„Der Besuch der alten Dame ist eine Geschichte, die sich irgendwo in Mitteleuropa in einer kleinen Stadt ereignet, geschrieben von einem, der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert, und der nicht so sicher ist, ob er anders handeln würde“, so definiert der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt sein groteskes Theaterstück, das ihm schließlich 1956 die finanzielle Unabhängigkeit brachte.
Dabei ist die Handlung des Stücks denkbar einfach: Die Milliardärin Claire Zachanassian- „zweiundsechzig, aufgedonnert, unmöglich, aber gerade darum wieder eine Dame von Welt, mit einer seltsamen Grazie, trotz allem Grotesken“ [S.22/1-3f]- kehrt in ihren Geburtsort Güllen zurück. Die dortige Bürgerschaft knüpft alle monetären Hoffnungen an diesen Besuch, da die Stadt gänzlich verschuldet ist, „dahinvegetiert, krepiert“ [S.14/18-19ff]. Die alte Dame ist bereit, der Stadt eine Milliarde zu schenken, verlangt jedoch dafür Gerechtigkeit: Claire will, dass sie einen ihrer Mitbürger, Alfred Ill, umbringen. Doch trotz der Behauptung „Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt“ [S.50/4-5f], nötigt die ansteigende Gier die Bürger der Stadt Güllen dazu, genau dies zu tun.
Was die alte Dame übrigens nur erwartet hat! Mit ihrer kurzen, befehlsgewohnten Art und Weise zu sprechen, sagt sie, die Entrüstung der Güllener auf ihren Vorschlag erwidernd: „Ich warte.“ [S.50/7f] und demonstriert dem Leser die Macht, die sie über jegliches Wesen auf der Welt zu haben scheint. „[…] wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen, nicht Claire, der traut man noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt“ [S.34/8-10ff], eine Ansicht, die nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, wenn man bedenkt, was Dürrenmatt alles getan hat, um diese Gestalt endgültig aus dem normalen Leben zu entfernen: Es wäre hier z.B. das künstliche Bein und die künstliche Hand zu nennen, die von einem Flugzeugabsturz herrühren, den sie als einzige überlebt hat. „Bin nicht umzubringen“ [S.40/5f] und damit ist es klar, dass Dürrenmatt mit seiner Figur „etwas Unabänderliches, Starres, ohne Entwicklung mehr“ geschaffen hat, das im Stück lediglich die Aufgabe eines...
Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie.
Von Natalie Romanov
„Der Besuch der alten Dame ist eine Geschichte, die sich irgendwo in Mitteleuropa in einer kleinen Stadt ereignet, geschrieben von einem, der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert, und der nicht so sicher ist, ob er anders handeln würde“, so definiert der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt sein groteskes Theaterstück, das ihm schließlich 1956 die finanzielle Unabhängigkeit brachte.
Dabei ist die Handlung des Stücks denkbar einfach: Die Milliardärin Claire Zachanassian- „zweiundsechzig, aufgedonnert, unmöglich, aber gerade darum wieder eine Dame von Welt, mit einer seltsamen Grazie, trotz allem Grotesken“ [S.22/1-3f]- kehrt in ihren Geburtsort Güllen zurück. Die dortige Bürgerschaft knüpft alle monetären Hoffnungen an diesen Besuch, da die Stadt gänzlich verschuldet ist, „dahinvegetiert, krepiert“ [S.14/18-19ff]. Die alte Dame ist bereit, der Stadt eine Milliarde zu schenken, verlangt jedoch dafür Gerechtigkeit: Claire will, dass sie einen ihrer Mitbürger, Alfred Ill, umbringen. Doch trotz der Behauptung „Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt“ [S.50/4-5f], nötigt die ansteigende Gier die Bürger der Stadt Güllen dazu, genau dies zu tun.
Was die alte Dame übrigens nur erwartet hat! Mit ihrer kurzen, befehlsgewohnten Art und Weise zu sprechen, sagt sie, die Entrüstung der Güllener auf ihren Vorschlag erwidernd: „Ich warte.“ [S.50/7f] und demonstriert dem Leser die Macht, die sie über jegliches Wesen auf der Welt zu haben scheint. „[…] wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen, nicht Claire, der traut man noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt“ [S.34/8-10ff], eine Ansicht, die nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, wenn man bedenkt, was Dürrenmatt alles getan hat, um diese Gestalt endgültig aus dem normalen Leben zu entfernen: Es wäre hier z.B. das künstliche Bein und die künstliche Hand zu nennen, die von einem Flugzeugabsturz herrühren, den sie als einzige überlebt hat. „Bin nicht umzubringen“ [S.40/5f] und damit ist es klar, dass Dürrenmatt mit seiner Figur „etwas Unabänderliches, Starres, ohne Entwicklung mehr“ geschaffen hat, das im Stück lediglich die Aufgabe eines Katalysators übernimmt. Denn die eigentliche Handlung des Stücks betrifft die Güllener und Alfred Ill, „dem verschmierten Krämer“, der in seiner Jugend die Zachanassian schwanger sitzen gelassen hat. „Ein alter Sünder“ [S.56/11f] oder doch der tragische Held, der am Ende ein sittliches Bewusstsein entwickelt und seinen Mitbewohnern mit Würde entgegentritt? „Ihr müsst nun meine Richter sein. Ich unterwerfe mich eurem Urteil, wie es nun auch ausfalle. Für mich ist es Gerechtigkeit, was es für euch ist, weiß ich nicht“ [S.109/4-7ff].
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame"?
Das Stück handelt von der Milliardärin Claire Zachanassian, die in ihre verarmte Geburtsstadt Güllen zurückkehrt. Sie bietet der Stadt eine Milliarde, verlangt aber im Gegenzug den Tod von Alfred Ill, mit dem sie in ihrer Jugend eine Affäre hatte.
Wer ist Claire Zachanassian?
Claire Zachanassian ist eine exzentrische Milliardärin, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um Rache an Alfred Ill zu nehmen, der sie in ihrer Jugend verlassen hat. Sie wird als mächtige und unbarmherzige Figur dargestellt.
Wer ist Alfred Ill?
Alfred Ill ist ein Krämer in Güllen, der in seiner Jugend eine Affäre mit Claire Zachanassian hatte. Er ist das Opfer ihrer Rache und entwickelt im Laufe des Stücks ein moralisches Bewusstsein.
Wie reagieren die Bürger von Güllen auf Claires Angebot?
Anfangs lehnen die Bürger von Güllen Claires Angebot ab und beteuern, dass sie lieber arm bleiben würden, als sich mit Blut zu beflecken. Doch im Laufe der Zeit erliegen sie der Versuchung des Geldes und sind bereit, Ill zu töten.
Welche Rolle spielen die Figuren des Bürgermeisters, des Pfarrers und des Lehrers?
Der Bürgermeister, der Pfarrer und der Lehrer repräsentieren die wichtigsten Institutionen in Güllen. Zuerst unterstützen sie Ill, aber nach und nach rechtfertigen sie seinen Tod, um von Claires Angebot zu profitieren. Der Lehrer kämpft am längsten gegen die Korruption, hält aber am Ende die Rede, die Ills Tod rechtfertigt.
Was ist die Bedeutung von Dürrenmatts Darstellung der Kirche?
Dürrenmatt stellt die Kirche in einem negativen Licht dar, da auch der Pfarrer der Versuchung des Geldes nicht widerstehen kann, obwohl die Kirche eigentlich das Zentrum der Moral bilden sollte.
Was ist die zentrale Thematik des Stücks?
Die zentrale Thematik des Stücks ist die Korruption und die Verführbarkeit der Menschen durch Geld. Dürrenmatt zeigt, wie die Gier die Moral und die Prinzipien der Bürger von Güllen untergräbt.
Wie definiert Dürrenmatt sein eigenes Stück?
Dürrenmatt definiert "Der Besuch der alten Dame" als eine Geschichte, die sich irgendwo in Mitteleuropa ereignet und von jemandem geschrieben wurde, der sich nicht sicher ist, ob er selbst anders handeln würde.
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- Bsc Natalie Romanov (Author), 2011, Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie - Ein Überblick, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166979