuer zu bilden. Diesen Zusammenhang soll das nachfolgende Beispiel[22] verdeutlichen:
Beispiel 1:
Die A-AG erwartet aus einem schwebenden Geschäft einen Verlust i.H.v. 750.000 €, für das das Unternehmen zum Bilanzstichtag gem. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB eine Rückstellung für drohende Verlust aus schwebenden Geschäften in entsprechender Höhe passiviert. Da die Bildung einer solchen Rückstellung steuerrechtlich gem. § 5 Abs. 4a S. 1 EStG nicht zulässig ist, ist das zu versteuernde Einkommen in der Steuerbilanz um 750.000 € höher. Ohne Berücksichtigung dieses Sachverhalts erzielte die A-AG ein vorläufiges Ergebnis i.H.v. 1.800.000 €. Der Steuersatz des Unternehmens beträgt 30%.
Die folgende Tabelle zeigt das Missverhältnis zwischen dem Steueraufwand und dem handelsrechtlichen Ergebnis auf, sofern keine latenten Steuern berücksichtigt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Missverhältnis zwischen Steueraufwand und Handelsbilanzergebnis bei Nichtberücksichtigung latenter Steuern
In diesem Fall wird der Steueraufwand unkorrigiert aus der Steuerbilanz in die Handelsbilanz übernommen und vermittelt dem Bilanzleser daher ein fehlerhaftes Bild der Ertragslage des Unternehmens. Die Steuerquote von 51,43% steht in keinem plausiblen Zusammenhang mit der tatsächlichen Steuerbelastung i.H.v. 30%. Dieses Missverhältnis wird durch die Bildung einer aktiven latenten Steuer ausgeglichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Korrektur des Missverhältnisses zwischen Steueraufwand und Handelsbilanzergebnis durch Bildung latenter Steuern
Im Ergebnis wird durch die Bildung der aktiven latenten Steuern in der handelsrechtlichen GuV ein Steueraufwand abgebildet, der sich ergeben hätte, wenn das Vor-Steuer- Ergebnis der Handelsbilanz Steuerbemessungsgrundlage gewesen wäre. Da die nach dem Vorsichtsprinzip gebildete Rückstellung für schwebende Geschäfte eine gewisse
Eintrittswahrscheinlichkeit aufweist, kann die oben dargestellte aktive latente Steuer in der Handelsbilanz auch als zukünftige Steuerentlastung gesehen werden, sollte der zugrunde liegende Sachverhalt tatsächlich eintreten.[23]
Das Beispiel hat gezeigt, dass latente Steuern zwei wesentliche Funktionen besitzen. So dient die Bilanzierung latenter Steuern einerseits der periodengerechten Erfolgs ermittlung, da der „richtige“ Steueraufwand, d. h. der mit dem handelsrechtlichen Ergebnis korrespondierende und nicht der auf Basis der Steuerbilanz berechnete Steueraufwand, in der Handelsbilanz ausgewiesen wird. Der Steueraufwand wird durch die Bildung latenter Steuern in der Bilanz berichtigt. Andererseits sind latente Steuern zur Beurteilung der Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens von Bedeutung, da sie Informationen über voraussichtlich künftige Steuerbe- oder -entlastungen vermitteln. So signalisieren aktive latente Steuern eine zukünftige Steuerentlastung und passive latente Steuern eine künftige Steuerbelastung. Latente Steuern haben allerdings keine Wirkung auf die tatsächlichen Steuern, sondern stellen „lediglich“ einen reinen Informationsposten dar.[24]
3.2. Konzepte der Abgrenzung latenter Steuern
Konzeptionell kann die Ermittlung latenter Steuern sowohl nach dem Timing-Konzept als auch nach dem Temporary-Konzept erfolgen. Im Folgenden sollen die beiden wesentlichen Konzepte der Steuerabgrenzung dargestellt werden.
3.2.1. Timing-Konzept
Nach dem Timing-Konzept wird die Steuerabgrenzung aus einer GuV-orientierten Sichtweise vorgenommen[25]. Der konzeptionelle Grundgedanke basiert hierbei auf einem Vergleich der Jahresergebnisse nach Handels- und Steuerrecht, d. h. die Ergebnisdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz, die sich im Zeitablauf in der jeweiligen Ergebnisrechnung wieder umkehren, werden erfasst. [26] Nach dem Timing-Konzept werden lediglich solche zeitlichen Differenzen in die Steuerabgrenzung einbezogen, die sich sowohl bei der Entstehung als auch bei der Auflösung in der GuV auswirken. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass erfolgsneutral entstandene Differenzen[27] bei der Ermittlung latenter Steuern keine Berücksichtigung finden, da aus solchen Differenzen im Zeitpunkt ihrer Entstehung keine Abweichung zwischen dem steuerpflichtigen Einkommen und dem handelsrechtlichen Ergebnis resultieren[28]. Nach h. M. wird ein Ansatz latenter Steuern beruhend auf quasi-permanenten Differenzen[29] abgelehnt. Permanente Differenzen[30] sind ebenfalls zu vernachlässigen.[31]
Zielsetzung des Timing-Konzeptes ist ein periodengerechter Erfolgsausweis. Um diesem Periodisierungsgedanken gerecht zu werden, ist eine Korrektur in Form einer Steuerabgrenzung vorzunehmen, sofern zeitlich begrenzte bzw. temporäre Ergebnisdifferenzen bestehen. In der GuV soll dazu ein Steueraufwand ausgewiesen werden, der mit dem handelsrechtlichen Ergebnis im Einklang steht[32]. Nach dem Timing-Konzept soll durch Bildung latenter Steuern eine Kongruenz zwischen dem tatsächlichen Ertragsteueraufwand - basierend auf der Steuerbilanz - und dem fiktiven Steueraufwand, der mit dem handelsrechtlichen Ergebnis korrespondiert, bezweckt werden[33]. Latente Steuern lassen sich daher als Differenz zwischen dem tatsächlichen Steueraufwand einer Periode und dem Steueraufwand definieren, der resultieren würde, wenn der handelsbilanzielle Erfolg die Basis für die Steuerberechnung bilden würde.[34]
3.2.2. Temporary-Konzept
Bei dem Temporary-Konzept erfolgt die Steuerabgrenzung aus einer bilanzorientierten Sichtweise[35]. Aus diesem Grund führen prinzipiell sämtliche Bilanzierungs- und Bewertungsdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz zu einer latenten Steuerabgrenzung, sofern durch diese Differenzen eine zukünftige Steuerbe- oder -entlastung resultiert. Zur Ermittlung latenter Steuern im Rahmen dieses Konzeptes sind jedem handelsrechtlichen VG die entsprechenden, nach steuerlichen Vorschriften ermittelten, Steuerbilanzwerte gegenüberzustellen. Dieser Vergleich ist ebenfalls für Schuldposten und Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) vorzunehmen.[36] Nach dem Temporary-Konzept werden auch solche Differenzen zwischen den Wertansätzen erfasst, die erfolgsneutral entstanden sind. Des Weiteren ist die Zeitdauer bis zur Umkehrung der Differenzen nicht relevant und somit erfolgt ebenfalls eine Berücksichtigung quasi-permanenter Differenzen. Kein Gegenstand der Steuerabgrenzung sind hingegen permanente Differenzen[37]. Entscheidend für die Steuerabgrenzung ist das Vorhandensein von Bilanzdifferenzen und nicht von Ergebnisdifferenzen.[38] Ziel des Temporary-Konzeptes ist der korrekte Ausweis gegenwärtiger Steuerminderungsansprüche und -verbindlichkeiten ggü.dem Fiskus und damit verbunden eine zutreffende Darstellung der Vermögenslage[39].
3.2.3. Vergleich der Abgrenzungskonzepte
Ein Vergleich zwischen Timing- und Temporary-Konzept zeigt sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf, die vor allem auf der unterschiedlichen Zwecksetzung der Systeme beruhen. Während das Timing-Konzept auf eine periodengerechte Erfolgsermittlung abzielt, verfolgt das Temporary-Konzept das Ziel, einen zutreffenden Vermögensausweis zu gewährleisten. Daher werden auf der einen Seite GuV-orientierte Differenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz betrachtet, die sich in Entstehung und Umkehrung in der GuV niederschlagen, während auf der anderen Seite der bilanzorientierte Charakter des Temporary-Konzeptes dadurch zum Ausdruck kommt, dass jeder VG, RAP bzw. jede Schuld seinem steuerlichen Wert gegenübergestellt wird. Das führt dazu, dass bei den verschiedenen Konzepten auch verschiedene Differenzen in die Steuerabgrenzung einbezogen werden. Werden beim Timing-Konzept nur solche Differenzen betrachtet, die sich in absehbarer Zeit selbst umkehren und Auswirkungen auf die GuV haben, so bezieht das Temporary-Konzept auch die nach dem Timing-Konzept ausgeschlossenen quasi-permanenten Differenzen in die temporären Differenzen ein, da „unzweifelhaft eine Bewertungsdifferenz zwischen Handels- und Steuerbilanz vorliegt und es auf den Zeitpunkt der Auflösung bzw. Umkehrung nicht ankommt.“[40] Des Weiteren berücksichtigt das bilanzorientierte Temporary-Konzept auch erfolgsneutral entstandene Differenzen, da die Erfolgswirksamkeit der Entstehung und Auflösung der Differenzen nicht relevant ist. In beiden Konzepten werden permanente Differenzen bei der Steuerabgrenzung nicht berücksichtigt. Dies führt dazu, dass unabhängig von der Anwendung der betrachteten Konzepte keine vollständige Erfassung sämtlicher (möglicher) Differenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz erfolgt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Temporary-Konzept das Timing-Konzept umfasst und mit der Einbeziehung weiterer Differenzen sogar darüber hinausgeht.[41]
Die folgende Tabelle[42] stellt eine abschließende Übersicht über die herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Abgrenzungskonzepte dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 3: Vergleich Timing-Konzept und Temporary-Konzept
3.3. Methoden der Abgrenzung latenter Steuern
Zur Beantwortung der Frage nach dem richtigen Steuersatz im Rahmen der Bewertung latenter Steuern gibt es grds. zwei Methoden: die liability-Methode sowie die deferred- Methode. Beide Bewertungsmethoden sollen im Folgenden vorgestellt werden.
3.3.1. Deferred-Methode
Die deferred-Methode ist eine GuV-orientierte Methode zur Bestimmung der Höhe latenter Steuern. Die Zielsetzung besteht im korrekten Ausweis des Steueraufwands im jeweiligen Betrachtungszeitraum. Aus diesem Grund wird für die Bewertung latenter Steuern der im Entstehungszeitpunkt der Differenz gültige Steuersatz herangezogen. Für den Fall bereits beschlossener zukünftiger Steuersatzänderungen bzw. in der Zukunft vorgenommener Steuergesetzänderungen vor Umkehrung der betrachteten Differenzen, sind keine Anpassungen der bestehenden Steuerabgrenzungen vorzunehmen, d. h. ausschließlich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Differenz sind relevant. Die sich aus der Abgrenzung latenter Steuern ergebenden Posten werden im Rahmen dieser Methode als Abgrenzungsposten interpretiert und entsprechend wird die de- ferred-Methode auch als Abgrenzungsmethode bezeichnet.[43]
3.3.2. Liability-Methode
Im Vergleich zur deferred-Methode ist die liability-Methode bilanzorientiert und wird Verbindlichkeitsmethode genannt. Diese Bezeichnung erhält die Methode, da sie latente Steuern als Forderungen bzw. Verbindlichkeiten interpretiert. Latente Steuern sollen im Rahmen dieser Methode die zukünftig eintretenden steuerlichen Konsequenzen der Umkehrung zeitlicher Differenzen darstellen, d. h. durch aktive latente Steuern werden sich ergebende Steuerentlastungspotenziale und durch passive latente Steuern künftige Steuerbelastungen korrekt in der Bilanz ausgewiesen. Die liability-Methode stellt demzufolge den zutreffenden Ausweis der Vermögenswerte und Schulden zum Bilanzstichtag in den Vordergrund. Latente Steuern sind daher mit dem Steuersatz zu bewerten, der voraussichtlich im Zeitpunkt der Umkehrung der Differenz gilt. In jeder Periode sind die bestehenden Steuerabgrenzungen an eventuelle Steuersatzänderungen anzupassen, um zu gewährleisten, dass die latenten Steuern immer mit dem Steuersatz bewertet werden, der bei der Umkehrung der Differenz voraussichtlich angewendet wird.[44]
Die Zuordnung der beiden dargestellten Bewertungsmethoden zu den Abgrenzungskonzepten latenter Steuern ergibt folgende Kombinationen: dem Temporary-Konzept ist ausschließlich die liability-Methode zuzurechnen, während bei Anwendung des TimingKonzeptes grds. beide Bewertungsmethoden anwendbar sind.[45]
3.4. Klassifizierung von Differenzen
Der Ansatz latenter Steuern hängt, wie in Kapitel 3.2. gezeigt, vom Charakter der zugrunde liegenden Differenz ab. Allgemein werden folgende Erfolgsdifferenzen unterschieden: temporäre, quasi-permanente und permanente Differenzen. Der nächste Abschnitt erläutert neben diesen Differenzen auch die, durch das BilMoG ins Blickfeld der Steuerabgrenzung gerückten, erfolgsneutral entstandenen Differenzen.
3.4.1. Zeitlich begrenzte Differenzen
Die zeitlich begrenzten Differenzen sind die in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Differenzen. Sie entstehen, wenn Aufwendungen und Erträge aufgrund unterschiedlicher handels- und steuerrechtlicher Gewinnermittlungsvorschriften zu verschiedenen Zeitpunkten in Handels- und Steuerbilanz erfasst werden. Es handelt sich um zeitlich begrenzte Ergebnisunterschiede, die sich in einem absehbaren Zeitraum wieder umkehren. Zeitliche Differenzen führen somit lediglich zu unterschiedlichen Periodenerfolgen, nicht jedoch zu einem über die Totalperiode abweichenden Erfolg.[46] Typische Beispiele für die Entstehung temporärer Differenzen sind:
- Buchwertdifferenzen bei abnutzbarem Anlagevermögen aufgrund unterschiedlicher Abschreibungsmethoden oder Nutzungsdauern in Steuer- und Handelsbilanz, wobei die Umkehr der Differenz über die Abschreibungsdauer erfolgt,
- Bildung einer Drohverlustrückstellung, die handelsrechtlich gem. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB passivierungspflichtig ist und für die nach § 5 Abs. 4a EStG ein Passivierungsverbot besteht, wobei die Umkehr der Differenz bei Inanspruchnahme bzw. Ausbuchung der Rückstellung erfolgt.[47]
[...]
[1] Gelhausen/Fey/Kämpfer (2009), S. VII.
[2] Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 1.
[3] Vgl. Hahn (2009), S. 1.
[4] Die HGB-Bilanz bildet die Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung sowie der Ausschüttungsbemessung.
[5] Vgl. BT-Drucksache 16/12407, S. 1.
[6] Vgl. Petersen/Zwirner/Künkele (2010a), S. 1; Hahn (2009), S. 1.
[7] Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 32–33.
[8] Vgl. Wendholt/Wesemann (2009), S. 65.
[9] Vgl. Bundesministerium der Justiz (2003).
[10] Vgl. Fischer/Günkel/Neubeck/Pannen (2009), Rz. 1-2, Heyd/Kreher (2010), S. 6.
[11] Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 1.
[12] Vgl. Fischer/Günkel/Neubeck/Pannen (2009), Rz. 6.
[13] Vgl. Bieg/Kußmaul/Petersen/Waschbusch/Zwirner (2009), S. 1.
[14] Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 2.
[15] Vgl. Fischer/Günkel/Neubeck/Pannen (2009), Rz. 6.
[16] Vgl. Bieg/Kußmaul/Petersen/Waschbusch/Zwirner (2009), S. 2.
[17] Vgl. Ebd., S. 3.
[18] Vgl. Hoppen/Husemann/Schmidt (2009), S. 21.
[19] Vgl. Fischer/Günkel/Neubeck/Pannen (2009), Rz. 6.
[20] Vgl. Ernst (2009), S. 584.
[21] Vgl. Ernst (2009), S. 584; Theile (2010), S. 640–641.
[22] Vgl. Ernst (2009), S. 585.
[23] Die entsprechende Wirkung der Auflösung der latenten Steuern bei Eintritt des Verlustes aus dem schwebenden Geschäft soll hier nicht weiter dargestellt werden.
[24] Vgl. Ernst (2009), S. 584; Theile (2010), S. 641; Kozikowski/Fischer (2010a), Rz. 4.
[25] Vgl. Braun (2010), S. 17.
[26] Vgl. Theile (2008), S. 110.
[27] Zur Entstehung erfolgsneutraler Differenzen siehe Kapitel 3.4.4.
[28] Vgl. Kozikowski/Fischer (2010a), Rz. 5–6.
[29] Zur Entstehung quasi-permanenter Differenzen siehe Kapitel 3.4.2.
[30] Zu permanenten Differenzen siehe Kapitel 3.4.3.
[31] Vgl. Braun (2010), S. 18.
[32] Vgl. Ebd., S. 17–18.
[33] Vgl. Petersen/Zwirner (2009a), S. 479.
[34] Vgl. Theile (2008), S. 109.
[35] Vgl. Braun (2010), S. 18.
[36] Vgl. Kozikowski/Fischer (2010a), Rz. 7-8.
[37] Vgl. Braun (2010), S. 19.
[38] Vgl. Theile (2008), S. 110.
[39] Vgl. Petersen/Zwirner (2009a), S. 479.
[40] Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 470.
[41] Vgl. Petersen/Zwirner (2009a), S. 479-480.
[42] In Anlehnung an Hahn (2010), S. 56.
[43] Vgl. Braun (2010), S. 20; Hahn (2009), S. 58; Petersen/Zwirner (2009a), S. 480.
[44] Vgl. Langenbucher/Blaum (2009), S. 30; Hahn (2009), S. 58; Braun (2010), S. 21.
[45] Vgl. Braun (2010), S. 22.
[46] Vgl. Petersen/Zwirner (2009a), S. 479.
[47] Vgl. Theile (2010), S. 645.
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